Treffs mit Leichtathleten

Gesa Felicitas Krause – Der Weg über die Hindernisse

 Rio 2016 für HomepageISTAF 2016  TitelfotoGesa Foto von Dirk Gantenberg

Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause kommt als Europameisterin ins Berliner Olympiastadion, hat den neuen deutschen Rekord  im Gepäck.  Nur eine olympische Medaille kann sie nicht vorzeigen. Doch Vorwürfe ob des Finallaufes in Rio muß sie sich nicht machen. Einige Zeit sah es dort zwar so aus, also ob die Chance vorhanden sei. Doch dann schlug die spätere Olympiasiegerin Ruth Chebet, gebürtige Kenianerin und nun für Bahrain laufend,  vorn ein hohes Tempo an, und Gesa Krause wußte, daß sie da nicht mitgehen konnte.  „Ich habe gekämpft, vielleicht hat mir heute etwas die Lockerheit gefehlt. Aber ich muß mit dem sechsten Platz zufrieden sein“. Ein wenig tröstete sie sich mit dem neuen deutschen Rekord von  9:18,41 min, den vorher Antje Möldner-Schmidt hielt,  und schob gleich nach: „ Es  geht aber noch besser“. Vielleicht schon beim ISTAF.

An sich geglaubt hat sie schon als 11-Jährige, beschrieb ihren größten Traum damals  so: „ Einmal an Olympischen Spielen teilnehmen.“ Nun war sie schon zweimal bei Olympia und ist mittendrin in der Weltspitze auf einer Strecke, auf der es  bei 7 ½ Stadionrunden jeweils vier Hürden sowie eine Hürde mit einem Wassergraben zu überwinden sind. Sie gilt als eine der besten Stillistinnen, würde für ihre Technik meistens Höchstnoten bekommen. Und Stil hat sie auch in den Gesprächen, die man gern und oft mit ihr führt.

Im Gespräch mit der „Frankfurter Neuen Presse“  hat sie kürzlich erzählt, wie sie ihr Vater in früher Jugend zum Sport führte. In Dillenburg, wo ihre Eltern noch heute wohnen, veranstaltete er die „Ilmenkuppenläufe“ und Gesa-Felicitas war schon damals schnell. Zwar probierte sie auch Judo und Turnen, doch sie fand das nicht spannend genug, landete beim Laufen. Als Gesa 15 Jahre ist, übernimmt Wolfgang Heinig, früher Trainer der Marathonläuferin Kathrin Dörre Heinig, die Fernbetreuung. Mit 16 Jahren zieht sie ins Internat nach Frankfurt/Main um,  macht das Abitur und sieht bald ihre Chance im Hürdenlauf.  Mit 19 Jahren wird sie 2012  in London bei Olympia Achte. Doch danach kommen zwei magere Jahre, auch mit Achillessehnenproblemen. Als sie merkt, dass ihr Studium „International Business“  sich nicht mit dem Leistungssport vereinbaren lässt, legt sie eine Studienpause ein.

Und ordnet alles dem Sport unter. Seit 2009 wird sie von Wolfgang Heinig direkt trainiert, und das ist wohl ein Glücksfall für beide. Oberstes Gebot bei dem Trainer ist immer Disziplin gewesen, und da rennt er bei Gesa Krause offene Türen ein. Und eigenes Mitdenken, natürlich Ehrgeiz und Kampfgeist, das brauchte er seinem Musterschützling nicht mehr anzutrainieren. „ Mein Trainer hatte von Anfang an einen Plan, wie man Leistung entwickelt – fundiert, strukturiert und zielstrebig. Das war mir gleich pausibel.“ Sie ist ein Kopfmensch, wie sie selbst sagt. Wenn sie denn man nicht trainiert, kocht sie selbst, denn eine ausgewogene Ernährung ist ihr wichtig. „Aber ich trinke auch mal gern ein Glas Rotwein zum Essen.“

Peter Grau

 

Gesa   über Hürde   Kassel Dirk

Fotos:  Dirk Gantenberg

 

Gesa Felicitas Krause

3000 M Hindernis I Frauen

Alter: 24 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung: 3000 M Hi: 9:18,41 min

Erfolge: Europameisterin 2016,  Sechste Olympia 2016, Bronze WM 2015,  Neunte WM 2013, 2011, Achte Olympia 2012, Dritte EM 2012, Fünfte EM 2014

U23-Europameisterin 2013, U20-Europameisterin 2011

Christoph Harting – ein Olympiasieg ohne Worte

 

Wie beschreibt man einen Olympiasieg im Diskuswurf Mit Worten. Und normal ist dann, wenn der Sieger auch etwas sagt. Bei den Hartings ist das total unterschiedlich. Robert, der Ältere, der Extrovertierte, spielt mit den Worten.  Christoph, der sechs Jahre  Jüngere, der Introvertierte, läßt allein seine Wurfkunst reden.

Bisher wartete Diskuswerfer Christoph Harting geduldig auf den großen Wurf. Bei der WM 2013 in Moskau verpaßte er nur um 17 Zentimeter das Finale, bei der EM 2016 in Amsterdam fehlten 14 Zentimeter zu Bronze. Zuletzt, so hört man, fand er eine professionellere Einstellung zu seinem Sport, nachdem er  früher alles etwas lockerer nahm. Und er stellte auch seine Wurftechnik um, wirft nun nicht mehr aus dem Stützabwurf wie sein Bruder, sondern springt am Ende mit den Füßen um.  Nun hat all das bei den Olympischen Sommerspielen in  Rio Früchte getragen. Und das in einem spektakulären Wettkampf. Ohne Robert Harting, der die Quali nicht überstanden hatte, schien der Pole Piotr Malachowski der Topfavorit zu sein. Er wurde dieser Rolle auch lange gerecht, hielt das Gold nach fünf Durchgängen mit einer Weite von 67,55 m  schon fast in den Händen. Wäre da nicht ein Harting gewesen. Christoph Harting, der 2,07-m-Riese vom SCC Berlin, zelebrierte den Super-Wurf seiner bisherigen Karriere im letzten Durchgang. Die Zwei-Kilo-Scheibe flog auf die neue persönliche Bestweite von 68,37 m.  Es war der Goldwurf. Der Pole konnte nicht mehr kontern und der Wattenscheider Daniel Jasinski, genannt Jasse, war mit dem Bronze-Wurf von 67,05 m  sowieso im siebenten Himmel.

Christoph Harting hat lange auf diesen Erfolg gewartet. Wie Robert Harting von Torsten Lönnfors trainiert, war er sich diesmal seiner Sache sicher. „ Vor dem letzten Versuch dachte ich:  Das ist meine Bühne, das ist mein Stadion. Den Sieg nimmt mir keiner weg“. Entsprechend zelebrierte er den Sieg, kostete seinen Sieg aus.  Und sorgte anschließend für reichlich Verwirrung, ja Unverständnis wegen seines Verhaltens bei der Siegerehrung.

 

Christoph Harting

Diskuswurf  I  Männer

Alter: 25 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung: 68,37 m

Erfolge:  Olympiasieger 2016, Vierter EM 2016, Achter WM 2015, Zweiter DM 2016, Deutscher Meister 2015

 

Auf der offiziellen Pressekonferenz legte Christoph Harting dar, daß er nicht die Öffentlichkeit suche, und daß es ihm vollkommen egal sei, was die Journalisten von ihm denken. „Ich muß vor keinem von Ihnen versuchen, besonders gut dazustehen. Was Sie über mich denken, ist mir vollkommen egal“.  Mit diesen Worten und vorher mit seiner präzise durchgezogenen Haltung, keine Interviews zu geben, löste er natürlich bei den Journalisten kein Wohlgefallen aus. Es war abzusehen, daß er dafür bald die Quittung bekommen würde. Und die kam sowohl im Netz als auch in den Medien, in Funk, Fernsehen und Presse. Vor allem sein Verhalten bei der Nationalhymne stieß bei fast allen auf Unverständnis.

Ein wenig war Christoph Harting dann doch überrascht von der Negativreaktion der Öffentlichkeit und versuchte, sein Verhalten zu erklären:

Olympiasieger Harting: „Stillstehen war nicht so meins“

Christoph Harting (25) hat seinen viel diskutierten Auftritt bei der Siegerehrung nach seinem Diskus-Olympiasieg in Rio erklärt. „Wie bereitet man sich darauf vor, Olympiasieger zu werden? Ich meine, selbst bei aller Tagträumerei, die man irgendwie vollziehen kann – sowas kannst du dir nicht vorstellen, sowas kannst du dir nicht ausmalen“, sagte der Berliner in einem Interview der ARD. „Ich meine, die haben die Hymne nur für mich gespielt. Es war unfassbar“, sagte Christoph Harting. „Stillstehen war nicht so meins, deswegen ist das vielleicht falsch angekommen.“ Er hatte geschunkelt und gefeixt, als die Nationalhymne gespielt worden war. Sein befremdliches Verhalten löste große Kritik aus. „Du bist auch noch halb im Wettkampfmodus, du bist im Kopf eigentlich völlig woanders, du bist hormon-technisch völlig übersteuert. Damit umzugehen ist natürlich eine Kunst für sich“, so Harting.

Mein Schlußfazit:

Es war für den wohlwollenden Betrachter ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst der Jubel über einen grandiosen sportlichen Erfolg eines Athleten, der einen großen Namen trägt, und dann die Enttäuschung darüber, wie er sich danach verhielt. Schade, daß es so endete, aber Christoph Harting hat es anscheinend so gewollt.

Peter Grau

Robert Harting – Rio und der Hexenschuß

 

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Robert Harting ist für Schlagzeilen immer gut. Wenn er nicht gefragt wird, dann meldet er sich selbst zu Wort. Und sein Intellekt ermöglicht  es, sich zu vielen Themen zu melden.   Diese Schlagzeile aber wollte er auf keinen Fall:   Robert Harting bei Olympia in Rio das Opfer eines Hexenschusses.  Vielmehr wollte er medaillengeschmückt zum ISTAF in sein „ Wohnzimmer“ kommen.

Zwar liefen die letzten Jahre beileibe nicht reibungslos. Im September 2015 riß er sich das Kreuzband im Knie, Nach OP und Reha freute er sich wie ein kleines Kind, als er im Februar beim Hallen-ISTAF 2016 wieder im Ring stand. Doch dann riß es weiter, Quadrizepssehnenriß, Muskelfaserriß, „ meine mentale Energie wurde weniger“.

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Erst im sechsten Versuch bei der DM 2016 in Kassel war es wieder der „alte“ Harting, mit 68,04 m holte er sich den Titel. In solche Weitenregionen wollte er in Rio werfen.

Aber der Zweifel warf immer mit. Vielleicht hatte er es geahnt, denn am 10. August schrieb er aus Rio: „Wenn ich im Finale stehe und mich bis dahin nicht verletzt habe, dann mache ich drei fette Kreuze“.

Nun aber steht er mit leeren Händen da, und es ist noch nicht mal klar, ob er in Berlin überhaupt in den Ring treten kann. Solch ein Hexenschuß kann hartnäckig sein. Bei Robert kam er einen Tag vor der Quali, spätabends, als er mit dem Fuß den Lichtschalter ausknipsen wollte.  Neun Spritzen und schmerzstillende Tabletten konnten ihn zwar wieder zum Laufen bringen, „aber meine Beine waren taub, die Spritzen habe jegliche Rücken-und Beinspannungen herausgenommen“.

Nun hat er Zeit zum Nachdenken. „ Ich hoffe, daß mir klare Gedanken kommen , die zu einem guten Ergebnis für die nächsten beiden Jahre führen.“  Dann findet 2018 die Europameisterschaft im Berliner Olympiastadion statt.  Ob danach für Robert Harting Schluß im Ring sein wird, ist aber noch offen.   „ Man muß auch überlegen, ob ich nicht doch noch vier Jahr anhänge und die nächsten Olympischen Spiele ansteuere. Denn so aufhören ist nicht mein Ding. Mal sehen, wie meine Motivationslage ist.“  Die Motivation, noch einige Mal beim ISTAF anzutreten, sollte er auf alle Fälle haben.

Robert Harting

Diskuswurf I Männer

Alter:  31 Jahre

Bestleistung: 70,66 M

Erfolge: Olympiasieger 2012, Weltmeister 2009/2011/2013

Europameister 2012/2014.

 

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Zur Eröffnungs-PK des ISTAF 2016 konnten beide noch lächeln. Nun aber erwischte Robert Harting der Hexenschuß und Christina Schwanitz ein schwaches olympisches Finale mit einem enttäuschenden sechsten Platz.

 

 

Rio 2016: Der Olympia-Rebell Robert Harting

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Wenn es Robert Harting nicht geben würde, müßte man ihn erschaffen.  Was er mit seinen sportlichen Leistungen, mit seinen zahlreichen Wortmeldungen  bewegt, daß ist für die Leichtathletik, ja für den gesamten Sport  fast einmalig.

Ich habe ihn in einem längeren Gespräch erstmals am 10. Juni 2006 am Rande der Berliner Meisterschaften in Berlin-Wilmersdorf   kennengelernt.  Ein Jahr zuvor, 2005, war er in Erfurt, meiner Heimatstadt, gerade U23-Europameister geworden. Im Gespräch ging es damals u.a. auch um seinen Trainerwechsel, von Jürgen Schult zurück zu Werner Goldmann. Und so nebenbei erzählte er mir auch, daß Diskuswerfer Torsten Schmidt auch gerade den Trainer gewechselt hatte. Das war vor zehn Jahren. Heute ist dieser Torsten Schmidt der Trainer von Robert Harting.

Damals bei den Berliner Meisterschaften schleuderte Robert Harting die Scheibe auf 60,25 m und sein Trainer Werner Goldmann meinte dazu: „ Die Spritzigkeit ist im Moment nicht da. Er hat ein wenig Knieprobleme, was ihn behindert. Aber vom gesamten Bewegungsablauf war es schon recht ordentlich.“   Mit der Kugel schaffte er dann noch die persönliche Bestweite von 18,08 m.

Robert Harting war damals bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Potsdam angestellt, machte sich aber auch Gedanken darüber, Architektur oder Innenarchitektur zu studieren. „ Ich habe jetzt ein Jahr nur trainiert, das erfüllt mich nicht vollends.“

Schon  damals war er sehr offen zu mir,  erzählte mir von seinen Problemen,  obwohl wir uns gerade einmal kennengelernt hatten. Später habe ich oft mit ihm geplaudert, wie viele andere Journalisten auch.

 

Einer, der immer sehr nahe an ihm dran war, ist mein Kollege Michael Reinsch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

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Michael Reinsch  auf einer PK mit  Robert Harting

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Michael Reinsch (links) im Gespräch mit Fotograf Eberhard Thonfeld auf der Eröffnungs-PK des ISTAF 2016

 

Zuletzt im Juli 2016 hatte Michael Reinsch ein sehr langes und intensives Gespräch mit Robert Harting im Trainingslager in Kienbaum.

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All das, was ihm der Diskuswerfer ihm dort erzählte und all das, was er vorher schon über ihn erfahren hatte, faßte Michael Reinsch in einer umfangreichen Geschichte zusammen, die er nun, selbst schon in Rio de Janeiro weilend,  zur Redaktion der FAZ schickte und dort am 5. August 2016 veröffentlichen ließ.

Lesen Sie im folgenden Auszüge aus dieser Geschichte über Robert Harting, die die vielschichtigen Seiten des Olympiasiegers von 2012  beleuchtet.

 

Rio 2016: Der Olympia-Rebell Robert Harting

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Diskuswerfer Robert Harting hat sportlich alles erreicht. Bei Olympia in Rio ist er der deutsche Sportler mit dem höchsten Bekanntheitsgrad. Das ist ihm nicht genug. Er legt sich mit allen Mächtigen des Sports an.

Welcher Sportler hat schon sein eigenes Markenzeichen, oder noch besser: Welcher Sportler ist schon seine eigene Marke? Neun Jahre ist es her, da wurde Robert Harting unverwechselbar. Bei der Weltmeisterschaft 2007 in Osaka zerriss der Diskuswerfer, kaum hatte er die Silbermedaille gewonnen, schreiend vor Glück das Nationaltrikot auf der breiten Brust. Seitdem ist er zwei Mal Europameister geworden, drei Mal Weltmeister und, 2012 in London, Olympiasieger. Trikots zerreißt der 2,02 Meter große Riese aus Berlin schon lange nicht mehr. Aber jeder weiß: Bei Harting fliegen die Fetzen.

Wie in der vergangenen Woche. Da sagte er über Thomas Bach, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC): „Für mich ist er Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems.“ Bach hat die russische Auswahl eingeladen zu den Sommerspielen in Rio de Janeiro, obwohl die Welt empört ist über das staatlich organisierte Doping im russischen Sport und die dreiste Manipulation der Doping-Kontrollen bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi vor zwei Jahren. Am Freitag beginnt Olympia mit der Eröffnungsfeier.

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Aus der Eröffnungs-Pressekonferenz des ISTAF 2016 in Berlin

Er gehe nicht mit Thesen in Pressekonferenzen, sagt Harting, er lege sich solche Statements auch nicht zurecht. Ein Interview sei für ihn ein Meinungsaustausch mit Journalisten; er denke halt laut. Und so erzählte Harting, als er kürzlich im Trainingslager in Kienbaum zu seinem Pressetag einlud, dass er eine schlaflose Nacht verbracht habe nach der Entscheidung von Bach. Als die Journalisten nachfragten, drehte und wendete er vor den Kameras und Mikrofonen die Frage, ob Bach tragbar sei als IOC-Präsident. „Wenn ich sage, dass er das nicht ist – was ich persönlich so empfinde -, wird sich daran trotzdem nichts ändern“, redete er so vor sich hin. „Robert Harting ist der Sportler, der sich bei Olympia bewegt, der vielleicht auch zwei, drei Sachen sagt. Aber allein werde ich nichts verändern können.“ Das ist alles andere als Resignation. Für Harting ist das eine Herausforderung.

Die scheinbare Ausweglosigkeit hat ihn seine ganze sportliche Karriere über zu Höchstleistungen angetrieben. „Mir ging es immer um Anschluss, um Anerkennung“, sagt er. „Ich habe mit dem sportlichen Erfolg das erzwungen, was ich nicht hatte.“ Aus der Handballmannschaft in seiner Heimatstadt Cottbus flog er als Halbwüchsiger, weil seine Eltern mit dem lächerlich geringen Monatsbeitrag im Rückstand waren. Mit 17 Jahren verabschiedete er sich auf die Sportschule nach Berlin – mit Tattoo auf dem Unterarm und Piercing in der Augenbraue. Gegen die Einsamkeit hielt er in seinem Internatszimmer einen Hasen; er nannte ihn „Braten“.

Abitur, Studium, sportlicher Erfolg – für Harting war alles ein Existenzkampf. Zu Meisterschaften stieg er, als wäre er ein Boxer, zur Entscheidung über alles oder nichts in den Ring. Den Druck braucht er. „Ein kompletter Athlet bist du erst als Olympiasieger“, sagte er 2012, als ein chronisch entzündetes Kniegelenk ihn quälte. „Und wenn ich später im Rollstuhl sitze: Ich will dieses verdammte Gold.“ Er holte es sich. Und wurde erstmals zum Sportler des Jahres gewählt, vor Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel.

Harting hat an der Universität der Künste in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert, er beherrscht das Handwerk. Vor einem Jahr produzierte er einen kaum anderthalb Minuten langen Film mit der Magie eines Musik-Videos. Sportlerinnen und Sportler distanzieren sich darin, unterlegt mit dem Rhythmus eines Herzschlags, vom korrupten Leichtathletik-Weltverband. „Liebe IAAF, wir können dir nicht mehr trauen“, sagt Harting auf Englisch. „Du hast verraten, woran ich glaube.“ Bei Youtube ist das Video mehr als hunderttausend Mal gelaufen.

Das ist die höchste Form des Protests, denn Athleten können nicht streiken. „Jeder Sportler hat fünf, sechs Sportfördersysteme im Hintergrund“, erklärt Harting die prekäre Mischfinanzierung aus Sponsorleistung, Klubfinanzierung und Geld vom Staat. Bundeswehr, Polizei, Bundespolizei und Zoll stellen mehr als tausend Stellen zur Verfügung, um Athleten wirtschaftlich abzusichern. Doch die Verbände entscheiden, ihre Trainer und Sportdirektoren vergeben die Anstellungen. Wer nicht verlässlich sportliche Leistung bringt, ist draußen.

„Das ist eigentlich kein demokratisches Fördersystem, sondern eine Diktatur“, findet Harting. „Jeder sieht sich im Vordergrund, und die Athleten sind abhängig. Wenn sie sich weigerten, in Rio anzutreten, würden sie vom Markt verschwinden.“ Ein Arbeitskampf ist in Rio zwar ausgeschlossen, eine Demonstration der Sportler aber wohl in Vorbereitung.

Früher dachte er über eine Freigabe von Dopingmitteln nach

Einfach war es für Harting nicht, die Rolle des Kritikers und Anti-Doping-Vorkämpfers einzunehmen. Nach der Qualifikation bei der WM 2009 im Berliner Olympiastadion klagte er, noch im Adrenalinrausch, dass ihm der Protest der Doping-Opfer-Hilfe auf die Nerven gehe. Die Organisation hatte vor dem Stadion Augenbinden verteilt, damit man das Doping-Elend nicht sehen müsse. Harting fühlte sich angegriffen und schimpfte, sein Diskus solle den Protestierern an den Kopf fliegen.

Mit bald 32 Jahren ist er nicht viel ruhiger geworden. Doch er scheint seinen Weg gefunden zu haben. Als er 2009 über die Wirkungslosigkeit von Dopingkontrollen lamentierte, empfahl er noch, über eine Freigabe der Mittel nachzudenken. „Ich bin ein ganz harter Anti-Doping-Kämpfer“, sagt Harting heute. „Aber unser Engagement scheitert an den Funktionären.“ Als der Leichtathletik-Weltverband den zwei Mal des Dopings überführten Sprinter Justin Gatlin als Leichtathleten des Jahres zur Wahl stellte, forderte Harting öffentlich, aus der Kandidatenliste gestrichen zu werden. Der Verband änderte seine Regeln; Doper dürfen nicht mehr geehrt werden.

Auch im Fall der russischen Sportler hat er sich schon früh und entschieden zu Wort gemeldet. „Das Ende des Vertrauens“ hieß ein Beitrag, den Harting im Januar 2015 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb. Neun Monate bevor Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) systematisches Doping in der russischen Leichtathletik belegten und obendrein die Polizei über Erpressung, Bestechung und Geldwäsche an der Spitze des Leichtathletik-Weltverbandes informierten. Anderthalb Jahre bevor IOC-Präsident Bach mit der Einladung Russlands nach Rio die Sportwelt schockierte, beschrieb Harting geradezu prophetisch die Athleten als rechtlose Figuren in einem schändlichen Spiel.

„Allein wenn ein Athlet sich nicht dem Wada-Kodex unterwirft, wird ihm alles genommen: sein Startrecht, der Sinn seines Trainings, die Möglichkeit, Sponsoren zu finden. Wenn aber Länder sich offen weigern oder den Kodex unterlaufen, geschieht nichts. Das System ist erst fair, wenn auch Länder und Verbände gesperrt werden, die sich nicht an die Regeln halten.“

Er ging damals auch auf Julija Stepanowa ein, die Whistleblowerin, der das IOC nun mangelnde ethische Qualifikation attestiert. Sie hatte sich an die Wada gewendet mit der Beschreibung eines Systems, mit belastenden Filmaufnahmen der obersten russischen Nationaltrainer. „Dass bis jetzt keine Konsequenzen erkennbar sind, lediglich von oberster Stelle geprüft wird, ist das Ende des Vertrauens in diese Einrichtung“, schrieb Harting.

Heute wirft er für Rio die Frage des Schadensersatzes auf: Wenn Athleten aus dem russischen System nun Medaillen gewinnen und später als Doper auffliegen, ist für ihn die Verantwortung eindeutig. Es sei an der Zeit, sich zu überlegen, wie die betrogenen Athleten entschädigt werden sollten, sagt er.

Als die Regierung 2015 das Anti-Doping-Gesetz schuf, ging er in den Widerstand. Im Gesetzgebungsprozess lud der Bundestag ihn als Experten ein. Doch Harting bekam zu spüren: „Ich war nicht erwünscht.“ Denn er argumentierte gegen die Strafbarkeit des Besitzes von Doping-Mitteln, den Kern des Gesetzes. Seiner Ansicht nach ist die Gefahr zu groß, dass Athleten Opfer eines Komplotts und ihnen Doping-Mittel untergeschoben werden. Doch die große Koalition war sich einig und verabschiedete das Gesetz. Damals beschloss er, sich an öffentlichen Debatten solcher Tragweite nicht mehr zu beteiligen. „Ich habe gelernt, dass der Einfluss eines Athleten schnell am Ende ist“, sagt er.

Deutsche Sportlotterie als Fördermittel gescheitert?

Ähnliches erlebte er bei einer anderen Herzensangelegenheit: dem Versuch, die große Ungerechtigkeit der Sportförderung endlich zu beseitigen. Gemeinsam mit dem Unternehmer Gerald Wagener entwickelte Harting, beginnend im Olympia-Jahr 2012, die Deutsche Sportlotterie, ein Tippspiel, für das sie sogar die Glücksspiel-Lizenz erwarben. Doch statt Geld in die Portemonnaies der Athleten zu spülen, stieß das Projekt auf den Widerstand der Sportorganisationen. In den Augen vieler Funktionäre gefährdete es die Umsätze von Lotto und Toto und damit die Fördermittel, die aus diesen Einnahmen fließen. Heute ist das Sportlotto als eines von neun Angeboten auf der Internetseite von Hessen-Lotto gestrandet; es darf als gescheitert gelten.

Nun also Rio, es sollen Hartings letzte Spiele werden. Ein Kreuzbandriss im einen, eine Entzündung im anderen Knie und schließlich ein Muskelriss in der Brust haben ihn anderthalb Jahre gekostet. 68,50 Meter traut er sich nun zu. Damit ist von Platz vier bis zur Goldmedaille alles drin.

Harting reist erst nach der Eröffnungsfeier an

Aus dem Wettbewerb um die Rolle des Fahnenträgers der deutschen Mannschaft war Harting freiwillig ausgestiegen. Er will erst drei Tage nach der Eröffnungsfeier in Rio eintreffen und unbelastet in seinen Wettbewerb mit Qualifikation am 12. und dem Finale am 13. August gehen. Vom Trainingslager in Kienbaum aus hält er Kontakt mit Enttäuschten, Unzufriedenen und Aufmüpfigen. Olympia in Rio: Die Situation schreit danach, sich demonstrativ vom IOC zu distanzieren. Doch zumindest für ihn persönlich ist diesmal alles anders: „Ich darf Olympia noch einmal erleben“, sagt Harting. „Zum ersten Mal kämpfe nicht um meine Existenz.“

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass das Ergebnis keine Relevanz hat. Harting will mehr als einen guten Wurf. „Es geht um sportliche Relevanz; darum, eine Position zu erreichen, in der ich nicht ignoriert werden kann“, sagt er, mit dem alten Kämpfergeist. „Im System muss man als Sportler Gewicht haben. Wenn ich Erfolg habe, habe ich weiterhin die Möglichkeit zu wirken. Wenn nicht, dann nicht.“ Harting will was reißen, um die Marke zu stärken.

Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin

(aus Frankfurter Allgemeiner Zeitung von 5. August 2016)

Michael Reinsch

 

Die sportliche Karriere des Robert Harting:

Der Athlet Robert Harting wird in Rio de Janeiro zu seinen dritten Olympischen Spielen antreten. 2008 in Peking enttäuschte der gebürtige Cottbuser sich und sein deutsches Team mit Platz vier, 2012 triumphierte Harting in London und gewann die ersehnte Goldmedaille. Auch sonst hat der 31 Jahre alte Leichtathlet fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Dreimal nacheinander gewann er den Weltmeisterschaftstitel (2009, 2011, 2013), acht Mal in Folge wurde er deutscher Meister (2007 bis 2014), zweimal wurde er Europameister (2012, 2014). Dass Harting bei Fachleuten beliebter ist als bei Funktionären, zeigte sich bei den Wahlen zum „Sportler des Jahres“: Er trug den Ehrentitel 2012, 2013 und 2014.

Fotos von der Deutschen Meisterschaft 2016 in Kassel, als Robert Harting mit 68,04 m deutscher Meister wurde:

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(Fotos aus Kassel:  Alwin Wagner)

Christina Schwanitz: Wie weit fliegt ihre Kugel am 12. August 2016 in Rio?

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Kugelstoßerin  Christina Schwanitz krönte sich im Jahr 2015 zur Kugel-Königin von China. Im „Vogelnest“-Stadion von Peking brauchte sie drei Versuche, um mit einem Stoß auf 20,37 Meter die zunächst führende chinesische Lokalmatadorin Lijiao Gong  in die Schranken zu weisen. Damit war die Straße zum Gold frei. „Ich war als Jahresweltbeste die Favoritin und ich wollte das auch bestätigen. Es war für mich die Saison meines Lebens“.

Zumal China ein gutes Pflaster für die gebürtige Dresdnerin ist. 2013 kam sie in Shanghai erstmals über die 20 Meter, im Mai 2015 wuchtete sie die Eisenkugel in Peking auf 20,77 Meter. Und nun pflückte sie im gleichen Stadion das WM-Gold.

Es war allerdings bis dahin ein steiniger Weg. Lange Zeit war ihr der Spaß am Leistungssport entglitten, musste sie mehr mit den Schwächen ihres Körpers kämpfen als mit der Kugel. Das konnte sie auch mit ihrer sprichwörtlichen Fröhlichkeit nicht wegwischen. Doch als nach vielen Operationen die  Metallschrauben wieder aus ihrem Fuß entfernt waren und  sie 2009 einen  Neuanfang bei Trainer Sven Lang wagte, kam der Spaß am Sport wieder zurück.  Aber was manchmal so einfach aussieht,  ist aus harter Arbeit erwachsen. Ihr  früherer Trainer hat mal gesagt: „Wenn du aus dem Kraftraum kommst, haben die Geräte Muskelkater“.

Doch um so süßer ist dann der Lohn. Erfolg heilt alle Wunden, heißt es so einfach. In Zürich holte sie 2014 bei der EM ihren ersten großen Titel. Danach bekam sie zwar mit einer Knie-Operation wieder einen Schuss vor den Bug. „ Ich dachte kurzzeitig sogar an ein Karriereende“. Doch ihr Körper ließ sie nicht im Stich, unterstützt durch medizinische Künste, durch einen  einfühlsamen Trainer und die Unterstützung ihres Ehemannes Tomas.

Für 2016 hatte sich die nunmehr 30-jährige Christina Schwanitz zwei Ziele gesetzt:  die EM in Amsterdam und dann Olympia in Rio.  Doch beide Ziele schienen zunächst stark  gefährdet, denn eine Verletzung ließ sie lange fast verzweifeln.

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Doch auf der Eröffnungspressekonferenz des ISTAF am 9. Juni konnte sie endlich wieder strahlen und Entwarnung geben.

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Und dann klappte es am 7.  Juli in Amsterdam ganz nach Wunsch, holte sie sich mit 20,17 m den Europameistertitel.

Zuletzt sah ich sie am 2. August bei meinem Besuch in Kienbaum. Zunächst ihr gesponsertes Auto, parkend vor dem Kraftraum.

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Und dann nochmals beim Mittagessen. Doch an diesem Tag hatten wir nur einen kurzen Gruß füreinander, weil wir andere Verpflichtungen hatten.

Länger konnte sich einige Tage zuvor mein Kollege Philip Häfner mit ihr unterhalten.

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Philip Häfner

 

Sein ausführliches Interview mit Christina Schwanitz war dann in der Zeitung    „ Forum-Das Wochenmagazin“ (www.magazin-forum.de) vom 29. Juli  auf den Seiten  10-13  nachzulesen.

http://www.magazin-forum.de/sites/default/files/Inhalte/Beilagen/Ausgabe%202016%2031%20Beilage%20Olympia.pdf

Nun aber gilt das ganze Augenmerk von Christina Schwanitz dem olympischen Finale am 12. August. Und welche  Medaille wird sie dann beim ISTAF im 3. September im Berliner Olympiastadion präsentieren?

Peter Grau

 

 

Christina Schwanitz

Kugelstossen I Frauen

Alter: 30 Jahre

Land:  Deutschland

Bestleistung: 20,77 M

Erfolge: Europameisterin 2016, Weltmeisterin 2015, Europameisterin 2014, Silber Hallen-WM 2014, Silber WM 2013, Hallen-Europameisterin 2013

Kugelstoßer Tobias Dahm – fit für Rio

Kugelstoßer Tobias Dahm (VfL Sindelfingen)  bekommt im Bundesleistungszentrum in Kienbaum vor den Toren Berlins den letzten Schliff für Rio.  „ Ich freue mich schon sehr auf den Start bei den Olympischen Spielen. Und ich fliege auch voller Selbstvertrauen hin, will zunächst am 18. August  die Qualifikation überstehen und dann am gleichen Tag im Finale möglichst Bestleistung stoßen“.

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So wie er es bei unserem Gespräch im Bistro des Trainingszentrums sagt, in seiner ruhigen, freundlichen, aber bestimmten Art, nimmt man ihm das gern ab. Und ein wenig denke ich an das Sprichwort: „ In der Ruhe liegt die Kraft“.  Er bestätigt auch, dass ihm das normalerweise bei Wettkämpfen auch zugute kommt. „ Ich bin immer recht ruhig, im Gegensatz zu vielen Athleten, die Tage vorher schon aufgeregt sind. Erst auf der Fahrt ins Stadion und dann beim Warmmachen werde ich  etwas nervöser.“    Doch allein mit Ruhe fliegt die 7,26- kg-Kugel auch nicht. Dazu ist mehr notwendig. Vor allem intensives Training. Und das hat er gerade hinter sich.

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Eine beschauliche Ruhe liegt über dem Liebenberger See dicht am Trainingszentrum

Tobias Dahm kann über die Trainingsbedingungen hier in Kienbaum nur Gutes berichten.  „ Ich bin jetzt die dritte Woche hier, und mit meinem Trainingszustand sehr zufrieden.“  Zu zwei Wettkämpfen ist er von hier aus gefahren, am 29. Juli stieß er in Schönebeck 19,84 m, „viel mehr war nicht zu erwarten, denn ich kam ja aus dem harten Training.“ Und zwei Tage später, am 31. Juli, trat er nochmals beim Schlossmeeting in Gotha an und schaffte 20,12. „Aber nach dem dritten Versuch hörte ich auf , weil es so vom Himmel schüttete und ich vorsichtig sein wollte.“

 Sechs Minuten im Kältebecken

Wie sieht nun sein normaler Trainingstag in Kienbaum aus?  Tobias Dahm scheint es Spaß zu machen, darüber zu berichten: „ Meistens klingelt der Wecker um 7.30 Uhr, um  8 Uhr ist Frühstück.  Die erste Trainingseinheit beginnt in der Regel 10 Uhr, und zunächst wärmen wir uns auf dem Ergometer auf oder spielen Tischtennis oder Basketball.“  Dann folgt die Arbeit mit der Kugel. „ In der Regel stoßen wir nicht im Freien, sondern in der Wurfhalle, weil es technisch sauber sein soll. Und wir setzen verschiedene Reize, denn es wird nicht nur mit der  Wettkampfkugel von 7,26  kg gestoßen, sondern auch mit  6 kg und mit 8 kg.“ Zwischen 35 bis 50 mal fliegt die Kugel durch die Luft. Anschließend werden im Kraftraum noch einige Übungen für Rumpf und Schulter durchgeführt, „ für die kleine Muskulatur“, wie Tobias Dahm erklärt.  Dann folgt die Krönung des Vormittags, der „Sprung“ ins Kältebecken. „ Sechs Minuten bin ich drin, das ist kein Problem für mich. Man kann sich das wie ein Bad im Gebirgsbach vorstellen.“

Anschließend  geht es zurück ins Zimmer, kurze Wege sind für Kienbaum das Normale. Nach ausgiebigem Duschen sind es dann beispielsweise 50 Meter bis zur Mensa, wo ein schmackhaftes Essen wartet.

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Tobias Dahm hat von allem etwas gegessen.

Eine längere Mittagspause folgt, er hat ein Einzelzimmer im Hauptgebäude:

Kien 621

„ So zwischen 20 und 40 Minuten schlafe ich da“. Das klingt nicht viel, aber wenn Tobias Dahm später vom normalen Leben in Stuttgart, vom Pendeln zwischen Arbeit und Sport, erzählt, muss man das anders sehen. Hier bekommt das Wort „ Regeneration“ einen ganz anderen Klang.

Scharfe Stöße und Bankdrücken

Ab 16 Uhr ist dann die zweite Trainingseinheit angesetzt. Da kommen die „scharfen Stöße“, d.h., „ich versuche wettkampfnah zu stoßen. Das sind dann nochmals 20 bis 25 Stöße, je nachdem, was der Körper sagt“.

Danach geht es in den Kraftraum, und dort folgen normale Übungen wie Bankdrücken, Reißen, Kniebeugen und Beinpresse. Und welche Massen werde dabei bewegt?   „Das hängt immer von der jeweiligen Trainingsphase ab. Gegenwärtig mache ich beim Bankdrücken mit der Freihantel 3 Wiederholungen in fünf Serien, und bewege dabei zwischen 210 und 230 kg.  Das Reißen versuchen wir relativ schnell auszuführen, in der gleichen Technik wie die normalen Gewichtheber, aber nicht ganz so tief in der Hocke.“   Bis maximal 95 kg bewältigt er da.

 

Das Gesamtpaket Kienbaum stimmt jedenfalls für Tobias Dahm. Das merkt man ihm an.

Und er genießt es um so mehr, weil seine Nominierung für Olympia nicht eben glatt verlief. Lange kämpfte er um die Olympianorm von 20,50 m. Zwar hatte er im Hallenwettkampf in Saßnitz mit 20,56 m ordentlich vorgelegt, doch im Freien mühte er sich lange vergeblich.

Für die EM in Amsterdam wurde  er nominiert, doch das schien für ihn die letzte Chance.  Und so sieht er es im Nachhinein: „ Der Qualistoß mit 20,42 m war sehr erfreulich. Nun schien im Finale alles machbar. Und auch der erste Versuch mit  20,03 m ließ mich hoffen. Aber dann hat man nur noch fünf Versuche und man zählt die innere Uhr herunter. Ich wurde nervöser, konnte die Atmosphäre nicht aufsaugen.“  Am Ende standen nur 20,25 m als bestes Ergebnis auf der Liste. Da nützte auch die annehmbare Serie von  20,03; 20,25; 19,76; 19,78; 20,17, 20,13 m nichts. Es fehlte einfach der Ausreißer nach oben. Und Tobias Dahm war sehr enttäuscht. „ Damit stand für mich Rio in weiter Ferne. Um so schöner, dass ich zwei Tage später von meiner Nominierung erfuhr.“

Spagat zwischen Arbeit und Sport

Ein kleines Wunder ist das für manchen, wenn man weiß, daß Tobias Dahm zwischen Arbeit und Sport pendelt, einen Vollzeitjob bei Daimler in Sindelfingen hat. Das tendiert dann fast mehr zum Amateur. Aber es zeigt vielleicht auch, was alles möglich ist.

Und so ganz freiwillig ist Tobias Dahm diesen Weg auch nicht gegangen.

„2000 habe ich meine Ausbildung bei Daimler begonnen, „ erinnert er sich. Damals hatte ich keine andere Option. Ich war weder Bundeskader, noch eröffnete sich für später eine andere Möglichkeit wie Bundespolizei oder Bundeswehr.“ Aber bereut hat er es nicht. 2003 schloss er seine Ausbildung als Mechatroniker ab. „ Bei Daimler wird man danach nach den Noten eingestellt. Meine Noten waren relativ gut, und deshalb war schnell klar, dass ich ab 2003 in die Entwicklung kam. Das war auch mein Anreiz, denn das ständige Stehen am Band hätte sich mit dem Leistungssport nicht vertragen.“  Und in der Entwicklungsabteilung arbeitet er mit daran, die neueste Elektrik in den sogenannten Erlkönig, den ersten Versuchsträger, einzubauen. „ Wir setzen neue Technik in die neuen Modelle, es wird die Zukunft erprobt.“

Wahrlich eine interessante, abwechslungsreiche Arbeit. Und da nimmt Tobias Dahm auch manche Mühen in Kauf.

Alles spielt sich im Raum Stuttgart ab. „ Ich habe im Prinzip zwei Wohnsitze. Einmal zuhause bei meinen Eltern in Neuhengstett. Von dort sind es ungefähr 40 km bis nach Stuttgart. Und dann habe ich noch eine Wohnung in einer WG in Stuttgart. Diese Wohnung beziehe ich meistens dann, wenn die Tage zu lange sind und es sich nicht mehr lohnt, nachhause zu fahren.  Insgesamt bin ich die Hälfte der Woche in Stuttgart und die andere Hälfte in Neuhengstett.

Und so sieht dann sein normaler Tagesablauf aus: „ Gegen 4.40 Uhr stehe ich auf, fange um 6 Uhr mit der Arbeit an. Die geht dann meistens bis 15.30 oder 15.45 Uhr. Dann setzte ich mich ins Auto und fahre zum Training in die Molly -Schaffele-Halle. Der dortige Olympiastützpunkt der Leichtathleten liegt hinter der Gegengerade der Mercedes-Benz-Arena.

Ab 16 Uhr beginnt das Training dort und das Ende hängt dann ganz davon ab, welche Programm meine Trainer vorgesehen haben. Aber in der Regel ist dann 21 Uhr Schluss.  Trainer? „ Ja, ich habe seit langem zwei Trainer. Einmal meinen Heimtrainer Joachim Lange, den Bruder meiner Mutter. Und zum anderen den Landestrainer Peter Salzer.  Beide ergänzen sich sehr gut“, lobt er und fügt noch an: „ Ich bin froh, dass ich zweigleisig fahre, also Arbeit und Sport habe. Es ist zwar auch gut, wenn man nur Sport betreibt, aber ich bin kein Mensch, der sich Tag und Nacht nur mit dem Sport beschäftigen will. Ich brauche auch etwas anderes, etwas, was meinen Kopf mehr beschäftigt. Ich brauche eine Arbeit, die in meinen Augen sinnvoll ist.“

Eigentlich bleibt da fast keine freie Zeit für ein Hobby. Aber da täuscht man sich.  „ Mein Hobby sind alte Autos, Oldtimer“, erklärt er. „ Vor fünf Jahren habe ich mir aus den USA ein altes Auto herüberkommen lassen, einen Mustang Coupe, Baujahr 1967.“ Das paßt natürlich zum Beruf. Und Tobias Dahm hat danach viele Stunden  geopfert, hat viel am Auto herumgeschraubt, herumgebastelt.  Um so stolzer ist er, wenn er berichtet: „ Es ist fahrfertig“. Und so sieht es aus:

Tobias Dahm Mustang

Mustang Coupe, Baujahr 1967

 

Die Zeit vergeht bei unserem Gespräch in Kienbaum sehr schnell, und ich möchte auch nicht zu viel von seiner Mittagspause wegschneiden. Aber ein wenig möchte ich noch erfahren, wie er überhaupt zum Sport gekommen ist.

Vom Fußball über Zehnkampf zum Kugelstoßen

1987 in Böblingen in der Nähe von Stuttgart geboren, beteiligte er sich als Kind zwar am Drei-oder Vierkampf, aber „ vor allem haben wir Fußball gespielt. Doch leider zogen dann in der Mannschaft nicht mehr alle an einem Strang und wir wurden schlechter.“ Aber, und das ist sicher ein Credo von Tobias Dahm, „ ich hatte keine Lust zum Verlieren.“ So hörte er mit dem Fußball auf, erinnerte  sich wieder an die Leichtathletik, und wurde vom Bruder seiner Mutter, Joachim Lange, trainiert. „ Es hat wieder Spaß gemacht und auch die ersten Erfolge stellten sich ein, vor allem im Mehrkampf.“ Als aber Verletzungen sich häuften, stand er kurz davor, aufzugeben. Da bekam er den Tipp: Probiere es doch mal mit dem Kugelstoßen. Das war im Mehrkampf seine beste Disziplin gewesen, und er brachte auch die nötigen Körpermaße mit. Allerdings nicht zum Drehstoß, „dafür war ich zu lang und außerdem hatte ich kein Gefühl für die Drehbewegung“. Es folgten Hochs und Tiefs, aber Tobias Dahm glaubte immer an sich. So überwand er auch eine gewisse Durststrecke, als es in den Jahren 2013 bis 2015 einfach nicht über die 20 m hinausgehen wollte. Um so mehr freute sich der nunmehr 2,03 m große und gegenwärtig 124 kg schwere Hüne, daß seine Kugeln  2016 endlich über diese Marke hinweg flogen. Und das Ticket für Olympia war der schönste Lohn dafür.

Die letzten Tage bis zum 18. August will Tobias Dahm nun auch noch perfekt gestalten. „ In dieser Woche wird nochmals voll belastet. Am 7. August fliege ich  von Berlin aus heim nach Stuttgart.  Dann wird bis zum 12. August durchtrainiert, wobei die Intensität deutlich heruntergeschraubt wird.“  Für den 12. August ist sein Abflug nach Rio de Janeiro terminiert. Und dann sind es nur noch wenige Tage bis zum 18. August. Dort wird sich der Kugelstoßer Tobias Dahm gemeinsam mit David Storl im Olympiastadion präsentieren. Und darauf freut er schon heute unbändig.

Peter Grau

 

 

Nachklang von den Halleschen Werfertagen

Halle Werfertage 2016 Programm

Am 21. Mai  2016 sah ich in Halle/Saale Tobias Dahm erstmals in diesem Jahr in Aktion. Da konnte man noch nicht ahnen, daß er drei Monate später im Kugelstoßring in Rio stehen würde.

Einige Fotos aus HalleSaale :

Tobias Kienbaum eins

Während des Wettkampfes sah er sich zwischendurch in Ruhe die Konkurrenz an.

Tobias Kienbaum zwei

Vor der Siegerehrung plauderte er u.a. mit den Altmeistern Oliver-Sven Buder und Ralf Bartels:

Tobias Kienbaum drei

Bei der Siegerehrung wurde er als Dritter geehrt.

Tobias Kienbaum sechs

Gemeinsam auf dem Treppchen:  1. Konrad Bukowiecki (POL/20,61 m),    2. David Storl ( SC DHfK Leipzig / 20,25) , 3. Tobias Dahm ( VfL Sindelfingen / 19,77 m).

 

Franka Dietzsch – das Leben nach ihrer sportlichen Karriere

 

Der Diskuswurf ist eine Disziplin mit einer langen Historie, die bis in die Antike zurückreicht. Der Diskuswerfer wurde schon damals als der Inbegriff des Athleten angesehen (mehr dazu bei Wikipedia unter Diskuswurf). Sehr häufig sieht man die  Diskusscheiben werfenden Athleten auch als Bronzestatuen.

Franka Dietzsch Bronzestatue

Aber auch in der Neuzeit ist gerade aus deutscher Sicht der Diskuswurf eine Erfolgsstory. Erst am Freitag (8. Juli 2016) holten sich mit Julia Fischer und Shanice Craft zwei Diskuswerferinnen Silber und Bronze.

Begegnung mit Franka Dietzsch

Lange Zeit dominierte eine Frau die deutsche Diskus-Szene: Franka Dietzsch. Ihr Name hat immer noch einen sehr guten Klang in der Werferfamilie, und deshalb erfreute es mich auch, als ich sie bei den Halleschen Werfertagen am 21. Mai 2016 wiedersehen und sprechen konnte.

Zuletzt hatten wir im September 2009 in Elstal bei Berlin ein Gespräch, damals, als sie sich gerade vom aktiven Leistungssport verabschiedet hatte. Was war seitdem mit ihr geschehen?

Wie immer ist sie gern bereit, mir darüber etwas zu erzählen. Dabei hat sie gerade an diesem Tag und zu dieser Stunde nicht beste Laune. „ Mir geht es gerade nicht so gut, „ sagt sie, die fast wie ein Häufchen Unglück auf einer Bank neben dem Diskusring sitzt. „ Ich bin gerade sehr unzufrieden mit den Auftritten von zwei Athleten, die ich in Neubrandenburg trainiere und die nun nicht die erwartete Leistung gebracht haben.“ Zum einen ist es die gebürtige Rostockerin Lara Kempka (Jahrgang 1997), die in der Altersklasse U20 den 1-kg-Diskus nur auf 47,75 m geworfen hatte und damit Vierte wurde. „ Dabei hat sie schon einige Erfolge zu verzeichnen, war bei den Olympischen Jugendspielen 2014 Dritte und im gleichen Jahr auch deutsche Meisterin. (Zwei Wochen nach unserem Gespräch, am 5. Juni, warf Lara Kempka als Zweite hinter der bekannteren Claudine Vita immerhin 49,29 m weit und einen Tag danach, am 6. Juni, in Leipzig 53,42 m).

Franka klein  zwei finster

Franka Dietzsch, noch etwas finster blickend

Der andere Schützling, welcher Franka Dietzsch gerade Sorgenfalten auf die Stirn treibt, heißt Tim Ader. „Ihn habe ich in diesem Jahr übernommen, er ist ebenfalls schon deutscher Meister in seiner Altersklasse geworden. Heute ist er in einer höheren Altersklasse gestartet, hat mit einem schwereren Diskus (1,75 kg) schwach geworfen. Und ich bin eben nicht damit einverstanden, wie er sich eben präsentiert hat. ( Doch schon einen Tag später rückte er mit dem Sieg mit der 1,5-kg-Scheibe und einer Weite von 58,47 m alles gerade. Und als Lohn folgte später die Nominierung für die U18-EM in Tiflis.)

Frank Dietzsch setzt im Training und Wettkampf hohe Maßstäbe. „ Manches setze ich einfach voraus, und kann dann nicht verstehen, warum man das nicht kann. Manchmal drehe ich schon durch, wenn ich sehe, wie schlecht sie beispielsweise Standwürfe machen“. Ihre Schützlinge, 4 Mädchen und 1 Junge, haben zwar den nötigen Ehrgeiz für den Leistungssport. „ Aber es regt mich auf, wenn es nicht richtig klappt, und wenn mir etwas nicht paßt, dann sage ich es auch und werde auch mal lauter. Aber ich bin auch eine faire Trainerin, und grundsätzlich haben wir ein Superverhältnis“.

Franka klein eins

Franka Dietzsch, wieder lächelnd

Franka Dietzsch ist also seit dem 1. April 2011 als Nachwuchstrainerin für den Diskuswurf und das Kugelstoßen beim SC Neubrandenburg beschäftigt. Doch das ist nur eine nebenberufliche Tätigkeit auf Honorarbasis. „ Hauptberuflich bin ich bei der Deutschen Kreditbank (DKB) tätig“. Sie hat also ihre berufliche Linie durchgezogen. Zu DDR-Zeiten lernte sie Industriekaufmann, war danach bei der Sparkasse in Neubrandenburg angestellt. Nun also die DKB, die ja auch beim Sportsponsoring eine Hausnummer ist.

Was aber macht sie bei der DKB? Die DKB hat in Brandenburg, 60 km nördlich von Berlin ein Schloss: das Schloss & Gut Liebenberg. Die DKB besitzt zwar nicht das Schloß, aber sie hält dort Seminare für Mitarbeiter ab. Und Franka Dietzsch ist auch dabei: „ Ich darf mit ihnen Sport treiben. Entweder mache ich mit ihnen Frühsport oder trainiere abends nach den Seminaren mit ihnen. Seit 2010 bin ich dort und es macht mir Spaß. Zumal ich zur Auflockerung auch aus meiner sportlichen Laufbahn erzähle. Und ab und an führe ich Wochenendseminare durch, in denen ausschließlich Sport getrieben wird.“

Franka Dietzsch ist viel unterwegs. Entweder fährt sie nach Liebenberg, oder sie trainiert in Neubrandenburg oder ist mit ihren Sportlern zu Wettkämpfen unterwegs. Und da kommt es ihr sehr entgegen, daß sie sich nun gemeinsam mit ihrem Freund Ulrich einen Ruhepunkt geschaffen hat. „ Zehn Kilometer von Neubrandenburg entfernt haben wir uns in Sponholz ein Hause gebaut. Ich bin also aufs Dorf gezogen“. Zurück zu den Wurzeln, denn Franka Dietsch kommt aus einem Dorf, aus Koserow auf der Insel Usedom. „ Ich habe mir aber immer vorgenommen, wieder aufs Land zu ziehen“. Und sie läßt keinen Zweifel, daß sie sich dort wohlfühlt.

Franka drei klein Telefoin

Die aktuelle sportliche Szenerie verfolgt sie naturgemäß weiter sehr intensiv, ist bei vielen großen Wettkämpfen dabei. „ Im letzten Jahr war ich durch Anna Rüh oft unterwegs, nun ist sie ja von Neubrandenburg nach Magdeburg gezogen“.

Franka Dietzsch hat heutzutage keine Entzugserscheinungen, weil sie nun nicht mehr aktiv ist. „ Ich bin froh, daß ich in einer anderen Zeit geworfen habe, und nicht jetzt. Jetzt ist es definitiv schwerer, vorn zu landen. Man bekommt ja mit 66 oder 67 m kaum noch eine Medaille. Da habe ich großes Glück gehabt.“

Peter Grau

Kugelstoßerin Denise Hinrichs – Abschied und Ausblick

Jeder Abschied ist auch ein Anfang.  Und auch wenn ein Abschied manchmal  plötzlich und unerwartet kommt, kann es Gründe geben, die das Abschiednehmen geradezu herausfordern.

Denise Kunze klein Porträt Gantenberg

Denise Hinrichs im Jahr 2015 (Foto:  Dirk Gantenberg)

 

Kugelstoßerin Denise Hinrichs hatte sich für dieses Jahr 2016 viel vorgenommen, wollte zur EM nach Amsterdam. Aber auch die Olympischen Spiele waren ein Ziel. „ Die Rio-Norm von 18,50 Metern ist happig, aber durchaus ein Thema,“  ließ sie im Herbst 2015 verlauten.

Doch es lief 2016 nicht wie gewünscht bei der Wattenscheiderin. Zwar versuchte sie es nochmals bei der Deutschen Meisterschaft in Kassel, aber ohne Erfolg.  Drei ungültige Versuche kamen für sie ins Protokoll.

Und am Montag darauf, dem 27. Juni,  las ich bei Facebook eine Nachricht von Denise Kunze. Ich wunderte mich, denn dieser Name war mir bisher nicht bekannt. Nach wenigen Sätzen und nach dem Wort „ Kugel“ fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Es mußte sich um Denise Hinrichs handeln.

Und das wurde bald noch deutlicher, als das folgende Hochzeitsfoto erschien:

Denise Kunze Hochzeitsfoto

Denise Hinrichs und ihr langjähriger Partner Thomas Kunze haben also geheiratet.

 

Davon, vom Abschied vom Sport, und von dem Hauptgrund des Abschieds informierte Denise also einen Tag nach Kassel in sehr emotionalen Worten Freunde und Bekannte im folgenden Facebook-Eintrag:

Veränderungen gehören zum Leben!

Es wird Zeit die Kugel in die Ecke zu legen und in die Zukunft zu blicken.
Bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel habe ich meine Karriere mit xxx beendet. Nicht schön, doch irgendwie auch passend zu mir!

Ich habe eine wirklich tolle Zeit in der Welt des Sports erleben dürfen.1996 startete ich beim Schwaaner SV, 2000 wechselte ich nach Neubrandenburg ehe ich 2007, beim TV Wattenscheid, mein Glück fand.

Ich feierte Erfolge (U20/ U23 Europameisterin, Vizehalleneuropameisterin mit meiner Bestleistung von 19,63 m u.s.w, doch fiel ich oft und lernte was es heißt ‚immer wieder aufzustehen‘! Ich möchte gar nicht lamentieren ‚Was wäre wenn…‘- Nein, ich möchte ‚Danke‘ sagen:

Danke, lieber Miro – für 9 Jahre, in denen du nicht nur Trainer, sondern auch Motivator, Zuhörer und Freund geworden bist! 🙂

Danke, TV Wattenscheid– für 9 Jahre Treue in ‚Guten wie in schlechten Zeiten‘!

Danke, Dr.Carsten Radas– du hast wohl einen Einblick in meine Knie wie kein anderer 😉

Danke, Bundespolizei– mein Arbeitgeber steht seit 10 Jahren hinter mir und gibt/gab mir die nötige Sicherheit , den Leistungssport auszuüben!

Danke, liebe Familie und Freunde– ohne euch ist das Leben nur halb so schön!

Danke, mein lieber Ehemann Thomas -du musstest die letzten 5 Jahre so viel auf mich verzichten! Doch diese Zeit ist vorbei!

Danke an alle, die Teil unserer Hochzeit waren- Ihr habt diesen Tag wirklich unvergesslich werden lassen!
Lindi und Britta, ihr seid ganz tolle Freundinnen :-*

Und ganz zum Schluss freue ich mich über den schönsten und wichtigsten Grund, meine Karriere zu beenden! Mein Mann und ich erwarten im Dezember unseren Nachwuchs!

Wir freuen uns auf diesen Teil des Lebens und blicken freudig der Zukunft entgegen!

Danke an alle, die bis zum Schluss gelesen haben 😉

Denise

 

Denise Kunze klein mit Kugel 2015 HDM

Denise Hinrichs bei der Hallen-DM 2015 (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Meine Begegnung mit Denise Hinrichs im Jahre 2011

Den sportlichen Weg von Denise Hinrichs habe ich sehr lange als Berichterstatter verfolgt. Und ich habe sie immer als eine  freundliche, auskunftsfreudige Athletin erlebt. Zuletzt, und das sehr ausgiebig, beim einem Mittagessen im Athletenhotel, vor dem Kugelstoßmeeting in Nordhausen. Das war im Jahre 2011 und auch damals erzählte sie einiges über ihre Verletzungssorgen. Da konnte ich noch nicht ahnen, daß dann am Wettkampfabend neue Sorgen hinzukamen. Der erste Kreuzbandriß ereilte sie und ich fühlte mich ein wenig schuldig, weil ich wenige Stunden zuvor mit ihr dieses lange Gespräch geführt habe. Seitdem habe ich es in der Regel unterlassen, mit Athleten vor dem Wettkampf zu plaudern.

Als ich jetzt Denise von meinen Schuldgefühlen berichtete, erteilte sie mir  gewissermaßen Absolution:  „Du musst dir da keine Vorwürfe machen. Mein Körper hat diese Schnellkraftsportart nicht so verkraftet.“

 

Soweit der Blick in die Vergangenheit. Und er wird unterstützt durch den Artikel, den ich damals 2011 nach dem Kugelstoßmeeting in Nordhausen für die Zeitschrift „Leichtathletik“ schrieb:

 

Denise Hinrichs erlitt Kreuzbandriss

Die Hallen-Vizeeuropameisterin Denise Hinrichs zog sich beim Kugelstoßmeeting in Nordhausen einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie zu. Am 17. Februar soll sie operiert werden.

So schnell schlägt das Schicksal manchmal zu. Denise Hinrichs (TV Wattenscheid 01) war voller Optimismus, der Wettkampf begann mit 17,81 Metern auch recht gut. „ Doch beim zweiten Versuch knackte es im Knie. Weil der Schmerz  nachließ, versuchte ich es nochmal, aber da hatte ich überhaupt keine Kontrolle mehr über das Knie und es tat auch sehr weh.“  Zwar ergab die erste Arztkontrolle in der Halle erstmal leichte Entwarnung, doch im Trainingslager in Kienbaum, wo sie anschließend mit ihrem Trainer Miroslaw Jasinski hingefahren war, kam der Schmerz zurück. Bei der Untersuchung im Berliner Unfallkrankenhaus wurde dann erstmals der Verdacht auf einen Kreuzbandriss geäußert und in Sendenhorst durch Dr. Carsten Radas bestätigt.

Zuversicht beim Mittagessen

Fünf Stunden vor dem Wettkampf hatte die Welt für die freundliche Athletin noch rosig ausgesehen.  Entspannt ließ sie sich im Athletenhotel das Mittagessen munden, nur am Eis hatte sie etwas auszusetzen. „Ich mag Schokoladeneis nicht, ebenso wenig wie Schokoladenpudding. Dafür aber  reine Schokolade“. Im Nachhinein eine Randnotiz, unwichtig im Vergleich zu gesundheitlichen Problemen.

Und über die erzählte die gebürtige Rostockerin ausführlich. Ihre sportliche Karriere hatte  2009 mit dem 2. Platz bei der Hallen-EM in Turin, dem 11. Platz bei der WM in Berlin und den beiden Bestleistungen von 19,63 Metern in der Halle und 19,47 Metern im Freien ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Beruflich konnte sie den Abschluss der Ausbildung bei der Bundespolizei in Cottbus als Erfolg vermelden. Aber danach lief bei der Polizeimeisterin im mittleren Dienst nicht alles rund.

„ Auf die Hallensaison 2010 hatten wir verzichtet, wegen der Ausbildung und auch deshalb, weil in Cottbus die Trainingshalle abgerissen worden war. Wir trainierten dann für die Sommersaison in Kienbaum, aber dort fing ich mir einen Norovirus ein. Bis Anfang Juni hatte mein Körper damit zu tun.“ Aber das war noch nicht alles. „Es traten, wie schon 2009, wieder Probleme zwischen Knie und Wade auf, die mich in der maximalen Belastung behinderten.“ Die Ärzte waren nicht sicher, woher die Probleme rührten, auf den MRT-Bildern war es nicht zu erkennen.  „Die Probleme blieben, meine Technik verschlechterte sich.“  Mit dem 8. Platz bei der EM in Barcelona (18,48 m) musste sie also noch zufrieden sein.

Im September 2010 ließ sich Denise Hinrichs am Knie operieren, stieg danach ins Training ein, doch im Dezember 2010 meldete sich die Wade erneut. Kurz vor dem Nordhausen-Meeting  war sie eine Woche im St. Joseph-Stift in Sendenhorst bei Münster,  dort, wo viele Athleten Linderung ihrer Schmerzen und kompetente Diagnosen suchen. Neue Hoffnung keimte.„ Dr. Radas als Arzt und Peter Müller als Physiotherapeut haben  nun wohl die Ursache für die Schmerzen gefunden, „ berichtete Denise Hinrichs und erläuterte den medizinischen Stand: „Hinter dem Kreuzband hat sich Kapselflüssigkeit gebildet, die sich verhärtet und bei Maximalbelastung in die Muskulatur drückt. Das wurde angespritzt und seit einer Woche bin ich nun schmerzfrei und hoffe, dass es so bleibt.“  Fünf Stunden später aber wusste sie, dass diese Hoffnung trog.

Dabei hatte die 1,80 m große Athletin, die von 2000 bis 2007 bei Gerald Bergmann in Neubrandenburg trainierte,  seitdem in Bochum –Wattenscheid wohnt und dort von Miroslaw Jasinski betreut wird, schon große sportliche Pläne geschmiedet.

„ Natürlich will ich zur Hallen-EM und zur WM nach Südkorea, und in der Weite will ich einfach noch eine Schippe drauflegen, auch in Richtung Olympia 2012“. Und Trainer Jasinski ergänzte: „Sicher sind auch die 20 m nicht unmöglich.  Und damit kann man jeden Wettkampf vorn mitbestimmen.“

Nun also dieser Rückschlag. „Es wird ein langwieriger Prozess werden. Aber ich werde noch stärker zurückkommen,“ macht sich Denise Hinrichs Mut. Und sicher hilft der Polizeimeisterin  dabei mental auch, dass sie ab Oktober 2010  ein Studium der Politikwissenschaften beginnen wird.

Peter Grau

(veröffentlicht in der Zeitschrift „Leichtathletik“ im Februar 2011)

Sprinterin Gina Lückenkemper: Am Rande der Weltspitze

Gina klein Porträt von ihrer Seite

Gina Lückenkemper

Kurz vor den Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Kassel hatte Michael Reinsch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit  Gina Lückenkemper (Foto von ihrer Facebookseite) und deren Trainer Uli Kunst  gesprochen und dabei auf einige interessante Aspekte rund um die junge Sprinterin aufmerksam gemacht. Und irgendwie schien er beeindruckt von der jungen Dame. Und nach Kassel war er es noch mehr, denn  Gina Lückenkemper gewann auf ihrer Lieblingsstrecke, den 200 Metern, in 22,84 Sekunden  die Goldmedaille. Aber einfach war das nicht, denn Lisa Mayer  setzte ihr bis zum Zielstrich stark zu und mußte sich in 22,87 Sekunden nur knapp geschlagen geben.  Erfrischend, wie sich beide hinterher im Videointerview auf  „leichtathletik.de“ präsentierten. Da wächst eine neue Sprint-Lockerheit heran.

Und um das zu untermauern, möchte ich  Auszüge aus dem Beitrag von Michael Reinsch zitieren, der am 19. Juni 2016 in der FAZ erschien.

Gina Lückenkemper: Am Rande der Weltspitze

Gina klein DM 2016

Gina Lückenkemper bei der DM 2016 in Kassel (Foto: Dirk Gantenberg)

Locker wie eine Jamaikanerin sprintet Gina Lückenkemper kurz vor Rio ins Rampenlicht. „Rennen gibt mir ein Gefühl von Freiheit“, sagt sie – und ist mittlerweile gar die schnellste deutsche Sprinterin.

Gina Lückenkemper muss einfach zu den Olympischen Spielen. 22,67 Sekunden hat die Sprinterin der LG Olympia Dortmund am 5. Juni in Regensburg für die 200 Meter gebraucht. Das ist rasend schnell für eine Neunzehnjährige, selbst wenn sie Junioren-Europameisterin auf dieser Strecke ist. Innerhalb von acht Tagen hat sie sich damit zur schnellsten Deutschen gemacht. Nur eine Woche zuvor war sie in Mannheim – mit einem Schrei im Ziel – die hundert Meter in 11,13 Sekunden gelaufen. „Ich liebe Läufe, in denen ich nicht vorneweg renne“, behauptet die 1,68 Meter große Sprinterin, „sondern anderen hinterherjagen muss.“ Das soll sie doch bitte schön im August in Rio de Janeiro tun, als Kurvenläuferin der deutschen Staffel und über 200 Meter. Auch noch über hundert Meter zu starten, für die sie auch qualifiziert ist, wäre allerdings zu viel verlangt von der jungen Sportlerin.

Reifeprüfung auf der Bahn

Im April hat Gina Lückenkemper die Klausuren für ihr Abitur geschrieben, nun folgt die Reifeprüfung auf der Bahn. „Sie ist am Rande der Weltspitze angekommen“, sagt ihr Trainer Uli Kunst. Deutsche Meisterschaft, Europameisterschaft, Olympia – vielleicht in diesem Jahr schon wird sie einen weiteren Schritt hin zur Exzellenz in ihrer Sportart tun. Keine deutsche Sportlerin ist so schnell wie sie. Verena Sailer, mit der gemeinsam Gina Lückenkemper noch im vergangenen Jahr Fünfte der Weltmeisterschaft in der Staffel wurde, ist vor drei Jahren 11,03 Sekunden auf der Geraden gesprintet, eine glatte Zehntelsekunde schneller. Inzwischen ist sie zurückgetreten.

Auf der Lieblingsstrecke von Gina Lückenkemper, die aus der Kurve auf die Gerade führt, muss man schon bis 1999 und zu Andrea Philipp zurückgehen, um eine Bessere zu finden.

Doch selbst deren 22,25 Sekunden wirken, als hätte die junge Westfälin sie in Reichweite. Kunst scheint sich auf die Zunge beißen zu müssen, um nicht die tollsten Prognosen abzugeben. Ein außergewöhnliches Talent sei das Mädchen, verrät er, mit fünf Einheiten pro Woche trainiere sie bisher geradezu auf Sparflamme. „Sie ist noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angekommen.“

Schon im Kindergarten ließ die kleine Gina im Wettkampf auf der Wiese Mädchen und Jungs hinter sich. „Schnell war ich schon immer“, sagt sie. „Ich rede schnell, ich esse schnell.“ Manchmal fährt sie auch schnell Auto. Doch mit ihrem Tempo zu Fuß fiel sie auf, sagt sie, und sei richtig trainiert worden. „Jetzt bin ich noch schneller.“ Von Anatomie und Technik spricht sie, davon, dass sie ein sauberes Laufbild herausgebildet habe, den Schritt unter dem Körper treffe, nicht mehr allzu große Bremseinwirkungen im Bewegungsablauf habe und beim Start, statt zu trippeln, große Schritte mache. Alles zusammen aber bewegt mehr als den Körper. „Rennen gibt mir ein Gefühl von Freiheit“, sagt sie. „Ich mache mir keine Gedanken, ich blase mir dabei einfach den Kopf frei.“ Nicht Erste zu werden, sei entscheidend, sondern Freude zu haben.

Gina klein 2014 Gantenberg

Gina Lückenkemper im Jahr 2014 (Foto:  Dirk Gantenberg)

So erlebt es auch ihr Trainer. Die Psyche von Gina sei herausragend, sagt er. „Sie verfügt über die Fähigkeit, über den Spaßfaktor locker zu bleiben. Und im Sprint ist Lockerheit unabdingbar.“ Was bei anderen das Trainingslager in der Karibik besorgt – oder das Leben dort -, die Entspannung von Geist und Muskulatur, verschafft der blonden jungen Dame aus Soest in Westfalen die Sonne im Herzen. Als während der U-20-Europameisterschaft in Eskilstuna in der schwedischen Provinz Södermanlands der Startschuss zum Endlauf über 200 Meter auf sich warten ließ, nutzte sie Zeit und Stimmung für ein Tänzchen hinterm Startblock. Dann gewann sie. „Das sind Fähigkeiten, die kann man niemandem antrainieren“, sagt Kunst. Man muss schon an einen sehr schnellen Jamaikaner denken, an Usain Bolt, um ein Beispiel für ähnliche Lockerheit am Start zu finden.

An große Ziele will Gina Lückenkemper noch nicht denken. „Sie wird sich entscheiden müssen: Will sie in die Weltspitze hinein?“ prognostiziert ihr Trainer, „Ist sie bereit, mehr in Training zu investieren.“ Doch da spricht er schon von der Perspektive Tokio 2020. Sie denkt erst einmal nur acht Wochen weit: „Ich werde mit allem zufrieden sein. Ein Traum geht allein dadurch in Erfüllung, dass ich dort renne.“ Doping im Übrigen sei ein zu hoher Preis für jedes Ziel; nicht einmal Nahrungsergänzung, sagt der Trainer, spiele bei ihnen eine Rolle.

Bei ihren Konkurrentinnen aus der Karibik hat sich die Jamaikanerin im Herzen noch nicht bekanntgemacht. Klar, sie gucke schon mal rüber, was Shelly-Ann Fraser-Pryce macht, bevor sie bei der WM mit der Weltmeisterstaffel antritt. „Die Jamaikanerinnen machen die selben Aufwärmübungen wie wir“, hat sie im Vorjahr beobachtet. „Aber sie wirken unnahbar.“ Um sie anzusprechen, ist sie noch zu schüchtern. Gina Lückenkemper wird sich wohl in vollem Lauf bekannt machen müssen.

(soweit Auszüge aus dem Beitrag von Michael Reinsch in der FAZ vom 19. Juni 2016)

Michael Reinsch

Michael Reinsch

Robert Harting: Sein Diskuswurf nach Rio

Diskuswerfer Robert Harting unterhält die Öffentlichkeit gern, mit Worten und mit Taten. Und wer den sechsten Versuch des Berliners im Finale der Deutschen Meisterschaften in Kassel live im Stadion oder zuhause am Fernseher erlebte, wird ihn so schnell nicht vergessen. Solche Momente prägen sich ins Gedächtnis ein, solche Momente kann nicht jeder herbeizaubern, zudem in der Leichtathletik.

Vor einigen Tagen hatte ich in Berlin eine Pressekonferenz zum ISTAF 2016 besucht und danach für meine Homepage einen Artikel über Robert Harting geschrieben: „ Die Leidenschaft des Wettkämpfers ist wieder da“.

Darin hatte ich ihm auch geraten, nicht mehr so viele Interviews zu geben, um sich mehr auf den Sport konzentrieren zu können. Dabei sind mir Athleten viel lieber, die viel sagen und vor allem, die  gern Interviews geben.  Inwieweit er sich seitdem daran gehalten hat, weiß ich nicht. Und sicherlich werden nun nach dem Paukenschlag in Kassel die Anfragen wieder mehr werden.

Doch, was war eigentlich in Kassel geschehen, und wie habe ich es verfolgt?

Fest vorgenommen hatte ich mir, in Kassel selbst dabei zu sein. Das Hotelzimmer im nahen Baunatal war gebucht, die Eintritts- und Parkkarten hatte ich ebenfalls. Doch dann ereilte mich eine Sommergrippe und schweren Herzens mußte ich absagen. Doch der Gesamtverbund von ARD, leichtathletik.de  und Ergebnisdienst war ein wenn auch nicht so emotionaler Ersatz.

Sonntag, 19. Juni 2016, 14:30 Uhr:  Die 14 Diskuswerfer werden vorgestellt. Es sind recht viele, aber das ist eben ohne Qualifikation so. Im ersten Durchgang wirft Robert Harting  63,53 m und setzt sich damit an die Spitze. Die anderen schwächeln, und ich starre immer auf den Ergebnisdienst, ob er diesen Platz hält (ich bin ein wenig parteiisch, das darf ich).  Es dauert bis zum dritten Durchgang, ehe Daniel  Jasinski mit 65,18 m die Spitze übernimmt. Dessen Vater Miroslaw kenne ich seit vielen Jahrzehnten, immer als Trainer. Nun ist sein Sohn soweit, um aufs Treppchen zu kommen.

Jasinski im Wurf

Jasinski Tafel 65

Doch alles ist nur Vorgeplänkel. Schade, daß nun die ARD Pause macht und die Meisterschaft der Vielseitigkeitsreiter überträgt. Doch ich habe ja meine Liveergebnisse. Und darauf starre ich wie gebahnt, sehe, daß Robert Harting im fünften Versuch mit 65,60 m wieder die Spitzenposition erringt.

Robert klein 4589

Robert klein 4590

Robert klein 4593

Robert klein 4675

Dann aber setzt die ARD wieder ein, faßt das bisherige Geschehen im Diskusring nochmals zusammen. Der sechste Durchgang übertrifft dann alles an Dramatik.  Zunächst schleudert Bruder Christoph Harting die 2-kg-Scheibe auf  66,41 m.

Christoph Tafel

Das scheint der Sieg zu sein. Und ich denke mit Schrecken an meine Kollegen in Kassel. Ein Sieger, der nicht spricht. Ein Albtraum für Journalisten. Aber Christoph hatte es immer wieder gesagt: „ Ich gebe im Sommer keine Interviews.“ Und nach der aktuellen dpa-Meldung hat er das wohl nun auf das ganze Jahr ausgedehnt.  Warum? Ich weiß es nicht. Ich kann mich an ein eigenes Gespräch vor einigen Jahren erinnern, bei der Vorstellung des Berlin-Teams in der Berliner Spielbank am Potsdamer Platz. Da sprach er mit mir, und ich bekam es auch hin, ihn zu lockern. Nun aber verschließt er sich, warum auch immer. Man darf gar nicht vorausschauen:  Was würde sein, wenn Christoph Harting in Rio Gold holt und stumm wie ein Fisch bleibt? Aber das ist bisher nur ein Albtraum.

Zurück zur Realität nach Kassel. Der letzte Wurf des Robert Harting wird im Fernsehen zelebriert. Und dann ist es wie früher.  Der 2,01- m-Hüne geht in den Ring, läßt die Scheibe fliegen und schreit, schreit, als könne er sie damit noch weiter treiben. Aber da weiß er schon, daß es weit gehen wird. „ Ich habe gespürt, daß günstiger Wind aufkam, wollte deshalb auch so schnell wie möglich in den Ring“. Und der Wind hilft auch ein wenig, um diese Zahl auf die Videowand zu werfen:  68,04 m.

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Robert Harting geht auf die Knie, schlägt die Fäuste auf den Rasen und kann es  selbst zunächst nicht fassen.

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Damit ist der Meistertitel gesichert, und, noch viel wichtiger, das Flugticket nach Rio.

Die Leidenszeit nach dem Kreuzbandriß 2014 hat endlich ein Ende. Und nun sprudelt es aus ihm heraus, verzückt er die fragenden Journalisten mit seiner Wortgewalt, mit seinen oft so klugen Worten, die so gar nicht dem normalen Äußerungen anderer Sportler ähneln.

Für leichtathletik.de  gibt er dem Ex-Stabhochspringer Michael Stolle ein langes Videointerview, nachzulesen und zu hören bei „Leichtathletik.TV“.

Heute am Montag surfe ich durchs Netz und sehe, daß sich vieles um Robert Harting dreht. So hat  Saskia Aleythe am 20. Juni für die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel: „ Der neue Harting kämpft gegen sein altes Ich“ einen lesenswerten Artikel geschrieben.

Und ein Ex-Diskuswerfer, Alwin Wagner, der von 1981 bis 1985 deutscher Meister im Diskuswerfen war und 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles einen sechsten Platz belegte,  möchte seine Begeisterung über den live in Kassel erlebten Wettkampf auch mit anderen teilen und stellt einige Fotos ins Netz, die ich in dieser Geschichte bringen darf.

Robert Harting aber „grüßt“ aus der Eiskammer, und bereitet sich auf die nächsten Wettkämpfe in Schweden und in Zeulenroda vor. Danach aber wird eisern trainiert. In Rio will er wieder ganz vorn mitmischen. Ist er wieder so emotional wie in Kassel an diesem Sonntag, dann ist ihm alles zuzutrauen.

Peter Grau

(Fotos:  Alwin Wagner)