Über die Ergebnisse und Ereignisse rund um den Berlin-Marathon 2017 ist viel berichtet worden, zusammenfassend auch auf meiner Homepage unter http://www.petergrau-leichtathlet.de/?p=9647. Einige Tage später habe ich meine 80 Fotos gesichtet, die ich an diesem regnerischen Sonntag „geschossen“ habe. Und ich konnte mich dann um so besser daran erinnern, was so alles geschah.
Es beginnt in der Frühe dieses 24. Septembers. Wie immer stelle ich nach meiner Anfahrt aus Neuruppin mein Auto am Kaiserdamm ab und spaziere dann voller Erwartung zum Ernst-Reuter-Platz. Dort erwarte ich das Riesenfeld der 42.000 Läuferinnen und Läufer. An diesem Punkt stehen wie immer mit mir viele Zuschauer und sehen zunächst die Führungsfahrzeuge und Begleitfahrräder um die Ecke biegen:
Dann aber folgen die Hauptakteure, angeführt von einer ca. 12 köpfigen Spitze mit schwarzafrikanischen Läufern. Zu schnell sind sie für meine Kamerakünste und entsprechend verwischt ist das Foto:
Nur mit relativ geringem Abstand folgt der beste deutsche Läufer Philipp Pflieger in einer großen Gruppe. Mit seiner Körpergröße ragt er heraus ( im blauen Trikot, 5. von links), und zu diesem Zeitpunkt sieht er noch sehr gut aus:
Blick in das folgende Läuferfeld:
Kunst am Wege – aber regennaß:
Natürlich kann ich nicht das ganze Läuferfeld abwarten, denn ich will ja die Spitze noch an anderen Stellen des Kurses sehen. Deshalb fahre ich mit der U-Bahn bis zur Bülowstraße:
Dort aber merke ich, daß es eine für Fotos unattraktive Gegend ist und fahre weiter, zunächst bis zum Bahnhof Märkisches Museum.
Dort führt zwar der Laufkurs nicht vorbei, aber ich habe ja noch etwas Zeit und kann einen kurzen Spaziergang in altbekannter Gegend unternehmen. Altbekannt, weil ich in den Jahren 1978 bis 1988 hier in der Redaktion „Prisma“ gearbeitet habe, einer Vierteljahreszeitschrift, die von der Auslandspresseagentur Panorama DDR herausgegeben wurde.
In diesem Gebäude in der Wallstraße lag damals meine Arbeitsstätte. Dort residierte auch der Dietz-Verlag:
Aber nicht nur an die Arbeit erinnere ich mich, sondern auch an schöne Stunden, die ich direkt daneben im Restaurant Ermelerhaus verbracht habe:
Schon damals gab es diese herrliche Aussicht:
Genug des Abstechers und zurück mit der U-Bahn bis zur Station Hausvogteiplatz:
Auch diesen Bahnhof kannte ich von früher her gut, denn hier stieg ich immer aus, um zu meiner Arbeitsstelle in der Investitionsbank bzw. danach der Staatsbank zu gelangen. Das war in den Jahren 1965 bis 1973. In diesem Gebäude an der Ecke Charlottenstraße/Französische Straße waren die Banken untergebracht:
Ähnliche Gebäude gab es damals und gibt es auch heute zuhauf:
Warum aber sind diese beiden Fotos unterschiedlich in der Größe? Weil eines mit dem Fotoapparat und das andere mit dem Smartphone gemacht wurde. Ganz urplötzlich gab nämlich die SIM-Karte im Fotoapparat ihren Geist auf. SIM-Karte voll las ich und damit mußte ich mich nun mit dem Smartphone behelfen.
Aber trotzdem wirkt der Gendarmenmarkt auch dann noch beeindruckend, wenn auch nicht ganz so schön wie bei Sonnenschein:
Von den Läufern aber war noch nichts zu sehen. So suche ich mir einen passenden Stellplatz, um die Spitze des Feldes ablichten zu können. Und auch von hier grüßt der Französische Dom:
War ich sicher, daß es der Französische Dom ist? Ja, denn ich hatte mir die Eselsbrücke aus DDR-Zeiten gemerkt. Wenn man am Gendarmenmarkt ist, steht links ein Dom, rechts ein Dom und in der Mitte das Konzerthaus (Schauspielhaus). DDR= links, also links ist der Deutsche Dom, so war meine Eselsbrücke.
Doch das ist alles heute nur Kulisse. Wann kommen die Hauptdarsteller?
Die begleitenden Autos kündigen sie an. Als auf dem Zeitauto 1:57 h stehen, ist mir klar, daß es wohl kein Weltrekord werden wird. Hier ist km 40, es sind also noch über 2 km zu rennen.
Es kommen die zwei Spitzenreiter gemeinsam vorbei, und ich versuche vergeblich, sie mit meinem Smartphone zu erhaschen. Erschwert wird der „goldene Schuß“ auch durch die dicht vor den Läufern fahrenden Fahrzeuge. So bleiben mir nur einige Schnappschüsse von nachfolgenden Läufern:
Doch wo ist Pflieger (in Anlehnung an den Wintersport: Wo ist Behle)? Nach mehr als zehn Minuten wird mir klar, daß er nicht mehr kommt. Aber warum? Übers Internet kann ich mich heute nicht im Livestream informieren, weil mein Smartphone nicht mitspielt. So bin ich einige Zeit unwissend, bekomme die Aufklärung dann erst im Pressehotel „Interconti“ in der Budapester Straße.
Aber ein wenig streife ich noch in dieser Gegend umher, fotografiere die Staatsoper (links/dort wird seit ewigen Zeiten gebaut), die Kommode (rechts) und die Hedwigskathedrale (unten).
Hier am August-Bebelplatz befindet sich auch das „Hotel de Rome„. Blick zurück: In den siebziger Jahren, also vor fast 50 Jahren, war in diesem Haus das „Berliner Stadtkontor“ansäßig, die Berliner Hauptfiliale der Staatsbank der DDR. Noch wichtiger für mich: Dort war für Jahre meine Essenskantine. Schmackhaftes Mittagessen zu niedrigen Preisen, die vom Betrieb gestützt wurden, blieb mir in Erinnerung.
Vergeblich suche ich in der nahen Französischen Straße das Haus, in dem früher der Aufbau-Verlag residierte. Später kann ich zuhause nachlesen, daß der Aufbau-Verlag in die Prinzenstraße 85 umgezogen ist, nahe am U-Bahnhof Moritzplatz.
Weiter führt mein Weg, vorbei an einem Wahllokal:
Da wird mir bewußt, daß heute am Sonntag nicht nur Marathontag, sondern auch Wahltag ist. Als Briefwähler muß ich nicht mehr ins Neuruppiner Wahllokal gehen, habe also noch Zeit, herumzuspazieren. Allerdings will ich ja noch ins Pressezentrum.
Zunächst erblicke ich die Friedrichswerdesche Kirche, einst erbaut vom Neuruppiner Karl Friedrich Schinkel. Auch heute wird an ihr wieder mächtig gebaut. Und auf der anderen Seite sehe ich einen langgestreckten Bau. Früher „regierte“ dort das Zentralkomitee der Sozialisten Einheitspartei Deutschland (SED), heute gehört es, so glaube ich, zum Außenministerium:
Langsam erlischt meine Lust am Fotografieren. Nur noch zwei Aufnahmen, und dann begebe ich mich wieder in die U-Bahn, um zum Bahnhof Wittenbergplatz zu fahren.
Ich nehme den „Sonderzug nach Pankow“, sprich die U-Bahn Richtung Pankow. Am Bahnhof Wittenbergplatz steige ich aus, schaue draußen im Freien auf das Kaufhaus des Westens und auf die lange Läuferschar, die sich direkt am Kaufhaus vorbeigeschlängelt:
Zu Fuß geht es nun für mich Richtung Hotel Interconti.
Im Pressezentrum schaue ich erstmal meinem Kollegen Philipp Häfner über die Schulter, der den Rennverlauf des Marathons zu Papier, sprich in den Computer gebracht hat. Nun erfahre ich, wer gewonnen hat und was mit Philipp Pflieger geschehen ist.
Die Pressekonferenz mit den Siegern hat noch nicht begonnen. Ich spaziere vor die Tür, treffe dort Ralf Kerkeling (links), den Chef der Zeitschrift „Leichtathletik“ und von „aktiv Laufen“ und den Berglaufspezialisten Wilfried Raatz, den ich sicher schon 25 Jahre kenne:
Einige Schritte weiter löst sich das Rätsel „Wo ist Pflieger“? Philipp Pflieger erzählt uns auf dem Gang, wie er alles erlebt hat. „Ich habe anfangs bewußt ein hohes Tempo angeschlagen, in Richtung 2:11 Stunden. Leider stieg der erste „Hase“ schon bei 9 km aus und der letzte Hase ebenfalls verfrüht bei 25 km (er sollte mindestens bis 30 km durchhalten). Doch es lief weiterhin gut. Dann aber plötzlich, so ca. 34 km (so genau weiß man das hinterher wohl nicht), war es, als ob man mir den Stecker gezogen hat. Ich mußte mich am Geländer festhalten, hatte dreimal einen Schwächeanfall und konnte einfach nicht mehr.“ So um die 38 km war für ihn der Marathon zuende. Und ich hatte vergebens auf ihn bei km 40 gewartet.
Ralf Kerkeling im Gespräch mit Philipp Pflieger
In der Pressekonferenz erzählt er dann Urs Weber nochmals das Ganze:
Danach aber kommen die Sieger des Marathons zu Wort. Zunächst der Sieger Eliud Kipchoge (Kenia):
Dann folgt er Zweite, der Debütant Guye Adola aus Äthiopien:
Und am Ende sind alle vereint, auch der Drittplazierte Mosinet Geremew (Äthiopien) ist dabei:
Anna Hahner (in weiß), als Fünfte beste deutsche Läuferin, darf über ihre Glücksgefühle plaudern:
Und alles, was gesagt und erlebt wurde, wird von den Journalisten zu Berichten und Geschichten verarbeitet:
Michael Reinsch (links/FAZ) und Johannes Knuth (Süddeutsche Zeitung)
Christian Ermert ( Köln )
Und eine Überraschung taucht für mich noch auf. Roland Winkler, ein Berliner Lauffreund aus früheren glorreichen Laufzeiten, strahlt mich freundlich wie immer an:
Roland hat seine Arbeit schon beendet. Seit vielen Jahren ist er für den Startbereich des Berlin-Marathons verantwortlich. Oft ist er auch mitgelaufen, doch diesmal läßt er die anderen laufen. “ Mein nächster Lauf ist der Brockenlauf“, meint der 70-Jährige.
Aktuell darf oder muß ich über diesen Marathon nicht berichten. Aber meine Homepage sucht ja immer nach Futter. So ergreife ich die Gelegenheit, ein halbstündiges Gespräch mit Ralf Kerkeling, dem Chef der Zeitschrift Leichtathletik und des Laufmagazins „aktiv Laufen“ zu führen.
Sehr interessant für mich, was er mir alles über sein bisheriges Leben als Musiker und Journalist erzählt. Ich freue mich schon darauf, daraus eine Geschichte zu basteln. Und revanchiert habe ich mich mit der Geschichte über einen deutschen Ex-Sprinter, den ich vor kurzem getroffen und gesprochen habe. Doch den Namen behalte ich noch geheim, denn heutzutage muß man ja immer mit der schreibenden Konkurrenz rechnen.
Inzwischen ist es 16 Uhr geworden, und es wird Zeit, die Heimreise anzutreten. Ich gehe Richtung U-Bahnhof Wittenbergplatz, komme dabei in der Nürnberger Straße an einem Hotel vorbei. Dort habe ich 1990 meinen ersten Arbeitsvertrag mit dem Kölner Sportverlag für die Zeitschrift Leichtathletik vorbereitet. Damals hieß es Penta-Hotel, heute Crowne Plaza:
Die letzten Fotos des Tages werden „geschossen“:
Vom Bahnhof Zoologischer Garten muß ich zum Ernst-Reuter-Platz. Normalerweise gehe ich da zu Fuß, aber heute fahre ich diese Strecke nochmals mit der U-Bahn. Und bin glücklich, als ich gegen 16.30 Uhr an meinem Auto ankomme. Die Rückfahrt ist streßfrei, die Staus des Tages haben sich abgebaut und die Autobahn ist frei: Freies Fahren für freie Bürger. 17.45 Uhr treffe ich zuhause in Neuruppin ein. Rechtzeitig, um die erste Hochrechnung des Wahltages zu erleben. Der Wechsel ist vollbracht: Vom Berlin-Marathon zur Bundestagswahl.
Peter Grau
(Fotos: Peter Grau)