Zu Besuch bei Karsten Just: Vom 400-m-Läufer zum Orthopäden

Karsten Just in seinem "Knochenjob"

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Karsten Just in seinem „Knochenjob“

Karsten Just war über Jahre hinweg ein wichtiger Teil schneller deutscher Staffeln über 4×400 Meter. Ich sah ihn in dieser „Rolle“ beispielsweise 1993 bei der spektakulären Weltmeisterschaft in Stuttgart. Anlaß genug, ihn bei einem Besuch darauf anzusprechen, und ihn aus seinem sportlichen und beruflichen Leben erzählen zu lassen.

„ Es war für mich der emotionalste Punkt meiner sportlichen Karriere, dieser Lauf 1993 bei der WM im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion in der 4×400-m-Staffel, der uns Bronze brachte und eine sensationelle Siegerehrung inmitten der Abschlußzeremonie“, erinnert sich der Berliner Karsten Just 21 Jahren danach. „ Gemeinsam mit meinen Staffelkameraden Rico Lieder, Olaf Hense und Thomas Schönlebe habe ich die Ehrenrunde von damals tief in meinem Innern gespeichert.“ Die Laufbahn ist nicht mehr da, weil der Fußball wie in manch anderen früheren Leichtathletik-Stadien auch
in Stuttgart das alleinige Zepter übernommen hat.

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Karsten Just (3. von links) mit Hense, Rico Lieder und Thomas Schönlebe auf der Ehrenrunde bei der WM 1993 in Stuttgart

Hallen-Weltrekord 1991

Doch die Medaille ist noch präsent, ziert seinen Schreibtisch zuhause in Berlin-Pankow, genauso wie die Staffel-Bronzemedaille vom Weltcup in Barcelona 1989, die Bronzemedaille von der EM 1990 in Split oder die Goldmedaille für die Hallenweltmeisterstaffel 1991 in Sevilla, die man mit Weltrekord errang und der 15 Jahre lang hielt.
1997 hatte sich der 400-m- Läufer von der aktiven Leichtathletik verabschiedet und fortan der Berufsausbildung gewidmet.

100 Patienten am Tag

Wir sind in der Orthopädiepraxis im Gesundheitszentrum „Am Borsigturm“ in Berlin-Tegel verabredet. Dr. Karsten Just ist dort seit 9 Jahren als Orthopädiearzt tätig, führt mit seiner Kollegin Dr. Halder die Praxis.
Man sieht es dem gebürtigen Berliner an, daß er mal Leistungssport betrieben hat. Rank und schlank kommt er daher, mit 1,96 Metern Körpergröße ist er nach wie vor eine imposante Erscheinung. Mit ein wenig Stolz zeigt er dem Besucher die Praxisräume. Viele kleine Einzelräume für die normalen Behandlungen sind zu sehen, Räume für Akupunktur, andere mit einem Wasserbett ausgestattet, einem Vibrationsgerät GALILEO 2000 zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen, moderne Geräte allüberall. Und man kann sich ausmalen, welch Leben hier herrscht, wenn die Patientenschar „ einfällt“. „ Ich habe am Tag bis zu 100 Patienten. Der Tag geht von früh 8 Uhr bis abends 19.00 Uhr, manchmal mit Mittagspause, manchmal arbeite ich auch durchgehend. Das sind also 10-11 Stunden pro Tag. Hinzu kommen die vielen administrativen Aufgaben wie Geschäftsführung, Krankenkassenanfragen, Abrechnungen, die außerhalb der Sprechstunden zu erledigen sind.“
Es sieht nach purem Streß aus, und es ist auch Streß, aber Karsten Just läßt keinen Zweifel daran, daß er dem gewachsen ist. „ Durch den Leistungsport war ich sehr gut darauf vorbereitet. Man lernt durch den Sport, sich Zwischenziele und ein Hauptziel zu setzen, daran zu arbeiten und am Ende das Ziel zu erfüllen. Ich habe es im Sport gelernt, Willen und Kampfgeist zu zeigen, um etwas zu erreichen.“
Und im Sport war Kampfgeist vor allem auch deshalb nötig, weil sich Karsten Just mit den 400 Metern die Strecke aussuchte, die nach seiner Meinung das Allerschwerste im Sport ist. „ Es ist das Intensivste, was man seinem Körper antun kann. Vom anaeroben Stoffwechsel her, von der Laktatbildung. Solch hohe Werte schafft man in keiner anderen Disziplin, in keiner anderen Sportart.“

Wollte in die Staffel

Der am 17.9. 1968 in Berlin geborene Karsten Just war in der DDR den „normalen“ sportlichen Weg gegangen. Als Schüler hatte er mit der Leichtathletik bei der BSG Medizin Buch angefangen, kam dann ins Trainingszentrum und wurde für die Kinder-und Jugendsportschule gesichtet, die damals KJS Ernst Grube hieß und heute den Namen von Coubertin trägt. Er wohnte von da an im Internat, in der Nähe der früheren Werner-Seelenbinder-Halle, dem heutigen Velodrom. Trainiert wurde er, der nunmehr dem TSC Berlin angehörte, von Alfred Papendieck. Jeden Tag 4-6 Stunden Schule, dazu noch 2 Trainingseinheiten pro Tag, das war ein hartes Pensum, aber Karsten Just unterwarf sich dem ohne Murren.
Schon damals war er von stattlicher Größe, hatte zudem von der Mutter, die 800-m-Läuferin war, und vom Vater, der Mehrkämpfer war, die nötigen Gene mitbekommen. „ Es war für mich klar, daß ich Läufer werden, und später, daß ich die 400 m laufen würde. Weil ich nicht die Fähigkeit hatte, unter normalen Bedingungen, sprich ohne Doping, eine Zeit unter 45 gar 44 Sekunden zu laufen, blieb mir nur die Nische der 4×400-Meter -Staffel. Und diese Staffel steuerte ich mit aller Konsequenz an.“ Als wesentliches Motiv wirkte dabei für ihn zu DDR-Zeiten die Aussicht, ins westliche Ausland reisen zu können. „ Kurz vor der Wende hatte ich 1989 beim Weltcup und 1990 bei der EM in Split die ersten internationalen Einsätze in der Staffel.“ Mit der Wende kamen auch für die Vereine viele Veränderungen. Neue Möglichkeiten boten sich. Karsten Just ging wie manch anderer Ostberliner Athlet bzw. Athletin zum LAC Halensee. Dort wurde er von nun an von Frank Hensel trainiert, dem heutigen Generalsekretär des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Und es folgte 1991 der nächste internationale Einsatz, als er erstmals in einer gesamtdeutschen Nationalmannschaft bei der WM antrat. Inzwischen war er zwar das Motiv der „Westreisen“ weggefallen, aber „ wenn man einmal internationale Luft geschnuppert hat, will man da immer wieder hin. Man muß sich eben neue Motivationen suchen.“ Denn es war nicht einfach, gerade auf dieser schwierigen Strecke, den 400 Metern, nach denen er sich immer wie ‘vom Bus überfahren‘ fühlte. Aber trotzdem blieb er weiter auf dieser, seiner Strecke. „ Nun waren es eher der Drang nach ‚Ruhm und Ehre‘, der Wille, meine eigenen Ziele zu erreichen, eine Medaille zu erringen.“

Neun Jahre Studium

Aber nicht nur sportliche Ziele hatte Karsten Just. 1990 begann er an der Humboldt-Universität in Berlin ein Medizinstudium. „Ich wollte Sportarzt werden, wollte auch nach meiner Karriere im Sport involviert sein. Trainer zu werden war dagegen nicht so mein Traum“. Da wußte er aber noch nicht, was den Sportarzt ausmacht, welche Ausbildung dafür benötigt wird. „Später hat sich das relativiert, weil ich merkte, daß Sportarzt an sich kein echter Beruf ist, sondern eher ein Hobby. Es gibt nur einige wenige Sportärzte, die sich mit dem Sport wirklich ihren Lebensunterhalt verdienen können. Nur ein Beispiel: Die Plätze bei den Fußball-Bundesligisten sind limitiert.“ So schwenkte Karsten Just bald um auf eine „normale“ Arzt-Ausbildung.
Insgesamt 9 Jahre studierte er, legte zwischendurch jeweils vor internationalen Höhepunkten Urlaubssemester ein. „ Dann hatte ich meine Approbation in der Tasche, die staatliche Zulassung, als Arzt tätig sein zu dürfen.“ Es folgten 6 Jahre Facharztausbildung, d.h. nach der Theorie des Studiums erlernte er nun den Arzt in der Praxis, als Assistenzarzt in Kliniken und Orthopädiepraxen. Am Ende durfte er sich Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin am Bewegungsapparat nennen und später mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin und Naturheilverfahren. Kurzgefaßt: Karsten Just ist Orthopäde/Sportmediziner.
Um sich fit zu halten, fing er nach seiner Leichtathletik-Karriere mit Tennis an. Dreimal in der Woche spielte er, oft auch in Mannschaften. „ Ich hatte ja immer noch Ehrgeiz, und den mußte ich irgendwie kanalisieren.“ 12 Jahre lang praktizierte er das, aber dann konnte er es neben seiner Praxis zeitlich einfach nicht mehr schaffen und stieg auf Fitness und Laufen um. Fitness heißt dabei Klimmzüge, Liegestütze, Stabilisationsübungen, Gymnastik, Krafttraining, und das alles zuhause. „ Ich muß ja meinen Patienten noch etwas vormachen können“. Zwar konnte er sein Idealgewicht von 86 kg aus Leichtathletik-Zeiten nicht mehr ganz halten, aber mit 95 kg kann er sich noch immer sehen lassen. „ Früher durfte kein Gramm überflüssiges Fett an mir sein, aber da trainierte ich auch 8 Stunden pro Tag. Heute komme ich auf zweimal pro Woche und das ist einfach zu wenig. Aber bei mehr würden Familie und Beruf leiden.“

Viele Fortbildungen

Und die Zeit ist knapp, denn nicht nur die Praxis fordert alles, sondern auch Fortbildungsmaßnahmen kosten viele Wochenenden. Bei Sportärztetagungen und Sportmediziner-Kongressen sammelt er die neuesten Erkenntnisse. „ Man hat erstens eine Fortbildungspflicht als Arzt, aber ich habe auch einen Fortbildungswillen, möchte immer auf dem Laufenden sein.“

Stippvisite in München

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Und manchmal kommt die Fortbildung auch per Zufall. „ Zur Leichtathletik-WM 2009 in Berlin war ich als Gast geladen, saß neben dem Münchner Arzt Dr. Müller-Wohlfahrt. Im Gespräch bekam er mit, daß wir Kollegen sind. Als dann zufällig Manager Jos Hermens vorbeihuschte und sagte „ Hallo Justy“, da fragte Müller- Wohlfahrt: Woher kennt Ihr Euch denn? und Hermens antwortete: ,Na, der war doch 400-m-Läufer in der Staffel in Stuttgart.‘ Müller-Wohlfahrt lud mich ein, ihm in seiner Praxis in München mal über die Schulter zu schauen“.
Karsten Just fuhr nach München, und sah, wo sportmedizinisch „Norden“ ist. Es war beeindruckend, was sich ihm dort auf 1600 Quadratmetern darbot. „ Er schöpft aus dem Vollen, hat alle Untersuchungsmethoden vor Ort, ist technisch sehr gut ausgerüstet und hat auch immer schnell die Diagnosen parat, vor allem, weil er sehr viel Tastsinn in seinen Fingern hat und die Muskelverletzungen erfühlt“, kann Just die Bewunderung nicht verhehlen.
Vergleichen will er sich damit nicht, sondern stellt fest: „ Mein Ziel ist es, alle Patienten, die Beschwerden haben und zu mir kommen, auch zufriedenstellen. Wenn ich das erreicht habe, kann ich beruhigt nach Hause fahren.“
Nur 7 km sind es von seiner Praxis bis nach Berlin-Pankow, aber auf das Fahrrad verzichtet er. „ Das ist mir zu gefährlich. Ich fahre auch nicht Ski, treibe keinen Extremsport, mache nichts, was risikovoll wäre. Ich muß mit allen zehn Fingern und mit dem Geist immer da sein. Ich war noch nie krank, seitdem ich hier in der Praxis bin. Gesund ernähren, den Schlaf nutzen, ein wenig Sport treiben sind dafür die einfachen Rezepte.“
Sehr wichtig für ihn ist zudem, daß er ein glückliches Familienleben mit seiner Lebensgefährtin Kathleen und seinen zwei Jungen Tom (12 Jahre) und Leon (8 Jahre) führt. Beide Burschen sind begeisterte Sportler, spielen im Verein Tennis. „Laufen ist komischerweise nicht ihr Ding. Talentiert sind sie beide, aber ob sie dann mal in meine Fußstapfen treten, wird sich zeigen.“
Karsten Just hat den Weg vom Sport in den Beruf gemeistert. „ Dieser Beruf ist auch eine Berufung für mich, und deshalb habe ich ihn auch ausgesucht“, resümiert er. „ Wenn dann irgendwann auch mal der Sport dabei ist, wenn ich Nachwuchsathleten aus der Leichtathletik, aber auch Tennis-oder Fußballspieler behandele, dann ist es um so schöner.“
Peter Grau
(auch in der Zeitschrift „Leichtathletik“, Köln, Nr. 6 vom 4.2.2015 erschienen;
http://www.markenverlag.de/index/46/63/LEICHTATHLETIK/Abonnement