Treffs mit Leichtathleten

Gesa Felicitas Krause: Fühlt sich wohl auf der Hindernisstrecke

 

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Gesa Felicitas Krause (Foto: Dirk Gantenberg)

Gesa Felicitas Krause dominierte die 3000 m Hindernis am 18. Juni 2016 bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Kassel im Alleingang. Ungefährdet vor dem Feld holte sich die Hessin in 9:31:00 min den Meistertitel.  Zuvor hatte sie wochenlang auf dem Werbeplakat der Meisterschaften geprangt.

Und kurz vor den Meisterschaften hatte mein Journalistenkollege Berthold Mertes für den Bonner Generalanzeiger ein Interview mit der WM-Dritten von Peking geführt, welches ich in Auszügen nachfolgend veröffentlichen darf.

Gesa Krause: Sport macht nur ohne Manipulation Sinn

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(Foto:  Dirk Gantenberg)

Bonn, 18. Juni 2016.   Sensibel, höflich, bescheiden: So wirkt Leichtathletin Gesa Krause bei dem Treffen auf ihrer Heim-Trainingsanlage in Frankfurt-Niederrad. Irgendwie auch zerbrechlich während ihrer Steigerungsläufe auf der Kunststoffbahn. Im Gespräch nach der Übungseinheit: Die zierliche Person, die 2015 mit WM-Bronze über 3000 Meter Hindernis eine 15 Jahre währende Medaillenflaute deutscher Läufer beendet hat, strahlt unglaubliche Energie aus. Krause ist fokussiert auf Erfolg. Und sie hat einen Plan. Über den für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro sprach sie mit Berthold Mertes – und über den Caipirinha danach.

Frau Krause, Sie haben 2015 in Peking die erste deutsche Laufmedaille bei einem Weltereignis seit Nils Schumanns 800-Meter-Gold von Sydney 2000 gewonnen. Träumen Sie noch öfter davon?

Gesa Krause: Ich hatte die Bilder lange präsent. Es war nicht wie sonst: Wettkampf abhaken und an den nächsten denken. Über die Wintermonate ist das WM-Rennen aus den Gedanken herausgerückt, weil ich mich mehr mit dem Training für die neue Saison beschäftigt habe.

Schildern Sie doch mal Ihre Olympiavorbereitung.

Krause: Seit dem Herbst bis zu den Spielen im August in Rio gehören fünf je dreiwöchige Höhentrainingslager dazu, vier davon habe ich jetzt hinter mir. Täglich trainiere ich bis zu dreimal, dabei neben den Laufeinheiten auch reichlich Athletik.

Insofern müssen Sie froh sein, vor den deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende ein wenig durchzuschnaufen, oder?

Krause: Ja, das gibt mir Zeit für Dinge, die auch zum Sport gehören: PR-Termine, Interviews für Radio, Fernsehen oder Zeitschriften. Damit fülle ich lockere Wochen so, dass ich mich nicht nutzlos fühle.

Rund 15 000 Menschen folgen Ihnen auf Facebook. Dort gewähren Sie Einblick in Ihren Profi-Alltag. Warum tun Sie das?

Krause: Ich versuche, den Alltag eines Sportlers zu zeigen, denn ich habe schon oft die Frage gestellt bekommen: Fängst du im April wieder mit dem Training an? Deshalb zeige ich, dass eine Saisonvorbereitung bereits im Oktober beginnt. Dass wir sehr viel unterwegs sind. Und dass Kenia für mich nicht Sonne, Strand und Urlaub bedeutet.

Sondern?

Krause: Knallharte Arbeit.

Hilft dabei das Kopfkino vom WM-Bronze?

Krause: Klar sind das Bilder, die sich bei harten Tempoläufen im Kopf abspielen. Aber das wird verstärkt erst wieder vor Olympia kommen. Jetzt will ich zunächst wieder deutsche Meisterin werden, dann kommt die EM – erst danach rückt Olympia in mein Blickfeld. Ich denke immer von Ziel zu Ziel. Vor Rio entwickelt sich eine neue Traumvorstellung.

Nach WM-Bronze hören Sie bestimmt öfter: „Und in Rio holst du Gold.“ Wie empfinden Sie das?

Krause: Das ist ja motivierend gemeint. Aber ich sage dann immer: Ich gebe mein Bestes. Ich bin Realist und kämpfe bis zum letzten Tag um die absolut beste Form.

Zum deutschen Rekord – 9:18,54 Minuten von Antje Möldner-Schmidt – fehlten Ihnen in Peking 71 Hundertstelsekunden – wann fällt er?

Krause: Den Rekord habe ich schon lange Zeit vor Augen. Er ist definitiv ein Ziel für dieses Jahr. Unter 9:15 sollte es schon gehen. Zumal die Top Drei der Welt zwischen 9:00 und 9:10 Minuten laufen können.

Mit welchem Plan wollen Sie denn eine Olympiamedaille gewinnen?

Krause: Bisher ist es mir immer sehr gut gelungen, mein Potenzial auszuschöpfen. Auf den 15. August 2016 (Krauses Olympiafinale, die Red.) kommt es an. Alles ist auf diesen Tag X ausgerichtet.

Und irgendwann wollen Sie ganz oben stehen, die Hymne hören?

Krause: Definitiv ja. Das ist meine Triebfeder, auch wenn ich dieses Jahr davon noch entfernt bin. Ich bin noch jung, es steckt viel Potenzial in mir, das herausgekitzelt werden will. Meine Zeit kommt noch. Irgendwann will ich nicht die Erste sein, die sich anstellt, sondern ganz vorne sein.

Wie ist es, im Läuferland  Kenia zu trainieren, die Athleten dort zu erleben und kennenzulernen?

Krause: Es ist beeindruckend für die Psyche und wirkt sich auf die eigene Einstellung aus. Weil die Menschen mit einem Lächeln auf den Platz gehen. Und dann rennen sie einfach, bis sie nicht mehr können. Das muss man sich zu Herzen nehmen. Denn unser Sport ist ein Knochenjob. Ist mit Schmerz und Leid verbunden. Ich bin immer froh, wenn ich die Trainingslager hinter mir habe. Aber ich weiß halt, dass dieses harte Training mich besser macht.

Ist die Bereitschaft der Afrikaner, sich zu quälen, stärker ausgeprägt als bei Mitteleuropäern?

Krause: Ja. Vereinzelt bringen Menschen sie auch hier mit.

Wie Sie zum Beispiel. Warum eigentlich?

Krause: Das hat mit Leidenschaft zu tun. Wenn einem etwas wichtig ist, nimmt man auch mehr Strapazen auf sich.

Warum sind Sie Läuferin?

Krause: Ich habe als Schülerin auch Stabhochsprung ausprobiert. Alles außer Hammerwurf und Dreisprung. Aber ich war schon immer relativ klein und zierlich. Ich bin kein geborener Sprinter, war aber von Beginn an recht gut über die Mittelstrecke. Also blieb nur das Laufen übrig. Die Vielseitigkeit in jungen Jahren hat gut getan – deshalb bin ich heute vielleicht auf der Hindernisstrecke zu Hause.

Seit 2009 werden Sie von Wolfgang Heinig (aktuell Bundestrainer für alle Laufdisziplinen ab 800 Meter) betreut. Welche Rolle spielt er?

Krause: Er hat mich als hessischer Landestrainer von Dillenburg nach Frankfurt geholt und mir angeboten, aufs Sportinternat zu gehen. Das war die wichtigste Entscheidung. Er hat mir den Weg aufgezeigt. Er hat einen Plan, wie man Leistung entwickelt – fundiert, strukturiert und zielstrebig. Das war mir gleich plausibel.

Sind Sie ein Kopfmensch?

Krause: Auf jeden Fall. Auch wenn mir das in jungen Jahren noch nicht bewusst war.

Bleibt noch Zeit für Genuss?

Krause: Ja, ich koche sehr gerne, wenn die Zeit es erlaubt, und mag frisches Essen. Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, aber ich trinke auch gerne einmal ein Glas Rotwein zum Essen.

Doping beeinträchtigt stärker denn je die Leichtathletik. Russische Athleten haben betrogen, was das Zeug hält. Auch Kenia steht im Zwielicht. Wie empfinden Sie das?

Krause: Russland macht mich sprachlos. Wöchentlich kommen neue Meldungen. Man kann derzeit keinem Sportler von dort vertrauen. Es tut mir leid für den einen oder anderen sauberen Athleten, den es vielleicht auch in Russland gibt. Aber ich habe inzwischen keine Lust mehr, mir das anzuschauen und darüber zu lesen.

Was erschüttert Sie am meisten?

Krause: Es ist eine Schande, dass dieses System offenbar vom Staat instruiert ist. Dass fast alle unter einer Decke stecken.

Und in Kenia?

Krause: Dort ist die Führung das Problem, bei den Russen sind es inzwischen die Athleten selbst, weil der Staat sie über Jahrzehnte zu Betrügern gemacht hat. In Kenia wirkt alles unorganisiert, Verbandsfunktionäre kochen ihr Süppchen. Und es kommt mir so vor, dass die dopenden Athleten meistens aus der dritten und vierten Reihe kommen. Weil sie sich ein bisschen Geld verdienen wollen.

Stört es Sie, wenn Leute sagen, ohne Doping ließe sich keine Medaille in der Leichtathletik gewinnen?

Krause: Na klar. Vor allem finde ich es unfair, dass wir und Athleten einiger Nationen 24 Stunden rund um die Uhr überwacht werden. Wir melden der Nationalen Anti Doping Agentur, wo wir sind, was wir machen. Dagegen kriegt man es anderswo nicht auf die Reihe, den Athleten beizubringen, dass Kontrollen und harte Strafen notwendig sind – weil der Sport nur ohne Manipulation Sinn macht.

Sind Sie dafür, dass Russlands und Kenias Leichtathleten in Rio nicht starten?

Krause: Bei den Russen fände ich es sehr grenzwertig, wenn sie am Ende doch noch zugelassen würden. Dagegen kann ich mir bei den Kenianern nicht vorstellen, dass sie ausgeschlossen werden.

Was hat sich für Sie seit WM-Bronze verändert?

Krause: Es gab ein paar Fernsehauftritte, die Zahl der facebook-Follower hat sich erhöht, aber in puncto Sponsoren ist leider nichts passiert.

Obwohl Sie zu Deutschlands Leichtathletin des Jahres gewählt wurden?

Krause: Die bestehenden Partnerschaften haben sich gefestigt, aber es kam nichts Neues dazu. Der Verein und der Ausrüster – das sind meine einzigen Sponsoren, und natürlich die Bundeswehr. Im Prinzip habe ich diese drei Arbeitgeber.

Laufsternchen Sabrina Mockenhaupt oder Eisschnellläuferin Anni Freisinger haben mit Modeln mehr Geld verdient als mit dem Sport. Wäre ein solches Parallel-Engagement etwas für Sie?

Krause: Darüber habe ich mir noch nicht viele Gedanken gemacht. Bis 30 will ich den Sport definitiv machen. Ich hoffe, dass sich in dieser Zeit die eine oder andere Tür öffnet.

Über die Karriere nach der Karriere machen Sie sich noch keine Gedanken?

Krause: Es gibt Tage, an denen ich grüble, ob ich in meinem Fernstudium der Wirtschaftspsychologie vielleicht etwas schneller vorwärts komme. Aber Laufen ist momentan ein Fulltime-Job. In den letzten beiden Jahren ist mir das sehr deutlich geworden.

Brasilien steckt in einer gesellschaftlichen Krise. Gehört Olympia dorthin?

Krause: Es ist immer so, wenn die Spiele in weniger entwickelte Länder vergeben werden, dass es Volksgruppen gibt, die darunter leiden. Leider trifft es dann meistens die Armen. Auch wenn ich mir selbstverständlich darüber Gedanken mache: Was soll ich tun? Ich trainiere mein ganzes Leben für Olympia. Das ist mein Job. So hart es klingt: Deshalb kann ich darauf auch leider keine Rücksicht nehmen. Ich muss an mich selbst denken.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit wegen des Zika-Virus?

Krause: Ich mache mir keinen großen Kopf darüber. Für die Leute, die in verschmutztes Wasser müssen, sieht die Sache sicherlich anders aus.

Angst vor Terror?

Krause: Habe ich nicht. Ich denke immer positiv. Es kann dich überall erwischen, nicht zuletzt bei einem Trip in eine europäische Metropole, auch in Frankfurt. Das ist ein grundsätzliches Problem, mit dem wir heute leben müssen. Alles weitere ist Schicksal. Vielleicht bin ich in Rio nicht so viel alleine außerhalb des Dorfes unterwegs wie in London. Ich werde auch nicht mit Schmuck an der Copacabana herumlaufen.

Nach den Spielen in London waren Sie total erschöpft und reisten früher ab als geplant. Wie kam das?

Krause: Damals wollte ich unbedingt dortbleiben und gemeinsam mit der gesamten Mannschaft die Heimreise mit dem Schiff antreten. Doch ich war emotional und körperlich völlig ausgelaugt, wollte plötzlich nur noch nach Hause. Wenn man das ganze Jahr auf ein großes Ziel hinarbeitet, folgt danach ein unglaublicher Spannungsabfall.

Für Rio schließen Sie einen solchen Zusammenbruch aus?

Krause: Jetzt bin ich vier Jahre älter und habe einen festen Platz im deutschen Team, kenne die Leute besser und habe meinen Coach dabei. Ich bleibe diesmal definitiv bis zum Ende der Spiele. Das Erlebnis Olympia will ich mitnehmen.

Wie genießen Sie den Abschluss?

Krause: An der Copacabana mit einem Caipirinha – das ist sowieso mein Lieblingscocktail.

(Auszüge aus einen von Berthold Mertes geführten und am 18. Juni 2016 im „ Bonner Generalanzeiger“ erschienenen Interview.  Nachzulesen auch auf der Webseite der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de)

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Berthold Mertes

Robert Harting: Die Leidenschaft des Wettkämpfers ist wieder da

 

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Diskuswerfer Robert Harting ist auf Pressekonferenzen, die sich um die Leichtathletik drehen, stets ein gern gesehener Gast. Besonders auch in Berlin, seiner Heimatstadt, dort, wo er das Olympiastadion lange Zeit als sein Wohnzimmer bezeichnete. In diesem Jahr soll es das wieder werden, bei der 75. Auflage des Internationalen Stadionfestes (ISTAF). Und wie um das zu beweisen, prangt sein Konterfei auf dem Werbeplakat.

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Im Sommerlook, mit T-Shirt und Shorts, kommt Robert Harting lächelnd die Eingangstreppe des DKB-Gebäudes in der Berliner Taubenstraße empor, als Gast der Eröffnungspressekonferenz für das 75. ISTAF. Er begrüßt jeden freundlich, den er sieht und erkennt, und nimmt sich erstmal am Büffet eine Erfrischung. Er sieht entspannt aus, läßt Sorgen und Ängste nicht erkennen, die ihm nach eigener Aussage gegenwärtig ob seines langen Fernabseins von den Wurfringen wegen seines Kreuzbandrisses plagen.

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Vorn auf dem Podium, neben ISTAF-Direktor Martin Seeber, der Weltmeisterin im Kugelstoßen von 2015, Christina Schwanitz, dem Vorsitzenden des Vorstands der Deutschen Kreditbank (DKB) Stefan Unterlandstättner und dem EM 2018-Chef Frank Kowalski (von links) läßt er sich dann in den Sessel fallen.

Geduldig gibt er Antworten auf die Fragen des neuen Head of Communications, Sven Ibald . ( Früher sagte man mal Pressechef, aber das ist heutzutage zu kurz gefaßt).

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Gern hat Robert Harting zuvor die Mitteilung von ISTAF-Chef Martin Seeber zur Kenntnis genommen, daß nun auf seinen Wunsch hin der Diskusring auf die andere Seite des Stadions verlagert wird, um den eventuellen Gegenwind für gute Weiten besser nutzen zu können. „ Da könnte dann der Stadionrekord von Lars Riedel (70,60 m) wohl ins Wanken geraten.“

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Ob Robert Harting diesen Rekord angreifen kann, läßt er offen. Zwar ist er nunmehr froh, wieder im Ring zu stehen. Den ersten Erfolg konnte er im Frühjahr beim ISTAF-Indoor einfahren, und man sieht ihm beim Einspiel eines kleinen Film von damals an, wie ihn das motiviert.

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Martin Seeber und Robert Harting

 

Seit dem Wettkampf am 5. Juni 2016 in Birmingham hat er nun die Olympianorm in der Tasche. Wohl wissend, daß das kein Freifahrtschein im Rennen nach Rio ist. Er räumt ein, daß es ein ungewohnter Zustand ist, in der gegenwärtigen Bestenliste nur auf Rang 5 zu rangieren. „ Aber jetzt ist die Konkurrenzsituation da, die ich mir immer gewünscht habe. Ich sehe da zwar eine Bedrohung, begreife das aber als Herausforderung. Zwar fehlen mir noch rund 60 bis 70 Prozent an Automatismen, die einfach für weite Würfe notwendig sind. Aber ich spüre wieder die Leidenschaft des Wettkämpfers.“

Diese Leidenschaft will er schon am Samstag (11. Juni) beim Meeting im niederländischen Leiden aufleben lassen. Aber unabhängig davon, bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel will er im Finale am 19. Juni möglichst ganz vorn landen, denn „ Meistertitel plus Olympianorm“ garantieren den Flug nach Rio.

Und auf dem Podium der Pressekonferenz hört man ihm wie immer gern zu, wenn er ins Philosophieren kommt, wenn er Einblicke in die Geheimnisse des Diskuswurfs gewährt.

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Die „Journalistenmeute“ aber gibt noch lange keine Ruhe. Ist einer wie Robert Harting da, dann hat er gefälligst auch viel zu erzählen, viel zu antworten. Ein bißchen egoistisch sind wir Journalisten dann alle. Ob er vielleicht jetzt lieber gehen würden, etwas zur Ruhe kommen, bzw. wieder ins nächste Training einsteigen möchte, das interessiert weniger.

Robert Harting ist zu bewundern, wie er so etwas bewältigt. Souverän ist er allemal. Als ihm noch auf dem Podium eine Frage zu Doping und zur russischen Leichtathletik gestellt wird, blockt er das geschickt ab und verweist auf ein mögliches Zwiegespräch nachher. Nicht daß er nichts sagen will, aber er weiß, daß es heute um das ISTAF geht, und das zunächst im Vordergrund steht.   Aber dann holt ihn die große Sportpolitik wieder ein. Ob er gestern den ARD-Film von Hajo Seppelt über die russische Leichtathletik gesehen habe und was er dazu sage, wird er gefragt: „ Nein , habe ich nicht gesehen, was kam denn darin vor?“ Köstlich, diese Gegenfrage. Er darf das. Als endlich, so denkt man als Außenstehender, das Frage – und Antwortspiel vorbei ist, sieht man Robert Harting an, daß zu diesem Zeitpunkt mittags gegen 13 Uhr sein Akku langsam leer wird. Aber „nein“ sagen ist eben nicht sein Ding. Meinem Potsdamer Kollegen Peter Stein gewährt er noch ein Vieraugengespräch.

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Peter Stein im Gespräch mit Robert Harting

 

Dann aber ist es geschafft. Als ich ihn, -es klingt vielleicht etwas altväterlich, aber ich darf das -, rate, in der nächsten Zeit nicht mehr allen Interviewwünschen nachzugeben, denn das würde auch solch eine starke Persönlichkeit wie ihn überfordern, zumal seine Hauptaufgabe gegenwärtig ja im Wurfring und dort im „Weitwerfen“ liege, schaut er mich dankbar an und meint: „ Das ist der richtige Rat. Ich habe es auch schon probiert, habe einfach mein Handy ausgelassen und nicht so oft ins Internet geschaut. Nur so geht es.“

Es möge für Robert Harting die Ruhe vor dem Sturm sein. Wohin „ der Sturm“ seine Diskusscheiben wehen wird, zeigt sich bald. Ob in Kassel, Amsterdam oder Rio, alles ist möglich.

Peter Grau

Die Speere fliegen – Matthias de Zordo ist wieder dabei

Die deutschen Speerwerfer lassen ihre Speere in diesem Jahr bisher sehr weit fliegen. Allen voran Thomas Röhler (LC Jena), der gegenwärtig (Stand 8. Juni 2016) die deutsche Jahresbestenliste mit 87,91 m anführt. Gefolgt wird er von Lars Hamann (Dresdner SC 1898 / 85,67 m) und Johannes Vetter (LG Offenburg / 84,38 m). Alle drei Athleten haben die für Olympia geforderte Norm von 83,00 m gepackt. Dahinter gruppieren sich Julian Weber (USC Mainz / 82,69 m) und Andreas Hofmann (MTG Mannheim /82,47 m) ein. Bernard Seifert (SC Potsdam) hat bisher 79,34 m geworfen und, – um ihn geht es in dieser Geschichte -, Matthias de Zordo hatte nach den 3 ungültigen Versuchen von Dessau nun am 4. Juni in Jena das erste kleine Erfolgserlebnis von 76,89 m.  Nicht weit eben und beileibe zu wenig im Kampf mit den anderen, aber eben ein Hoffnungsschimmer.

Am 27. Mai in Dessau, als noch vieles schief lief, sprach Michael Reinsch hinterher mit ihm. Lesen Sie Auszüge aus seinem Beitrag vom 4. Juni 2016 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):

Matthias de Zordo: Der Speerwerfer mit Killer-Instinkt

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Speerwerfer Matthias de Zordo ist wieder da, und er ist besser denn je. Nun gut, nach drei Fehlversuchen im ersten Wettkampf seit drei Jahren Verletzungspause war in Dessau erst einmal Schluss für den einstigen Weltmeister. Aber das lag nicht daran, dass er schlecht gewesen wäre. „Ich bin um einiges schneller angelaufen als im Training“, erzählt er, „die Beine sind besser gelaufen als erwartet.“ Und dann war er auch schon übergetreten. De Zordo verlängerte den Anlauf. „Im zweiten Versuch war ich noch schneller als im ersten.“ Wieder übergetreten, wieder ungültig. Aber der Speer flog, und er flog über die 75-Meter-Markierung hinaus. Auch der dritte Anlauf war so schnell, dass de Zordo sich nach dem Stemmschritt nicht zurückhalten konnte. Damit war der Wettkampf beim Anhalt-Meeting am 27. Mai 2016 in Dessau für ihn auch schon zu Ende.

Matthias de Zordo ist ein Beispiel dafür, dass jemand tatsächlich 110, 120 Prozent leisten kann.

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Matthias de Zordo 2010 bei der DM in Braunschweig (Foto: Dirk Gantenberg)

Als er 2010 aus heiterem Himmel Zweiter der Europameisterschaft von Barcelona wurde, als er bei der Weltmeisterschaft von Daegu im Jahr darauf überraschend auch noch den Titel holte, da erzählten Trainer und Mannschaftskameraden immer wieder, dass de Zordo nicht die besten Kraftwerte habe, nicht die besten Trainingsleistungen bringe, aber über einen Killer-Instinkt verfüge. „Das ist mal Neuland“, sagte der inzwischen 28 Jahre alte Athlet in Dessau, „dass ich im Training besser bin als im Wettkampf.“

Von einem Killer hat de Zordo so gar nichts, wie er in Dessau aus dem Stadion zur Wurstbude schlurft, wie er hier angeregt plaudert und dort freundlich schwätzt. Ganz offensichtlich genießt er es, wieder Athlet unter Athleten zu sein. In den vergangenen drei Jahren war de Zordo vor allem Patient und Rekonvaleszent gewesen. Bei den Olympischen Spielen von London 2012, wegen einer langwierigen Verletzung ohne Qualifikation nominiert, erreichte der Weltmeister nicht einmal das Finale; alle drei schlechten Versuche machte er ungeschehen, indem er absichtlich übertrat.

Nach Achillessehnenriss zwei Jahre Rehabilitation

Als er im Mai 2013 bei den Werfertagen von Halle an der Saale die neue Saison begann, ging ihm der Speer wieder nicht so leicht von der Hand, wie er das erwartet hatte. Er quälte sich mehr schlecht als recht durch den Wettkampf, und als er beim fünften Versuch den Speer mit Gewalt in eine Flugkurve zwang, riss ihm beim Stemmschritt mit dem rechten Bein die Achillessehne. Wer dabei war, wird den Schrei des verwundeten Athleten nie vergessen. De Zordo rettete sich in einen Purzelbaum, dann blieb er liegen. Zwei Jahre dauerten Rehabilitation und Aufbau – dann klemmte er sich im Ellbogen seines Wurfarms, des linken, einen Nerv ein, der sich auch noch entzündete. Das nächste Jahr ging verloren.

Nun also ist der Champion von gestern zurück, und er hat keine Eile, sich und der Welt zu beweisen, dass er immer noch ein überragender Athlet ist. Mit 28 Jahren ist de Zordo jung genug für mindestens noch einen olympischen Zyklus. Für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro ist er in dem Moment qualifiziert, in dem sein Speer 83 Meter weit fliegt. (d.h. nur dann, wenn er sich gegen starke deutsche Konkurrenz durchsetzt. P.Gr.)

Das ist ein großer Wunsch und auch erhofft, dass ich mitfahre nach Rio“, sagt de Zordo. „Aber mein Ziel ist es, mir nicht groß Druck zu machen. Ich will Anschluss finden, ich will ein positives Jahr haben, auf das ich aufbauen kann.“ Nicht Olympia ad hoc zählt, sondern die Perspektive.

Das ist der de Zordo, der seinen Sport ausübt wie eine Kunst. „Für mich ist Speerwurf ein Gefühl“, sagt er. „Ich muss die Bewegung spüren, den Speer, den Anlauf, wie ich vorn reingehe – und vor allem, wie die Spannung über die Brust kommt.“ In seinen Würfen wirkt ein unerklärliches, ein unkalkulierbares Element. Der Werfer wächst hinaus über den Sportler, der Tag für Tag Speerwurf trainiert. Sobald der Speer die Hand verlässt, weiß de Zordo, ob dies ein guter Wurf ist oder nicht. Die Weite ist die Bestätigung dessen, was er längst weiß.

Die Verletzung ereilte de Zordo just, als er aus dem Saarland nach Magdeburg umgezogen war und die Arbeit mit einem neuen Trainer begonnen hatte, Ralf Wollbrück. Drei Jahre lang haben sie daran gearbeitet, die Form von 2010 und 2011 wieder zu erreichen und vor allem Vertrauen in die Achillessehne zurückzugewinnen. Ständig habe er in den Körper hinein gehorcht, erzählt de Zordo, habe sich gefragt: Ziept es hier, ist dort alles in Ordung? „Ich kann normal sprinten, normal springen, normal stemmen“, sagt er nun. „Es ist schön zu wissen: Der Kopf ist frei.“

„Das Glück kommt, wenn ich mal eine Weite stehen habe“

88,36 Meter weit warf de Zordo 2011, in dem Jahr, in dem er Weltmeister wurde. Noch ist er mehr als zehn Meter von dieser Bestleistung entfernt. Thomas Röhler, sein thüringischer Konkurrent, hat es in der jungen Saison schon auf 87,91 Meter gebracht; im vergangenen Jahr gewann der Kenianer Julius Yego die Weltmeisterschaft mit 92,72 Metern. „Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich am Limit bin“, sagt de Zordo. Ist es ein Glück, wieder werfen zu können? Da wird aus dem Genießer des Augenblicks ein rationaler Athlet. „Das Glück kommt“, sagt er, „wenn ich mal eine Weite stehen habe und nicht drei ungültige Versuche.“

Michael Reinsch, FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin

(aus Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. Juni 2016)

 

Mark Frank: Früher Speerwerfer – heute Trainer

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Äußerlich verändert hat sich Mark Frank, der Ex-Speerwerfer aus Rostock, nur wenig. Deshalb erkannte ich ihn sofort,  als ich mich am 21. Mai 2016 bei den Halleschen Werfertagen durch die Zuschauermassen zwischen Werferhaus und Kugelstoßanlage kämpfte.

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Bei solchen eher zufälligen Begegnungen ist es für mich immer angenehm, wenn sich beide Seiten erkennen. Das zeigt einesteils, daß man sich selbst nicht völlig verändert hat. Andererseits beweist es, daß man früher Vertrauen aufgebaut hat. Da ich nicht zu den „investigativen“ Journalisten ( von lateinisch investigare aufspüren, genauestens untersuchen)  gehöre und auch nicht gehören wollte, und die Sportler immer als Partner betrachtet habe, war mir solch eine menschliche Beziehung immer wichtig.

Mark Frank in Halle

Ein beiderseitiges Lächeln signalisierte nicht nur das Erkennen, sondern auch die Bereitschaft, miteinander zu sprechen. Und das ließ sich am besten in der kühlen Wurfhalle bewerkstelligen, abseits des aktuellen Treibens auf den Wettkampfanlagen.

Dreimal WM- dreimal Achter

Ein wenig schauten wir zunächst  auf die aktive Zeit des gebürtigen Neustrelitzers zurück, der für den 1. LAV Rostock startete und seit 1997 von Ralf Skopnik trainiert wurde. Im Jahr 2005 landete er  mit einem Europacupsieg seinen ersten internationalen Erfolg. Mark Frank qualifizierte sich damit für die Weltmeisterschaften in Helsinki, wo er Achter wurde. Danach er stellte er am 4. September beim ISTAF in Berlin mit 84,88 m seine persönliche Bestleistung auf.

Doch seine Hoffnung, daß es nun so weitergehen könnte, erfüllte sich nicht. 2006 zog er sich beim Fußballspiel eine Fußverletzung zu. „ Leider habe ich mich grundsätzlich beim Fußballspielen verletzt.  Das hat aber nicht mit meinen Fähigkeiten am Ball zu tun. Und die Lösung kann nicht sein, nicht zu spielen. Dafür mache ich es zu gerne und es lockert das Training etwas auf, ist  eine gute Möglichkeit der Erwärmung. Ich habe wie viele andere Jungen mit dem Fußball angefangen. Mit 9 Jahren bin ich zur Leichtathletik gekommen, habe dann beides sechs Jahre parallel betrieben. Ich wollte mich dann von der Leichtathletik lösen, aber mein damaliger Trainer in Neustrelitz, Bruno Beutler, hat mich überzeugt, doch Leichtathlet zu bleiben und das war auch sicher richtig.“  Soweit der Rückblick.

Nichts kaputt, aber trotzdem Schmerz

Jedenfalls behinderte ihn diese Verletzung 2006 länger als erwartet.  „Es wäre nicht eine solch langwierige Geschichte geworden, wenn man es richtig behandelt hätte,“ erinnert er sich. „Wenn ich den Fuß gebrochen hätte, wäre es sicher einfacher gewesen. So aber war nichts kaputt und der Schmerz trotzdem da. Deshalb habe ich mich im April 2006 in Wahrendorf einer Intensivtherapie unterzogen, aber dort hat man mir bereits gesagt, daß es eigentlich schon zu spät sei, um noch einen vernünftige Saison abzuliefern. Und so war es dann auch. Danach habe ich nochmals eine Therapie gemacht, und intensiv mit meiner Physiotherapeutin gearbeitet. Letztendlich haben wir es hinbekommen. Ich konnte wieder im Sprint-Sprungbereich trainieren, hatte aber nun technische Defizite.“

Mühevoll war es, aus dem Tief herauszukommen, zumal, wenn man beobachtete, wie andere den Speer fliegen ließen. „ Ich habe beispielsweise nach dem Meeting in Dessau lange mit dem Letten Vadims Vasilevskis zusammengesessen und Erfahrungen ausgetauscht. Der Lette war bei einem leicht übergetretenen Wurf auf 94 m gekommen.  „In den  Zubringerleistungen waren wir auf einer Ebene. Aber ins Staunen kam ich, als er uns erzählte, daß er im Training beispielsweise mit Anlauf durch die Lichtschranke rennt und dann 20 m mit Einbeinsprüngen überwindet. Und das in 2,7 Sekunden“.

In Deutschland, so sagte mir Mark Frank damals, wird noch zuviel Wert auf Maximalkrafttraining gelegt, obwohl das von der internationalen Konkurrenz  widerlegt wird. Die Weltspitze, ob nun Thorkildsen, Pitkämäki, Vasilevskis oder Makarow, ist athletisch geprägt und besitzt ein sehr gutes Technikbild. „Wenn ich mir aber das Technikbild in Deutschland ansehe,“ so Mark Frank, „ dann haben wir alle das gleiche Problem. Wir überlaufen mehr oder weniger das Stemmbein und verlassen uns auf unseren schnellen Arm. Wir sind nicht langsamer oder schwächer auf dem Arm, aber wir kommen nie in eine solche Abwurfposition, daß wir wirklich diese Katapultwirkung erzielen, daß unsere Hüfte richtig gegen das linke Bein arbeitet,  daß dann die Schulter sich richtig aufdreht und dann explodieren kann.“  Das klingt alles sehr speziell und es stammt auch aus dem Jahr 2006, aber es zeigte vor allem, daß sich Mark Frank schon damals mehr als üblich mit den Geheimnissen des Speerwurfes befaßte. Irgendwie blitzte da schon durch, daß er einmal Trainer werden könnte.

Doch bis dahin gingen noch einige Jahre ins Land, die leider auch durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Verletzungen geprägt waren. Das allein würde den Rahmen dieser Geschichte sprengen.

Mark Frank mit Speer

Jedenfalls kam er erst 2009 wieder so richtig in Schwung und holte sich seinen ersten Deutschen Meistertitel. Mit großen Erwartungen fuhr er zur Heim-WM ins Berliner Olympiastadion. Doch erneut wurde es nur ein achter Platz. „ Beim Einwerfen war noch alles okay“, ist im WM-Buch des DLV nachzulesen. „ Aber dann habe ich die Beinarbeit eingestellt. Sicher habe ich auch übersteuert, nur aus den Armen werfen geht eben nicht.

Aber er ließ sich nicht unterkriegen, versuchte auch 2011 bei der WM in Daegu nochmals, eine internationale Medaille zu erhaschen. Doch wieder wurde es nur der achte Platz. Und der Gedanke wurde immer stärker, daß es irgendwann mit dem aktiven Werfen Schluß sein werde.

Abschluß und Neuanfang

Und somit bekomme ich wieder die Brücke zu unserem aktuellen Gespräch in der Werferhalle. „ 2012 war ich nochmals bei Deutschen Meisterschaften dabei, dann aber war Feierabend.“ Warum nun doch? „ Wegen Alterserscheinungen“, bemerkt er leicht sarkastisch. „ Vor allem war es nun bei mir die Schulter. Ich habe sie im Spätsommer 2012 nochmals operieren lassen, in der Hoffnung, 2013 nochmals starten zu können. Aber diese Hoffnung hat sich dann leider zerschlagen. Es hat mit der Schulter nicht mehr so funktioniert, wie es früher war. Und das mußte ich einsehen.“

Aber in ein mentales Loch fiel er nicht. „  Für mich war seit längerem klar, daß ich den Trainerberuf ergreifen wollte. In meinem Verein hatte ich bereits Jugendliche betreut. Ich habe  2010  mit der Trainerausbildung begonnen.“ Über die B-Ausbildung ging die „Reise“ zur A-Lizenz und dann darauf aufbauend zur Diplomtrainer-Ausbildung in Köln (Trainerakademie). „ Die habe ich abgeschlossen und kann mich also Diplomtrainer nennen.“

Gegenwärtig hat er eine kleine Trainingsgruppe, betreut zwei 16-Jährige. Aber das ist natürlich nicht alles. „ Ich bin in der glücklichen Lage, über die Traineroffensive bei der Bundeswehr gefördert zu werden, – ich war ja Sportsoldat bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe-. Im offiziellen Deutsch bin ich also Bundeswehrtrainer.“

Gekoppelt ist diese Stelle in der Außenstelle Rostock an das Bundesleistungszentrum Neubrandenburg. In Neubrandenburg werden Kugel und Diskus betreut, in Rostock die Speerwerfer. „ Natürlich umfaßt mein Aufgabengebiet die Sichtung junger Athleten im norddeutschen Raum. Fakt ist, daß  in Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu wenig Trainer für den Speerwurf tätig sind. Entsprechend liegt dort auch die Talentsichtung ein wenig brach. Das soll also meine Hauptaufgabe sein. Hinzu kommt die Unterstützung der Bundestrainer für die Männer und die U20.“ Klar, daß eine solche Tätigkeit mit vielen Reisen verbunden ist. Um so mehr genießt der zweifache Familienvater Mark Frank ab und zu auch die Ruhe zuhause.  „ Wir, meine Frau und ich“, haben uns 2004 ein Haus in Groß Grenz gebaut, zwanzig Kilometer von Rostock entfernt. Und wir leben dort mit unseren Söhnen Eric und Jannik.“

Mark Frank mit Familie von Dirk Behm

Die glücklichen Vier  ( Foto:  Dirk Behm)

Viel reist der 38-Jährige herum, und so bleibt nur noch wenig Zeit für sein Hobby Angeln. „ Von Jugend  an habe ich gern geangelt, und ich habe auf diesem Gebiet auch noch einen Traum. Einmal möchte ich gemeinsam mit meinem ältesten Sohn in Nord-Norwegen angeln“.

Der Angelsport hat also Pause, aber ganz ohne Sport kommt Mark Frank nicht aus. „ Zweimal pro Woche gehe ich in den Kraftraum. Und wenn ich das nicht regelmäßig tue, wundere ich mich, daß Körperteile schmerzen, von denen ich vorher nichts wußte. Ab und an ist es der Rücken, und die Schultern sind sowieso vorbelastet.“   Und äußerlich sieht er fit wie immer aus. Das Lächeln hat er ebenfalls noch nicht verloren.  Auch nicht an diesem Samstag bei den Halleschen Werfertagen 2016.

Peter Grau

 

 

 

 

Bernd Gummelt: Früher Spitzengeher – heute Sportorganisator für die Jugend

 

Bernd Gummelt gehörte in den Jahren um 1987 bis 1991 zu den weltbesten Gehern. Seine größten Erfolge landete er mit der Silbermedaille über 50 km bei der EM 1990 im jugoslawischen Split und  dem vierten Platz 1991 beim Weltcup im kalifornischen San José.

Der diplomierte Trainer hatte schon während seiner aktiven Zeit  als Trainer gearbeitet, ehe er dann 1998 als Jugendkoordinator beim Kreissportbund Ostprignitz-Ruppin anfing.

 

Als Laufchef im Stadtpark

Vor kurzem begegnete ich dem gebürtigen Neuruppiner im Stadtpark, einem Erholungspark der Neuruppiner. Dort wickelte er gerade als Cheforganisator eine Laufveranstaltung ab.

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„Solche Veranstaltungen mag ich vor allem deshalb,  weil ich damit eine Tradition pflegen kann.“

Und er achtet besonders darauf, daß Kinder und Jugendliche ihre verdiente Auszeichnung bekommen.  Pokale, Medaillen, Blumen, all das war beim Stadtparklauf zu sehen:

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Ähnliches wird auch beim  über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Hubertuslauf praktiziert, den Bernd Gummelt mit seiner Helferschar seit 1998 organisiert und der jeweils im Oktober zwischen 250 bis 350 Teilnehmer anzieht.

Tradition hat der Crosslauf im nahen Alt Ruppin. Auf einer profilierten Strecke im Wald läuft man dort schon seit 1950. Früher hieß das deshalb auch Waldlauf. Im Frühling und im Herbst finden hier Wettkämpfe statt. 120 bis 150 Teilnehmer werden dabei gezählt, vorrangig Kinder und Jugendliche.  „ Es macht mir Spaß, diese Veranstaltunen gemeinsam mit Vertretern der Sportvereine vorzubereiten“.

Und immer, wenn Bernd Gummelt mit Veranstaltungen in der Leichtathletik zu tun hat, erinnert er sich auch an seine eigene sportliche Vergangenheit.

Die spielte sich allerdings nicht im Laufen, sondern im Gehen ab. Vorrangig über 50 km maß er sich mit seinen nationalen und internationalen Gegnern.

Zunächst gruppierte er sich bei DDR-Meisterschaften mit ganz vorn ein, holte sich 1986 und 1987 Silbermedaillen und 1988 Bronze. Im Jahr 1989 gewann er in Neubrandenburg den Meistertitel über 50 km nach 3:53:36 h und kommentierte das anschließend gegenüber der Zeitschrift „ Leichtathletik“ wie folgt: „ Am Ende einer Saison kann man mit dieser Zeit wohl zufrieden sein. Für einen Alleingang war es ein rundes Ding. Die Strecke war sehr gut,  lag aber leider nur zu einem Drittel im Schatten“. Schon da aber bewies er, daß ihm Hitze nur wenig ausmacht.

Parallel dazu mischte er auch auf internationalem Terrain mit. 1988 stand er ganz dicht vor einem Start bei den Olympischen Spielen in Seoul.

Zunächst wurde er am 1. Mai bei den DDR-Meisterschaften über 50 km hinter Ronald Weigel und Dietmar Meisch Dritter. Danach bewies er seine Leistungsstärke, als er gemeinsam mit Weigel beim Sechsländerkampf in La Coruna über 35 km nach 2:33:06 h als Erster die Ziellinie überquerte. Diese Zeit war damals europäische Bestleistung.  „ Nachdem ich dann bei den DDR-Meisterschaften über 20 km in Rostock hinter Weigel in 1:21:40 h Zweiter wurde, und nur um 10 Sekunden die 20-km-Norm verpaßte, rechnete ich trotzdem damit,  für die 20 km nominiert zu werden, da ich ja die 50-km-Norm erfüllt hatte. Doch man nahm mit Weigel und Noack nur zwei Athleten für die 20-km-Strecke  mit.  So blieb der Flug nach Seoul für Bernd Gummelt ein Wunschtraum. „ Aber vom Leistungsniveau her war ich mit diesem Jahr sehr zufrieden.“

Und es ging reibungslos weiter, denn 1989 wurde er in der Halle von Senftenberg in 19:31,90 min DDR-Meister über  5 km.  „ Ich bin gern in der Halle gegangen, denn gewöhnlich kam ich aus einem hohen Umfang-Training und empfand den Hallenstart als eine willkommene Abwechslung im Training.“

Am 1. Mai 1989 gewann er beim Internationalen Gehen in Naumburg den erstmals ausgetragenen 35-km-Wettbewerb in 2:32:50 h und unterbot damit die von ihm und Ronald Weigel gehaltene europäische Bestleistung um 16 Sekunden. Einen kleinen Rückschlag gab es dann drei Wochen später beim Weltcup im spanischen Hospitalet. Zu schnell begann er den 50-km-Wettbewerb und brach dann später ein. Mit 4:04:03 h wurde er zwar bester DDR-Geher, aber die Zeit reichte nur für den 26. Platz.

Vizeeuropameister 1990 in Split

Am 20. Mai 1990 stellte er dann  auf einem 2-km-Rundkurs in der Berliner Wuhlheide über 50 km mit 3:46:43 h seine persönliche Bestleistung auf. Danach bewies er auf der kürzeren Distanz von 20 km seine Klasse, als  er bei den „Good Will Games“ in Seattle (USA) auf der Bahn Dritter wurde:

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Dieser Erfolg in Seattle gab auch den Ausschlag dafür, bei der Europameisterschaft in Split den Doppelstart zu wagen.

Zunächst kamen die 20 km und mit dem siebenten Platz war ich zufrieden“, erinnert sich Gummelt. „ Drei Tage später standen die 50 km auf dem Plan. Es herrschten heiße Temperaturen und die Strecke war recht hügelig. Doch beides lag mir. Bis 25 km bin ich gemeinsam mit dem Italiener Damilano und dem Erfurt Hartwig Gauder gegangen. Am Ende gewann zwar der Sowjetrusse Perlow, aber ich wurde Zweiter, und alle anderen, wie Gauder, Damilano und Weigel landeten hinter mir.“  Damit war Bernd Gummelt in der Weltspitze angekommen.

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Die  Silbermedaille von Split

Es waren zwar „nur“ Europameisterschaften, aber es fehlten von der absoluten Weltspitze nur die Mexikaner. Die Chinesen gingen damals noch nicht auf einem solch hohen Niveau wie heute.

Vom Pfeifferschen Drüsenfieber gestoppt

1991 wollte Bernd Gummelt seine Weltklasse bei den Weltmeisterschaften in Tokio beweisen. „ Für die 50 km hatte ich mich beim Geher-Weltcup in San Jose (Kalifornien) durch einen vierten Platz in 3:51:12 h hinter Mercenario (Mexiko), Baker (Australien) und Ronald Weigel schon qualifiziert. Zwar verfehlte ich dann  beim Sechsländerkampf die Qualifikation für die 20 km, aber das war nicht so schlimm, denn es mußte ja nicht immer ein Doppelstart sein“.

Voller Elan flog er  zur Vorbereitung der WM ins Höhentrainingslager nach Mexiko. „Aber dort wurde ich krank, bekam Pfeiffersches Drüsenfieber, und damit war die Saison praktisch beendet, zumal auch noch Asthma hinzukam.“  Über sechs Monate mußte er aussetzen, wollte aber so nicht aufhören. „ Ich wollte mich 1992  für die Olympischen Spiele in Barcelona qualifizieren“. Doch das Vorhaben mißlang, vor allem wegen des Trainingsausfalls und der  Asthmabeschwerden.

Bis 1994 „quälte“  er sich noch herum, wollte nicht wahrhaben, daß es nicht mehr so richtig funktionierte, auch wenn er noch einmal bei den Deutschen Hallenmeisterschaften Dritter wurde.  Aber Mitte 1994 sagte er endgültig: „ Nun ist Schluß“.

Wie er zum Geh-Sport kam

In den 70er und 80er Jahren hatte das  Gehen  einen anderen, viel höheren Stellenwert als heutzutage. So gab es beispielsweise bei Straßenwettbewerben riesige Teilnehmerfelder, ob nun im Ausland oder zuhause.

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Lugano-Cup 1970 20 km (Startnummer 1:  Peter Frenkel) / Foto: Eberhard Bock

 

Bernd Gummelt hatte, bevor er Geher wurde, daß Leichtathletik-ABC beim Leichtathletik-Trainer Max Schommler in Neuruppin erlernt.  „ Bei ihm sind wir in der Halle oft zur Erwärmung ein oder zwei Runden gegangen. Daher konnte ich den Bewegungsablauf des Gehens, „ erinnert sich Bernd Gummelt.

Inzwischen bei Hans Ulrich Schommler, dem Sohn von Max Schommler, trainierend probierte er auf  dem Sportplatz im nahen Gildenhall es dann mal richtig aus, ging zweimal je 1000 m. Den ersten Kilometer in 6:11 min, den zweiten in 6:09 min, das konnte sich für einen 15-jährigen schon sehen lassen. Mit entsprechendem Selbstvertrauen fuhr er deshalb zu den Bezirksmeisterschaften nach Potsdam und wurde in 29:32 min Dritter. Zwar lagen noch zwei Geher vom ASK Potsdam vor ihm, aber diese Bronzemedaille gab den Ausschlag, daß Bernd Gummelt bald Geher wurde. Mit 18 Jahren wurde er 1982 zum ASK Potsdam delegiert und kam sogleich in die Trainingsgruppe von Hans-Joachim Pathus. Der erfahrene Geher Ronald Weigel  gehörte zu dieser Gruppe. „ Von da an war es für mich Hochleistungssport, mit 12 bis 15 Trainingseinheiten pro Woche und einem Umfang von 150 bis 300 km.“

Und als Anreiz sah er nicht nur, daß  solche Geher wie Christoph Höhne, Peter  Frenkel, Hans-Georg Reimann und Hartwig Gauder schon Lorbeeren gesammelt hatten, sondern daß die internationalen Wettkämpfe auch die Chance boten, Land und Leute kennenzulernen.

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Olympische Spiele 1976 Montreal, 20 km (Hans Reimann (2.), Bautista (Mexiko, 1.), Peter Frenkel (3.), von links)

 

Entsprechend positiv fällt auch sein Fazit über seine sportliche Karriere aus: „ Es war anstrengend, aber es waren keine verlorenenen Jahre. Sie prägten mich vielmehr und schulten besonders meine Ausdauerfähigkeit. Konsequent sein, dabeibleiben, alles Eigenschaften, die man auch im normalen Leben außerhalb des Sports benötigt. Man zieht eben aus dem Sport auch Kraft, Stärke, kann Probleme besser bewältigen.“

Diplomtrainer und Jugendkoordinator

Aber nicht nur das Gehen hatte er im Kopf. Einen Lehrabschluß als Werkzeugmacher hatte er in der Tasche, als er von Neuruppin nach Potsdam ging. Und er begann dann an der Fachschule in Wildau bei Berlin Maschinenbau zu studieren. Das Grundstudium war abgeschlossen, doch dann kam die Wende dazwischen. „ Ich wußte nicht, ob und wie das Studium nun anerkannt wird.“ Deshalb hörte er auf und sah sich nach einem anderen Beruf um.

Schon länger hatte Bernd Gummelt damit geliebäugelt, Trainer zu werden. „ Ich hatte das Glück, bei Hans-Joachim Pathus zu trainieren, denn bei ihm durfte man sich immer über Trainingsinhalte austauschen, war ein mündiger Athlet“. Fast logisch, daß er sich an der Trainerakademie in Köln einschrieb, dort studierte und 1995 die Abschlußprüfung bestand. Fortan durfte er sich Diplomtrainer nennen und praktizierte das auch.

Zwei Jahre lang war er Leichtathletik-Landestrainer in Potsdam, von 1997 bis 2000  DLV-Disziplintrainer der Frauen im Gehen. Und noch zuvor, in der Zeit, als er selbst noch aktiv war, hatte er bereits seit 1993 mit Beate Gummelt eine Spitzengeherin trainiert. Seit längerem waren beide ein Paar, hatten 1993 geheiratet.  „ Am Anfang schauten die Trainer schon etwas überrascht, nach dem Motto: Was nicht sein kann, das nicht sein darf“. Aber es ging. Bernd schrieb für Beate die Trainingspläne und beide hatten Erfolg.

Privat klappte es auch. 1998 kam Tochter Sarah  zur Welt und 2007 Sohn Sebastian.

Und dann bekam er in seiner Heimatstadt Neuruppin das Angebot, als Jugendkoordinator im Kreissportbund Ostprignitz-Ruppin zu arbeiten und in dieser Funktion  alle Aktivitäten der Jugend des Kreissportbundes zu verantworten.  Am 1. Januar 1998 begann er diese Tätigkeit und damit war das Kapitel „Trainer“ vorerst abgeschlossen. Allerdings schien sich 2000 nochmals eine Gelegenheit aufzutun, als DLV-Bundestrainer Pathus altersbedingt aufhörte.  Doch es gab keine offizielle Ausschreibung, „sonst hätte ich mir es sicher  überlegt, doch nochmal Trainer zu werden.“

Aber so ganz kann er von dem Trainersein nicht lassen. „ Ich bin als Übungsleiter beim LAC Ruppin tätig und betreue dort einige Leichtathleten.“

Seine Hauptarbeit aber liegt beim Kreissportbund Ostprignitz-Ruppin, für den er nun schon 18 Jahre unterwegs ist.

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 Bernd Gummelt am  Schreibtisch

An dieser Arbeit gefällt ihm besonders, daß es eine Mischung zwischen der Arbeit am Schreibtisch und der Arbeit draußen an der Basis ist. „ Wir organisieren solche Veranstaltungen wie die Kreis-Kinder- und Jugendsportspiele des Landkreises und bieten auch selbst Veranstaltungen an, wie etwa Straßenfußballturniere, Kita-Olympiaden  oder eben Laufveranstaltungen und werben somit für Bewegung, Sport und für unsere Sportvereine.

Ein Höhepunkt sind die jährlichen Kreis- Kinder- und Jugendsportspiele. „ In diesem Jahr findet diese Veranstaltung zu unterschiedlichen Terminen an unterschiedlichen Orten in 24 Sportarten statt. Es ist ein offenes Angebot, d.h.  wer Lust hat, kann daran teilnehmen.“

Ein wenig erinnert sich Bernd Gummelt dabei auch an die früheren Kinder- und Jugendspartakiaden in der DDR. „ Damals aber war die Spartakiade sehr schullastig. Heute kommen die Teilnehmer entweder allein oder als Vereinssportler. Aber der Grundgedanke ist ähnlich. Die Kinder brauchen ihren Höhepunkt, ihre Bestätigung. Und es gibt noch genügend, die auch kämpfen wollen.“

Bernd Gummelt schaut bei seiner Arbeit nicht auf die Uhr, ein geregelter Acht-Stundentag ist für jemandem, der im Sport tätig ist, nicht denkbar.  „ Wir als Kreissportbund empfinden uns als Dienstleister für die Sportvereine. Im Landkreis OPR, zu dem Kyritz, Wittstock und Neuruppin zählen, sind 13.000 Mitglieder in 158 Vereinen organisiert, davon rund 5000 Kinder und Jugendliche. Und hervorzuheben  ist, daß im Altersbereich von 8 bis 14 Jahren immerhin jedes dritte Kind aus dem Lankreis OPR in einem Sportverein ist.“

Auf die Frage, warum er bis heute so schlank geblieben ist, und bei 1,80 m Körpergröße nur 67 kg wiegt,-  also nur 5 kg mehr als zu besten Geher-Zeiten-, hat er keine eindeutige Antwort. „ Weil ich soviel trainiere,“ sagt er lachend, es nicht ernst meinend und fügt an:  „ Alles über 300 Meter wird mit dem Auto gefahren.“ Doch ganz stimmt das nicht, denn gern ist er beispielsweise auf Inlinern unterwegs, gemeinsam mit seinem Sohn Sebastian oder seiner Tochter Sarah. Ab und an läuft er auch mal drei Kilometer hinaus in die Natur, doch da ist seine Frau Beate viel besser, denn sie läuft  mehrmals in der Woche, um sich fit zu halten.

„Vielleicht liegt es aber auch daran, daß mein Stoffwechsel immer noch anders funktioniert, eben deshalb , weil ich so lange Hochleistungssport betrieben habe. Seit 1978 habe ich regelmäßig trainiert, war im Jugendbereich 50 bis 60 km pro Woche unterwegs und  später viel mehr. Also 16 Jahre Sport, da findet sicherlich eine Umstellung statt.“

Am Sportgeschehen außerhalb seines Landkreises ist Bernd Gummelt auch weiterhin sehr interessiert. Ob es nun die Leichtathletik ist, –  immer noch hat er ein Abo der Zeitschrift „ Leichtathletik“ -, ob es im Fernsehen Fußball oder Wintersport sind, er schaut gern zu. Und beim Wintersport erinnert er sich auch an frühere Zeiten, als er im Trainingslager auf Langlaufbrettern unterwegs war.  „ Für uns Geher war das damals zwar sehr anstrengend, 30, 40 oder 50 km auf den Skiern zu absolvieren, aber als Trainingsmittel haben wir das gern mitgenommen.“ Heutzutage kommt er aber nur noch sehr selten zum Skifahren, die Skier parken in der Garage.

Am nördlichsten Punkt Europas

Gern pflegt Bernd Gummelt auch ein besonderes Hobby. Er erkundet bei seinen Urlaubsreisen besondere Punkte, Orte und Regionen.

Schon immer interessierte er sich  für Geographie.  Als Sportler hatte er bei seinen Auslandsreisen aber nur wenig Zeit für Land und Leute. Heute ist das anders. So etwa, wenn er den nördlichsten Festlandspunkt des Kontinents erkunden will. „Und der ist nicht das bei Touristen so beliebte Nordcap, sondern der etwas weiter östlich gelegene Punkt auf der Halbinsel bei Mehamm/ Gamvik.

Ein anderer Zielpunkt war  die Spitze von Dänemark „Dort standen wir dann mit einem Bein in der  Ostsee, mit dem anderen in der Nordsee“.

Peter Grau

(Fotos:  Peter Grau)

Julia Fischer – die Königin der Halleschen Werfertage 2016

 

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Ihren Schrei konnte man überall auf dem weitläufigen Gelände des Sportzentrums Brandberge hören. Es mußte etwas Besonderes im Diskusring geschehen sein und das war es auch: 68,49 m stand auf der Anzeigetafel und das bedeutete den Sieg im Diskuswerfen für die 26-jährige Berlinerin Julia Fischer. „ Ich mußte einfach meine Freude herausschreien, denn solch einen Wurf hatte ich zwar nach dem Trainingswerten erwartet, aber so ganz einfach verlief dieser Wettkampf nicht.“

Wie gut sie in Form ist, hatte sie vor einer Woche beim Saisonauftakt in Wiesbaden mit einem Erfolg mit einer Weite von 66,59 m bewiesen.

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Siegerehrung in Halle /Saale

Nun aber gelang ihr in Halle/Saale im Schlußdurchgang mit 68,49 m nicht nur der bisher weiteste Wurf ihrer Karriere, sondern auch der Sieg gegen starke Konkurrenz wie der Weltmeisterin Denia Caballero (Kuba/66,41), den Chinesinnen Xinyue Su (65,40) und Bin Feng (65,14) und der von einer Erkältung gehandicapten Hallenser Lokalmatadorin Nadine Müller (64,30).

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Entsprechend aufgewühlt und superglücklich stellte sie sich dann den zahlreichen Journalisten. Und es ist eben ein Vorteil bei diesen familiären Hallenser Werfertagen, daß man als Journalist nicht mühsam in einer Mixed-Zone um Stimmen „kämpfen“ muß, sondern leicht und locker direkt nach dem Wettkampf und dicht neben der Wettkampfanlage in ein Gespräch kommt.

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Julia Fischer stand bisher zumindest in den Medien meistens im Schatten ihres Freundes Robert Harting. Der wußte als ein Aushängeschild der deutschen Leichtathletik nicht nur mit Leistungen zu überzeugen, sondern vielmehr auch mit vielen Wortmeldungen, die von den Journalisten in der Regel immer dankbar aufgenommen wurden.

Julia Fischer hat dazu vor drei Jahren in einem Interview mit Sebastian Arlt von der Berliner Morgenpost gesagt, daß es sie, wenn es um ihre eigenen Leistungen gehe, nicht nerve, immer den Zusatz „ die Freundin von Robert Harting“ zu lesen. „ Ich beachte es gar nicht“ . Vielmehr sehe sie es pragmatisch. „ Er ist eben der Superstar der Leichtathletik, da steht jeder dahinter im Schatten. Aber ich habe schließlich genügend Selbstbewußtsein als Frau“.

Drei Jahre sind seit diesem Interview ins Land gegangen. Wie selbstbewußt Julia Fischer nunmehr ist, zeigte sie nun bei den Hallenser Werfertagen bei dieser „kleinen Pressekonferenz“ nach ihrem 68,49-m-Wurf. Und es sprudelte förmlich aus ihr heraus. Eine Freude für die Journalisten.

Notizen aus dem Plausch mit den Medien

„ Im Training ist es in den letzten Wochen sehr gut gelaufen. Ich habe schon mal in diesen Bereich geworfen, wußte also, daß ich es drin habe.“ Aber der Wettkampf begann mit zwei ungültigen Versuchen sehr schlecht. „ Ich kam nur schwer in den Wettkampf und hatte ganz schön Herzklopfen vor dem dritten Versuch.

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Ich wußte, daß ich nun einen heraushauen muß, denn sonst wäre der Wettkampf zuende gewesen. Das hat mir einen Adrenalinstoß gegeben und so sind auch die 64,14 m zu erklären“. Früher hatte sie in solchen Situationen oft Nerven gezeigt. Warum war das nun anders, wurde nachgefragt: „ Ich habe einfach gelernt, mit solchen Situationen fertig zu werden. Es klappt zwar nicht jeden Tag, man ist nicht jeden Tag gleich gut. Aber ich habe , auch durch meinen Mentaltrainer Markus Flemming, gelernt, in schwierigen Situationen mit Druck umzugehen und das eher positiv für mich zu nutzen“. Und die Berlinerin verwies auch darauf, daß manche Wettkämpfe recht einschläfernd beginnen, aber dann plötzlich „ explodieren“. „ Dann wirft einer in den letzten Versuchen weit und dann muß man aufpassen, nicht den Anschluß zu verlieren. Aber mich pusht das immer, ich kann mich dann nochmals richtig aufbauen. Und auch heute dachte ich: Es muß doch nun mal irgendwie klappen. Es war bei jedem Wurf anfangs etwas anderes, was nicht stimmte, und dann im fünften Versuch kam viel Gutes zusammen, es wurden 65,15 m. Der Wurf war solide, aber nicht optimal. Ich dachte, daß ich im sechsten Versuch überall etwas zulegen müßte, um noch weiter zu werfen.

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Ich habe dann mit meinem Coach Torsten Schmidt (links, mit seinen 2,07 m alle überragend) nochmals geredet und beraten, wie ich das mit dem Wind machen soll und dann habe ich es einfach probiert. Es war fifty-fifty, aber es klappte, und ich freue mich unfaßbar.“

Doch mitten in der Euphorie trat sie auch gleich auf die Bremse. „ Es wäre ein Fehler, sich nun zurückzulehnen und zu denken, daß ich sicher in Rio dabei bin. In Kassel bei den Deutschen Meisterschaften wird sich entscheiden, welche drei Diskuswerferinnen für die Olympischen Spiele nominiert werden.“ Daß sie dabei sein will, darf man aber voraussetzen, besonders auch nach diesem Superwurf von Halle.

„Ich will in Rio auf alle Fälle eine Medaille gewinnen. Das war schon immer mein Traum, als ich mit dem Leistungssport angefangen habe. Und diesen Traum möchte ich mir erfüllen.“

Peter Grau

 (alle Fotos: Peter Grau)

 

Ein Interview zur rechten Zeit!

Schon vor einigen Tagen gab Julia Fischer meinem Journalistenkollegen Philip Häfner für die Berliner Morgenpost ein Interview, in dem sie über ihre olympischen Träume sprach, aber auch zur  allgegenwärtigen Dopingproblematik Stellung nahm.

Lesen Sie im folgenden einige Auszüge aus diesem Interview.

Julia Fischer will mit ihrem Freund Robert Harting nach Rio

Berlin.  Julia Fischer (26) wurde 2015 erstmals Deutsche Meisterin im Diskuswerfen, bei der WM in Peking erreichte die Freundin und Trainingsgruppenkollegin von Olympiasieger Robert Harting dann Platz fünf. In dieser Saison will die Sportlerin des SCC Berlin bei den Olympischen Spielen in Rio eine Medaille gewinnen.

Berliner Morgenpost:  Im vergangenen halben Jahr waren Sie zweimal in Südafrika im Trainingslager, danach in der Türkei, in Florida und zuletzt in Portugal. Haben Sie mal darüber nachgedacht, Ihre Wohnung unterzuvermieten?

Julia Fischer: Nein, auch wenn wir in letzter Zeit wirklich viel unterwegs waren (lacht). Zum Glück haben wir eine gute Freundin, die Blumen gießt und Post rausholt. Sonst würde der Briefkasten überlaufen. Wir kriegen viel Post, Robert ist sehr geschäftstätig.

Sie sind gerade von der portugiesischen Algarve zurückgekehrt. Wie war’s?

Fischer: Toll. Die Bedingungen dort unten sind hervorragend. Das Stadion liegt an der Küste direkt an den Klippen – sehr malerisch. Kurz vor dem Saisonstart haben wir noch einmal sehr viel geworfen, um die Belastung zu simulieren. An die 500 Würfe werden das in den zwei Wochen schon gewesen sein. Jetzt freue ich mich auf die Wettkämpfe. Meine Werte sind besser als im Vorjahr. Ich habe das Gefühl, dass die Zusammenarbeit mit Trainer Torsten Schmidt, bei dem ich seit 2013 bin, endlich so richtig fruchtet.

Woran machen Sie das fest?

Fischer: Körperlich war ich schon immer gut gewesen, aber Kraft allein ist eben nicht alles. Ich will das Diskuswerfen beherrschen. Unter meinem neuen Coach habe ich mich auch technisch deutlich verbessert. Ich kenne keine Werferin, die mir so ähnlich ist, dass ich mich an Ihrer Technik orientieren könnte. Daher ist es viel Eigenarbeit.

Ihre ersten beiden Wettkämpfe absolvieren Sie am Sonntag in Wiesbaden und eine Woche darauf in Halle. Mit welchen Erwartungen reisen Sie dort hin?

Fischer: Wiesbaden und Halle sind immer wie nach Hause zu kommen. Seit ich 14 bin, starte ich dort, es ist wie ein großes Familientreffen der Werfer. Auch in diesem Jahr ist wieder die gesamte deutsche Spitze am Start, da möchte ich natürlich gleich ein Ausrufezeichen setzen. Ich bin gut drauf. Ich glaube, es kann in Richtung Bestleistung gehen.

Diese steht bei 66,46 Meter. Um sich gegen die nationale Konkurrenz durchzusetzen, sind solche Weiten auch nötig, denn fast in keiner anderen Disziplin sind die Olympiatickets so hart umkämpft. Im Vorjahr schafften sechs Werferinnen die WM-Norm. Nur drei können nach Rio.

Fischer: Ich möchte nicht in der Haut des Bundestrainers stecken. Es tut mir schon jetzt leid für diejenigen, die am Ende zu Hause bleiben müssen. Aber mein Ziel ist eine Medaille in Rio. Dann muss ich in der Lage sein, mich national durchzusetzen.

Haben Sie sich eine bestimmte Medaillenfarbe vorgenommen?

Fischer: Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass Gold mein Ziel ist. Die Kubanerin Denia Caballero und die Kroatin Sandra Perkovic (die Olympiasiegerin von 2012 warf gestern in Shanghai mit 70,88 Metern Weltjahresbestleistung, d.Red.) sind zurzeit einfach besser, sie haben ein Leistungsvermögen von 70 Metern und mehr. Ich traue mir 67 oder 68 Meter zu. Damit hätte man im Kampf um die Medaillen gute Chancen. Aber letztendlich entscheidet in einem Olympiafinale auch immer der Kopf.

Gerade in diesem Bereich wirkten Sie 2015 deutlich gefestigter als in den Vorjahren. Wie groß ist der Anteil Ihres Mentaltrainers Markus Flemming am Erfolg?

Fischer: Er ist ein ganz wichtiger Pfeiler und ich möchte ihn nicht mehr missen. Ich hatte zeitweise ein wenig das Selbstvertrauen verloren, weil ich bei den Erwachsenen nicht mehr so erfolgreich war wie in der Jugend. In dieser schwierigen Phase ist ein Stück von mir verloren gegangen. Markus half mir, meine Leichtigkeit zurückzugewinnen, mein altes Ich wiederzufinden.

Ziel ist eine Olympiamedaille. Aber könnten Sie sich angesichts ständig neuer Enthüllungen über Dopingskandale in Russland überhaupt noch darüber freuen?

Fischer: Ich bin Idealistin und ich liebe meinen Sport. Es war hart zu begreifen, wie verkommen Teile dieser Sportart sind, die ich so liebe. Aber wenn wir Sportler uns nicht mehr über unsere ehrlich erkämpften Erfolge freuen können, dann haben wir den Kampf verloren. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Wenn ich das nicht mehr könnte, hätte ich schon längst aufgehört.

Deutsche Athleten fordern nach Berichten über Dopingmanipulationen in Sotschi Russlands Ausschluss in Rio – Sie auch?

Fischer: Wenn der im US-Exil lebende Laborchef nicht nur finanzielle Beweggründe hat und es tatsächlich Beweise gibt, muss es einen Ausschluss geben. Sonst verstehen die Russen das nicht, wie sehr sie den Sport zerstören.

Sie setzen trotz allem voll auf den Sport. Ihr Jurastudium liegt derzeit auf Eis.

Fischer: Ich bin jemand, der viel trainieren muss, sonst funktioniert es nicht. Ich brauche zwei Einheiten am Tag. Man kann sich vorstellen, dass Jura da vielleicht nicht das Richtige ist. Nach den Spielen werde ich stattdessen ein Fernstudium beginnen, wahrscheinlich der Politikwissenschaften. Das kommt meinem Alltag mehr entgegen.

Philip Häfner

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( Auszüge aus einem Interview, erschienen am 15. Mai 2016 in der „ Berliner Morgenpost“).

Kathrin Weßel: Der Weg von der Spitzen-Langstrecklerin an die Laufbasis

Kathrin Weßel (geb. Ullrich) war in den 90er Jahren die schnellste deutsche Langstrecklerin über 10.000 m. Sie holte sich von 1987 bis 1996 kontinuierlich den Landesmeistertitel , zuerst noch in der DDR und später ab 1991 in der Bundesrepublik. Mit einer Bronzemedaille über 10.000 m bei der WM 1987 in Rom begann ihre internationale Karriere. Es folgten Siege bei Europacups und Weltcups, aber auch schmerzliche vierte Plätze. Dreimal, 1988 bei Olympia in Seoul, 1991 bei der WM in Tokio und 1994 bei der EM in Helsinki  musste sie mit der ungeliebten „Holzmedaille“ für den vierten Platz  vorliebnehmen.    

Nach der Geburt ihrer Tochter Nele im Jahre 1999  wechselte sie zum Marathon und zum Straßenlauf und war auch dort erfolgreich. Heute lebt sie im Umland von Berlin, ist im Sportgeschäft  „Long Distance“  am Rande des Berliner Tiergartens als Verkäuferin tätig und leitet dort gemeinsam mit ihrem Mann André Weßel Laufkurse.

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Die heile Welt in Schönwalde

Die Sonne lacht, und eine beruhigende Stille liegt über Schönwalde, einem Ortsteil von Wandlitz. Nur 5 km  sind es von dort bis zur Berliner Stadtgrenze, eine halbe Stunde bis zum Tiergarten. In Schönwalde haben sich die Weßels im Mai 2000  in einer neu geschaffenen Siedlung ein kleines Reihenhaus gekauft. Hausherrin Kathrin Weßel, rank und schlank wie eh und je,  empfängt den Besucher an der Tür.  Ehemann André Weßel steigt gerade ins Auto, um ins Geschäft nach Berlin zu fahren. Vorher aber läßt er sich gern noch im Garten „ablichten“:

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André Weßel

 

Kathrin Weßel ist auf das Gespräch gut vorbereitet. Gemeinsam mit Tochter Nele sitzen wir am Wohnzimmertisch und blättern in einem Buch, in dem Kathrin akribisch ihre  größten Lauferfolge aufgelistet hat, untermalt mit Fotos, mit Zeitungsartikeln. Stolz zeigt sie dabei die zwei Olympiapässe, die sie für die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona erhalten hat. Und sie beeindruckt durch ihr Gedächtnis. „ Ich kann mich an fast jedes Rennen erinnern. Das habe ich ja erlebt, das hat mich geprägt. Es waren auch teilweise die Höhepunkte in meiner sportlichen Karriere und deshalb weiß ich eigentlich vieles noch von damals.“

Auffällig ist, dass sie ihre vielen Medaillen und Pokale nicht im Keller, – den es ohnehin nicht gibt-, versteckt, sondern mit ein wenig Stolz im Nebenzimmer zeigt.

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In einem besonderen Bilderrahmen ist  die Erinnerung an den deutschen Rekord über 10.000 m festgehalten, den sie am 30 Juni 1991 in Frankfurt/Main mit 31:03,62 min aufstellte. „ Der Rekord besteht nun schon 25 Jahre“.

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Zu jedem Pokal könnte sie eine Geschichte erzählen, zu jeder Medaille ebenso.

Vier Medaillen hat sie fotografiergerecht auf einem Hocker drapiert. Und sie sind mit Bedacht ausgewählt, zeigen ihre Entwicklung von der Jugend bis zur Weltspitze:

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Die Silbermedaille von der EM 1990 in Split, die Bronzemedaille von der WM 1987 in Rom, die Goldmedaille von Weltcup 1989 in Barcelona und eine Goldmedaille von der Kinder-und Jugend-Spartakiade 1983 in Leipzig (von links).

 

Vom Erzgebirge nach Berlin

Angefangen hatte alles in den Bergen, im Erzgebirge. 1967 in Annaberg geboren, in Königswalde aufgewachsen, musste einfach das Skifahren am Beginn ihres sportlichen Tuns stehen. Doch da sie auch bei Crossläufen gut abschnitt, holte sie Bruno Felder schließlich zur Leichtathletik zur SG  Dynamo Annaberg und formte das Talent bis zur Delegierung ins ferne Berlin, zum SC Dynamo. Dort trainierte sie ab September 1980 sechs Jahre lang bei Jörg Wagner, die Mittelstrecke schien die rechte Distanz für sie zu sein. Stolz war sie auf ihre ersten Auftritt bei der Spartakiade 1983 in Leipzig,  als sie über 1500 m und über 3000 m Gold gewann.

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1983 zweifache Spartakiade-Siegerin (Foto: Bock)

 

Der Wechsel auf die längere Distanz war dann mehr dem Zufall geschuldet. Im Herbst 1986 wurde beim SC Dynamo Berlin unter Trainer Jürgen Haase eine Langstreckentruppe aufgebaut, zu der bei den Männern u.a. Rainer Wachenbrunner, André Weßel, Maik Dreißigacker und Axel Krippschock gehörten, bei den Frauen Angelika Zauber, Birgit Barth, Jeannette Hain und  auch Kathrin Ullrich, wie sie damals noch hieß. „ Eigentlich wollte ich nicht auf die lange Strecke wechseln, aber in dieser Gruppe habe ich eben langstreckenorientiert trainiert,“ blickt Kathrin heute zurück. „ Ich gewann 1987 die DDR-Meisterschaften über 10.000 m und danach den Europacup, und damit war es entschieden. Auch in meinem Kopf war es nun drin. Man muss immer einen Erfolg haben, wenn man sich mit der Strecke identifizieren will“.

Auf Landesebene blieb ihr der Erfolg treu. Bis 1996 gewann sie jedes Jahr den Meistertitel, ob nun in der DDR oder dann in Gesamtdeutschland.

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Sieg bei den DDR-Meisterschaften 1989 in Rostock über 10.000 m in der Jahresweltbestleistung von 32:22,55 min (Startnummer 489)

 

Der Einstieg ins internationale Geschäft gestaltete sich allerdings nicht ganz so reibungslos. Zwar gewann sie 1987 die 10.000 m beim Europacup, aber das reichte noch nicht dafür aus, um sich für die WM im gleichen Jahr zu qualifizieren. „ Ich musste nochmals beim Meeting in Oslo antreten, um die damals extrem hohe Norm von 32 Minuten zu laufen. Fast im Alleingang lief ich dann dort 32:01 min, doch noch immer reichte das nicht aus. Ein weiterer Leistungsnachweis von 8:50 min über 3000 m musste geliefert werden.“  Doch auch das schaffte sie. Und dann staunten manche Zweifler, als sie recht überraschend bei der WM 1987 in Rom hinter der Norwegerin Ingrid Kristiansen und der Sowjetrussin Jelena Schupijewa die Bronzemedaille gewann. Kathrin Ullrich war in der Weltspitze angekommen.

Der Kampf mit Ingrid Kristiansen

Ein Jahr später, 1988, hatte sie in Seoul ihren ersten olympischen Auftritt.  An das Finale über 10.000 m kann sie sich noch gut erinnern: „ Ich war sehr gut trainiert, hochmotiviert. Und dann war leider der Rennverlauf anders, als ich mir es  vorgestellt hatte. Ich habe unterwegs einen Fehler gemacht, und das hat mich eine Medaille gekostet. Nachdem Kristiansen 1987 bei der WM von vorn gelaufen war und ein Riesenloch gerissen hatte, das wir als Verfolger dann zwar verringern, aber nicht stopfen konnten,  habe ich mir gesagt:  Das passiert dir nicht noch einmal, diesmal renne ich mit ihr mit. So geschah es dann auch, wir zwei hatten einen Vorsprung vor den anderen. Aber Kristiansen ging bei 5.200 m plötzlich aus dem Rennen. Später sagte sie, dass sie wegen Fußproblemen aufgehört habe, aber davon habe ich nichts gemerkt. Jedenfalls war ich auf einmal allein auf weiter Flur. Statt auf die nachfolgende Gruppe zu warten, bin ich weitergerannt, und irgendwann hatten sie mich. Und ich hatte dann nicht mehr die Kraft für den Spurt. Es blieb die „Holzmedaille“, der vierte Platz.  Damals brauchte ich lange, um das zu verwinden.  Heute, im Nachhinein, sage ich: Alles richtig gemacht, ich freue mich, Olympiavierte geworden zu sein.“

1989 Weltcupsieg in Barcelona

Aber der Stachel des misslungenen Rennens saß damals noch tief.  So war das folgende Jahr umso wichtiger. Beim Weltcup 1989 in Barcelona begegneten sich Kathrin Ullrich und Ingrid Kristiansen erneut. Kathrin Ullrich lief für die DDR-Mannschaft, Kristiansen für die Europa-Auswahl. Wieder  lagen beide vor dem übrigen Feld, mit gehörigem Vorsprung vor den anderen. „ 9.800 m bin ich hinter ihr hergelaufen, sie bekam mich auch nicht mit Tempowechseln los. Und 200 m vor Schluss setzte ich den Spurt an, holte noch  acht Sekunden Vorsprung heraus. Das war dann für mich eine Genugtuung.“

Kathrin Weßel klein Barcelona Weltcup

Sieg beim Weltcup 1989  (rechts die fast überrundete Spanierin Marina Prat); Foto: Eberhard Thonfeld

Der Wechsel zum Straßenlauf

Auch der politische Umbruch, die Wende 1989 /1990, konnte Kathrin Ullrich nicht mehr aus der Erfolgsspur werfen. „ Ich habe damals gar nicht darüber nachgedacht, den Sport an den Nagel zu hängen. Ich war ja so erfolgreich. Ich musste mir auch über einen Beruf keine Gedanken machen, denn nach der Wende konnte ich gut vom Sport leben“, sagt Kathrin Weßel. „ 1990 bis 1992 waren mit meine erfolgreichsten Jahre.“  Und ihr kam entgegen, dass nun der Straßenlauf boomte.

So war sie also nicht mehr nur auf der Bahn zu sehen, sondern auch oft auf der Straße. „ Diese Läufe, die zwischen 5 und 15 km variierten, haben mir Spaß gemacht. Und ich bin auch Halbmarathon gelaufen und habe mich 1994  erstmals an einen Marathon gewagt.“ Doch dafür war die Vorbereitung viel zu kurz gewesen. Nach den Europameisterschaften 1994 in Helsinki, wo sie über 10.000 m auf dem undankbaren vierten Platz landete, lief sie noch einen 5.000er in Tokio. Dann blieben nur noch fünf Wochen bis zum Start beim Frankfurt-Marathon. „ Ich wollte ja noch nicht völlig zum Marathon wechseln, sondern nur mal probieren.“ Aber das war wohl blauäugig gedacht. „ Die erste Hälfte ging noch gut, aber dann habe ich sehr gelitten. Mein Manager und auch André rechneten schon nicht mehr mit meinem Zieleinlauf. Aber ich kam an, wurde sogar noch gesamt Dritte und Deutsche Meisterin, aber mit einer schwachen Zeit von 2:36:29 h. Ich nahm mir danach vor, den nächsten Marathon nur mit einer richtigen Vorbereitung zu laufen.“

Entsprechend trainierte sie 1998 bis zu 200 km pro Woche und der zweite Marathon in Köln war dann auch mit einer Zeit von 2:30:05 h und einem zweiten Rang  ansprechend.

Das Kapitel Bahnwettkämpfe hatte sie praktisch 1996 mit dem Start bei den Olympischen Spielen in Atlanta abgeschlossen. Aber dieser letzte Versuch ging schief. „ Zwar war ich in Superform, hatte den Europacup gewonnen und in Rom einen 5000-m-Wettkampf. Aber dann sind wir ins Trainingslager nach Flagstaff gefahren und lange dort geblieben. Wir hätten uns aber mindestens eine Woche Pause gönnen müssen, um den Körper herunterkommen zu lassen. Das waren einige trainingsmethodische Fehler. Als Folge fühlte ich mich dann  in Atlanta sehr müde, schaffte im Vorlauf nur eine 33:30er-Zeit und schaffte nicht den Einzug ins Finale.“

Jedenfalls stand fortan nur noch Marathontraining an. Das nächste Ziel waren die Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Doch da kam ein freudiges Ereignis dazwischen. Am 6. November 1999 wurde Tochter Nele geboren. Nun stand erstmal die Tochter im Vordergrund, auch wenn Vater André tüchtig half.  Mit ihm ist Kathrin seit 1989 privat zusammen, im September 1992 hatten beide geheiratet. „ Im nächsten Jahr haben wir nun schon Silberhochzeit.“

Die Tochter Nele betreuen und gleichzeitig Leistungssport betreiben  war nicht so einfach. Aber Kathrin Weßel packte nach einer  Laufpause den Neuanfang, schaffte sich auch ein besseres Trainingsumfeld.  „ Wir haben lange in Berlin-Marzahn gewohnt, aber ich wollte unbedingt ins Umland, auch wegen der dort besseren Trainingsmöglichkeiten. In Marzahn musste ich oft über die Felder laufen. Nun in Schönwalde konnte ich direkt vom Haus aus hinein in den Wald laufen. Und ich hatte außerdem am Liepnitzsee eine Runde von 9250 m, sehr profiliert und gut für die Marathonvorbereitung.“

Jedes Jahr absolvierte sie nun zwei Marathons und das erfolgreich. So wurde sie 2001 in Hamburg und in Berlin Dritte.  Ebenfalls in Berlin lief sie 2004 ihren letzten Marathon. „ Ich hatte es 2003 angekündigt, dass  2004 mein letztes Jahr werden würde. Überall, wo ich zuvor hinkam, ob nun in Ludwigshafen, Darmstadt oder  anderswo, wurde ich entsprechend verabschiedet. Die Zeit spielte dann in Berlin keine Rolle mehr. Ich habe den letzten Marathon genossen, konnte den Zuschauern auf der Zielgerade sogar noch zuwinken. Nur der Moment, als für mich im Start-Zielbereich am Brandenburger Tor die Abschiedshymne „ Time to say goodbye“ angestimmt wurde, ließ mich traurig werden. Aber es war ein würdiger Abschluss meiner Leistungssportkarriere.“

Mit Freude beim Laufkurs und im Geschäft

Nun hatte Kathrin Weßel erst einmal mehr Zeit für die Familie. Nebenher arbeitete sie zwei Jahre als Personal Trainer.  „ Ab 2005  habe ich im Sportfachgeschäft „Long Distance“ am Berliner Tiergarten Laufkurse angeboten, betreute Sportler auf dem Weg zum Frauenlauf, Halbmarathon und Marathon. Das entwickelte sich, auch in Zusammenarbeit mit meinem Mann André, der schon seit 2004  in diesem Laden tätig war und die Laufkurse initiiert hatte. “

Das Kurssystem hat einen guten Zuspruch. “ Eine feste Gruppe von ca. 60 Leuten, die sich „Long Distance Laufclub“  nennt, kommt zweimal in der Woche zu uns und trainiert bei uns. Wir geben kein spezielles Zeitziel vor. Manche wollen bei ihrem ersten  Marathon nur ankommen, andere wollen unter 3 Stunden laufen. Aber für alle gibt es Trainingspläne. Wichtig auch, dass nach Herzfrequenz trainiert wird, sich keiner überanstrengt.“

Man könnte meinen, dass es Kathrin Weßel leicht gefallen sei, sich in dieses System einzupassen. „ Das war aber anfangs nicht so, „ räumt sie ein. „ Es war ein Lernprozess, denn ich musste mich umstellen. Mein Training war früher leistungsorientiert und jetzt musste man sich in Läufer hineinversetzen, für die der Sport nur Nebensache ist. Sie kommen zwar gern und freiwillig zu uns, aber jeder  unter seinem persönlichen Leistungsaspekt. Und alle in einer Gruppe zu betreuen, sich mit ihren Blessuren auseinanderzusetzen, war schon im Kopf eine Umstellung für mich.“  Aber Kathrin Weßel wird auch für ihr Engagement belohnt, wenn die  Kursteilnehmer nach dem erfolgreichen Berlin-Marathon mit ihren Medaillen glücklich in den Laden kommen und sich über ihre Zeiten freuen. „ Da freut man sich einfach mit, weiß, wofür man das gemacht hat.“

Seit 2006 ist Kathrin Weßel auch voll im Verkauf tätig. Und es ist eine gelungene Mischung für sie, das Abhalten der Laufkurse und der eigentliche Verkauf im Laden. „ Den Verkauf finde ich einfach spannend, vor allem bei der heutigen Vielfalt des Angebotes.“  Und dazu gehören nicht nur Laufschuhe, sondern auch Laufbekleidung, Triathlonausrüstung und eine Schwimmabteilung.

Gern ist sie auch dabei, wenn sich „Long Distance“  auf den Messen der Laufveranstaltungen präsentiert. So etwa vor dem Berliner Halbmarathon 2016 auf der Vitalmesse:

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Auf der Vital-Messe im April 2016

 

Tochter Nele überwindet die Hürden

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Tochter Nele ist zwar nicht beim Marathontraining dabei, aber sie ist ebenfalls seit jungen Jahren von der Leichtathletik begeistert.  „ Wir haben sie damals zum Kindertraining angemeldet, und sie fand schnell Spaß daran und war auch erfolgreich, “ erinnert sich Kathrin Weßel. „ Später, als sie zwischen einen richtig guten, normalen Gymnasium und der Sportschule wählen konnte, entschied sie sich für den Sport“. Nun lernt sie im Sport-und Leistungszentrum Berlin, der ehemaligen Kinder-und Jugendsportschule „ Werner Seelenbinder“. Diese Schule liegt auf dem Komplex des Dynamo-Sportforums, dort, wo vor vielen Jahren auch ihre Mutter lernte und trainierte.  Ein wenig schließt sich damit der Kreis, und Kathrin Weßel freut das natürlich. Zumal Nele nicht nur eine gute Schülerin ist, sondern sich auch die sportlichen Erfolge einstellten. Mit 14 Jahren wurde sie deutsche Meisterin im Block Lauf, mit 15 Jahren konnte sie diesen Titel verteidigen und holte sich noch die Silbermedaille bei den  Deutschen Meisterschaften der AK 15 über 300 m. Danach spezialisierte sie sich auf  400 m flach und 400 m Hürden und kam in die Trainingsgruppe von Bernd Knobloch. Im Jahr 2015 konnte sie bei der U18-DM Silber über 400 m Hürden erringen und  ist jetzt im C-Kader des DLV über 400 m Hürden. In diesem Jahr will sie sich für die  EM U18-EM  im georgischen Tiflis qualifizieren.

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Auf Normkurs in Potsdam (Foto:  Jan-Henner Reitze)

So träumte Nele Weßel noch am 3. Mai   bei meinem Besuch. Der Wunsch ging schon am 28. Mai bei den Berlin-Brandenburgischen Meisterschaften  in Potsdam in Erfüllung. Dort rannte sie über 400 m Hürden mit 60,61 s eine neue Bestzeit und blieb damit unter der geforderten Normzeit von 60,75 s.

Ohne Druck beim New York-Marathon

Kathrin Weßel ist sehr zufrieden damit, wie sich alles nach dem Abschluss ihrer Leistungssportkarriere entwickelt hat. Zwar kann sie nun nicht mehr lange Strecken laufen, wie das früher der Fall war. „ Meine Hüfte macht mir Probleme, es wurde Arthrose festgestellt.“ Aber sie hat lange abtrainiert, und ist sogar nochmal 2008 den New York-Marathon mitgelaufen. „ So ganz ohne Druck, und das hat mir dann auch Spaß gemacht. Mit nur 5 Wochen Vorbereitung war die Zeit von 3:36 h nicht mal so schlecht.“

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Erinnerungen an die Starts von Kathrin und André Weßel beim New York Marathon

Kathrin begleitet nun ihre Kursteilnehmer mit dem Rad und achtet auch sonst darauf, schlank zu bleiben. Und das ist ihr bis jetzt gelungen. Bei einer Körpergröße von 1,71 m hatte sie früher ein Wettkampfgewicht zwischen 53 und 55 kg, heute sind es  63 kg, und damit kann sie gut leben. Es bleibt ihr zwar nicht viel Freizeit, denn weil sie im Verkauf arbeitet, hat sie selten ein freies Wochenende, zumal der Laden am Samstag geöffnet ist und da auch immer ein Laufkurs stattfindet. Aber sie beklagt sich nicht darüber. Immerhin hat sie ja immer noch ihre „ heile Welt“ in Schönwalde, wo sie gemeinsam mit ihrer Familie Kraft auftanken kann.

Peter Grau

Ulrike Nasse-Meyfarth: Zweimal olympisches Gold im Hochsprung

Ulrike Nasse-Meyfarth gewann 1972  in München mit einem Sprung von  1,92 m  die Goldmedaille. Zwölf Jahre später holte sie 1984 in Los Angeles mit einem  Satz von 2,02 Metern  erneut olympische Gold. Zwischenzeitlich hielt sie einige Male den Weltrekord. So 1972 mit 1,92 m, 1982 mit 2,02 m und 1983 mit 2,03 m.

Vor vier Jahren hatte Gabriela Herpell  mit ihr eine intensive Begegnung. Daraus entstand  für das  Magazin der Süddeutschen Zeitung (Heft 31/2012)  die folgende Geschichte:

 

Hoch gesprungen, tief gefallen

Ulrike Meyfarth war der Star der Olympischen Spiele in München 1972. Das Leben nach der Goldmedaille fiel ihr nicht so leicht wie ihre Rekorde. Eine Begegnung, 40 Jahre später.

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Sie war 16 und das Wundermädchen, das bei den Olympischen Spielen 1972 in München die Goldmedaille im Hochsprung holte: Ulrike Meyfarth. Damals wollten Tausende sein wie sie – so fröhlich wirkte sie, so unkompliziert und auch süß, mit den stufig geschnittenen braunen Haaren, die ihr Markenzeichen wurden. Sie schien aus dem Nichts zu kommen und hob an einem Sommerabend ab: zur Heldin einer Nation und einer Generation. Das war der Blick von außen.

In ihr drinnen aber sah es anders aus: Ulrike Meyfarth war von ihrem Olympiasieg 1972 überfordert. Und hat heute, 40 Jahre später, ihren Frieden damit noch nicht gemacht. Sie konnte den Sieg nicht genießen, sagt sie, er machte sie sogar unglücklich: weil sie sehr groß und sehr unsicher war und überhaupt nicht gemacht für das Berühmtsein. Und weil sie nur halb stolz sein konnte auf die Medaille, die ihr in den Schoß zu fallen schien. Nur Talent und Glück hätten sie so weit gebracht, da war sie sich sicher. Mit Leistung hatte das wenig zu tun, sie hatte sich ja nicht einmal gequält für den Sieg.

In den vielen Jahren, die folgten, kämpfte sie mit sich und gegen sich und gegen die Erwartungen der anderen, die, wie sie selbst ja auch, Großartiges von ihr erhofften. »Dabei musste ich mich selbst erst mal einholen.« Vier Jahre später, 1976, konnte sie, die Olympiasiegerin, sich nicht einmal qualifizieren für Montreal. Und 1980 boykottierte die BRD die Olympischen Spiele in Moskau, weil die Sowjettruppen in Afghanistan einmarschiert waren.

»Zwölf Sommer Einsamkeit vergingen«, schreibt sie in einem Buch. Und endlich, 1984 in Los Angeles, gewann Ulrike Meyfarth ihre zweite Goldmedaille.

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Olympische Spiele 1984 in Los Angeles (Foto: Gustav Schröder)

Wenn sie nun darüber redet, über Los Angeles und ihren Triumph, hellt sich ihr Gesicht auf.  Doch leider,  sagt sie, spreche man sie immer auf 1972 an, nicht auf 1984.

So wie jetzt, zum 40. Jubiläum der Olympischen Spiele in München. Alle wollen sie wieder alles über den Sieg von 1972 wissen. Man mag kaum glauben, dass Ulrike Nasse, wie sie inzwischen heißt, noch wie traumatisiert ist von dem, was nach dem Sieg in München kam. »Nichts war mehr so, wie es sein sollte«, sagt sie mit Nachdruck. Und gleich noch einmal, doch jetzt haut sie jedes Wort raus wie ein Geschoss: »Nichts! War! Mehr! Normal!« Wenn sie aufgeregt ist, fahren ihre Hände über den Tisch, wischen unsichtbare Krümel weg.

Nur an den Wettkampf selbst erinnert sie sich gern, an das ungeheure Gefühl dabei: »Die Situation war einmalig, das lief ab wie im Film. Ich hab gesehen, wie mein Name auf der Anzeigentafel immer höher kletterte. Und wie das Publikum hinter mir stand. Aber als ich die 1,90 Meter einmal gerissen habe, haben sie gebuht. Die können auch anders, dachte ich da.«

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Bei den Olympischen Spielen 1972 in München (Foto: Gustav Schröder)

Ein wunderbares Bild war das, wie sie mit dem damals neuen Fosbury-Flop rückwärts über die Latte sprang. Unfassbar spannend, als nur noch drei Springerinnen im Wettbewerb waren, eine davon Ulrike Meyfarth, ein unbekanntes Mädchen aus einem Kaff bei Köln. Und alle drei schafften die 1,88 Meter. Die Favoritin, die Österreicherin Ilona Gusenbauer, scheiterte dreimal an 1,90 Meter, die Bulgarin Jordanka Blagojewa auch. Da war Ulrike Meyfarth Olympiasiegerin – sie übersprang die 1,90 Meter im zweiten Versuch.

Und machte dennoch weiter, ließ 1,92 Meter auflegen, Weltrekord damals. Und rollte wie mühelos auch darüber. Das Publikum tobte, sie hüpfte von der Matte, strahlte, winkte, der dunkle Haarschopf wippte auf und ab, die Leute schlossen sie in ihre Herzen, alle schienen glücklich. Es war der 4. September, 19.05 Uhr, der Abend vor dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft.

Eine Stunde nach ihrem Sieg und der Hymne stand Ulrike Meyfarth im lindgrünen Trainingsanzug im Fernsehstudio und sollte erklären, wie es zu dieser Leistungsexplosion kam. Sie trat von einem Bein aufs andere, kaute an ihrer Lippe, lachte verlegen und hätte sich am liebsten hinter dem Strauß roter Rosen, den man ihr im Namen von Bundeskanzler Willy Brandt überreichte, versteckt.

Wenn ihre beiden Töchter heute das Video auf Youtube sehen, »laufen sie schreiend aus dem Zimmer«, erzählt sie. Es ist ihnen peinlich, wie piepsig ihre Mutter da spricht. Und sie selbst ist sich auch peinlich: »Aber ich gehe mal davon aus, dass sie das sonst nicht so schlecht finden, was ihre Alte da früher vollbracht hat.« Sie lacht. Wenn sie entspannt ist, spricht sie leicht rheinländisch, sagt »datt« und »watt«. Wenn sie entspannt ist, sieht sie jung aus, fast unverändert, sogar die Haare sind bis heute stufig, im Ulrike-Meyfarth-Stil eben, geschnitten. Sie sagt, sie habe ein paar Experimente gemacht mit kurzen Haaren und Dauerwelle, »da hab ich wie ein Pudel ausgesehen. Und ich bin ja eher konventionell«.

Das Leben nach der Sportkarriere ist ihr gut gelungen, das findet sie auch. Sie arbeitet in der Kinder- und Jugendabteilung von Bayer 04 Leverkusen, des Clubs, in dem sie selbst jahrzehntelang trainiert hat. Das Büro teilt sie mit vier anderen Trainern, angenehme Atmosphäre, sagt sie. Seit 1987 ist sie mit dem Rechtsanwalt Roland Nasse verheiratet, sie trägt seinen Namen, die Töchter Alexandra und Antonia sind 24 und 19.

Sie ist schlank, und man kommt kaum nach, solche Riesenschritte macht sie. Wegen ihrer Größe, 1,86 Meter, haben die anderen sie schon als Kind aufgezogen, »langer Lulatsch« und »Klappergestell« gerufen. Als die anderen Mädchen flirteten, las sie viel, malte und stromerte herum im ländlichen Wesseling bei Köln, wo sie aufwuchs. Nur beim Sport fühlte sie sich wohl in ihrem Körper, sie lief schnell, holte Ehrenurkunden bei den Bundesjugendspielen. Im Leichtathletik-Verein entdeckte sie ihr Talent für den Hochsprung und probierte alle Techniken und Sprünge aus, die es damals so gab: den traditionellen Straddle, bei dem man sich bäuchlings über die Latte wälzt; den Schersprung, bei dem man mit gestrecktem Oberkörper und den Beinen voran springt; und den Flop, mit dem Dick Fosbury 1968 die Olympischen Spiele in Mexiko gewann. Das Neue dabei: Man sprang rückwärts und zog die Beine schnell nach. Der Flop wurde ihr Sprung. Mit 14 schaffte sie es über 1,68 Meter, holte den deutschen Schülerrekord, mit 15 wurde sie Deutsche Vizemeisterin bei den Erwachsenen, da sprang sie schon 1,80 Meter.

Es war diese neue Technik, der leichte, elegante Flop, sagt sie, mit dem sie ihre zehn Jahre älteren Konkurrentinnen übertraf, die den Straddle sprangen. Damals trainierte sie nur dreimal in der Woche nach der Schule, mehr nicht, und eigentlich hatte man sie nur mitgenommen zu den Olympischen Spielen, damit sie Erfahrungen sammelte. Und weil sie im eigenen Land stattfanden.

Die Olympiasiegerin wurde dann groß empfangen in der Schule, dem Gymnasium Rodenkirchen. Die Lehrer sagten, sie wollten der Ulrike helfen, mit dem plötzlichen Ruhm zurechtzukommen. Aber die Ulrike ging nicht raus auf den Schulhof in der Pause. Sie genierte sich, fühlte sich ständig beobachtet, und manchmal standen wildfremde Jungs vor der Tür. »Das ist für ein Mädchen in dem Alter, in dem man ja kein Selbstbewusstsein hat, total schrecklich.« Ihre Stimme wird rau, sie räuspert sich, fühlt sich noch heute unwohl bei diesen Erinnerungen. »Ich war ein Außenseiter. Meine Unbefangenheit war verloren gegangen.« Und dann, wieder: »Nichts! War! Mehr! Normal!«

Ein Lehrer fragte sie, warum sie überhaupt noch weitermachen würde im Sport, sie hätte doch alles erreicht. Ihr Trainer sagte, sie könnte sich jetzt nicht mehr erlauben, nur 1,80 Meter zu springen. Keiner war da, der ihr geholfen hätte, das Erdbeben, das über sie hereinbrach, zu verarbeiten. »Es ist einfach, hochzukommen«, sagt sie, »aber schwierig, oben zu bleiben. Und die Leistung beständig bringen zu müssen. Nur: Darüber redet keiner.«

Sie blieb nicht oben. Das zahlte man ihr heim: »Unsere Ulrike bringt nichts mehr«, schrieben die Zeitungen oder spekulierten: »Ist Ulrike schwanger?« Vier Jahre nach München scheiterte sie mit 1,78 Meter bereits in der Qualifikation für Montreal. Sie war am Tiefpunkt.

Und arbeitete sich langsam wieder hoch, trennte sich von ihrem Trainer, fing an, Sport zu studieren, und traf auf Gerd Osenberg, einen der erfolgreichsten deutschen Leichtathletiktrainer. Mit ihm machte sie einen Plan, Stufe eins: viel Training, Stufe zwei: sehr viel Training. Das war es, was Ulrike Meyfarth brauchte in ihrem Leben: Verlässlichkeit, realistische Pläne, Struktur und Berechenbarkeit. Denn es war das vollkommen Unverhoffte beim Sieg von 1972, das ihr so zugesetzt hatte. Das Unverhoffte, das ihren Aufritt so unvergesslich machte wie Boris Beckers Sieg mit 17 in Wimbledon, 1985. Aber das Unverhoffte wollte sie nie mehr.

Zwischen 1981 und 1984 wurde sie viermal Sportlerin des Jahres, gewann 1982 die EM und sprang zwei Weltrekorde, 2,02 Meter und 2,03 Meter. Bald war sie wieder ganz oben und gewann 1984 in Los Angeles ihre zweite Goldmedaille. Das war endlich eine, die sie in ihren Augen auch verdient hatte. Jetzt konnte sie aufhören. »Wenn man nicht aufhören kann, das finde ich abschreckend.«

Ihren Mann lernte sie auf dem Ballaballa-Karnevalsball beim Kölner Sportverein RotWeiß kennen, mit ihm geht sie bis heute jeden Sonntagvormittag, »wenn andere in die Kirche gehen«, auf den Sportplatz, joggen, ein bisschen Krafttraining. Früher kamen die Töchter mit, tobten über Kästen und Matten. Die eine wird nun Tänzerin, die andere hat gerade Abitur gemacht.

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Am Rande der Olympischen Spiele 2012 in London, gemeinsam mit Yvonne Mai-Graham (links) und deren Zwillingsschwester Yvette McKoy (Foto: privat).

Man muss mit gutem Beispiel vorangehen, sagt Ulrike Nasse, darum hat sie immer für Bewegung gesorgt, für Struktur, gemeinsames Abendessen und Tatort-Gucken. Normalität. »Das ist das höchste Gut für einen Menschen«, sagt sie, »dass er das erlebt. Weil er das weitergeben kann.«

Gabriela Herpell

(SZ-Magazin Heft 31/2012)

( Gabriela Herpell war übrigens 1972 voll vom Ulrike-Meyfarth-Virus erfasst – wie ihre halbe Klasse.  Sie sprangen im Sportunterricht nur noch den Flop und baten den Friseur um den Haarschnitt von Ulrike Meyfarth.)

 

 

Thomas Röhler und der Traum vom deutschen Speerwurf-Rekord

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Mit 89,27 Metern hat Speerwerfer Thomas Röhler (LC Jena) im letzten Jahr schon an den 90 Metern gekratzt und zudem bei der Weltmeisterschaft  in Peking (China) in einem denkwürdigen Finale eine Medaille nur knapp verpasst. Jetzt will der drittbeste deutsche Speerwerfer aller Zeiten Weiten jenseits der 90 Meter attackieren und international um die Medaillen kämpfen.

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Thomas Röhler im Jahr 2014  (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Von Rekorden spricht Speerwerfer Thomas Röhler vom LC Jena eigentlich nicht so gern. Aber jetzt kommt er wohl nicht drum herum. Vor 21 Jahren, am 21. Juli 1995, warf Raymond Hecht 92,60 Meter weit. Bis heute ist das deutscher Rekord. Nur Hecht selbst kam im Jahr darauf mit 92,28 und 91,50 Metern noch einmal sehr nah an diese Marke heran. Geht es nach Thomas Röhler, wird er den Rekord im Olympiajahr 2016 angreifen.

Aber nicht, weil er den Rekord will, sondern weil er einfach muss, „um Wettkämpfe erfolgreich zu bestreiten“. Schon 2015 zeigte sich, auf welch hohem Niveau sich der Männer-Speerwurf derzeit befindet. Röhler warf  bei den Weltmeisterschaften fünfmal über 86 Meter, zwei Würfe davon waren sogar weiter als 87 Meter, der weiteste 87,41 Meter. Eine unglaubliche Serie, die trotzdem „nur“ zu Rang vier reichte.

90 Meter –  das Maß der Dinge

Vor ihm lagen der Kenianer Julius Yego (92,72 m), der Ägypter Ihab Abdelrahman (88,99 m) und der Finne Tero Pitkämäki (87,64 m). „Was gerade international abgeht, ist crazy“, meint Thomas Röhler. Und er rechnet nicht damit, dass das im Olympiajahr anders wird. „Mein Trainer Harro Schwuchow und ich gehen davon aus, dass vielleicht sogar fünf Leute 90 Meter werfen können. Das heißt, 90 Meter werden nicht reichen, um bei Olympia zu gewinnen.“

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Thomas Röhler bei den Deutschen Meisterschaften 2014 in Ulm (Foto: Dirk Gantenberg)

 
Den Kopf in den Sand stecken wird Thomas Röhler deswegen aber nicht. Er sieht es pragmatisch: Er müsse sich dann halt etwas einfallen lassen, um auch weiter zu werfen. Die 90 Meter will er auf jeden Fall knacken. Im Vorjahr war er mit 89,27 Metern schon ganz nah dran. Weiter geworfen haben in Deutschland nur der deutsche Rekordler Raymond Hecht und der heutige Bundestrainer Boris Obergföll (90,44 m), der damals noch Henry mit Nachnamen hieß. Er war auch der letzte Deutsche, der am 9. Juli 1997 die 90-Meter-Marke übertraf. Weltweit haben in der Geschichte erst 14 Athleten weiter als 90 Meter geworfen.

EM-Quali auf dem Museumplein

Nicht nur bei Olympia will Thomas Röhler wie im vergangenen Jahr bei der WM vorn mitmischen. Auch für die EM in Amsterdam (Niederlande) hat er sich hohe Ziele gesetzt. „Die Konkurrenz wird stark sein. Top Fünf ist ein realistisches Ziel, aber das ist bei der EM nicht mein Anspruch. Es soll aufs Treppchen gehen“, gibt er das Ziel selbstbewusst aus. Dabei wartet in Amsterdam eine besondere Herausforderung auf den 24-Jährigen: Die Qualifikation soll auf dem Museumplein stattfinden, einem Platz mit einer Rasenfläche.

Zum Finale geht es dann ins Olympiastadion. „Eine coole Idee“, findet Thomas Röhler. Allerdings stellt es die Werfer auch vor ein kleines Problem: „Ich habe noch nie in Amsterdam im Stadion geworfen. Deshalb ist es schon eine Herausforderung, die Quali draußen zu werfen und dann für das Finale ins Stadion zu kommen. Ich hoffe, dass wir mindestens eine Begehung bekommen, damit man sich wenigstens ein bisschen auf die Bedingungen einstellen kann.“

„Perfekter“ Vorbereitungsverlauf

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Momentan arbeitet Thomas Röhler noch daran, fit für den Saisoneinstand zu sein. Vom 17. bis 27. April feilt er im Trainingslager noch einmal an der Wurftechnik, für den 14. Mai ist dann beim Diamond League-Meeting in Shanghai (China) der Saisoneinstieg geplant. Bislang läuft bei Thomas Röhler alles nach Plan. „Nahezu perfekt“, sagt er, „obwohl man das Wort perfekt im Sport ja eigentlich nicht benutzt.“ Von Verletzungen blieb er verschont, das Training kann er voll durchziehen.
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Und das braucht er auch für eine Saison, in der er sich viel vorgenommen hat – und in der er sich erst einmal gegen die starke nationale Konkurrenz durchsetzen muss. Den Mannheimer Andreas Hofmann und Johannes Vetter aus Offenburg, die beide im vergangenen Jahr weiter als 85 Meter geworfen haben, hat er besonders auf der Rechnung. „Und Lars Hamann ist auch eine Wundertüte, der kann auch richtig weit werfen“, weiß er. Wer sich dann aber national durchsetzt – und noch die 90 Meter knackt – der sollte bei Olympia gute Karten haben.

Anja Herrlitz

(aus   „leichtathletik.de“ vom 9.4.2016)

 

Würfe deutscher Athleten über 90 Meter*:

92,60 m – Raymond Hecht (21.7.1995; Oslo/NOR)
92,28 m – Raymond Hecht (14.8.1996; Zürich/SUI)
91,50 m – Raymond Hecht (1.9.1996; Gengenbach)
90,44 m – Boris Henry (9.7.1997; Linz/AUT)
90,20 m – Raymond Hecht (10.8.1996; Monaco/MON)
90,06 m – Raymond Hecht (12.2.1994; Eschenbach)
90,06 m – Raymond Hecht (25.5.1996; Jena)

*nach Einführung des neuen Speers mit verändertem Schwerpunkt im Jahr 1986

 

Thomas Zacharias – ein Pendler zwischen den Welten

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Eine Insel sollte es auf jeden Fall sein. Thomas Zacharias wusste schon sehr früh in seinem Leben, dass er das Glück auf einer Insel zu suchen hatte. Zu sehr war er vom Schiffbrüchigen Robinson begeistert und zu sehr machte ihn das Dasein eines Promikindes zum Außenseiter. Zunächst einmal stand aber an, sich beruflich in Deutschland zu bewähren. Als das halbwegs gelang, fing der 1947 geborene Sohn des weltweit gefeierten „Wundergeigers“ Helmut Zacharias mit seiner damaligen Ehefrau Eva vom Auswandern zu träumen. Zunächst sollte es nach Australien oder Neuseeland gehen, aber die Kanaren sind eben doch ein Stückchen näher an der „alten Heimat“, von der er bis heute geschäftlich abhängig ist.

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Thomas Zacharias sieht seine Persönlichkeit mehrfach gespalten. „Nach Aufmerksamkeit und Anerkennung lechzend und doch im Schmollwinkel kauernd, philanthropischer Weltverbesserer und menschenscheuer Soziopath, ehrgeiziger Leistungssportler und von Minderwertigkeitsgefühlen geplagter Versager, Gesellschaftskritiker und intellektuell gescheitert“ – so seine Selbsteinschätzung.

Zacharias klein Sprung Kicker

Zunächst fand er im Sport sein Zuhause, indem er nach seiner Karriere als Hochspringer und einem Abschluss zum Diplomsportlehrer Übungsgeräte für Hochsprung und Hürdenlauf erfand und vermarktete.

Zacharias klein Stuttgart 1971 toll sauber

Im Hochsprung stellte er 1971 mit einer Höhe von 2.22 Metern seinen persönlichen Rekord und damit eine Hallenweltbestleistung auf. Nach drei Deutschen Meisterschaften und vier Deutschen Rekorden streikte das Knie kurz vor den Olympischen Spielen von München ‘72, und die hoffnungsvolle Karriere fand ein jähes Ende.

Seinen großen Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen hatte er sich aber schon 1968 in Mexiko erfüllt. Dort landete er mit für ihn eher enttäuschenden 2,09 m „nur“ auf dem 14. Platz. Dafür war er der erste deutsche Spitzensportler mit Beatles-Mähne und einer eigenen politischen Meinung – sehr zum Argwohn der Funktionäre.

In den Jahren 1972 bis 1979 trainierte er im USC Mainz Schüler, Jugendliche und Spitzenathleten.

Nach 1980  zog er sich langsam aus dem Rampenlicht zurück aufs Land und widmete sich intensiv seiner geschundenen Seele, machte eine tiefgreifende Psychotherapie und bildete sich privat in Sachen Selbsterfahrung und persönliches Wachstum nach Wilhelm Reich, Fritz Perls, Alexander Lowen, also im Themenbereich körperorientierter  Tiefenpsychologie.

Zacharias klein Haus Lanzarote

1983 fand er auf Lanzarote ein einsam gelegenes Häuschen mit Blick aufs Meer, das er sich gerade so leisten konnte, und begann das Buch zu schreiben, mit dem er seit vielen Jahren schwanger ging. Das Ziel: Allgemeinverständlich die Tiefen und Abgründe der Seele zu beschreiben, aus denen die Probleme der zivilisierten Menschen aufsteigen und sie an einem gesunden, glücklichen Leben hindern.

Die Tiefe der Seele ergründen

„Was es heißt, ein Mensch zu sein“. Dieses Buch, in der Idylle der Hügel von Famara entstanden und im nordhessischen Nentershausen selbst verlegt, ist in seiner ganzen Machart, von der Sprache bis zur setzerischen Gestaltung, einzigartig und hätte weit mehr als 4 Auflagen mit über 16.000 verkauften Exemplaren verdient. Es ist aber im Chaos der damals überschwappenden New-Age-Welle untergegangen.

Es folgte ein kürzeres, komprimiertes Werk zum selben Thema „Drei Komplexe sind normal“. Und beide Bücher zu lesen wäre für jeden nach Selbstverwirklichung Suchenden ein Gewinn. Allein der Markt hat sie verschluckt.

Die Zwillinge

Definitiv haben von diesem Wissen und Verstehen allerdings die 1990 geborenen Zwillinge Alex und Luna profitiert, die auf Lanzarote geboren und aufgewachsen zu zwei zauberhaften Geschöpfen gediehen.

Zacharias klein zwei Kinder sitzend

Die Zwillinge Alex und Luna

Mitte der 90er Jahre wandte sich Thomas Zacharias mit neuer Begeisterung dem Hochsprung zu. Im Team des damaligen Bundestrainers war für ihn und seine zutiefst fundierten Theorien aber kein Platz. Und so entstand 1996 das Buch „Hoch- und Weitsprung perfekt – Mit Köpfchen der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen“. Mit diesem Werk stellt er so gut wie alles in Frage, was die klassische Literatur zum Thema hergibt. Er beweist mit biomechanischen Gesetzen und Berechnungen, dass seiner Meinung nach die deutschen Hochsprungtheoretiker auf dem Holzweg sind und prophezeit dem deutschen Hochsprung eine katastrophale Dekadenz.  Und diese hat inzwischen eindeutig stattgefunden.

Um all das in der Praxis zu beweisen, fing er selbst wieder an zu üben und verbesserte den Seniorenweltrekord für 50jährige von 1,90 m auf zunächst 1,97 m.

Zacharias neu klein Sprungreihe

Sprungreihe vom 1,97 –m-Sprung im Jahre 1997  in Stuttgart

Wenige Wochen nach diesem Sprung überflog er in Balingen 1,98 m, dann 1,99 m in Fürth und 2,00 m in Birmingham. Diese Marke hat heute nach 19 Jahren immer noch Bestand. In allen folgenden Altersklassen sprang Thomas Zacharias weitere Weltrekorde, so dass er nach einem offiziellen Punktesystem als mit Abstand bester Hochsprung-Senior aller Zeiten dasteht. Und dies natürlich im Straddle, den er, wie er selber sagt, erst mit 49 Jahren richtig verstanden und erlernt hat.

Zacharias klein Baby-Straddle

Der Baby-Straddle

 

Seine Golfbücher wurden Bestseller

Zwischendurch zettelte Thomas Zacharias in der Welt der Golfer eine ähnliche Revolution an. Zwar nicht als Aktiver, – dazu fehlt ihm bei weitem das Talent -, aber als Lehrer und Theoretiker zum Thema Golfschlag-Technik und -Didaktik. Für ein paar Jahre wurde er Betreuer der Amateurnationalmannschaft und Referent in der Golflehrerausbildung. Bis man auch dort seiner aufrührerischen Thesen überdrüssig wurde. Seine Bücher zum Thema wurden allerdings Bestseller: „Golfprofis schwingen nicht – sie schlagen!“ und „Der neue Golfschlag“ (Kosmos, Stuttgart).

Zacharias klein Golfend

Im Laufe seines Lebens hat ThZ, wie er selbst gerne firmiert, vielen Menschen mit seinen praktischen Erfindungen das Leben erleichtert: Er entwarf die erste intelligente, systematische Sporttasche der Welt. Im Schulunterricht haben sich seine aufblasbaren Hochsprunglatten und schaumstoffgepolsterten Klapp-Hürden in nunmehr über 40 Jahren millionenfach bewährt.

Viele weitere Erfindungen (Übungsgeräte und Accessoires für Sportler, Haushalt und Hotellerie) liegen in seiner Schublade, weil Thomas Zacharias nur ungern zum  Konsumterror und Wachstumswahn des Industriezeitalters beitragen möchte.

Schon früh sah er ein, dass die Gesellschaft zur Besinnung kommen muss, um eine Wirtschaftsform zu entwickeln, die nicht auf Wachstum und Wettbewerb baut. „Will denn keiner sehen, dass der Wettbewerb immer nur wenige Gewinner und massenweise Verlierer hervorbringt?! Dafür ist doch der Sport da. Hier kann der Mensch seine Gier und seinen Ehrgeiz doch ausleben, ohne anderen existenziell zu schaden! Aber man hat nicht nur die Wirtschaft in den Sport getragen, sondern auch den Sport in die Wirtschaft. Und die Vernunft ist auf der Strecke geblieben.“ So der verzweifelte Ausruf eines „humanistischen Misanthropen“, der angesichts der Umweltschäden, der mit deutschen Waffen geführten Kriege und der entsprechenden Flüchtlingsströme die Hoffnung auf eine Wende zum Guten für die Menschenwelt aufgegeben hat.

Idylle am Fuß der Berge

Und das passt ja wiederum perfekt zu der Idylle am Fuße der Bergkette von Famara, weit weg vom früher einsamsten Strand der Insel, wo heute die zahllosen Windsurfer und Kiteflieger die Nacktbadenden verscheucht haben und sich schon mit ihren Takelagen verheddern. Thomas Zacharias war dort seit Jahren nicht mehr.

Zacharias Ziegenstall rustikal eins

Auf seiner Gartenterrasse hat er alles, was er braucht: Sonne und Wind, eine Hochsprunganlage und einen Golfabschlag. Einen Arbeitsplatz mit Blick aufs weite Meer hinaus mit der Insel La Graciosa am Horizont.

Und seine geliebte Frau Lola, die er nach 26 Jahren „wilder Ehe“ und schwersten Krisen nun am 22.12.2015 tatsächlich noch geheiratet hat. Ein Lebenskünstler, wie er im Buche steht

Zacharias klein Hochzeitsfoto

Glücklich nach der Eheschließung

(Diogenes von der Töss besuchte  den Lebenskünstler vor einigen Jahren für die Zweimonatszeitschrift „ Lanzarote 37 Grad“.  Thomas Zacharias hat den Beitrag nun aktualisiert.)

Zacharias klein Familienfoto 4 sitzend

Eine glückliche Familie

Zacharias klein Nachtcafe

Thomas Zacharias 2014 im Gespräch mit Wieland Backes in der Ratesendung des SWR  „ Ich trage einen großen Namen“.

 

 

Als Nachgang:

15 Fragen an Thomas Zacharias:

 

1 Ihr Lieblingsfach in der Schule?

Physik, Geometrie, Philosophie. Horrorfächer: Orthographie (Legastheniker), Chemie, Mathematik, Geschichte. Die Schulpflicht verschüttet im Kind die Lernbereitschaft. Heute genieße ich das Bildungsfernsehen und bemitleide die Jugend, die zur Dummheit erzogen wird.

2 Haben Sie ein berufliches/privates Motto?

Ich tu alles, um nichts tun zu müssen.

Faulheit macht erfinderisch.

Lass immer die Liebe dich leiten.

Folge Deinem Herzen.

3 Wer ist für Sie Sportvorbild und weshalb?

Vorbilder Haben heißt, (wie) jemand anders sein Wollen.

Und das liegt mir nicht.

Bewundert und verehrt habe ich viele. Aber dann stellte sich immer heraus, dass sie auch alle nur Menschen sind. Gut so!

4 Welches Sportereignis hat Sie am meisten beeindruckt?

Der 10-Kampf von Rom im offiziellen Olympiafilm.

Die großen Stürze und Unfälle bei Ski- und Autorennen.

5 Was treibt Sie an, Sport zu treiben?

Im Training die Freude am körperlichen Dasein und der Schmerz des Versagens.

Also letztlich das Sehnen nach Selbstachtung. Im Wettkampf die Hoffnung auf menschliche (Be-)Achtung.

6 Haben Sie neben Sport weitere Hobbys?

Mir das wahnsinnige Treiben in der Menschenwelt auf bis zu drei Fernsehern gleichzeitig vor Augen führen zu lassen.

Ich halte das aber seit einiger Zeit nicht mehr aus.

7 Ihre größte sportliche Leistung?

Die vielen, schweren Niederlagen zu verkraften.

8 Persönliche Stärken/Schwächen?

Starkes Verständnis für alle Schwächen.

9 Ihre Lieblingslaster?

Schokolade. Mich erhöhen, indem ich andere kleinrede.

10 Welche Begabung hätten Sie gern?

Ein Musikinstrument professionell zu bedienen.

Aber dann wäre ich sicher kein Leistungssportler geworden.

11 Welche Entscheidungen haben Sie bereut?

Reue ist Energie- und Zeitverschwendung. Es sei denn, man versteht sie als Kraft zum Lernen und Bessermachen. Also Reue im Sinne von hilflosem Lamentieren und die Zeit zurückdrehen wollen lähmt wohl eher.

Aus Fehlern kann man nur lernen, wenn man sie selbst begangen hat. Und dann erst kann man sie vielleicht vermeiden. Die Wirkung der eigenen Entscheidungen ist ja nie verlässlich absehbar. „Anders-Entschieden“ ist ja nicht gleich „Anders-gekommen“.

12 Gibt es einen Menschen, dem Sie ewig dankbar sind?

Viele! Spontan denke ich an Werner Bähr (mein Bundestrainer), an Ingomar Sieghart (mein kollegialer Förderer) und an Berno Wischmann (mein stiller Mentor im Verein und an der Uni). Meinen 4 Partnerinnen und natürlich meinen Eltern, Schwester, Bruder, meinen Zwillingen (1990).

Eigentlich bin ich von Dankbarkeit erfüllt. Leider vergesse ich das auch manchmal.

13 Woran glauben Sie?

Dass alles, was und woran ich je geglaubt habe, Schwachsinn war.

Dass wir Menschen unintelligent und unwissend sind und uns folglich maßlos überschätzen (auch die meisten Genies). Dass die Welt viel komplizierter ist, als es die Menschen jemals begreifen werden. Dass in Wahrheit alles nochmal vollkommen anders ist, als die Wissenschaftler uns vorgaukeln. Wenn Wissen nicht zur Weisheit führt, taugt es nichts. Ein unbedeutender Müllkutscher hat vielleicht mehr Weisheit als alle Philosophen von Sokrates bis Sartre zusammen. Zurzeit glaube ich, dass Alles schwingt. Folglich ist die Allsumme immer Null. Unser Mühen ist folglich illusorisch. Alles ist schon geschehen, bevor wir es erleben. Daher gibt es auch keinen freien Willen. Nur den unfreien Willen an den freien zu glauben.

14 Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?

Als ich mit 43 beschloss, eine Familie zu gründen, hatte ich den Eindruck, all meine Träume seien erfüllt. Sonst hätte ich es gelassen. Kann ich nur wärmstens weiterempfehlen: Erst Kinder haben, wenn man all seine eigenen Träume erfüllt sieht. Jetzt sehe ich die Träume meiner Kinder und denke, dass es nicht wichtig ist, ob diese sich erfüllen, sondern dass man überhaupt Träume hat und verfolgt. Ohne Träume ist das Leben sicher unerträglich. Auch wenn die meisten irgendwann platzen oder ihre Erfüllung gar nicht glücklich macht.

15 Wann hat sich für Sie das Leben gelohnt?

Wenn nicht täglich, dann wohl nie. Aber das Leben muss sich nicht lohnen.

Die Latiniker (Franzosen, Spanier, Portugiesen, Italiener) sagen: „Vale la pena“.

Will sagen: „Es ist des Leides wert.“ Also ist das Glück wohl nur der Lohn fürs Leiden. Oder: Mit dem Leid bezahlen wir das Glück. Man kann aber auch den Eindruck gewinnen, dass es Menschen gibt, die mit ihrem Leid das Glück der anderen bezahlen. Viele Arme machen Einen reich. Universelle Nullsumme eben.