Was bleibt zurück? Eine Nachbetrachtung zum Frankfurt Marathon 2016

 

Zum Frankfurter Marathon 2016 habe ich kürzlich unter der Überschrift „Die Regensburger Läuferin Franzi Reng. Als Journalistin beim Frankfurt-Marathon unterwegs“   bereits einen Beitrag veröffentlicht. Weil er mir so gut gefiel, reiche ich nun eine zweite Geschichte nach, die Franzi Reng als Nachbetrachtung schrieb:

Was bleibt zurück?

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Eine riesige Menschentraube bahnt sich ihren Weg durch die Straßen Frankfurts – und hinterlässt ein Bild der Verwüstung. Doch ist das schon alles, was vom Frankfurt Marathon 2016 übrig bleibt?

Nach etwa vier Stunden Arbeit auf Hochtouren ist in der Eschesheimer Landstraße wieder Ruhe eingekehrt. Die Megaphone sind verstummt, die Zuschauer haben den Heimweg angetreten oder ziehen noch weiter in die Festhalle. Die etwa neunzig Helfer des Lauftreffs Bruchköbel sammeln die unzähligen Pappbecher auf, die über hunderte Meter verstreut liegen. Der Transporter mit den leeren Getränkekästen ist schon auf dem Weg zurück ins Lager und es dauert nicht mehr lange, dann ist auch die Straße wieder für den Verkehr freigegeben.

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Die unermüdlichen Helfer des Lauftreffs Bruchköbel sorgen für die Verpflegung bei Kilometer 5 (Foto: Reng)

Hier, im Dornbusch-Viertel unfern des Messe-Geländes haben die Marathon-Starter Kilometer fünf ihres Rennens passiert. Hier standen – beziehungsweise liefen – sie noch fast ganz am Anfang der großen Herausforderung. Nun ist die riesige Menschentraube mit Ausläufern nach vorne, nach hinten, inklusive Besenwagen komplett vorbeigezogen. Überall wo sie in der Stadt aufkreuzt, hinterlässt sie ein Bild der Verwüstung.
Und je weiter sie sich dem Ziel nähert, je höher das Energiedefizit anwächst, desto schlimmer wird es. In der Festhalle angekommen, gibt es nicht nur Pappbecher, sondern auch Bananen, Bier, Riegel, Isodrinks und Plastik-Capes für alle. Dass die Überbleibsel davon nicht immer ihren Weg in einen der großen, eigentlich auch für einen koordinativ geschwächten Finisher unverfehlbaren Container finden, verwundert irgendwie nicht. Kaum sind die Läufer weg, beginnt das große Aufräumen.

Aber ist das das Einzige, was bleibt? Ist Chaos allein das unschöne Ende dieser Veranstaltung, die ja schon lange mehr ist, als nur ein Rennen mit Startschuss und Begrüßung im Ziel?

„Nein, wir zehren doch genauso davon“, beteuert eine Dame aus dem Lauftreff Bruchköbel, „früher bin ich ja noch selber mitgelaufen, aber das schaffe ich in meinem Alter nicht mehr. Also unterstütze ich jetzt diejenigen, die sich anstelle von mir auf den Weg machen.“ Dass sie sich mit ihren über sechzig Jahren nach achtlos hingeworfenen Pappbechern bückt, scheint ihr nichts auszumachen.

Vielleicht muss man ein wenig absehen von den materiellen Dingen, um zu verstehen, dass der Marathon nicht nur für die Teilnehmer, sondern eben auch für Zuschauer und Helfer zu einem unvergesslichen Erlebnis wird.

Es sind die Emotionen, von denen auch meine Kollegin Ramona Richter in ihrem Artikel (für larasch.de) schreibt. Die kleinen und großen Geschichten von Erfolgen oder Misserfolgen ergreifen uns, lassen uns mitfiebern – egal ob wir nun selbst mitlaufen oder nur Zuschauer sind.

Übrig davon bleiben Erinnerungen. Und eben nicht nur materiell in Form einer Finishermedaille, einem Zielfoto oder vielleicht sogar einer lukrativen Siegerprämie. Es sind Erinnerungen an Grenzerfahrungen des eigenen Körpers. Es sind Erinnerungen an das Gemeinschaftsgefühl in einer zufällig entstandenen Gruppe, die sich gegenseitig pusht, sich in der Führungsarbeit abwechselt. Es sind Erinnerungen an die Erleichterung, die Euphorie oder eben die Ernüchterung, die einen durchströmt, sobald man selbst, der beste Kumpel, die Ehefrau, oder einfach irgendein Unbekannter die Ziellinie überquert.

Die einen liegen sich in den Armen, die anderen liegen am Boden. Und wieder andere haben die Festhalle in diesem Jahr gar nicht erst erreicht. Sie mussten aufgeben, weil sie sich verletzt hatten, weil sie Schmerzen hatten, weil ihr Körper ihnen ab einem bestimmten Zeitpunkt ganz einfach das Signal gesendet hat: Bis hier und nicht weiter.

Manche wollten diesen Warnruf vielleicht sogar überhören. Sind noch weiter gegangen und haben sich letzten Endes komplett übernommen. Der Mensch ist keine Maschine und auch kein Superheld und auch kein hundertprozentig berechenbares System. Für einen Sportler endete das Rennen in diesem Jahr nicht nur im Krankenhaus, sondern sogar mit dem Tod.

Das löste nicht nur bei Angehörigen und Freunden, sondern auch bei allen Marathonbegeisterten, bei Veranstaltern und Organisatoren tiefste Betroffenheit aus. Wie klein und unbedeutend erscheinen da plötzlich die „normalen“ Wehwehchen, die ein Marathon eben mit sich bringt.
Wie erträglich erscheint da plötzlich der Wehmut, wenn man aufgrund gesundheitlicher Probleme gar nicht erst an den Start gehen konnte.

Karl Steiner ging es in diesem Jahr beispielsweise so. Vieles hatte er sich vorgenommen: Seinen 66 Marathon laufen, seinen insgesamt zehnten Frankfurt-Marathon finishen, den deutschen Mannschafts-Meistertitel in seiner Altersklasse gewinnen. Letztendlich machte ihm die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung und er fand sich ungewollt neben der Strecke als Zuschauer wieder. Natürlich ist da zunächst nichts als Frust.

Umso überraschender war daher seine Begeisterung am Ende des Tages: „Das war heute großartig! Meine Vereinskameraden haben eine klasse Leistung gezeigt und den Titel auch ohne mich gewonnen! Das Anfeuern hat dank der vielen Straßenfeste und der tollen Stimmung in der Festhalle mindestens genau so viel Spaß gemacht!“

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Auch neben der Strecke wird der Marathon zum Erlebnis (Foto: Mainova Frankfurt Marathon)

Nächstes Jahr will er dann endlich wieder selbst von der Partie sein. Denn auch das bleibt uns vom Marathon: Träume.

Wir wollen es nächstes Jahr besser machen. Wir stecken uns neue Ziele. Sportlicher Ehrgeiz, der Wunsch, höher zu streben, Bestzeiten zu jagen und uns das alles schon jetzt auszumalen, obwohl uns noch ein gutes Jahr davon trennt – das gehört einfach dazu.

Und diejenigen, die noch nie an der Startlinie standen, träumen vielleicht davon, es selbst einmal zu versuchen. Sich der Herausforderung zu stellen. Das Marathonerlebnis der anderen inspiriert uns. Ganz egal, wie sportlich, wie alt oder jung wir sind.

Die 14-jährige Larissa Löb hat in diesem Jahr schon den immerhin 4,2km-langen Minimarathon gewonnen. Aber später einmal, wenn sie dann „wirklich eine echte Langstreckenläuferin“ ist, möchte sie natürlich auch mal über die volle Distanz starten. Ihre Vorbilder sind Arne Gabius, Sabrina Mockenhaupt, die Hahner-Twins und in diesem Jahr hat sie sogar noch ein paar andere Stars der Szene kennengelernt, die sie jetzt weiter verfolgen will.

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Nach dem Sieg beim 4,2km-langen Minimarathon werden schnell Träume von der vollen Distanz gehegt (Foto: Mainova Frankfurt Marathon)

 

Es geht nämlich immer weiter. Der Frankfurt Marathon feierte in diesem Jahr seine 35. Ausgabe, irgendwann wird es eben die 50. sein. Und so wie der Veranstalter fest damit rechnet, gibt es ebenso vermutlich kaum jemanden, der nach vollendetem Marathon-Finish sagt: Das wars jetzt.

Selbst Patrick Raguse, der aufgrund mehrerer Herzstillstände bei diesem Rennen mit dem Laufsport abschließen wollte, revidiert seine Entscheidung schon kurz nach dem Zieleinlauf wieder: „Vielleicht finde ich ja doch irgendeine Möglichkeit, nochmal zurückzukommen.“ Der Marathon lässt ihn hoffen. Träumen.

Und manche Träume werden wahr, so wie manche eben unerfüllt bleiben müssen. Wir wissen nicht, wie es weitergeht mit unserer eigenen Laufstory. Aber das ist ja gerade das Schöne daran: Sie geht ja doch immer irgendwie weiter. Selbst wenn nach einigen Stunden Pappbecher, leere Getränkekästen und Straßensperrungen verschwunden sind – unsere Geschichten sind noch lange nicht vorbei.

Franzi Reng

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(geschrieben für  www.larasch.de)

 

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