Archiv für den Tag: 21. Januar 2016

Fast Luxus: Telefonieren in Ost-Berlin im Jahr 1981

Für die “ Randnotizen aus Berlin“ dürfen auf dieser Homepage auch andere „Schreiberlinge“ ihre Geschichten präsentieren. So im folgenden mein Journalisten-Kollege Jörg Kotterba, früher in Ostberlin wohnend, dann kurzeitig in Köln lebend und nun seit langem in Frankfurt an der Oder.
Mit Jörg Kotterba war ich in den Achtzigern beruflich eng verbunden. Einmal bei der „Berliner Zeitung“, wo er als Sportjournalist tätig war und ich durch seine Vermittlung Korrektur lesen durfte. Und dann beim „Leichtathleten“, wo er einige Jahre Chef war und ich sein Mitarbeiter.

Jörg Kotterba schreibt seit dem 20. August 2008, dem Tag der Geburt seiner Enkelin Emily, für diese ein Tagebuch und veröffentlich das u.a. bei Facebook.

Unter dem Datum 12. Januar 2011 steht in seinem Tagebuch:
Vor 30 Jahren ist die DDR-Hauptstadt in Jubiläumslaune, Emily. Berlins Telefonnetz feiert am 12. Januar 1981 hundertsten Geburtstag. Der weitsichtige Generalpostmeister Heinrich Stephan wirbt erstmals 1881 an der Spree für das Telefon.
Zehn Jahrzehnte später können in Berlin-Ost die Telefonleitungen ihr Alter nicht verbergen. Sie sind nicht nur extrem knapp. Und werden teilweise doppelt belegt. Mit unterschiedlichen Rufnummern zwar. Doch spricht der eine, kann der andere nicht reden. Das Niveau der DDR-Telefonleitungen ähnelt jener Beschreibung aus Meyers Konversationslexikon von 1898: „Das Fernsprechen auf weite Entfernung hat mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Laufen mehrere Fernsprechleitungen nebeneinander her, so hört man infolge der Induktionswirkung in der eigenen Leitung, was in der anderen gesprochen wird; ebenso machen sich die Ströme benachbarter Telegraphenleitungen durch Erzeugung eines knackenden Geräusches in den Telephonen bemerkbar.“
In Berlin-Ost gibt es 1985 mehr als 260 000 Telefonanschlüsse. Und 120 000 unerledigte Anträge. Auf einen Telefonanschluss wartet der Berliner drei Jahre. In den Bezirken der kleinen Republik bis zu zwölf. Der Bürger muss bei Antragstellung eine Befürwortung des Betriebes abgeben. Ohne dringende berufliche Notwendigkeit und eine saubere Kaderakte ist die Chance auf einen Anschluss gleich Null.
Seit 1972 beweisen die Nordhäuser, dass sie auch andere begehrenswerte Sachen herstellen können als Schiffsdiesel und Doppelkorn: Sie besitzen das Monopol als Fernsprechbuchmacher. Alle Druckunterlagen werden in der Zentralen Buch- und Mikrofilmstelle beim Post- und Fernmeldeamt Nordhausen vorbereitet. In Nordhausen lagern rund sechseinhalbtausend Lochstreifen. Und jeder von ihnen speichert 175 Teilnehmer. Lichtsetzmaschinen in Dresden und Berlin vollbringen die Metamorphose von der Perforation zu lesbaren Namen, Titeln, Anschriften und Rufnummer.
Die deutsche Bürokratie macht auch vor den DDR-Fernsprechbüchern nicht halt. Sucht der Ost-Berliner eine Taxirufsäule – Anlaufpunkt von wartenden Taxen -, muss er nicht unter T, sondern unter K schauen. K – wie Kombinat Berliner Taxibetriebe, Kombinatsbetrieb Taxi, Autorufsäulen.
Die Glanzleistung bietet das Geraer Fernsprechbuch. Wer darin die Rufnummer der viel frequentierten Saalfelder Feengrotten sucht, muss ein Hellseher sein. Und unter O – wie Ostthüringische Brauen Pößneck, VEB, Werk Brauhaus, Werkteil Feengrotten – suchen. Dafür ist hundert Jahre nach Einführung des Telefons im Vorspann der Fernsprechbücher exakt beschrieben, wie zu telefonieren sei: „Ermitteln Sie zunächst die Anschluss-Rufnummer des Verlangten … Heben Sie den Handapparat ab. Wählen Sie die einzelnen Ziffern … – von links beginnend.“
Um in DDR-Zeiten auf Kosten der Deutschen Post zu telefonieren, öffnen pfiffige Bürger in den „Öffentlichen“ das Telefon und drehen ein kleines Modul, das für die Polarisation zuständig ist, um. Ein anderer Trick klappt bis 1980. Mit Hilfe einer Stimmgabel in Telefonzellen können Knobel Kniffligs kostenlos telefonieren, da das Fräulein vom Amt die eingebaute Gabel nicht von einer mitgebrachten unterscheiden kann.
Telefonate in den „Öffentlichen“ kosten in der kleinen Republik bei Stromausfall nichts. Was jedesmal für einen heftigen Andrang auf das Telefonnetz sorgt. Es kommt aber auch vor, dass bei einzelnen Telefonzellen von der Stasi der Strom abgedreht wird. Um sogenannte subversive Elemente und deren Gespräche abzuhören.
(Quelle: Facebook Jörg Kotterba)