Sucht oder Sehnsucht – auf welcher Seite sieht sich Manfred Dechert, wenn er an Facebook denkt?

Manfred Dechert gehört zu meinen jüngsten Facebook-Freunden. Sicher nicht vom Alter her, aber eben vom Zeitpunkt, an dem ich auf ihn aufmerksam wurde. Beim kurzen Schauen über seine Text-Beiträge auf Facebook merke ich sofort, welch besondere Ausdrucksweise er sich zu eigen gemacht hat. Eine Ausdrucksweise, die heute nun nicht gerade häufig vorkommt. Umso mehr bin ich davon angetan. Und ich freue mich, wenn ich ab und an mal einen Text von ihm auf meiner Homepage publizieren darf. Wie eben den folgenden Text, der mir ein wenig oder eher mehr aus der Seele spricht. Ein wenig süchtig fühle ich mich schon, wenn ich an Facebook, an meine Facebook-Freunde und an meine und deren Aktivitäten denke…

Manfred Dechert Foto

Manfred Dechert hat seine Seelenlage so beschrieben:

„Nein, ich bin nicht FB-süchtig, nein, ich lebe ja mit viel Außenkontakt, war die Woche dreimal essen, mit netten Leuten, gute Gespräche. Warum denke ich dann immer mal, ob zuhause die Lichter angehen, wer schreibt? Nein, ich kann auch gut einen Tag ohne Computer sein, ich brauche nicht ständig die Bestätigung, komisch, daß mich wie ein Magnet der virtuelle Schaukasten anzieht…

Nein, man müßte so leben können, wie vor fünfzig Jahren, nur das Radio, Fernsehen schauen beim Nachbarn, Gemeinschaftserlebnis, oder abends mal ins Kino. Nein, nicht zuhause sitzen, warten, ob die Lichter blinken, sie mich meinen, oder jemand Anderes, der zu Projekten einlädt, mit tollen Bildern, mit Neuem, mit dem ich so nicht aufwarten kann…

Nein, ich könnte den „Kasten“ auch mal einen Tag auslassen, nur die Unruhe – ja, ich könnte lesen, habe ich in der Kur auch gemacht, aber, was machen die armen Poeten, die Friedens-Maler, was machen zweitausend FB-Freunde, haben sie an mich gedacht, oder nicht, nein, es gibt ja noch das Telefon, aber hier kannst Du schneller agieren..

Manfred Dechert Porträt drei

Nein, der Computer beherrscht mich nicht, ich kontrolliere das Geschehen, nein, ich klicke nicht zu schnell an, ich bin nur offen, kommunikativ, virtuell aktiv, wie so viele Andere hier auch…Haben sie eine Komparsenrolle für mich, brauchen sie vielleicht eine Leiche für den SWR-Tatort in „Lu“, und ich kann meinen Bekannten sagen: Der Tote im Bild, nach drei Minuten, das war ich. Nein, ich kann nicht diesen Toten spielen, weil ich ja nicht am Kasten saß, um zu sehen, daß ich mich auf diese Rolle melden könnte…

Nein, ich bin nicht Netzwerk-Abhängig, ich bin sozial autonom, ich lege mich drüben in den Fernsehsessel, und atme mich leer:“Ich brauche keinen Computer, ich denke an eine Blumenwiese“. – Es könnte ein Literaturagent am Schirm sitzen, ein Gedicht entdecken, und ich hätte reagieren müssen, während ich im Park ins Wasser starrte, um zu sehen, ob die Frösche schon abgetaucht sind… – Die Lösung wird die Zeit bringen, wenn ich das noch erlebe, zwanzig Jahre später, oder dreißig: ein menschenähnlicher Roboter sitzt hier für mich am Schirm, sendet mir Signale, ob der Wichtigkeit der Lichter.

So verpasse ich keine Statistenrolle, weil der Android – so nennt man sie glaub ich – für mich das Angebot prüft, entscheidet, und mir kurz eine SMS schickt. Ich bin also bewegungsfrei, der Kumpel im Sessel reagiert für mich – nur darf er sich nicht selbstständig machen. Agiert er ohne mich, oder gegen mich, will mich vielleicht gar nicht mehr auf seinen Stuhl lassen, was dann…

Würge ich ihn, weil er mittlerweile dreitausend Freundschaftsangebote einholt, und nicht mehr in die Foren geht, legt er mir vielleicht aus Rache meine ganzen Daten lahm…

Nein nein, Sucht ist es nicht, hier nicht wegzukommen – Sehnsucht, ist es das? Vielleicht.

Manfred Dechert

Manfred Dechert Porträt fünf