Die Halleschen Werfertage 2016 – von Kathrin Klaas bis Christina Obergföll

Halle Werfertage 2016 Programm

Das Kugelstoßen der Männer und das Diskuswerfen der Frauen sind also Geschichte. Nun gilt es, sich zu entscheiden, wohin man seine Füße setzen und seine Augen kreisen lassen will. Zeitliche Überschneidungen der einzelnen Wurfdisziplinen gibt es bei diesen Werfertagen immer. Aber sie sind nicht zu vermeiden, denn sonst würde die Veranstaltung doppelt so lang werden. Und ich habe sie schon immer dadurch verkürzt, daß ich auf den zweiten Tag, den Sonntag, immer verzichtete. Und der ist ja nochmals eine geballte Ladung von Wettkämpfen, nur eben der jüngeren Athleten.

Während das Diskuswerfen der Frauen läuft, hat an der anderen Seite, dicht neben dem Kugelstoßring, das Hammerwerfen der Frauen begonnen. Von der „Empore“ haben die Zuschauer den besten Blick.

Halli 849 Zuschauer

Kathrin Klaas möchte heute gern die Olympianorm von 71,00 m packen.

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Doch von Wurf zu Wurf sieht man ihr an, daß es diesmal nicht richtig rund läuft bzw. dreht. Am Ende wurden es 70,30 m und ein fünfter Platz. „ Es war kein einfacher Wettkampf. Aber lieber langsam ins Rollen kommen, als zu früh alles Pulver verschießen“, urteilt sie selbst.

Sie ist zwar sehr mit sich beschäftigt, aber aus den Augenwinkeln sieht sie, daß die Weltrekordlerin aus Polen, Anita Wlodarczyk, den Hammer weit fliegen läßt und mit 79,48 m den bisherigen Meetingrekord von Betty Heidler von 79,42 m, den diese am 21. Mai 2011 aufstellte, verbesserte.

Ein Schild weist noch auf Heidlers Rekord hin, der damals auch Weltrekord bedeutete:

Halli 859 Schild

Sprecher Andreas Möckel kommentiert die Weitenjagd weiter, links auf der Anzeigetafel ist noch die neue Meeting-Rekordweite zu sehen: 79,48 m:

Halli 857 Möckel

Ich aber verabschiede mich vom Hammerwurfplatz und führe einige Gespräche, so mit einer Ex-Diskuswerferin und einem Ex-Speerwerfer. Darüber schreibe ich demnächst kleine Geschichten. Ihre Namen aber nenne ich noch nicht, denn die schreibende Konkurrenz „lauert“ überall. Das habe ich gerade erfahren, als ich mir vornahm, in Berlin mit Ex-Weitspringerin Susen Tiedtke zu sprechen. Aus Termingründen verschoben wir unser Treffen und dann las ich es am Sonntag: „Bild“ hatte eine Story geschrieben. Ärgerlich, denn man möchte bei solchen Geschichten schon immer der Erste sein. Aber, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Auf dem Weg zur Speerwurfanlage treffe ich Jürgen Schult, den Wurf-Bundestrainer. Der Schweriner, der jetzt bei Potsdam wohnt, ist gewissermaßen ein „altes Inventar“ bei diesen Werfertagen. „Schon mit 14 Jahren habe ich hier geworfen und bin immer wieder gern hierher gekommen.“ Nun beobachtet er, wie sich seine Nachfolger schlagen.

Halli 801 Schult eins

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Einige Schritte weiter treffe ich auf Martin Sanne. Er war zu DDR-Zeiten beim SC Magdeburg Cheftrainer der Leichtathleten und zudem Verbandstrainer für die Mittel- und Langstreckler. Nach der Wende war er beim SC Magdeburg von 1991 bis 2010 Sportlicher Leiter für alle Sportarten:

Halli 803 Martin

Seine Liebe zur Leichtathletik hat er sich bis heute erhalten. Deshalb ist er auch in Halle Stammgast.

Und eine Begegnung habe ich dann noch, die mir hinterher Kopfschmerzen macht. Ex-Kugelstoßerin Kathrin Neimke kommt vorbei. Wir nicken uns kurz zu, mehr nicht. Danach denke ich: Das wäre doch auch eine Geschichte für mich, d.h. ihren Berufsweg nach ihrer sportlichen Karriere zu schildern. Aber warum zögere ich? Weil Kathrin Neimke, wie ich mich erinnere, nach der Wende recht lange gegen Dopingvorwürfe ankämpfen mußte. Zwar war sie nie positiv getestet worden, aber sie fiel eben mit unter den Generalverdacht: DDR-Staatsdoping. Um so mehr reizt es mich im Nachhinein, mit ihr zu reden. Immerhin habe ich früher ihre Erfolge ausgenutzt, um Berichte und Geschichten über sie zu schreiben. Und sie war immer sehr auskunftsfreudig. Warum soll ich heute nun nicht mehr mit ihr reden? Ein bißchen feige kam ich mir schon vor, und es war wieder ähnlich wie zu DDR-Zeiten, als die „Schere im Kopf“ allgegenwärtig war, man nicht über alles schreiben durfte und wollte. Heute darf man es eigentlich, doch beim Thema Doping ist die Öffentlichkeit hellwach und kritisch, aber nicht immer gerecht. Mein Fazit: Beim nächsten Mal traue ich mich.

Eine neue Speerwurfanlage

Gespannt bin ich, wie die neue Speerwurfanlage bei den Athletinnen ankommt:

Halli 764 SpeerHalli 799 Speeranlag

An der gleichen Stelle wie die alte Anlage errichtet, – zwischen Parkplatz und Wurfhalle gelegen-, bietet sie äußerlich einen schmucken Anblick. Es sieht fast aus, als ob die Anlaufbahn ansteigt, aber Ex-Speerwerferin Tanja Damaske meint, daß das eine optische Täuschung sei.

Für ein Trio mit Christina Obergföll, Linda Stahl und Christin Hussong geht es nicht nur darum, die Konkurrentinnen hinter sich zu lassen. Es lockt auch die Olympianorm von 62,00 m.

Linda Stahl, wie immer konzentriert am Ablauf:

Halli 845 Stahl

und am Abwurf:

Halli 836 Stahl zwei

Aber es wird nur eine Weite von 60,60 m und damit der 4. Platz.

Christin Hussong, die junge Aufsteigerin vom LAZ Zweibrücken,  sehe ich erstmals live und bin von ihren körperlichen Möglichkeiten beeindruckt. Auffällig, daß sie am Ablauf immer dicht bei Linda Stahl steht.

Halli Hussong

Für Christin Hussong  (rechts) fliegen die Speere zunächst nicht allzuweit, doch im sechsten Versuch schafft sie mit 62,32 m noch eine annehmbare Weite, die den dritten Rang bedeutet.

Rund 20 m entfernt von den beiden nimmt Christina Obergföll Platz, wenn sie geworfen hat. Das beweist aber nicht, daß sie mit den beiden anderen nicht „ kann“, sondern wie konzentriert und fokussiert sie ist.

Halli 842 Oberg

Dann im vierten Versuch klappt es bei Christina Obergföll. 64,96 m weit segelt ihr Speer und der Jubel über den Siegwurf ist bei der Offenburgerin entsprechend groß. „ Das ist ein großer Befreiungsschlag. Ich hoffe, daß es noch ein bißchen weiter gehen kann“.

Halli Obergf Autogramm

Und sie freut sich auch mit ihrer zeitweiligen Trainingskameradin Mathilde Andraud aus Frankreich über deren zweiten Platz und den neuen französischen Rekord von 63,54 m.

Halli Andraud Tafel

„ Das kam völlig überraschend, wir waren alle aus dem Häuschen“, so Trainer Werner Daniels. Und er organisierte flugs noch eine Dopingkontrolle – man erinnere sich an meine Ausführungen und das Schild „Dopingkontrolle-, denn das ist für die Anerkennung eine Rekordes notwendig.

Halli obergf andrau

Halli Speer Frauen Siegerehung

Freude also beim Trainergespann Obergföll /Daniels. Trotzdem wertet Werner Daniels die neue Wurfanlage etwas kritisch. „ Beim Abwurf rutschten die Werferinnen und blieben so unter ihren Möglichkeiten. “ Und das sah man später auch bei den Männern, die nicht auf die herausragenden Weiten kamen.

Der glückliche Julian

Halli 869 Weber

Doch einer war trotzdem hinterher sehr glücklich. Speerwerfer Julian Weber (USC Mainz) unterstrich seine Olympia-Ambitionen, gewann mit der persönlichen Bestleistung von 82,69 m vor Johannes Vetter (Offenburg / 81,53 m) und blieb damit nur 31 cm unter der geforderten Olympianorm. Der Ex-Handballer hielt sich deshalb auch mit etwaiger Kritik an der neuen Anlage zurück. „ Es ist eine schön gemachte Speerwurfanlage“.

Christoph Harting glänzte mit dem Diskus

Zeitlich eingebettet zwischen den beiden Speerwettbewerben aber bot der Diskuswurf der Männer ein Spektakel. Ich verfolgte es nur mit dem Ohr, sprich, ich registrierte die Weiten und den Sieg des Berliners Christoph Harting mit 65,61 m. Damit hatte er die Scharte von Wiesbaden, als er nur drei ungültige Versuche zuwegebrachte, ausgewetzt. Entsprechend entspannt konnte er auf dem Podest lächeln.

Halli 875 Sieger Disksu

Die ersten Drei: Daniel Jasinski ( 65,38 m/ 2.), Christoph Harting (1.), Martin Wierig (63,88 m / 3. – von links)

Von der Hitze des Tages leicht geschafft, verzichtete ich darauf, den letzten Spitzenwettbewerb des Tages, das Kugelstoßen der Frauen, live zu beobachten. Es reichte mir, das Ergebnis im Nachhinein im Internet nachzulesen und zu registrieren, daß drei Chinesinnen die ersten Plätze belegten.

Zaungast Thomas Röhler

Dafür sprach ich noch kurz mit dem gegenwärtig besten deutschen Speerwerfer  Thomas Röhler aus Jena, der am Vorabend den Wettkampf im tschechischen Ostrava mit der Weltjahresbestleistung von 87,37 m gewonnen hatte und deshalb bei den Werfertagen nicht am Start war.

Thomas Röhler 3 klein mit Trainer DSC09330-2

Man merkt ihm förmlich noch an, wie in der gestrige Wettkampf begeistert hatte. „ Es war ein sehr spannender Wettkampf,  und ich war im letzten Durchgang sogar auf Platz 3 zurückgedrängt worden. Doch dann hatte ich alles in der Hand. Es war mein Moment, weil ich den allerletzten Versuch hatte.“ Und der gelang ihm dann mit 87,37 m bestens. Dem Ägypter Abdelrahman (84,85) und dem Polen Krukowski (84,74 m) blieben nur die Plätze 2 und 3. Und Thomas Röhler hatte die Genugtuung, daß er mehr Beifall als Usain Bolt bekam. Kein Wunder in einem Speerwerferland, das mit Jan Zelezny noch den aktuellen Weltrekordhalter hat.  „ Es ist sehr schön, daß ich so früh in der Saison solch eine Herausforderung hatte,“ erklärt Röhler. Aber gleichzeitig verweist er darauf, daß das internationale Niveau gestiegen ist. „ Es geht wieder hin zu den Zeiten, wo man mit 90 Metern gewonnen hat und nicht mit 84 Metern.“ Und diesen 90 Metern nähert sich der Gewinner der Diamond Race 2014 und WM-Vierten von Peking nun mit Macht. (mehr dazu auf meiner Homepage unter „Treffs mit Leichtathleten“). Und Thomas Röhler weiß, was er tun muß. „ Man muß immer über den Tellerrand hinausschauen, und das tun mein Trainer Harro Schwuchow und ich. Wir wollen keinen Stillstand haben.“

Voller Interesse hat er den Speerwurfwettbewerb bei den Werfertagen verfolgt. „ Wir kennen uns alle schon lange und mit Johannes Vetter, Andreas Hofmann und dem heutigen Sieger Julian Weber kommen starke Werfer nach. Es wird also nicht leicht, sich durchzusetzen und für Rio zu qualifizieren. Wir werden auf alle Fälle ein starkes, konkurrenzfähiges Team zusammenbekommen. “ Keine Frage, daß Thomas Röhler dabei sein will. Vor allem gesund bleiben muß er. „Dafür mache ich eine ganze Menge, vielleicht mehr als alle anderen“, äußert sich der schlanke Athlet. „ Physio besuche ich nie“, verblüfft er mich. „ Das ist eine spannende Geschichte“, nicht eben so am Rande zu erläutern. „ Wir kümmern uns also selbst darum, neue Möglichkeiten zu entdecken. Es gibt tolle Möglichkeiten, so etwa Back Rolling.  „ Später lasse ich mir von „Herrn Google“ sagen, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Toll, wenn man selbst in einem solchen Gespräch auch hinzulernt.

Thomas Röhler führt noch ein kurzes Gespräch mit Ralph Hirsch, dem Chef des Dessauer Anhalt-Meetings, das am 27. Mai im Paul-Greifzu-Stadion stattfindet:

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Dann steigt er ins Auto und fährt auf der A 9 südwärts nach Hause ins relativ nahe Jena. Ich aber schließe das Kapitel „Hallesche Werfertage“ für dieses Jahr ab, und fahre auf der A 9 nordwärts.

Die vielen Erlebnisse und Begegnungen dieser zwei Tage schwirren mir noch lange im Kopf herum. Im nächsten Jahr – geplant ist der 20. Und 21. Mai 2017 -, bin ich gern bei der 43. Auflage der Halleschen Werfertage wieder dabei.

Peter Grau

(Fotos: Peter Grau / Werner Daniels)

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