Manchmal zahlt es sich aus, wenn man auf Facebook befreundet ist. Seit einigen Wochen gehört die Langstreckenläuferin Franzi Reng (LG Telis Finanz Regensburg) zum großen Kreis meiner Freunde. Gesprochen habe ich bisher mit der Regensburgerin noch nicht, sondern nur aus der Ferne ihre bisherige Laufkarriere verfolgt.
Nun aber stieß ich durch Zufall auf eine Geschichte, die Franzi Reng zum diesjährigen Frankfurt-Marathon ( 30. Oktober 2016) geschrieben und auf www.larasch.de veröffentlicht hat.
Larasch.de, davon hatte ich bisher nichts gehört. Dabei ist dieser Internetdienst schon seit Mai 2014 im Netz.
„Larasch hat es sich zur Aufgabe gemacht, für mehr Transparenz im Ausdauerbreitensport zu sorgen. Dafür recherchiert unser Team in der Szene und trägt Veranstaltungsdaten, Ergebnislisten und GPS-Tracks für die Disziplinen: Laufen, Radfahren, Schwimmen, Skaten, Skilanglauf, Triathlon, Aquathlon und Duathlon zusammen. Jeder kann uns dabei unterstützen! Als Resultat unserer gemeinsamen Arbeit erhältst Du umfangreiche Analysen, übersichtliche Informationen und tolle Bilder deines Hobbies in einem Portal.
So werden die Ziele von larasch.de beschrieben. Und der Chef Dirk Lange ist sehr kommunikativ und hat mir recht schnell gestattet, die von Franzi Reng geschriebene Geschichte „Medien-Marathon“ zu veröffentlichen.
Franziska Reng stellt sich bei larasch.de selbst so vor:
„ Ich bin Franzi, eine 20-jährige Läuferin auf dem Weg zum Marathon. Bisher standen bei mir vor allem Langstrecken bis zum Halbmarathon im Fokus, ich möchte mich nun aber auch endlich auf die „Königsdisziplin“ wagen. Vielleicht ist es ja schon bald so weit … Wenn ich gerade nicht trainiere, arbeite ich als Journalistin und studiere an der Universität Regensburg.“
Und wie sie schreibt, kann man im Folgenden nachlesen:
Medien -Marathon
Der Frankfurt Marathon 2016 ist Geschichte. Die Teilnehmer haben bis zur Ziellinie alles gegeben – unzählige Siegerfotos, Videos und Berichte dokumentieren ihren Erfolg. Doch was ist auf der anderen Seite der Linse passiert?
Es ist Freitag, elf Uhr vormittags. Im „Matterhorn“ herrscht buntes Treiben: Eilig werden Broschüren, Flyer und Kugelschreiber an die vielen Tische des großzügig eingerichteten Tagungsraumes verteilt. Vorne werden Leinwände aufgebaut, hinten Kaffeekannen gefüllt. Bedienstete in Uniform des Mövenpick-Hotels schieben Wägen herum, tüfteln an der Beleuchtung, überprüfen die Tontechnik.
Währenddessen strömen immer mehr Leute mit großen Taschen und Kameras in den Raum. Sie verteilen sich auf die Tischreihen, manche wollen ganz vorne sitzen, andere beobachten das Geschehen lieber von den hinteren Plätzen aus. Schreibzeug wird hervorgekramt, hier und da wird noch in gedämpfter Lautstärke geplaudert – das Ganze hat schon fast etwas von einer Klassenarbeit: Auf dem Tisch ein Packen Papierkram und Schreibmaterial, dazu Essen und Getränke, um den grauen Zellen im Zweifelsfall einen kleinen Energieschub zu verleihen. Sogar die Stimmung ist ähnlich aufgewühlt: Wann geht es denn nun los? Wir haben ja schon nach elf, wann kommen die denn…?
Nach und nach erscheinen endlich ein paar Herren im Anzug, zuletzt gesellen sich noch ein paar schlanke, meist dunkelhäutige Leute in Trainingsanzügen dazu –
dann werden endlich die Türen geschlossen und das Licht gelöscht.
Ein stimmungsvolles Trailer-Video wird abgespielt und jeder, der bisher noch nicht so ganz im Bilde war, was hier abläuft, weiß spätestens jetzt Bescheid: Der Frankfurt Marathon steht bevor. Willkommen auf der Pre-Race-Pressekonferenz.
Das Video zeigt eindrucksvoll: Alles ist angerichtet, die letzten Vorbereitungen sind abgeschlossen, es kann losgehen! Der Veranstalter verspricht ein mindestens so packendes Event wie im letzten Jahr.
Sobald das frisch entworfene Marathon-Logo mit neuem Namenssponsor auf der Leinwand verschwunden, die mitreißende Musik verklungen und die Beleuchtung wieder eingeschalten ist, zückt ein Großteil der Anwesenden sofort mindestens eine Kamera, wenn nicht gleich zwei oder drei. Egal wer der Funktionäre nun der Reihe nach die kleine Bühne betritt – sie alle werden hundertfach abgelichtet. Von Videogeräten, Spiegelreflex, einfacher Digicam, bis hin zu Smartphones ist alles dabei.
Die Fotografen drängen sich um die Tribüne der Pressekonferenz (Foto: Franzi Reng)
Ein Fotograf platziert sein Stativ in ausgezeichneter Position direkt vor seinem Nebenmann, der nächste blendet den Moderator auf der Tribüne mit seinem Blitzlicht, sodass er gequält seine Augen zusammenkneifen muss, wieder jemand anderes erhebt sich und vollführt, statt brav wie ein Schuljunge in der Bank zu sitzen und Notizen zu machen, vor den Sprechern wahrliche Kunststücke. Alles, nur um aus der besten Perspektive eine besonders ausgefallene Nahaufnahme zu bekommen. Ja, manchmal kann man es schon verstehen, warum die „Pressefritzen“ ein oft nur widerwillig geduldetes Völkchen sind.
Aber es ist nun mal ein Geben und Nehmen: Die Einen hoffen auf Informationen und interessante Details für die mehr oder weniger große Leserschaft. Die anderen wünschen sich gute Berichterstattung, positive Meinungen und Werbung für das eigene Event.
Darum scheut man auch keine Mühe, allen Journalisten einen herzlichen Empfang zu bereiten und nach Begrüßungsreden, Erklärungen zu ausführlichen Berichten, angeleitet durch den Moderator, noch genügend Zeit für die neugierigen Fragen aus dem Publikum zu lassen.
Viel gibt es dann aber gar nicht mehr zu klären. Nur ein Kollege aus den Niederlanden nutzt die Gelegenheit, um detaillierte und kompliziert formulierte Fragen zu stellen. Die meisten quittieren seinen Auftritt mit einem müden Lächeln. Der Kollege ist bekannt, fährt jedes Jahr dieselbe Strategie. Und irgendwie ist man ja froh, dass es jemanden gibt, der sich anscheinend noch eigene Gedanken macht und nicht nur stur reproduziert, was ihm an Input auf dem Servierteller dargeboten wird.
Die spannendsten Geschichten schreiben sich ja dann doch nicht nach den steifen Pressekonferenzen, sondern eher wenn man ganz ungezwungen beisammensitzt. Und selbst dafür ist beim Frankfurt Marathon gesorgt: Mit einer Get-Together-Party am Abend. Hier sollen Organisatoren, Athleten und – natürlich – Medienvertreter bei einem gemeinsamen Abendessen ins Gespräch kommen. Für angenehme Rahmenbedingungen ist durch die Mövenpick-Hotelküche gesorgt. Ein Journalist, der selten Nein zu Verpflegung sagt, die er nicht extra auf die Spesenabrechnung schreiben muss, fühlt sich hier wie im Schlaraffenland: Der Sekt fließt in Strömen, der Schokoladenbrunnen sprudelt und spätestens mit einer Kugel Eis kommt sogar dem sonst so seriösen Jo Schindler schon mal der ein oder andere Spaß über die Lippen.
Das Zusammentreffen endet nicht, bevor der neue Tag beginnt – erst recht nicht für die Fotografen, die selbst nachdem die Quelle des Schokoladenbrunnens versiegt ist, noch eine Sonderschicht im Büro schieben: Die Aufnahmen des Abends sollen schließlich gleich online gehen.
Es ist Samstag, zehn Uhr vormittags. Der Ort des Geschehens hat sich nach draußen auf den Messeplatz verschoben. An der Startlinie steht das Aufgebot des vermutlich hochkarätigsten Spaßlaufs in Deutschland: Arne Gabius, Irina Mikitenko, Herbert Steffny – alle drei sind bester Laune und winken in die Kamera, als der Startschuss zum Brezellauf fällt.
Begleitet von Videokameras, Fotografen auf Motorrädern und einer laufenden Reporterin bahnt sich die Menge den Weg durch Frankfurts Straßen. Im Ziel gibt es Medaillen und Brezen* für alle (*die Autorin erlaubt sich, aufgrund ihrer süddeutschen Heimat, die bayerisch-/österreichische Variante des Wortes „Brezel“ zu benutzen). Und nicht zu vergessen: Fotos. Als ob die vielen Selfies nicht schon genug wären.
Wer sich in diesen Tagen rund um das Marathon-Gelände bewegt, läuft quasi ununterbrochen Gefahr von einer der vielen Kameras abgelichtet zu werden, für Videoteams ein Interview geben zu „müssen“ oder ganz unabsichtlich durch das Bild eines Live-Streams zu huschen. Die Medienpräsenz ist enorm und doch lässt sich eines ganz klar feststellen: Hier handelt es sich vor allem um regionale Pressevertreter oder um Organe der ohnehin geballt auftretenden Laufszene. Von überregionalen Sendern bleibt der älteste Stadtmarathon Deutschlands weitestgehend unbeachtet und auch alles was nicht mehr in den Einsatzbereich des hessischen Rundfunks fällt, scheint sich nicht mehr sonderlich für das Frankfurter Geschehen zu interessieren. Die Marathonszene feiert in diesen Tagen ein riesengroße Party – und bleibt dabei trotzdem irgendwie unter sich.
Es ist Sonntag, neun Uhr vormittags. Wenn man jetzt durch die Straßen rund um das Messegelände geht, trifft man nur noch Menschen in Sportkleidung mit diesen großen Beuteln behängt. Jeder, der nicht Laufschuhe oder Anfeuerungsinstrumente trägt, ist Polizist oder Strecken-Posten mit Warnweste.
An der Friedrich-Ebert-Anlage zentriert sich das Geschehen: Hier lässt sich neben den soeben genannten Spezies sogar noch ein weiterer Typ Mensch antreffen: Die Medienleute. Moderatoren heizen das Publikum an und motivieren die Läufer, dazu dröhnt Musik aus den Lautsprechern. Auf der Medien-Tribüne drängen sich Journalisten.
Sein oder nicht sein – alles eine Frage der Akkreditierung (Foto Franzi Reng)
Ganz vorne steht aber allein ein Stativ mit Smartphone-Halterung, das Übertragungsgerät für den Live-Stream. Sieht irgendwie mickrig aus. Trotzdem wird es wie ein Goldschatz bewacht: Wer sich ihm auch nur auf einen halben Meter nähert, wird verärgert zurückgedrängt. Überhaupt herrscht hier oben eine ziemlich beengte Stimmung. Man merkt sofort, wie unerwünscht man ist. Zugangsberechtigung hin oder her. Fünf Minuten vor dem Start lässt der Hessische Rundfunk sogar die Treppe der Tribüne räumen. Der Pressesprecher des Veranstalters schüttelt den Kopf. Er ist hier der mit Abstand unaufgeregteste Mensch. Nicht ärgern, nur wundern.
Im Ziel gibt es ähnliche Szenarien. Sobald sich die Sieger der Festhalle nähern, versucht jeder Fotograf, sich so gut wie möglich hinter der Gitterabsperrung zu postieren. Nur wenige dürfen sich überhaupt davor aufhalten. Und wenn mal wieder einer von diesen hochprivilegierten Organisatoren durchs Bild latscht, ertönt sofort genervtes Stöhnen. Dann überquert der erste Marathoni die Ziellinie. Es regnet Konfetti, das Publikum jubelt, Blitzlichtgewitter. Perfekte Inszenierung für perfekte Bilder. „Mark look here“ „Mark please smile to me“ Schnell wird dem überanstrengten Sieger noch ein Handtuch des Sponsors übergeworfen, er bekommt Hände geschüttelt, wird umarmt und für Interviews herumgereicht.
Das Prozedere wiederholt sich noch ungefähr zehn mal. Dann sind die wichtigsten Kandidaten im Ziel, die Siegerehrungen sind abgehalten und die meisten machen sich auf ins Pressezentrum im Hotel. Nun gilt es, Material zu sichten und erste Berichte zu verfassen. Die werden in den Online-Medien, einigen Tageszeitungen und den regionalen Rundfunk-Anstalten zu lesen und zu sehen sein. In der großen Tagespresse wird Frankfurt wohl eher nur eine schmale Seitennotiz wert sein, außerhalb von Hessen und den Heimatorten der Sieger wird das Event vernachlässigt werden. Es ist und bleibt kein breit aufgestelltes Spektrum der Medienvertreter, sondern ein Zirkel an ähnlichen und teils auch konkurrierenden Organen. Demensprechend eifrig wird nun im Pressezentrum gearbeitet.
Für die restlichen Läufer, die währenddessen ihren ganz persönlichen Erfolg, das Marathon-Finish, feiern, bleibt gerade mal noch eine Handvoll Fotografen und Reporter vor Ort, hauptsächlich für den Veranstalter im Einsatz. Die Moderatoren machen aber weiter einen großartigen Job und werden nicht müde, auch die letzten Ankömmlinge bei ihrem Einlauf in der Halle euphorisch zu begrüßen, selbst wenn die Zahl der Zuschauer und Kameras exponentiell abnimmt. Die Zielfotografen geben sich weiterhin Mühe um gute Aufnahmen, auch wenn sie vor Durst schon fast mit der Zunge auf dem roten Teppich kleben. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn. Ob es ihr eigener ist, oder der von unzähligen glücksdurchströmten Finishern, die ihnen im Siegestaumel um den Hals fallen, wissen sie nicht mehr.
Zielfotograf Frank lichtet unermüdlich die jubelnden Finisher ab (Foto: Franzi Reng)
Ist man wie Frank Depping, der mit seiner Kamera in der Festhalle wartet, bis auch der letzte Teilnehmer das Ziel erreicht, nicht das erste Mal dabei, weiß man, worauf man sich einlässt: Es ist nun mal ein Marathon. Ein Kraftakt, bei dem jeder an seinen Grenzen geht. Nicht nur die unzähligen Läuferinnen und Läufer. Sondern auch alle Mitarbeiter der Medien, die Berichterstatter, die Fotografen und Kamerateams.
Die kleine Reporterin aus Regensburg, die in diesem Jahr zum allerersten Mal dabei sein durfte, weiß das jetzt auch – und ist überglücklich, als sie nach drei anstrengenden Tagen sogar (dank Zeitumstellung!) noch kurz vor Mitternacht ihre bayerischen Heimat erreicht. Sie legt sich sofort ins Bett, ist todmüde. Ein paar Mails, die in den letzten Tagen durch den Marathon-Trubel unbeachtet geblieben sind, muss sie vor dem Schlafen trotzdem noch schnell beantworten. Dazu hört sie noch ein bisschen Radio, B5aktuell, um fünf vor zwölf kommen hier immer noch einmal die Sportnachrichten.
Und plötzlich klingt die Stimme von Mona Stockhecke aus dem kleinen Gerät neben ihr: „Mein Kreuz schmerzt. Meine Füße haben einige Blasen und ich spreche ein wenig langsam. Aber insgesamt bin ich überwältigt.“ – Die Reporterin auch: Der Frankfurt Marathon hat es heute also doch noch von Hessen bis in den Süden, in die Studios des Bayerischen Rundfunks geschafft!
Franzi Reng (veröffentlicht bei www.larasch.de)