Das war es an diesem Dienstag: Das erste aufregende Match bei der Darts-WM im „Ally Pally“ im Norden Londons. Zwei Holländer boten feinste Darts-Kunst. Am Ende dominierte der fünfmalige Weltmeister Raymond van Barneveld (Barney) knapp gegen den Turnierfavoriten Michael van Gerwen (Mighty Mike). Vor zwei Tagen wurde Barney Großvater und nun ist er im Viertelfinale.
Archiv für den Monat: Dezember 2015
Laufimpuls durch Laufzeitung
Gestern habe ich mir in meiner Kaufhalle eine Laufzeitung gekauft. Ich erwähne das, weil solche Zeitungen dort nicht oft aufzufinden sind. Abo oder Bahnhof, so dachte ich, sind die Möglichkeiten, eine Laufzeitschrift zu erwerben. In der folgenden Nacht um 5 Uhr, als ich nicht schlafen konnte, habe ich sie zunächst durchgeblättert.
Und bald stieß ich auf die Tips für Junggebliebene. Krafttraining, Übungen für die Beweglichkeit wurden da angeraten, und ich fühlte mich direkt angesprochen. Ab 5. Januar werde ich mich erstmals an Geräte wagen. Mal sehen, was es bringt. Und dabei gibt es in der jeweiligen Trainingsstunde auch Dehnübungen und Ergometer-Minuten.
Ein Nebeneffekt für mich: Ich werde mich sportlicher fühlen und mich eher wieder auf die Laufstrecke begeben.
Das Ergebnis der nächtlichen halben Lesestunde: Ich gab mir das Versprechen, heute am Dienstag eine halbe Stunde zu laufen, wohl wissend, daß auch Gehpausen darunter sein würden. Und ich hielt mein Versprechen!
Sprintknaller beim ISTAF Indoor 2016
Das ISTAF INDOOR zündet zum Jahresende die Raketen:
Berlins schnellstes 60-Meter-Rennen aller Zeiten geplant
Berlin – Das ISTAF INDOOR hält zum Jahresende noch einen echten Kracher
parat: Bei der dritten Auflage des weltweit zuschauerstärksten Indoor-Meetings der Leichtathletik ist am 13. Februar 2016 in der Mercedes-Benz Arena Berlins schnellstes 60-Meter-Rennen aller Zeiten geplant. Fünf Wochen
vor den Hallen-Weltmeisterschaften in Portland (USA) und ein knappes halbes Jahr vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro wollen auch die Weltklasse-Sprinter wissen, wo sie stehen.
Mit Marvin Bracy (USA), Henricho Bruintjies (Südafrika), Kim Collins (St. Kitts and Nevis) und Europameister James Dasaolu (Großbritannien) sind gleich vier Sprinter am Start, die 100 Meter unter 10 Sekunden laufen. Sean McLean (USA) bleibt in 10,01 Sekunden nur einen Augenaufschlag darüber. Dazu kommen mit Lucas
Jakubczyk (10,07), Christian Blum (10,20) und dem deutschen Rekordhalter Julian Reus (10,05) die schnellsten Deutschen auf den Sprintstrecken. Für Kim Collins wird es beim dritten ISTAF INDOOR der bereits dritte Start sein. Der 100-Meter-Weltmeister von 2003 hatte im Vorjahr seinen eigenen Meetingrekord von 6,52 auf 6,50 Sekunden verbessert und sich als schnellster Mann des Jahres
auf den ersten vier Plätzen der Weltjahresbestenliste platziert. Auf seinen Start in Berlin freut sich Kim Collins schon riesig: „Dieses Meeting ist anders, es ist wie ein Konzert oder eine Disco mit 12.000 Zuschauern. Ich liebe das ISTAF INDOOR.“
Erstmals ist der Brite James Dasaolu, amtierender Europameister über 100 Meter, beim ISTAF INDOOR dabei. Seine 100-Meter-Bestzeit steht bei 9,91 Sekunden, die über 60 Meter bei 6,47 Sekunden. Damit ist er gemeinsam mit Kim Collins schnellster Mann im Feld. Der Amerikaner Marvin Bracy ist amtierender Vizeweltmeister in der Halle, hat 6,48 Sekunden als persönliche Bestzeit stehen und
ist die 100 Meter erst im Sommer in 9,93 Sekunden gelaufen. Für den Südafrikaner Henricho Bruintjies, der schon nach 9,97 Sekunden über 100 Meter ins Ziel gekommen ist, wird 2016 die erste Hallensaison seiner Karriere sein.
Dass die Deutschen nicht nur hinterherlaufen wollen, haben Christian Blum und Julian Reus bei den Hallen-Europameisterschaften in Prag bewiesen, als sie Silber
und Bronze gewannen und nur dem Briten Richard Kilty den Vortritt lassen mussten. Auch der Berliner Lokalmatador Lucas Jakubczyk machte schon international auf sich aufmerksam. Er belegte bei den Freiluft-Europameisterschaften 2014 in Zürich einen glänzenden fünften Platz.
Neben dem Stabhochsprung der Männer mit Weltrekordler Renaud Lavillenie und Vizeweltmeister Raphael Holzdeppe sowie dem Diskuswurf mit dem Comeback von Olympiasieger Robert Harting ist das 60-Meter-Rennen der dritte Wettbewerb mit absoluten Weltklasse-Athleten beim ISTAF INDOOR.
Meetingdirektor Martin Seeber: „Ich freue mich sehr, dass wir ein so hochkarätiges Feld zusammen bekommen haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass es so viele so schnelle Männer jemals bei einem Berliner Hallen-Meeting in einem Rennen gegeben hat. Für unser Publikum ist das 60-Meter-Rennen ganz sicher auch eines
der Highlights.“
Insgesamt gehen in den sieben Disziplinen 60 Meter (Frauen und Männer), 60 Meter Hürden (Frauen und Männer), Stabhochsprung (Männer), Weitsprung (Frauen) und Diskuswurf (Männer) etwa 60 Athletinnen und Athleten aus aller Welt an den Start.
Zum Jahreswechsel sind bereits über 7.000 Tickets für das dritte ISTAF INDOOR am 13. Februar 2016 verkauft. Noch sind Eintrittskarten in allen Preiskategorien verfügbar. Tickets gibt es ab 15,00 Euro unter www.istaf.de, der Tickethotline
01806/300 333 *(0,20 Euro/Anruf inkl. MwSt. aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 Euro/Anruf inkl. MwSt. aus dem dt. Mobilfunknetz) oder an allen CTS-Vorverkaufsstellen.
Dreier-Marathon im Berliner Plänterwald
Es war wohl eine Weltneuheit im Laufgeschehen, dieser Team-Marathon im Berliner Plänterwald. Und die Regeln waren ganz einfach: Drei Marathonläufer starteten gemeinsam, blieben die ganze Distanz zusammen und wurden nur gewertet, wenn sie gemeinsam die Ziellinie überquerten. 1979 begann das Ganze, Gerd Steinberg von der BSG Empor Brandenburger Tor (EBT) war der Begründer. Bis 1984 führte er Regie, ehe Roland Winkler Gesamtleiter wurde und gemeinsam mit seiner Frau Ingelore und vielen, vielen Helfern den Lauf jeweils perfekt organisierte.
Die Lauftruppe von EBT Berlin. Unter ihnen die beiden Chef-Organisatoren des Team-Marathons, Gerd Steinberg (oben 2. von rechts) und Roland Winkler (unten, ganz rechts)
Roland Winkler schrieb immer auf die Einladung: „Der Lauf findet bei jedem Wetter statt“. Und er fand immer statt, bei Schnee, bei Eis, bei Schlamm und nur wenige Male bei normalen äußeren Bedingungen. Und immer auf der gleichen Strecke im Plänterwald, einem 5-km-Rundkurs auf Asphalt und Naturboden, quer durch den Park und am Ufer der Spree entlang, und immer rund um den Kulturpark.
Ich war 1981 erstmals dabei, lief meinen zweiten Marathon überhaupt und das mit meinen Lauffreunden von EBT, Lehmitz, Wanders und Fritsch. 3:45,35 Minuten brauchten wir gemeinsam, doch die Zeit war bei diesem Team-Marathon nie das wichtige Ziel. Vielmehr war es immer der Aufgalopp zum Jahr, und weil das Wetter oft schlecht war und man sich ja auch nach dem langsamsten Läufer im Team richten mußte, waren die Teams oft eine halbe Stunde langsamer als normal.
Aber gerade wegen des langsameren Tempos war dieser Marathon auch oft kurzweilig, so paradox das klingt. Man hatte Zeit und genug Puste, um sich auch während des Laufes zu unterhalten. Und manchmal dachte man gemeinsam an den Höhepunkt des Tages: Die Abschlußveranstaltung in der nahen Schule, die gleichzeitig Organisationspunkt, Umkleidekabine und Tanzdiele war. Und getanzt wurde in der Regel bis in die Nacht hinein.
Leider gibt es diesen Lauf heutzutage nicht mehr. 31 Mal wurde er ausgetragen, bis im Jahre 2009 letztmalig die Dreierteams auf die Rundreise durch den Plänterwald gingen.
Meine 7 Ergebnisse:
1981: 3:45:35
1982: 3:46:03
1984: 3:17:30
1985: 3:30:22
1986: 3:23:13
1988: 4:09:00
1989: 3:33:24
Ostwesttrio 1988: Jürgen Roscher (Westberlin), Peter Grau und Horst Prill (beide Ostberlin, v. links); an vierter Stelle: Stefan Senkel
1984: Urkunde von meinem schnellsten Team-Marathon
Damals bei der Bank
Wir stammten beide aus Thüringen, waren vom gleichen Jahrgang. Er, Edgar Most, begann 1954 als Lehrling bei der Deutschen Notenbank, ich studierte zunächst Wirtschaftswissenschaft und arbeitete dann ab 1966 als Hauptreferent bei der Deutschen Investitionsbank in Ostberlin. Dort standen für mich auch zahlreiche Dienstreisen in die Bezirke auf dem Programm. Eine solche führte mich nach Schwedt /Oder, wo ich Edgar Most erstmals persönlich kennenlernte. Er war dort seit 1962 tätig und ab 1967 der Leiter. „ Ich war der einzige Filialleiter in Europa, der in Filzstiefeln und Wattejacke arbeitete“, erinnerte er sich später, denn zu Beginn war seine Bank eine unbeheizte Holzbaracke inmitten einer riesigen Baustelle (siehe „Die Zeit 13/1990, S. 30). Neben seiner Arbeit hatte er an der Berliner Humboldt-Uni studiert und den Titel eines Diplom-Ökonomen erworben. Wie auch ich.
Ich hatte schon damals einen positiven Eindruck von ihm, konnte aber nicht ahnen, daß wir uns bald in Berlin wiedersehen würden. Er als Sektorenleiter in der Zentrale der Staatbank und ich als Hauptreferent.
Auch dort kamen wir gut miteinander aus. Edgar Most war immer ein umgänglicher Typ, der auch Probleme klar ansprach.
Und obwohl er stets kritisch war und kein Leisetreter, schaffte er dann sogar den reibungslosen Übergang vom sozialistischen in das kapitalistische Bankensystem. Noch in den turbulenten Wendetagen, im Februar 1990, berief man ihn zum Vizepräsidenten der Staatsbank, und wenig später gründete er die Deutsche Kreditbank AG. Später wurde er Direktor der Deutschen Bank (bis 2004).
„ Obwohl er den Umtauschkurs bei der Einführung der D-Mark für tödlich für die Ost-Wirtschaft hielt und die Arbeit der Treuhandanstalt stark kritisierte, half er als Direktor der Deutschen Bank mit, einige große Betriebe wie etwa das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt zu erhalten. Und er äußerte immer die Meinung, daß die Wirtschaftspolitik der DDR unter Erich Honecker die DDR in den Ruin führte (aus Märkische Oderzeitung- Ruppiner Anzeiger, 22.12.2015, S.19).
Ich war seit 1973 nicht mehr im Bankwesen tätig, landete später endgültig im Sportjournalismus. Von Edgar Most hörte ich seitdem wenig. Nur in Talkshows oder aber in Büchern traf ich auf ihn, ohne ihn zu sprechen. Das hätte ich vor einigen Monaten fast gekonnt, als er im nahen Kyritz zu einem Vortrag kam. Doch ich war verhindert, und habe das im Nachhinein bedauert. Um so mehr, als ich nun las, daß Edgar Most im Dezember im Alter von 75 Jahren in Berlin gestorben ist. So wird es nichts mehr mit einem Wiedersehen. Erst im Himmel können wir wieder miteinander plaudern.
Zweisamkeit am Heiligabend
Zu zweit haben wir im Fernsehen das festliche Weihnachtskonzert mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck aus der Pfarrkirche St. Stephan in Mainz verfolgt. In dieser Kirche, in der die Fenster von Marc Chagall gestaltet sind, las Gauck die Weihnachtsgeschichte und seine Lebenspartnerin Daniela Schadt, eine ehemalige Journalistin, sprach sehr anrührend über die Mitmenschlichkeit in diesen Tagen, die über Konfessionen hinweg zueinander finden läßt. Und als Beispiel nannte sie eine kleine Begebenheit: Als Kinder gefragt wurden, wie sie mit den ausländischen Kindern klarkommen, meinten sie nur: Wir haben nur Kinder!
Die Kinder fehlen uns heute ein wenig am Heiligabend. Aber so ist es, wenn sie entweder in Köln und in Mexiko leben, oder schon im Himmel weilen. Und unsere Eltern sind allesamt schon dort oben, haben ihre Ruhe und den Frieden gefunden.
Wir aber sind glücklich, daß wir uns haben und zu zweit diesen Heiligabend verbringen dürfen.
Dieter Baumann: „Ich bin ein Kleinkünstler“
In der Rubrik „Treffs mit Leichtathleten“ sollen nicht nur eigene Interviews veröffentlicht werden. Die Vielfalt wird dadurch erhöht, daß auch andere Autoren zu Wort kommen. Und so ist es mir eine Freude, meinem Journalistenkollegen Berthold Mertes auf meiner Website eine Bühne zu bieten. Im Februar 2015 hat er als Chefreporter des „Bonner Generalanzeigers“ mit Dieter Baumann ein Interview geführt, das auch heute noch lesenswert ist.
Dieter Baumann im Gespräch. Foto: Holger Teusch
TÜBINGEN/BONN. Dieter Baumann war ein begnadeter Läufer. Heutzutage tritt er 50 bis 60 Mal pro Jahr als Kabarettist auf.
Dieter Baumann ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wenige Tage, bevor er am 9. Februar 50 Jahre alt wird, laufen wir in Tübingen am Neckar entlang. Vorbei am Hölderlinturm, wo der berühmteste Dichter der Stadt 36 Jahre lebte. In dieser Umgebung fühlt sich der Olympiasieger von 1992 wohl.
Auch im 23. Jahr nach seinem Triumph von Barcelona ist Baumann in Deutschland als Läufer unerreicht. Aufgrund seiner positiven Dopingtests und der folgenden Manipulationsthese ist der Schwabe als Zahnpasta-Mann in die Sportgeschichte eingegangen. Als Kabarettist verarbeitet er seit 2009 auch seine eigene Vergangenheit. Mit dem „Kleinstkünstler“, wie er sich selbst bezeichnet, lief und sprach Berthold Mertes.
Herr Baumann, Sie wirken sehr fröhlich. Sind Sie im Reinen mit sich?
Dieter Baumann: Ich schäme mich nicht dafür: Ja, ich fühle mich sehr wohl.
Sie sind 1992 in Barcelona Olympiasieger über 5000 m geworden und halten immer noch die deutschen Rekorde von 3000 bis 10000 Meter. Welche Bedeutung hat das Laufen heutzutage für Sie?
Baumann: Mich treiben ganz unterschiedliche Dinge an. Aber alle haben mit Laufen zu tun.
Wie wichtig ist Ihnen die eigene Bewegung?
Baumann: Das habe ich letztes Jahr erkannt. Ich war zum ersten Mal in der Zeitrechnung als Freizeitläufer ernsthaft verletzt – nach 15 Jahren. Die Achillessehne war es, die auch in meiner Karriere immer wieder beleidigt war. Ich war also gehandicapt, und dabei habe ich festgestellt, wie wichtig das Laufen ist. Man stellt es ja erst fest, wenn es nicht mehr da ist.
Wie oft laufen Sie, und wie weit?
Baumann: Ich laufe täglich, jeweils zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Ich mache keine langen Läufe, also kein spezifisches Marathon-Training. Wenn ich gelegentlich an einem Marathon teilnehme, dann mache ich das aus diesem Training heraus. Das muss reichen – ich laufe dann halt langsamer.
Aber beim Walking sind Sie mit Ihren 50 Jahren noch nicht, oder?
Baumann: Letztes Jahr bin ich tatsächlich auch gewalkt. (lacht) Mit Stöcken. Ja, ich gebe es zu. Aber es war toll. Dabei habe ich den Entschluss gefasst: Wenn ich nicht mehr laufen kann, dann werde ich walken.
Der Leistungsgedanke ist dem Mann, der einst 5000 Meter schneller als 13 Minuten lief, inzwischen also völlig fremd?
Baumann: Es geht mir nicht mehr um Geschwindigkeit, sondern es geht mir um diese eine Stunde, in der ich draußen bin, im Wald. Ein bisschen bin ich auf den Spuren der Tübinger Dichter Hölderlin und Uhland unterwegs – die legten auch Wert auf Bewegung. Sie wanderten, um kreative Kräfte zu sammeln.
Was macht die Stunde mit dem Menschen?
Baumann: Sie gibt Zufriedenheit. Ich merke das bei mir: ich hole mir da mein Wohlfühlen ab, meinen Treibstoff, der mich durch den Tag trägt. Da kann kommen was will.
Wird die Welt beim Laufen rosarot?
Baumann: Nein, vor allem nicht die heutige. Die ist eine fürchterliche Welt. Aber es hilft mir, sie zu ertragen, vor allem in dem eigenen Mikrokosmos.
Zu Ihnen: Sie sind jetzt schon seit fünf Jahren erfolgreicher Kabarettist, nehmen sich selbst als Zahnpasta-Man auf die Schippe. War Ihr erstes Bühnenstück „Körner, Currywurst, Kenia“ eine Selbsttherapie, um über die Schattenseiten der Karriere nach den positiven Dopingproben lachen zu können?
Baumann: Humor kann natürlich helfen, darüber hinwegzukommen. Aber „Körner, Currywurst, Kenia“ ist in erster Linie eine Liebeserklärung an Kenia. Die Erfahrungen in Afrika haben mich geprägt. Ich durfte zehn Jahre lang dort mit den Jungs trainieren, mich jedes Jahr ein, zwei Monate dort anschließen. Das war für mich ein Geschenk, ich habe so viel mitgenommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich noch einmal etwas Ähnliches erleben darf in meinem Leben.
Was hat Sie so sehr beeindruckt?
Baumann: Die Menschen. Wenn bei uns eine Ampelanlage nicht funktioniert, kann man den Eindruck gewinnen, mit Deutschland ist es vorbei. Wir haben in den europäischen Ländern die Relationen verloren. Was mich das Erlebte gelehrt hat: Die Welt ist eine Suppe, auf der ein Fettauge schwimmt, und das sind wir. Wir haben einfach nur Glück, dass sich eine Eizelle und ein Spermium getroffen haben und wir zufällig in Europa und hoch zivilisiert geboren wurden. Den Menschen in Afrika geht es viel schlechter, aber sie sind wahnsinnig ausgeglichen. Sie schaffen sich in dieser einfachen Welt ein Lebensgefühl, das wir nicht erreichen. Wir sind mit allen möglichen Dingen unzufrieden. Auch 15 Jahre später erinnere ich mich zurück und denke: Hey, es gibt Menschen, die leben ganz anders, und sie beklagen sich nie.
Empfinden Sie es als Ehre, dass Sie als der weiße Kenianer in die Geschichte eingegangen sind?
Baumann: Das war nur auf den Laufsport bezogen. Ich selbst fange damit sehr wenig an. Es war eine Erfindung des Journalisten Robert Hartmann. Ein toller Begriff, aber eine Mediengeschichte.
Sie haben als Sportler geglänzt, haben Erfolg als Motivator, und finden seit einiger Zeit auch Anerkennung als Comedian – was ist Ihre liebste Rolle?
Baumann: Ich genieße einfach die Jetztzeit. Ich merke: Toll, auf der Bühne kann ich auch ein Anderer sein. Es gibt kein Scheitern. Nicht so ein: „Ach was macht der denn da?“ Ich entdecke jetzt erst, nach fünf Jahren, diese Freiheit auf der Bühne. Habe eigentlich keine Ahnung, was ich da mache. Ich bin nur ein Kleinstkünstler, aber es macht mir Spaß. Dieses Interview ist eine Momentaufnahme, und im Moment ist klar: die Rolle auf der Bühne ist schön.
Sie könnten es sich leichter machen und sich auf gut bezahlte Experten-Jobs konzentrieren. Warum reicht Ihnen das nicht
Baumann: Ich komme ja aus der Ecke Vortrag und Motivation. Was mich da manchmal und immer mehr stört: Ein Unternehmen beispielsweise engagiert mich und erwartet von mir, dass ich Mitarbeiter motiviere. Die werden aber gar nicht gefragt, sondern der Chef bildet sich ein: Ich muss mal meine Mitarbeiter motivieren. Also, lieber Baumann, mach mal den „Chaka“. Mindestens 50 Prozent der Leute im Saal wollen den Baumann aber gar nicht sehen. Die Stimmungslage ist eine andere, meine Rolle eine andere, und sie ist unendlich schwerer. Alle erwarten eine Botschaft. Die Bühne dagegen ist was anderes: zur Bühne kommen nur die Leute, die sagen, ich will den Baumann sehen. Ich interessiere mich dafür, was treibt der jetzt? Das spüre ich – also die gespannte Grundhaltung im Saal. Die bezahlen sogar Eintritt.
Und bekommen dafür welche Botschaft?
Baumann: Es gibt nur die eine: Hey Leute, geht raus, habt Spaß. Alles andere ist egal. Das ist die Rolle, die mir liegt.
Lassen Sie uns über ihre Stücke reden. Sie interpretieren Brot und Spiele nach der Erzählung von Siegfried Lenz, die in einer ganz anderen Zeit spielt. Der Protagonist Bert Buchner ist ein Mann, der vor der Vergangenheit flieht – ihm wird zugejubelt, solange er siegt, und keinen Moment länger. Ist Laufen heutzutage so populär, weil es die Chance bietet, vor etwas wegzulaufen?
Baumann: Nein. Überhaupt nicht. Ich glaube sogar eher: Er läuft zu sich. Ich glaube, dass sehr viele Menschen beim Sport, besonders beim Laufen, eine innere Ruhe finden. Sie finden zu sich, und sie finden Abstand. Grenzen sich dadurch auch einmal für eine halbe Stunde ab. Von dem, was im Alltag passiert.
Biografische Bezüge zu Ihrer Läuferkarriere sind in Ihrer Aufführung nicht zu leugnen, oder?
Baumann: Schon zu Jugendzeiten hat mir ein Läuferkollege dieses Büchlein geschenkt. Als ich dann mit der Kleinkunst angefangen habe, dachte ich, ich kann das auch so umschreiben, dass es für die Bühne passt. Unter dem Aspekt probieren, auch scheitern können, denn ich habe ja fünf unterschiedliche Rollen in dem Stück übernommen. Das war eine Auseinandersetzung mit mir, mit meiner Karriere, meiner Vergangenheit, und das hat mir sehr gut getan. Teilweise schwang dann auch meine Biografie mit.
Wie kommt es beim Publikum an?
Baumann: Der Zuschauer weiß nicht immer genau: Ist er noch bei Buchner oder bei Baumann. In einigen Momenten überlappen sich die Szenen mit meiner Karriere. Das kann ich nicht verhindern, das ist das Spannende.
Sind Sie ein anderer Mensch auf der Bühne?
Baumann: Ich bin dort der Bühnen-Baumann. Ab und zu kommt einer der mich kennt und sagt: Mensch, du bist da aber ganz schön arrogant. Dem sage ich: Dann habe ich alles richtig gemacht. Ich kann auf der Bühne plötzlich Dinge überziehen, die ich im richtigen Leben gar nicht machen würde.
Früher bei Trainingslagern waren Sie bekanntermaßen der Spaßvogel der Gruppe. Das Showtalent liegt also in Ihrer Natur, oder?
Baumann: Zweifellos.
Wie würden Sie das bezeichnen, was Sie auf der Bühne machen?
Baumann: Es gibt keine Begrifflichkeit für mein Genre, ich will auch keine.
Ihr jüngstes Stück heißt „Dieter Baumann, die Götter und Olympia“. Wie oft haben Sie das schon gespielt?
Baumann: 50-60 Mal im ersten Jahr. Was nicht viel ist. In der Kleinkunst-Szene werde ich damit belächelt. Damit bin ich noch nicht einmal Halbprofi.
Darin werden auch Missstände mit Blick auf die kommenden Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro kritisiert …
Baumann: Absolut. Bei Brot und Spiele habe ich gemerkt, dass ich ernsthaftes Theater mache. Das hat mit Comedy nichts zu tun. Es ist eine gespielte Lesung. Es gibt nur einen Witz, den ich ganz am Anfang einbaue. Aber mir war klar, ich muss wieder eine Mischung machen aus Ernsthaftigkeit und Lachen.
Ist das schwergefallen?
Baumann: Ach was. Die aktuelle Sportpolitik ist doch eine Steilvorlage. Was die Jungs mir anbieten, baue ich in mein Stück ein. Derzeit schleife ich einen neuen Sketch zu Russland – Thema Doping und Korruption.
Verraten Sie schon etwas?
Baumann: Ist doch ganz einfach: Die Realität ist schon Kabarett. Man braucht sie nur zu erzählen. Wie die ARD-Dokumentation belegt hat, ist die Frage doch: Kaufe ich mir eine positive Dopingprobe oder nicht? Wenn ein Schutzgeld zurückgezahlt wird, weil die Vertuschung nicht geklappt hat, dann ist das besser als bei der Mafia. Das ist FairPlay im Sport.
Das war jetzt die Ironie aus Ihrem Stück, oder?
Baumann: Genau. Und dann schmeißt man ein bisschen mit Geld um sich. Geld rumschmeißen ist sowieso gut, weil Doha kriegt zurzeit ja alles bis hin zur Fußball-WM. Die Sachen sind in Wirklichkeit natürlich leider nicht lustig, auch wenn ich sie lustig erzähle.
Am Ende ist der Zuschauer also eher nachdenklich als erheitert?
Baumann: Nebenbei erzähle ich launische Geschichten aus dem olympischen Dorf. Das ist spannend, weil das Leben dort ja keiner kennt, nur die Sportler. Und da bin ich dann bei der Verarbeitung des nächsten Teils meiner Karriere.
Auf deren Höhepunkt Sie als Autor des Buches „Ich laufe keinem hinterher“ ihre kreative Seite schon zeigten. 1995 schrieben Sie darin: „Baumann gedopt. Welch eine Schlagzeile. Welch eine Auflage. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde die halbe Welt nur darauf warten.“
Wie oft haben Sie die Buchpassage in der schweren Zeit nach Ihren positiven Dopingproben aufgeschlagen?
Baumann: Kein einziges Mal, aber ich weiß noch, dass ich es aufgeschrieben habe.
Wie konnten Sie das so genau beschreiben, was sich vier Jahre später zugetragen hat?
Baumann: Ich gebe eine kleine aktuelle Anleitung. Es gibt jetzt einen Olympiasieger und Weltmeister, der ja auch schon seine Angst vor einem Anschlag geäußert hat: Unser Diskuswerfer Robert Harting. Wer in der Sportszene drin ist, setzt sich mit der Thematik auseinander. Man hat dann ein gewisses Feeling für das, was möglich ist. Warum kommt Robert Harting auf die Idee? Das ist nicht aus der Luft gegriffen.
Schmerzt es heute noch, dass Ihr Name häufiger in Zusammenhang mit der Zahnpasta genannt wird als mit dem Olympiasieg 1992?
Baumann: Das empfinde ich nicht so und ich glaube auch nicht, dass es stimmt. Offen und ehrlich: das interessiert mich alles gar nicht.
In einigen Online-Rangfolgen von Doping-Ausreden kursiert ihre Erklärung mit der manipulierten Zahnpasta aber auch 15 Jahre später noch weit oben …
Baumann: Selbstverständlich nehme ich das wahr, ich bin ja nicht weltfremd. Ich kann aber nur den Kopf über Listen der so genannten dummen Ausreden schütteln, die keinerlei Tatsachen aufzählen. Es geht um Dinge, die passiert sind. Und nicht um die Frage, ob man mir glaubt oder nicht.
Gehen die Medien nach wie vor zu undifferenziert mit dem Doping-Thema um?
Baumann: Vieles hat sich zum Positiven verändert. Die Berichterstattung zum Fall der Skilangläuferin Sachenbacher-Stehle ist der Beweis dafür, dass sich bei den Medien der Blick geändert hat.
Nochmals: Sie müssen aber doch schwer unter Ihrem Doping-Schuldspruch gelitten haben?
Baumann: Dass es eine verrückte und wahnsinnige und auch sehr schmerzhafte Zeit war, ist ja völlig klar. Das muss man nicht erklären.
Wann war die durchgestanden?
Baumann: Nach vier bis fünf Jahren, wobei ich sehr schnell meine Energie in die Zukunft gesteckt habe.
Sie haben das Thema irgendwann abgehakt. Claudia Pechstein hat jahrelang um ihre Rehabilitierung gekämpft.
Baumann: Ich ziehe den Hut davor, was Claudia Pechstein macht. Die Sportszene wird irgendwann dafür dankbar sein. Sie kämpft mit einer unglaublichen Energie, allerdings ist diese Energie rückwärtsgewandt. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte das auch so getan, dann fände ich das schade für mein Leben. Ich finde, das Leben hat andere Facetten verdient. Jeder soll sein Glück suchen, insofern habe ich damals sehr schnell erkannt, ich muss aus diesem ganzen Prozess raus. Ich wusste für mich: ich muss die Zukunft gestalten.
Mit 37 Jahren die Karriere beendet zu haben, halten Sie auch im Rückblick für die richtige Entscheidung?
Baumann: Es war sogar ein Jahr zu spät. Ich hätte schon 2002 nach der EM-Silbermedaille von München aufhören müssen. Im Winter danach war ich verletzt, und dann kommst du als 38-jähriger da nicht mehr hin. Wenn du zweimal drei Monate raus bist, dann ist es vorbei.
Sie engagierten sich während Ihrer aktiven Zeit vehement gegen Leistungsmanipulation, manche sahen Sie als möglichen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes oder an der Spitze der Dopingbekämpfung. Wären Sie ohne die positiven Dopingtests Funktionär geworden?
Baumann: Ich habe doch einen tollen Funktionärs-Job – den auf der Bühne! Ich glaube, da kann ich sogar viel mehr gestalten, als ich das in einer Institution könnte.
Aber Sie hatten doch bestimmt mal den Gedanken: Was wäre wenn?
Baumann: Das halte ich für die falsche Lebensstrategie. Das Leben verläuft auf unterschiedlichen Pfaden. Es kommt eine Wegkreuzung, du entscheidest: links oder rechts. Ich gehe nicht zurück, um zu überlegen, wäre der andere Weg besser gewesen. Das finde ich zu mühsam. Ich bin gespannt auf die nächste Weggabelung, die kommt. Aber selbstverständlich gönne ich mir manchmal einen Blick zurück.
Und was kommt dabei heraus?
Baumann: Vor zwei Jahren habe ich tatsächlich einmal die Frage gestellt: Was wäre gewesen? Interessanterweise bin ich zu der Überzeugung gekommen, es wäre nicht viel anders gelaufen. Wahrscheinlich hätte ich die Funktionärslaufbahn eingeschlagen. Und wahrscheinlich wäre ich gescheitert. Ich kann das doch gar nicht. Ich bin kein Meeting-Mensch. Finde es absurd, dass man wegen jedem Zeug eine Sitzung machen oder eine Kommission einberufen muss. Jeder darf dann etwas dazu sagen. Es wird vertagt, und man hat doch keine Entscheidung. Ich liebe es, schnell zu entscheiden. Klar mache ich viele Fehler. Aber Fehler machen gehört für mich dazu.
Welche Fehler werden aktuell in der Dopingbekämpfung begangen?
Baumann: Im Anti-Doping-Kampf habe ich schon als Athlet die Meinung vertreten: Eine Anti-Doping-Instanz innerhalb des Sports kann nicht funktionieren. Sich selbst kontrollieren: Das geht natürlich nicht. Und vor allem: Man glaubt es nicht.
Was wäre die Alternative?
Baumann: Ganz klar die staatliche Kontrolle. Irgendjemand muss den Sport kontrollieren. Es ist nicht einsehbar, dass Monopolisten wie das IOC oder die IAAF höherrangig bewertet werden als Gesetze. Die aktuelle Form der Sportgerichtsbarkeit ist spätestens nach dem Skandal um Russland gescheitert. Wenn klar wird, so wie es die Reportage von Hajo Seppelt in der ARD gezeigt hat, dass man positive Proben kaufen kann und dass diese Korruption bis in höchste Funktionärskreise hochreicht, dann gibt es das wohl kaum nur in Russland. Die These, der Sport müsse seine Schiedsgerichte selbst stellen, ist komplett Kokolores. Das ist ein Scheingefecht, wenn man nicht kontrolliert werden will.
(Auszüge aus einem am 7.2.2015 im „Bonner Generalanzeiger“ erschienenen Interview. Weitere Gespräche mit Sportlern, Trainern und Funktionären aus allen Sportbereichen sind auf der Website der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de nachzulesen.
Weitere Fotos von Holger Teusch zu diesem Interview sind unter www.ga-bonn.de/baumann anzuschauen.)
Katharina Molitor – Zweite der Sportlerwahl 2015
Katharina Molitor ist eine sehr freundliche, kommunikative Frau, die weiß, wovon sie spricht. Aber in den vergangenen Jahren durfte sie nie soviel über sich reden, stand meistens im Schatten solcher Speerwurfgrößen wie Christina Obergföll, Linda Stahl und Steffi Nerius. Das ist nun seit dem WM-Sonntag im August 2015 ganz anders. So spannend war es selten. Katharina Molitor hielt bis zum fünften Durchgang Bronze in der Hand und dann: Der Speer flog und flog, hinaus auf die Goldweite von 67,69 Metern. Gold, Gold, Gold.
Und da sie als Letzte dran war, konnte niemand mehr kontern.
Vor zwei Jahren, im Juni 2013, hatte sie mir im Gespräch am Rande der Halleschen Werfertage angedeutet, dass sie sich noch nicht am Ende ihres Speerwurflateins sehe.
Lesen Sie, was dazu in der „ Leichtathletik“ stand:
Im Schatten der Großen
Speerwerferin Katharina Molitor ist in ihrer Karriere schon 49-mal gegen Christina Obergföll angetreten. Gewonnen hat die Leverkusenerin nur dreimal. Gegen ihre Vereinskameradin Linda Stahl sieht die Bilanz mit 26:33 deutlich freundlicher aus. Trotzdem steht die 29-Jährige klar im Schatten ihrer Trainingspartnerin. Beim Nerius-Cup am heutigen Freitag auf heimischer Anlage will Katharina Molitor (TSV Bayer 04 Leverkusen) endlich mal wieder vor ihrer Trainingspartnerin Linda Stahl landen.
Es wäre das erste Mal in diesem Jahr 2013. Sieht man vom Diamond League-Finale 2012 in Brüssel ab, als die Olympia-Dritte mit 56,77 Metern einen schlechten Tag erwischte, lag Katharina Molitor nämlich letztmals beim Nerius-Cup 2012 vor Linda Stahl.
Bei den Werfertagen in Halle/Saale wäre der 29-Jährigen dieses Kunststück schon fast gelungen. Im sechsten Versuch landete ihr Speer bei 63,55 Metern, und es sah ganz nach einem Erfolg aus, aber Linda Stahl konterte noch mit bemerkenswerten 65,76 Metern.
WM-Norm bereits übertroffen
Katharina Molitor war zwar der Sieg noch entglitten, aber immerhin hat sie die WM-Norm in der Tasche. Und in Moskau will sie dann besser als bei Olympia 2012 abschneiden. Zwar hatte sich das Jahr 2012 mit einem dritten Platz bei der DM mit einer Weite von 63,20 Metern gut angelassen, „doch leider war das auch der weiteste Versuch des Jahres“, blickt sie etwas enttäuscht zurück.
„In London brauchte ich in der Quali drei Versuche, um weiterzukommen, im Finale habe ich im ersten Durchgang 62,89 Meter geworfen, aber weiter ging es nicht mehr, aus welchen Gründen auch immer.“ Es blieb zwar immerhin ein sechster Platz, aber es war mehr drin gewesen. In Zukunft möchte sie nicht weiter wie oft in der Vergangenheit im Schatten der beiden „Großen“, Christina Obergföll und Linda Stahl, stehen. Genug Ehrgeiz hat sie, und locker lassen will sie auch nicht.
Der Sport spielte schon immer eine große Rolle im Leben der gebürtigen Bedburgerin. „Ich habe schon immer viel Sport gemacht, vom Schwimmen, über Tennis bis hin zur Leichtathletik.“ Mit 13 Jahren fing sie auch mit Volleyball an, aber ihre Hauptsportart blieb das Speerwerfen.
Zweite Leidenschaft Volleyball
Allerdings kam diese Vorliebe ein wenig ins Wanken, als sie nach dem Abitur 2004 ein Angebot aus Hamburg aus der 1. Volleyball-Bundesliga bekam. „Aber dann hätte ich die Leichtathletik aufgeben müssen, und das wollte ich nicht. Außerdem hätte ich dann keinen Studienplatz bekommen“, erinnert sie sich. Es galt abzuwägen, denn eine Garantie für eine erfolgreiche Volleyballkarriere konnte ihr niemand geben. Also blieb sie in Leverkusen, warf weiter vorrangig den Speer und spielte außerdem in der Leverkusener Volleyball-Mannschaft, zeitweise in der 1. Liga, nun in der 2. Liga.
So ist es auch heute noch, doch Katharina Molitor lässt keine Zweifel: „Das Speerwerfen geht vor. Wenn wir ins Trainingslager fahren, dann bin ich nicht für die Volleyballer da, und das akzeptieren sie auch.“
Und was meint Speerwurftrainer Helge Zöllkau? „Am Anfang hätte er es sicher lieber gesehen, dass ich mit dem Volleyball aufhöre. Mittlerweile akzeptiert er es. Er weiß, dass Volleyball für mich auch eine Herzensangelegenheit ist und mir Abwechslung bringt.“ Das Argument, ohne Volleyball würde sie weiter werfen, lässt sie nicht gelten: „Das kann ja niemand mit Sicherheit sagen.“
Pläne für die Zeit nach dem Sport
Aber nicht nur der Sport dominiert ihr Leben. Seit 2004 studiert sie auf Lehramt (Sport und Geografie) in Wuppertal. Zeit gelassen hat sie sich damit, weil der Sport Vorrang hat. „Doch bevor ich meine Speerwurfkarriere beende, will ich mit dem Studium fertig sein, damit ich dann direkt ins Referendariat gehen kann“, setzt sie sich ein Ziel. Wenn der Körper mitmacht, will sie noch bis 2016 werfen und in Rio ihre dritten Olympischen Spiele erleben.
(erschienen in der „Leichtathletik“ Nr. 23 vom 5. Juni 2013)
Zweite in der Sportlerwahl 2015
Durch den WM-Erfolg in Peking ist Katharina Molitor zwar bekannter geworden. Doch immer noch nicht so, daß jeder sie kennt. Doch nun sollten sie wieder mehr kennen. Fast wäre sie sogar Sportlerin des Jahres 2015 geworden. Nur vier Punkte lag sie hinter ihrer Wurfkollegin Christina Schwanitz. Aber auch als Zweitplazierte machte Katharina Molitor auf der Bühne des Kurhauses von Baden-Baden eine gute Figur.
Christina Schwanitz: Immer offen im Gespräch
Kugelstoßerin Christina Schwanitz erlebte am 20. Dezember 2015 einen weiteren Höhepunkt: Sie wurde von den deutschen Sportjournalisten zur Sportlerin des Jahres gewählt, erhielt die Auszeichnung aus den Händen ihres Ehemannes Tomas.
Viel ist bis dahin im Leben der Christina Schwanitz passiert. Einige Strecken dieses Weges durfte ich als Berichterstatter begleiten, und immer war sie gesprächsbereit und für einen Scherz zu haben. Besonders sind mir die langen Gespräche am Rande des Kugelstoßmeetings in Nordhausen und der Halleschen Werfertage erinnerlich.
Auch wenn das Gespräch in Halle/Saale schon über 2 Jahre zurückliegt, lohnt es sich noch, auf dieses Jahr 2013 zurückzublicken. In der „Leichtathletik“ erschien damals der folgende Artikel:
Christina Schwanitz: Ohne Schrauben und Zahn zu den 20,20 Metern
„Kugelstoßen macht mir wieder Spaß“ jubelte Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) nach ihrem gelungenen Auftritt bei den 39. Hallenser Werfertagen im Jahre 2013. Mit 19,84 Metern gewann sie und war nicht allzu traurig, dass die Kugel diesmal nicht wie vor einer Woche in Shanghai (20,20 m) über die 20 Meter hinaus flog. „20 Meter, das ist weit, sehr weit. Da fliegt die Kugel, bildlich gesprochen, über viele Autos“. Doch die Frage, wieweit es nun gehen könne, kontert sie in ihrer fröhlichen, offenen Art: „ Natürlich möchte ich mal 30 Meter stoßen“. Doch das Zwinkern in den Augen dokumentierte, dass das nicht Ernst gemeint war.
Aber der Hallen-EM –Titel von Göteborg , die 20,20 m von Shanghai und die souveräne Vorstellung bei den Werfertagen in Halle zeigen die neue Qualität der 27- Jährigen.
Nun wird allüberall nach Erklärungen gesucht und die Antworten können so zusammengefasst werden: Gesundheit, Training, Psyche.
Seit drei Jahren trainiert sie bei Sven Lang, und anfangs dauerte es, ehe beide sich auf einer Wellenlinie befanden. Sven Lang: „ Ich habe allein ein Jahr gebraucht, um die Philosophie, die ich vom Kugelstoßen habe, umzusetzen. Als ich soweit war, traten körperliche Probleme auf, denn Christina hatte fünf Jahre die Schrauben im Fuß. Da war ich in den Trainingsmitteln bei ihr eingeschränkt, konnte manches nicht machen. Es gab Einheiten, die ich abbrechen musste, wenn sie nur ein wenig gegen den Balken gestoßen war.“ Seit die Metallteile aus den Füßen heraus sind, ist es ein anderes Trainieren. „ Sie ist schmerzfrei. Da kann ich nun richtig trainieren, auch die Umfänge erhöhen.“
Ohne Verletzungen wurden die Trainingslager in Albufeira und Laatsch (Tirol) absolviert, eine neue Qualität erreicht. Die 20 Meter fielen da schon, „ es ging für mich nur noch darum, dass ich es im Wettkampf bestätige.“ Und auf dem Weg zur Schallmauer konnte sie auch ein kaputter Zahn nicht aufhalten. Noch in der letzten Woche in Südtirol hatte sie sehr starke Zahnschmerzen bekommen. „ Ich bin nur noch auf drei Stunden Schlaf pro Nacht gekommen und Essen war auch nicht mehr richtig möglich. Aber ich wollte es reißen, trainierte trotzdem.“ Nach der Rückkehr wurde der Zahn gezogen, zwei Tage später nochmals die Form im Ring getestet und dann kam das Okay für den 15-Stunden-Flug nach Shanghai zum Meeting der Diamond League. Am Freitag und Samstag wurde in Shanghai trainiert, abends war dann der Wettkampf. Die beeindruckende Serie kommt ihr flüssig von den Lippen:
19,79; 20,12; 19,69; ungültig; 20,20, ungültig.
„ Zweimal 20 m, das war schon ein großes Ding. Aber es kam für mich ja nicht überraschend, eher für die anderen.“ Da störte es sie nicht, dass zu ihrem Wettbewerb fast keine Zuschauer im Stadion waren, „ gefühlte 5 vielleicht“. Es zählte nur die Zahl auf der Anzeigetafel, die 20,20, und natürlich der Sieg.
Für eine Sightseeing-Tour durch die Großstadt blieb danach keine Zeit. Am Pfingstsonntag ging es zurück, wieder 15 Stunden per Flugzeug. Pfingstmontag morgens um 1 Uhr war sie wieder zuhause. „ Ich wollte mich ja auf meinen Auftritt in Halle vorbereiten“, nahm sie es gelassen, aber vor allem professionell. Jetzt merkte sie auch den Jetlag, „ das Training fiel sehr schwer, die Bewegungen als auch die Konzentration vom Kopf her.
Doch im Wettkampf war davon wenig zu merken. Stabil die Serie, nur der Ausrutscher über die 20 m fehlte. Und sie zog einen Vergleich. „ 2008 habe ich in der Halle in Chemnitz überraschend 19,68 m gestoßen und gedacht. Um Gotteswillen, woher habe ich das hervorgeholt. Das schaffe ich doch nie wieder. Jetzt ist es anders, ich traue es mir zu.“
Und dieses Vertrauen in das eigene Können hat eine nun viel stärkere Psyche zum Hintergrund. Gerade die ließ sie in der Vergangenheit oftmals im Stich. Besondern krass war es bei der WM 2011 in Daegu und noch mehr bei der Hallen-WM 2012 im türkischen Istanbul. „ Ich habe mich bei großen Wettkämpfen so aufgeregt, dass ich dann einfach blockiert war, einen blackout hatte.“ So konnte es nicht weitergehen, der Weg zur Psychologin war unausweichlich.
Hilfreiche Psychologie
„ Ich hatte zwar früher schon mal mit einem jungen Psychologen erste Erfahrungen gesammelt, doch der behandelte mich wie ein kleines Kind.“ Nun traf sie auf Grit Reimann (Dresden), die auch Turner und Bobfahrer unter ihrer Obhut hat. „ Ich fahre zu ihr nach Dresden, und kann das auch immer mit einem Besuch bei meinen Großeltern koppeln, die ich sonst leider nur noch selten sehe“, sagt die gebürtige Dresdnerin. Und mit dieser Psychologin hatte sie ein Glückslos gezogen. „ Sie konnte mir sehr vor London helfen. London war für mich der geilste Wettkampf bisher, mental und vom Erleben her. Seitdem macht mir Leistungssport Spaß, ist keine Pflichtveranstaltung mehr. Zwar hat man nun auch mehr Verantwortung, und der Rucksack wird immer größer, den man mit sich herumschleppt, aber das kann ich mittlerweile zu 80 Prozent im Wettkampf vergessen und das macht den Spaßfaktor Sport aus. Mittlerweile sage ich, gut, versuche ich es. Früher habe ich mir dann selber Streß gemacht, ich muss, ich muss, eben weil ich die Erwartungen aufgenommen habe. Will und muss , das geht nicht.“
Kurs Moskau
Weil Christina Schwanitz nun endlich wieder den Erfolg vor Augen sieht, nimmt sie notgedrungen auch große Abstriche an ihrer Freizeit, ihrem Privatleben in Kauf. Viel ist sie unterwegs, ihren Verlobten Tomas sieht sie recht selten. Doch die Hochzeit im September ist weiterhin ein Thema „ ich will doch endlich auch mal eine Prinzessin sein“. Zuvor aber erduldet sie die „Fron“ des Trainings, jetzt gerade in Kienbaum. In Schönebeck ist am 7. Juni der nächste Wettkampf, danach sollen einige Meetings folgen, die Deutschen Meisterschaften. Und dann nimmt sie schon Kurs auf die WM in Moskau.
„Sicher wäre es schöner gewesen, wenn ich in London bei Olympia schon diese 20-Meter-Form gehabt hätte. Aber hätte, wenn und aber, das bringt nichts mehr. Nun packen wir es eben in Moskau“, schaut sie optimistisch nach vorn. Im Augenblick stehen für Christina Schwanitz alle Zeichen auf Erfolg.
Peter Grau
(erschienen in „Leichtathletik“ Nr. 22 vom 29.5.2013)
Christina Schwanitz Sportlerin des Jahres
Diese ZDF-Übertragung der Wahl der Sportler des Jahres am Sonntag Abend (20.12.) habe ich genossen. Schon der 1. Platz von Jan Frodeno bei den Männern erfreute mich, denn ich bin seit ewig ein Freund des Triathlons und habe auch diesmal am 10. Oktober die Nacht über nach Hawaii geschaut und seinen Sieg beim Ironman mitbejubelt. Und danach, die Wahl bei den Frauen: 4 Punkte trennten die Erste von der Zweiten und beide sind Leichtathleten! Kugelstoßerin Christina Schwanitz gewann, und ihren Weg habe ich viele Jahre als Berichterstatter begleitet. Und es war immer sehr einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen, weil sie solch ein lebensfroher, aufgeschlossener Mensch ist. Genauso freute ich mich aber auch mit Speerwerferin Katharina Molitor, die lange Zeit im Schatten anderer Spitzenwerferinnen wie Steffi Nerius und Christina Obergföll stand und der ich ganz besonders den WM-Erfolg in Peking gönnte. Erinnern kann ich mich an ein einziges, sehr langes Gespräch am Rande der Halleschen Werfertage, mit dem sie bei mir einen sehr angenehmen Eindruck hinterließ.