Robert Harting: Sein Diskuswurf nach Rio

Diskuswerfer Robert Harting unterhält die Öffentlichkeit gern, mit Worten und mit Taten. Und wer den sechsten Versuch des Berliners im Finale der Deutschen Meisterschaften in Kassel live im Stadion oder zuhause am Fernseher erlebte, wird ihn so schnell nicht vergessen. Solche Momente prägen sich ins Gedächtnis ein, solche Momente kann nicht jeder herbeizaubern, zudem in der Leichtathletik.

Vor einigen Tagen hatte ich in Berlin eine Pressekonferenz zum ISTAF 2016 besucht und danach für meine Homepage einen Artikel über Robert Harting geschrieben: „ Die Leidenschaft des Wettkämpfers ist wieder da“.

Darin hatte ich ihm auch geraten, nicht mehr so viele Interviews zu geben, um sich mehr auf den Sport konzentrieren zu können. Dabei sind mir Athleten viel lieber, die viel sagen und vor allem, die  gern Interviews geben.  Inwieweit er sich seitdem daran gehalten hat, weiß ich nicht. Und sicherlich werden nun nach dem Paukenschlag in Kassel die Anfragen wieder mehr werden.

Doch, was war eigentlich in Kassel geschehen, und wie habe ich es verfolgt?

Fest vorgenommen hatte ich mir, in Kassel selbst dabei zu sein. Das Hotelzimmer im nahen Baunatal war gebucht, die Eintritts- und Parkkarten hatte ich ebenfalls. Doch dann ereilte mich eine Sommergrippe und schweren Herzens mußte ich absagen. Doch der Gesamtverbund von ARD, leichtathletik.de  und Ergebnisdienst war ein wenn auch nicht so emotionaler Ersatz.

Sonntag, 19. Juni 2016, 14:30 Uhr:  Die 14 Diskuswerfer werden vorgestellt. Es sind recht viele, aber das ist eben ohne Qualifikation so. Im ersten Durchgang wirft Robert Harting  63,53 m und setzt sich damit an die Spitze. Die anderen schwächeln, und ich starre immer auf den Ergebnisdienst, ob er diesen Platz hält (ich bin ein wenig parteiisch, das darf ich).  Es dauert bis zum dritten Durchgang, ehe Daniel  Jasinski mit 65,18 m die Spitze übernimmt. Dessen Vater Miroslaw kenne ich seit vielen Jahrzehnten, immer als Trainer. Nun ist sein Sohn soweit, um aufs Treppchen zu kommen.

Jasinski im Wurf

Jasinski Tafel 65

Doch alles ist nur Vorgeplänkel. Schade, daß nun die ARD Pause macht und die Meisterschaft der Vielseitigkeitsreiter überträgt. Doch ich habe ja meine Liveergebnisse. Und darauf starre ich wie gebahnt, sehe, daß Robert Harting im fünften Versuch mit 65,60 m wieder die Spitzenposition erringt.

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Dann aber setzt die ARD wieder ein, faßt das bisherige Geschehen im Diskusring nochmals zusammen. Der sechste Durchgang übertrifft dann alles an Dramatik.  Zunächst schleudert Bruder Christoph Harting die 2-kg-Scheibe auf  66,41 m.

Christoph Tafel

Das scheint der Sieg zu sein. Und ich denke mit Schrecken an meine Kollegen in Kassel. Ein Sieger, der nicht spricht. Ein Albtraum für Journalisten. Aber Christoph hatte es immer wieder gesagt: „ Ich gebe im Sommer keine Interviews.“ Und nach der aktuellen dpa-Meldung hat er das wohl nun auf das ganze Jahr ausgedehnt.  Warum? Ich weiß es nicht. Ich kann mich an ein eigenes Gespräch vor einigen Jahren erinnern, bei der Vorstellung des Berlin-Teams in der Berliner Spielbank am Potsdamer Platz. Da sprach er mit mir, und ich bekam es auch hin, ihn zu lockern. Nun aber verschließt er sich, warum auch immer. Man darf gar nicht vorausschauen:  Was würde sein, wenn Christoph Harting in Rio Gold holt und stumm wie ein Fisch bleibt? Aber das ist bisher nur ein Albtraum.

Zurück zur Realität nach Kassel. Der letzte Wurf des Robert Harting wird im Fernsehen zelebriert. Und dann ist es wie früher.  Der 2,01- m-Hüne geht in den Ring, läßt die Scheibe fliegen und schreit, schreit, als könne er sie damit noch weiter treiben. Aber da weiß er schon, daß es weit gehen wird. „ Ich habe gespürt, daß günstiger Wind aufkam, wollte deshalb auch so schnell wie möglich in den Ring“. Und der Wind hilft auch ein wenig, um diese Zahl auf die Videowand zu werfen:  68,04 m.

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Robert Harting geht auf die Knie, schlägt die Fäuste auf den Rasen und kann es  selbst zunächst nicht fassen.

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Damit ist der Meistertitel gesichert, und, noch viel wichtiger, das Flugticket nach Rio.

Die Leidenszeit nach dem Kreuzbandriß 2014 hat endlich ein Ende. Und nun sprudelt es aus ihm heraus, verzückt er die fragenden Journalisten mit seiner Wortgewalt, mit seinen oft so klugen Worten, die so gar nicht dem normalen Äußerungen anderer Sportler ähneln.

Für leichtathletik.de  gibt er dem Ex-Stabhochspringer Michael Stolle ein langes Videointerview, nachzulesen und zu hören bei „Leichtathletik.TV“.

Heute am Montag surfe ich durchs Netz und sehe, daß sich vieles um Robert Harting dreht. So hat  Saskia Aleythe am 20. Juni für die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel: „ Der neue Harting kämpft gegen sein altes Ich“ einen lesenswerten Artikel geschrieben.

Und ein Ex-Diskuswerfer, Alwin Wagner, der von 1981 bis 1985 deutscher Meister im Diskuswerfen war und 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles einen sechsten Platz belegte,  möchte seine Begeisterung über den live in Kassel erlebten Wettkampf auch mit anderen teilen und stellt einige Fotos ins Netz, die ich in dieser Geschichte bringen darf.

Robert Harting aber „grüßt“ aus der Eiskammer, und bereitet sich auf die nächsten Wettkämpfe in Schweden und in Zeulenroda vor. Danach aber wird eisern trainiert. In Rio will er wieder ganz vorn mitmischen. Ist er wieder so emotional wie in Kassel an diesem Sonntag, dann ist ihm alles zuzutrauen.

Peter Grau

(Fotos:  Alwin Wagner)

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