Alle wichtigen Marathons des Jahres 2016 liegen hinter uns. Da bleibt Zeit, zurückzublicken. Aus deutscher Sicht war der Frankfurt Marathon am 30. Oktober 2016 der letzte bedeutende Marathon. Zwei Geschichten, geschrieben von der Regensburgerin Franzi Reng, habe ich gerade auf meiner Homepage gebracht. Und Franzi Reng hat dabei auch mal erwähnt, daß ihre Kollegin Ramona Richter, die auch für larasch.de schreibt, ebenfalls sowohl als aktive Läuferin dort dabei war, aber auch hinterher sich ihre Gedanken über das Erlebnis, den Sport in allen seinen Facetten zu erleben, gemacht hat.
Ich mag es, wenn man sich fernab von der normalen Berichterstattung- so wichtig sie auch für den Veranstalter und für die Spitzenathleten sein mag-, eigene Gedanken macht . Und da ich auf meiner Homepage gern auch andere zu Wort kommen lassen will, gebe ich nun auch Ramona Richter eine Plattform.
Sie hat auf larasch.de folgende Geschichte veröffentlicht:
Ich sehe, was Du nicht siehst…
Erst am vergangenen Sonntag bot der Frankfurt Marathon mal wieder Gelegenheit, den Sport in seinen emotionalen Facetten zu erleben. Sich bewusst zu machen, was den Sport eigentlich auszeichnet!
Das Wochenende in Frankfurt war nicht nur eine laraschische Reunion des Rio-Duos aus der Kamerafrau Steph und der rasenden Reporterin. Es war auch ein Aufeinandertreffen von besonderen Eigenarten, die den Sport einfach ausmacht.
Und das sind eben nicht nur die messbaren Leistungen, die im Mainstream oft stumpf abgelichtet und bewertet werden. Der eigentliche Wert ist doch ein ganz anderer. Leistungen erzählen Geschichten. Nur dass diese irgendwo anfangen, aber am Tag X nicht zwingend enden müssen. Am Tag X macht der rote Faden nur einen merklichen Hüpfer, der den Fortlauf der Geschichte prägt.
Wer gerne Geschichten liest, der weiß, dass sie nicht immer nur eine Aneinanderreihung von Ereignissen sind, sondern diese in einem Kontext stehen. Ein Kontext, der den Inhalt erst nachvollziehbar und nachempfindbar macht.
Glücklich im Ziel
Und damit halten wir die erste Eigenart des Sports fest: Emotionalität. So wie auch eine Geschichte erst von Emotionen lebt. Problem ist allerdings, wir werden oft nur stumpf vor Tatsachen gestellt. Das Buch wird Mittendrin aufgeklappt und eine fremde Stimme, die die Geschichte selbst nicht kennt, liest uns vor.
Es ist keine Neugierde rauszuhören, es wird keine Spannung aufgebaut, die Stimme taktet im langweiligen Modus vor sich hin. Wer hört da gerne zu? Zusammenhangslos steht der Fakt einfach im Raum.
Zumindest gibt es da noch die Bilder, die jene starken Gefühle treffend festhalten. So kann man sich zumindest selbst seine Geschichte drum herum basteln oder die Emotionen teilen.
Wer sich die Berichterstattung heutzutage aber anschaut, der sieht oftmals nur gescheiterte Rekorde oder geglückte Bestleistungen. Fakten, die offensichtlich herausstechen, bekommen eine Schlagzeile. Dass aber zwischen den Zeilen manchmal eine viel beeindruckende Story zu finden ist, wird überlesen.
Und da kommen wir zur zweiten Eigenart des Sports: Er ist berechnend, aber relativ erfolgreich.
Erfolge werden an Zahlenwerten festgemacht. Zeiten, Weiten und Platzierungen schaffen objektive Vergleichbarkeit, aber der Erfolg an sich bleibt subjektiv. Erfolge sollten wir nämlich an uns selber festmachen und zwei, drei Informationen mehr seitens des Kommentators kann eine scheinbare Niederlage siegreich stimmen. Platz drei ist kein Trostpflaster, sondern bedeutet für den Drittplatzierten vielleicht zum ersten Mal auf dem Treppchen zu stehen, seine persönliche Bestzeit unterboten zu haben oder einen sturen Konkurrenten endlich hinter sich gelassen zu haben.
Zum Glück durfte ich das Jubiläumsevent in Frankfurt live miterleben und es nicht nur über emotionale Bilder Revue passieren lassen. Ich mischte mich wieder rasend unter die Läuferinnen und Läufer und sammelte so Momentaufnahmen anderer Geschichten. Jagte aber auch meine eigene im Schnitt von 4:37min/km voran und löste spätestens im Ziel meinen eigenen Storyboard-Hüpfer aus. Für mich war es mein erster Marathon mit gezielter Vorbereitung. Bei meinem recht spontanen Debüt in Hamburg 2015 war es ein „Hauptsache durchkommen!“ Aber mit jeder gemeisterten Herausforderung steigen natürlich auch die eigenen Ansprüche – im Leistungssport zwangsläufig auch der Druck.
Und da wären wir an der dritten Eigenart angelangt: Hobby oder Beruf(ung). Wobei das eine ins andere übergeht und eigentlich nie getrennt werden sollte. Schließlich ist die Leidenschaft der gesunde Antrieb und sollte nie auf der Strecke bleiben.
Nur herrscht im Leistungssport das Problem, dass die Leidenschaft hart auf die Probe gestellt wird und die Umstände es nicht gerade einfacher machen. Wäre die Wertschätzung eine andere, wäre auch die Unterstützung eine andere. Nur leider ist Leistung in den Köpfen vieler noch immer alles. Es wird gefordert, anstatt zu fördern. Als Athlet musst du selbst sehen, wo du bleibst. Also hat der Sport leider auch eine unschöne Eigenart an sich, die nicht vom Sport selbst ausgeht, sondern zu dem die Sportfunktionäre ihn zwangsläufig führen. Diese bemächtigen sich quasi ignorant des Sportes. Und darunter leiden die Sportler selbst. Das Problem der mangelnden Unabhängigkeit und fehlenden effektiven Mitsprache seitens der Athleten ist nicht nur aktuell ein Thema.
Es geht so weit, dass diese Eigenart den besonderen Rest überschattet. Heißt: die Emotionalität (auch wenn sie nicht immer nur Freude widerspiegelt, aber Menschlichkeit), die Möglichkeit, durch den Sport persönlich zu wachsen und an Selbstsicherheit zu gewinnen, Menschen zu verbinden und neuen Mut zu machen, sich nicht selbst aufzugeben oder sich – wie es dem Sport bekanntlich nachgesagt wird – physisch zu wappnen und seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. Sofern man seinem Körper auch die Zeit gibt, aufzubauen und ihn nicht frühzeitig wieder Strapazen aussetzt, kann mit Vernunft, Ehrgeiz und ehrlicher Ambition ein Sportler letztlich nur beeindrucken, zu was ein Mensch in der Lage ist.
Die deutsche Meisterin Fate Tola im Ziel
Marcus Schöfisch wird deutscher Meister
An diesem Wochenende bewiesen unsere Spitzenläufer genau das. Mit den 42,195km stellen sie sich natürlich jedes Mal aufs Neue einer Herausforderung. Diese Unberechenbarkeit macht letztlich aber auch den Reiz aus. Für viele Freizeitrenner bleibt es ein „Hauptsache durchkommen“, für unsere Elite ist es jedoch teils existenziell. Aber gleich welcher Antrieb einen ins Ziel trägt und was von der Zielzeit abhängt oder wie diese letztlich medial auseinander genommen wird – es bleibt eine grandiose Leistung, die jeder, ob nach knapp zwei oder erst sechs Stunden, abliefert.
Sport verbindet Menschen. Bestes Beispiel ist der Marathon. Profis und Hobbyläufer starten zeitgleich und fahren im gemeinsamen Wettkampf ganz persönliche Erfolge oder Misserfolge ein. Und auch die Misserfolge sind je nach Perspektive relativ.
Wenn ein Kenianer beispielsweise eine 2:06h auf die Straße legt, mag es für uns eine unfassbare Leistung darstellen, für den Läufer selbst aber inakzeptabel sein, sofern damit kein Sieg eingefahren wurde. Und in Kenia gibt es so viele Talente, die die deutsche Spitze Minuten hinter sich lassen würde, aber deren Leistung dennoch nicht langt, um die eigene Familie zu ernähren. Talent, welches man hier auf Händen tragen würde, geht dort einfach unter.
Bei uns mangelt es zwar nicht an der Wertschätzung ihrer Leistung, aber dennoch ist es aus subjektiver Sicht eine ‚Misserfolg‘. Eine vermeintliche Niederlage, die objektiv betrachtet keine ist. Aber relativ wiederum schon.
Dieser letzte Aspekt soll einfach darauf hinweisen, dass Laufen nicht nur Laufen bedeutet, sondern dass so viel mehr damit einhergeht. Wir müssen nur genauer hinschauen, um zu verstehen und erst dann davon berichten.
Ansätze einer Spitzensportreform, die „mehr Geld für Gold“ fordert, konzentriert sich wieder nur auf Leistung. Talent lässt sich nicht immer sofort an Höchstleistungen messen. Potential verlangt Vertrauen und Investment.
Ramona Richter
(veröffentlicht auf www.larasch.de; Fotos: Mainova Frankfurt Marathon)