Archiv für den Tag: 25. Dezember 2016

Man redet am Tag 50.000 Mal mit sich

 

Viele Jahre habe  ich mich intensiv mit dem Gehsport befaßt. Viele Veranstaltungen besuchte ich, in Naumburg war ich Stammgast. Und mit Wehmut sah ich seit einiger Zeit, daß dieser Sport, der soviel Trainingsfleiß benötigt und der auch attraktiv ist, wenn man ihn begreift, immer mehr den Weg nach unten ging. So war es für mich eine große Freude,  als ich bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro aus der Ferne den Fast-Triumph des Potsdamer Gehers Christopher Linke miterleben durfte.  Ihn hatte ich zuletzt beim Training in Kienbaum beobachtet, und ich wußte um seine gute Form.

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Christopher Linke in Rio

 

Nur knapp verpaßte er eine Medaille, seinen fünften Platz über 20 km Gehen hatte ich im Internet verfolgt.  Später kommunizierte ich mit ihm über Facebook, und nun kam er kürzlich per Foto mit dem Zeitungsboten in mein Haus.

Am 27. September 2016 brachte die Märkische Allgemeine Zeitung ein Foto von ihm aus dem olympischen Finale und ergänzte damit ein Interview, das Stephan Henke mit Katja Seyffardt geführt hatte, einer Mentaltrainerin, die in Wustermark westlich von Berlin lebt und die u.a. auch Christopher Linke psychologisch  im Vorfeld der Olympischen Spiele betreut hat.

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Katja Seyffardt

Lesen Sie  das Interview, in welchem Katja Seyffardt nicht nur über ihre Zusammenarbeit mit den Gehern Christopher Linke und Hagen Pohle sowie dem Speerwerfer Bernhard Seifert  spricht, sondern auch über Motivation, eine richtige Zielsetzung und Konzentrationsübungen über Kopfhörer:

Frage: Der Fußballtrainer Christoph Daum hat einmal etwas verquer behauptet: „ Wenn der Kopf richtig funktioniert, dann ist er das dritte Bein“. Wie würden Sie die Bedeutung des Mentalen für den Sport beschreiben?

Katja Seyffardt: Der Kopf ist entscheidend. Ich würde sagen, er macht 50 Prozent der Leistung aus. Wenn die physischen Grundlagen da sind, dann ist der mentale Aspekt sehr wichtig. Leistungssportler stehen immens unter Druck. Sie müssen zu bestimmten Zeiten maximale Leistung abrufen – und das über viele Jahre.

Wie helfen Sie als Mentaltrainerin?

Seyffardt:  Es ist immens wichtig, dass Sportler mentale Techniken als Werkzeug an die Hand bekommen, damit sie lernen, wie sie sich besser fokussieren können. Wenn im Stadion beispielsweise 80.000 Menschen brüllen, macht das ja etwas mit einem. Die Frage ist, wie der Sportler in solchen Fällen bei sich bleiben und  sich auf seine Aufgabe konzentrieren kann und nicht etwa auf den Sound des Stadions hört und sich von der Masse ablenken lässt.

Wie sehen solche Techniken aus?

Seyffardt: Jeder ist da individuell, jeder spricht auf unterschiedliche Dinge an. Der eine ist mehr visuell, der andere auditiv, der andere fühlt lieber. Da gibt es unterschiedlichste Entspannungs-und Konzentrationstechniken, bei denen man sich auf das Ein-oder Ausatmen konzentriert. Das kann man auch mit aufgenommenen Mp3s machen und diese dann über Kopfhörer abspielen.  Oder es gibt die Progressive Muskelrelaxation. Dabei spannt man bestimmte Muskelgruppen an, angefangen vom Kopf über den Bauch bis zu den Füßen. Dadurch erreicht man eine Tiefenentspannung. Klar ist aber: Es bringt nichts, drei Wochen vor einem großen Wettkampf damit anzufangen, das wäre unprofessionell. Es ist wie mit dem physischen Training, es muss regelmäßig angewendet und trainiert werden.

Wie unterscheidet sich das in den verschiedenen Sportarten?

Seyffardt: Geher wie Christopher Linke oder Hagen Pohle haben über eine Strecke von 50 Kilometern ganz andere Herausforderungen als beispielsweise der Speerwerfer Bernhard Seifert, der nach einem Wurf eine Konzentrationsübung macht. Die Geher müssen einen Fokus setzen, gerade wenn es hart wird. Sie würden ihre brennenden Beine wahrnehmen und sagen, ich kann nicht mehr. Professionelle Sportler müssen die Fähigkeit besitzen, über Schmerzen hinwegzusehen und den Fokus auf etwas anderes zu legen, sich beispielsweise auf das klopfende Herz zu konzentrieren oder eine Visualisierung abspielen oder sich innerlich mit Worten zu motivieren.

 

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Christopher Linke in Rio

 

(Interviews, die Katja Seyffardt mit Christopher Linke, Hagen Pohle und Bernhard Seifert führte, sind auf You Tube zu finden. Mehr über die Mentaltrainerin auch auf ihrer Homepage www.seyffardt.de)

 Wie hört sich eine innere Ansprache an?

Seyffardt: Man redet am Tag 50.000 Mal mit sich selbst. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Dessen muß man sich erstmal bewusst werden. Da ist es wichtig, wie der Sportler mit sich selbst redet und motiviert. Ist er streng und gebieterisch, weil er gerade eine Sequenz schlecht bewältigt hat? Oder kann er das Negative sofort ablegen, umdrehen, den Fokus auf die nächste Sequenz legen und sich innerlich durch Worte motivieren? Diese Routinen sind unglaublich wichtig, sie geben dem Sportler Sicherheit, gerade wenn man Versagensängste hat.

2004 holte Jürgen Klinsmann einen Sportpsychologen für die Fußball-Nationalmannschaft, die Skepsis war groß. Hat sich das inzwischen geändert?

Seyffardt: In Amerika und England ist die Sportpsychologie ein supergroßes Thema. Die haben dort auch ein ganz anderes Feeling für den Sport. Das fängt dort ja schon viel früher und unglaublich professionell in der Highschool an. Seit aber die Nationalelf einen Sportpsychologen hat, haben auch andere Clubs ein Ohr dafür und ziehen nach. Leider gibt es aber sehr viele Randsportarten, die finanziell nicht so gut ausgestattet sind  und die sich eine Betreuung nicht leisten können.

Sie arbeiten auch mit den Brandenburger Fußball-Schiedsrichtern. Welche Tipps geben Sie ihnen?

Seyffardt: Schiedsrichter sind oft Beleidigungen, Anfeindungen oder sogar körperlicher Gewalt ausgesetzt, gerade im Amateursport. Da muss man als Person gefestigt und selbstbewusst sein und auch nicht über eine Entscheidung nachdenken, wenn sie gefällt ist und nicht einknicken. Eine Arbeit an den persönlichen Stärken kann hier sehr hilfreich sein, das Selbstbewusstsein stärken.

Ist ein Motivationstraining auch für Hobbysportler sinnvoll?

Seyffardt: Sobald man eine Leistung für sich erzielen will, ist das ein Thema, egal ob man beispielsweise einen Marathon gewinnen  oder einfach nur ankommen will. Außerdem gibt es immer mehr hochambitionierte Hobbysportler, die viel in ihren Sport und ihr Weiterkommen investieren. Auch in diesem Bereich habe ich schon Klienten betreut. Sobald es über den Freizeitgedanken hinausgeht, ist Mentaltraining auf jeden Fall sinnvoll. Außerdem unterstützt das Mentaltraining auch bei Verletzungen sehr stark die Heilung.

Interview:  Stephan Henke

(erschienen am 27. September 2016 in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung)