Archiv für den Tag: 22. März 2016

Alexandra Wester: Vom Laufsteg in die Weitsprunggrube

Weitspringerin Alexandra Wester hatte sich mit ihrem 6,95 –m-Satz beim 3. ISTAF-INDOOR in Berlin direkt in die Weltspitze katapultiert.

Nachklang 164

Danach mit Wolf-Dieter Poschmann im Interview

Naturgemäß stiegen damit auch die Erwartungen der Öffentlichkeit für ihren ersten Auftritt in der deutschen Nationalmannschaft bei der Hallen-WM in Portland (USA) spürbar an.

Zwei Tage vor ihrem dortigen Finalauftritt hatte mein Kollege Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Geschichte über einen kürzlichen Besuch an der Kölner Trainingsstätte der 21-Jährigen veröffentlicht.

Auch wenn Alexandra Wester dann bei der Hallen-WM nicht alle Erwartungen erfüllen konnte, nach einem ersten ungültigen Versuch nur schwer in die Gänge kam und am Ende mit 6,67 m in einem sehr starken Wettbewerb „nur“ Sechste wurde, lohnt es sich nochmals, Auszüge aus dem FAZ-Artikel vom 18. März 2016 zu lesen:

Grau lastet der Himmel auf der Stadt. In Kälte und Nieselregen trainieren Leichtathleten. An den Maschinen im Vereinsgebäude schuften Freizeitsportler. Andere wärmen sich an Tee- und Kaffeetassen die Hände. Willkommen beim ASV im Westen von Köln.

Southbeach Miami: Sonne, Sand, Meer. Eine Yacht bringt Alexandra Wester an den Strand, damit sie mit uns unter Palmen Liegestütz und Kniebeugen übt oder den Reifen eines Trucks stemmt. „Al-X-Fitness“ heißt das Programm. Das Video ist noch zu sehen im Internet. Doch es ist Vergangenheit.

Warum nur hat Alexandra Wester, wie sie 1,80 Meter groß, athletisch und strahlend vor uns steht im Klubhaus, Florida aufgegeben für das Rheinland?
„Ich habe Miami total genossen“, antwortet die 21-Jährige. „Aber ich habe mich für den Hochleistungssport entschieden.“ Dieser hat, das ist gewiss, nur auf sie gewartet. Beim Hallen-Istaf in Berlin machte die Weitspringerin einen Satz, der erst fünf vor sieben endete. Die 6,95 Meter bewiesen: Sie ist auf dem Sprung in die Weltklasse. Seit Heike Drechsler, Olympiasiegerin von Barcelona 1992 und Sydney 2000, ist keine deutsche Athletin mehr so weit gekommen…
So weit war in diesem Winter weltweit noch keine Frau gesprungen. Von Druck will sie dennoch nichts wissen. „Das ist allgemein bekannt, dass auf einem Athleten mehr Druck lastet, sobald er so eine Hammerweite raushaut“, sagt sie. „Für mich ist das eine Befreiung. Der Sprung hat mir Druck genommen.“

Weitsprunggrube im Garten

Vor Miami war Saulheim in Rheinhessen. Dort wuchs das Mädchen auf. Tochter eines Deutschen und einer Mutter aus Ghana, geboren in Gambia, trägt sie an einem Lederband eine Kauri-Muschel am Hals. „Sie erinnert mich daran, woher ich komme“, sagt sie. „Sie ist mein Glücksbringer.“
Doch mit dem Schicksal ist das so eine Sache. Damit die kleine Alexandra ihre unbändige Energie kanalisieren konnte, setzte ihr Großvater einen speziellen Sandkasten in seinen Garten: eine >Weitsprunggrube. Das Mädchen nutzte sie begeistert. Aus dem Kind wurde eine Leichtathletin, so vielseitig wie vielversprechend.

Totalschaden am Knie

2011 sollte sie als Mehrkämpferin an der U-18-Weltmeisterschaft in Lille teilnehmen; ihr erster internationaler Einsatz. Zwei Wochen vor der Qualifikation stürzte sie schwer beim Hürdenlauf. Die Diagnose war niederschmetternd. „Totalschaden im Knie“, fasst sie die Bänder- und Meniskusrisse heute zusammen.

Da hätte ihre sportliche Laufbahn schon zu Ende sein können. Doch sie bewies, wie groß ihr Talent und ihr Ehrgeiz sind. Weil das Knie, das linke, das ihres Sprungbeins, wohl nie mehr so belastbar sein würde wie zuvor, lernte sie um. Nun springt sie mit rechts ab, wie manchmal als Kind. Und sie nahm das Angebot an, mit ihrer großen, schlanken Figur Kleidung zu präsentieren.
Bevor sie in diesem Winter beim Istaf in Berlin die mehr als 12.000 hingerissenen Zuschauern mitnahm in den Anlauf zum Weitsprung, war sie schon zweimal bei der Fashion Week in der Stadt gewesen. Nicht, dass sie den Anlauf in einen Catwalk verwandelt.
Aber neben der Leistung, über die nackten Zahlen hinaus, aus denen die Resultate der Leichtathletik bestehen, hat sie etwas zu bieten, das rar ist im Sport: die Interaktion mit dem Publikum, die Freude, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und die Fähigkeit, ihre Freude am Erfolg mit den Zuschauern zu teilen.

Alexandra Wester klein Leipzig sitzend

Entspannt bei den Deutschen Meisterschaften in Leipzig
Foto: Dirk Gantenberg

Was vor fünf Jahren womöglich ein Ausweg war, sich über Schmerz und Zweifel hinwegzutrösten, das Modeln, gibt ihr heute die Sicherheit, im Scheinwerferlicht zu bestehen. Wer sie bei ihren Fernsehauftritten gesehen hat seit Berlin, weiß, dass sie das Potential zum Star hat.
Auch deshalb nennt sie, wenn sie von großen Leichtathleten spricht, die Läuferin Alyson Felix, die immer wieder Verletzungen überwand, Usain Bolt, der eine ganz eigene Lockerheit ausstrahlt, vor allem Zehnkämpfer Ashton Eaton und Heike Drechsler, weil sie im größten Erfolg bodenständig geblieben seien. Es klingt wie eine Mahnung an sich selbst, wenn die Weitspringerin verspricht: „Abheben ist nicht.“

Alexandra Wester klein Leipzig springend

Alexandra Wester wird in Leipzig 2016 deutsche Meisterin
(Foto: Dirk Gantenberg)

Im Sport allerdings doch. Seit ihrer Verletzung konzentriert sich Alexandra Wester mehr und mehr auf ihre stärkste und liebste Disziplin, den Weitsprung. „Für mich war das viel mehr Druck als heute“, sagt sie, „als ich zurückkam und niemand an mich glaubte.“ Bundestrainer Uli Knapp allerdings hatte immer ein Auge auf die lange, schlanke Athletin. „Sie hat gute Hebel“, sagt er. „Ich habe sie immer als Weitspringerin gesehen. Im Gegensatz zu vielen anderen großen, schlanken Frauen ist sie schnell und explosiv.“

Personaltrainer in den USA

Die Welt des Sports erschien ihr reizvoller als die der Mode. Ein Stipendium der University of Miami eröffnete ihr den Weg nach Amerika. Alexandra Wester ließ sich zum Personal Trainer ausbilden und wurde Fitness-Coach mit eigenem Youtube-Kanal. Aus Alexandra wurde Al-X.
Dann ein Muskelfaserriss. Es scheint, dass unter den vielen Verletzungen ihres Lebens diese ein Glück war. Denn die Sportlerin war damit raus aus der Knochenmühle der College-Wettkämpfe, in denen sie mehrmals täglich hart trainieren und wöchentlich in verschiedenen Disziplinen hätte antreten müssen. Übers Internet stimmte sie mit Bundestrainer Knapp ihr Reha- und Fitnesstraining ab und profilierte ihre Athletik von Masse auf Schnellkraft um. Autoreifen stemmt sie seit gut einem Jahr nicht mehr. Von elf Einheiten pro Woche fuhr sie ihr Training runter (in Köln sind es fünf). Fußgelenke, Achillessehne, Knie und Hüftbeuger erholten sich. Alexandra Wester baute Muskeln ab. In Miami wog sie zeitweilig 72 Kilo. Nun, in Köln, bringt sie nicht mehr als 64 Kilo auf die Waage.

Erst im Sommer 2015 war Alexandra Wester wieder bereit für Wettkämpfe. Aber sie wusste, sie würde ihr Stipendium, das einen Wert von reichlich 60.000 Dollar hat, nicht verlängern. Auf eigene Faust flog sie nach Los Angeles, um ihr Comeback im Weitsprung zu geben. Die 6,29 Meter, die ihr gelangen, hatten einen hohen Preis. „Beim letzten Sprung zieht es extrem in meinen Fuß rein“, erinnert sie sich. „Mir wurde schwindelig, der Fuß schwoll an.“ Um nicht das Comeback zu gefährden, das sie sich selbst erarbeitet hatte und mit dem sie die große Hoffnung verband, redete sie sich ein, dass dies eine Stauchung sei – bis im Oktober, lange nach der deutschen Meisterschaft und ihrem Entschluss, nach Köln zu gehen, ein Sportarzt feststellte: „Die Bänder sind weg.“ Nun macht sie, zusätzlich zu den Stabilitätsübungen für ihr linkes Knie, auch noch Übungen für den rechten Fuß.

Zurück nach Deutschland

„Die Entscheidung, zurück nach Deutschland zu gehen, war schwer“, sagt sie. „Aber ich habe das Gefühl: Für den Leistungssport, wenn ich wirklich ganz oben ankommen möchte, ist das richtig.“ Schon vor sieben Jahren, als Rio de Janeiro den Zuschlag erhielt, in diesem Sommer die Olympischen Spiele auszurichten, hatte sie sich vorgenommen: Da will ich hin.
Kann es ein besseres Omen geben als die schnurgerade Verbindung zwischen ihrem Studienort, der Sporthochschule und ihrer Trainingsanlage beim ASV? Sie heißt Olympiaweg.

Was hat Köln, was Miami nicht hat?

Zwei Daumen und eine Mütze“, ruft Charles Friedek. Und hebt zwei Daumen. 44 Jahre alt ist der Mann inzwischen, der 1999 erst in der Halle von Maebashi und dann im Stadion von Sevilla Weltmeister im Dreisprung wurde. Der Deutsche Leichtathletik-Verband beschäftigt ihn als Bundestrainer für den Dreisprung.
Alexandra Wester trainierte gerade zwei Wochen bei ihm, da sprang sie 6,59 Meter, 13 Zentimeter weiter als je zuvor. Jeden Trainingstag hatte er sie einen Zentimeter besser gemacht. „Da wusste ich“, sagt sie, „er ist ein sehr besonderer Trainer.“ Er gibt das Kompliment zurück: „Alexandra ist ein sehr fokussierter Typ mit hohen Zielen. Sie hat das Potential, sie zu erreichen.“

Alexandra Wester klein zwei Fotos nebeneinadner

Eine tolle Entwicklung hat Alexandra Wester von 2009 bis 2016 genommen.
Fotos: Dirk Gantenberg (website: www.diga-media.com)

Ihr Krafttraining bestimmt die Fitness-Expertin selbst. Friedek ist für die Trainingsplanung zuständig. Im selbstbewussten Austausch begegnen sich die Athletin, die am 21. März 22 Jahre alt wird, und ihr doppelt so alter Trainer auf Augenhöhe. Für ihn ist die Herausforderung, ihr Talent in Erfolg umzumünzen, mindestens ebenso groß wie für sie. Für den Sport verzichtet sie derzeit auf die Welt der Mode. „Vielleicht später einmal wieder“, sagt sie. Wieder gilt es für sie, sich zu konzentrieren. Dennoch will sie, im Gegensatz zu vielen anderen Leichtathleten, auf die Hallen-Weltmeisterschaft in Portland nicht verzichten. „Nach so vielen Anläufen werde ich endlich das Nationaltrikot tragen“, sagt sie. „Wegen zwei Wochen Aufbautrainings sollte man so eine Gelegenheit nicht sausen lassen.“ Sie freut sich darauf, zu lernen, mit der Stimmung, mit den Abläufen und mit der Konkurrenz bei einem Großereignis umzugehen.

Knackt sie auch die Sieben-Meter-Marke?

Wird Alexandra bei der WM sieben Meter springen? „Damit legen Sie die Latte ganz schön hoch“, sagt der Bundestrainer. „Manchmal hat es jahrelang keinen Sieben-Meter-Sprung gegeben.“ Wer allerdings in der Halle so weit springe, könne in der Freiluft-Saison, sobald er den richtigen Windstoß von hinten erwische, auch mal 7,10 Meter weit fliegen, prognostiziert er. Die Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen von London 2012 und bei der WM von Peking 2015 gingen für nur ein kleines bisschen mehr weg: 7,12 und 7,14 Meter.

Was hat Köln, was Miami nicht hat? Eine Perspektive, die selbst über Rio hinausreicht.

Michael Reinsch, FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin

Michael Reinsch

Bei der Hallen-WM 1995 in Barcelona – Probleme mit Modem und Telefon

Barcelona klein Presseausweis vorn

Barcelona klein Presseausweis hinten

Die diesjährigen Hallen-Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Portland (USA) bekam ich nur im Fernsehen und im Internet mit, war also nicht vor Ort. Aber immerhin darf ich meine Erinnerungen schweifen lassen, einige Jahre zurück, als ich selbst noch von solchen Großereignissen berichten durfte.

Ob bei den Hallen-Weltmeisterschaften 1995 in Barcelona und 1997 in Paris, ob bei den Hallen-Europameisterschaften 1994 in Paris und 1996 in Stockholm, immer hat mir die Hallenatmosphäre sehr gefallen. Da brauchte ich keinen Feldstecher, um wie bei manchen Freiluftveranstaltungen die einzelnen Athleten erkennen zu können. Hautnah war das in der Halle für mich, und genauso wichtig, auch für das Publikum.

Schwierig war damals für uns vor allem der Kampf mit der Technik. Und da meine ich nicht die Notebooks, die wir alle bereits besaßen, und die uns auch wenig Probleme beim Schreiben bereiteten. Komplizierter aber war es, das Ganze dann an die Heimatredaktionen zu überspielen. Ich habe diese ersten Zeiten mitgemacht, als das Modem Trumpf war. Es gab weder die kleinen Sticks, mit denen man ins Internet hineinkam, noch das WLAN.
Nicht alle hatten solch ein Modem am Anfang. So erinnere ich mich, daß ich der Einzige war, der ein Modem besaß und deshalb von allen anderen, die für die Zeitschrift „Leichtathletik“ schrieben, die Berichte bekam und sie überspielen sollte. Nur gut, daß damals die Viren noch nicht so verbreitet waren. Aber auch so war es nicht einfach, denn zunächst mußte man sich den Gegebenheiten des Gastgeberlandes anpassen, ob es nun der ganz normale Stecker für die Stromsteckdosen war, denn man erst in der Stadt kaufen mußte, oder aber die Telefonzellen im Pressezentrum, in denen man auf engstem Raum Computer plus Modem ausbreiten mußte.
Und manchmal kam es sogar zu privaten Problemen. In Barcelona war ich an einem der Tage sehr lange mit dem Überspielen beschäftigt, konnte auch meiner Frau, die als Zuschauerin mitgereist war, nicht mitteilen, wann ich fertig sein würde (Handys gab es da noch lange nicht). So saß ich im Streß noch in der leeren Halle, während sich meine Frau, die keinen Zutritt zum Pressezentrum hatte, allein auf den Heimweg machte. Ein wenig hing dann der Haussegen schief, aber Gottseidank nicht lange.

Aber in Erinnerung habe ich auch, daß damals immer sehr viele Journalisten der einzelnen Zeitungen dabei waren, und das wir uns nicht nur im Pressezentrum sahen und sprachen, sondern dann auch in den sogenannten Deutschen Häusern. Das waren die Häuser, in denen wir Journalisten, die Athleten, Trainer und Funktionäre endlich nach den Mühen des Tages Speis und Trank bekamen…

WM 1995 Göteborg

Im Deutschen Haus bei der Freiluft-WM 1995 in Göteborg ( Peter Grau, Eberhard Thonfeld, Klaus Weise v. links)