Es ist heute Montag, der 13. August.
Diesen Tag werde ich nie vergessen, denn am 13. August 1961 brachte der Bau der Mauer eine Zäsur in mein Leben und in das Leben von 17 Millionen DDR-Bürgern.
Als ich die Nachricht im Stadtfunk hörte, nur wenige Schritte von meiner Wohnung in Erfurt entfernt, konnte ich es anfangs nicht glauben. Aber es war wahr.
Zu dieser Zeit lebte ich schon in Berlin, weilte nur gerade zu Besuch bei meiner Mutter in Erfurt.
In Berlin begann ich 1961 mit dem Wirtschaftswissenschaft-Studium an der Humboldt –Universität und hatte mir für die folgenden vier Jahre viel vorgenommen. Nicht nur studieren wollte ich, sondern vor allem auch die offene Grenze zwischen Ostberlin (wo ich wohnte) und Westberlin nutzen. Ich war zwar schon vorher ein Jahr in Berlin, aber ich verschob vieles auf die kommenden vier Jahre. Westberlin bot so viel und ich wollte so viel erkunden.
Doch die Mauer verhinderte das. Fortan stand eine immer undurchdringlichere Hürde zwischen mir und meinen privaten Sehnsüchten. Ich zerbrach zwar daran nicht, denn auch das Leben in Ostberlin bot viele reizvolle Seiten. Man gewöhnte sich langsam daran, daß eben eine Mauer mitten in der Stadt stand. Man mußte sich daran gewöhnen, wollte man nicht bei einem Fluchtversuch sein Leben riskieren.
Aber die Mauer war eben nicht unsichtbar, sondern man stieß oft auf sie. So an der Bernauer Straße, unweit des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks und auch unweit meiner damaligen Wohnung in der Lychener Straße. Oft war ich bei Leichtathletik-Sportfesten, bei Fußballspielen in diesem Stadion und selbst als Läufer dort auf der Bahn unterwegs. Und man konnte von dort den nahen „Westen“ sehen, riechen, fühlen. Doch man sah auch die Grenzsoldaten, die die Grenze dort sicherten, gegen ihre eigenen Bürger.
Ganz dicht an die Mauer heran kam ich beispielsweise auch, als ich im Rahmen meiner Arbeit bei der Staatsbank der DDR zu Besprechungen im Gebäude der Staatlichen Plankommission (dem früheren Luftfahrtministerium) weilte und dort von der Toilette aus die nahe Mauer in ca. 8 Meter Entfernung sah. Der Westen war so nah und doch so fern.
Doch nicht nur die nahe Mauer in Berlin war für mich allgegenwärtig. Auch die Reisen in ferne Länder waren nach dem Bau der Mauer nur in Richtung Osten möglich, in die sozialistischen Länder. In Polen, in der CSSR, in Ungarn und Bulgarien war ich damals, mehr nicht. Reisen in die Sowjetunion und nach Rumänien ergaben sich nicht. Reisen nach Jugoslawien wurden nicht genehmigt, weil von dort aus erhöhte Fluchtgefahr bestand.
So blieb mir für Reisen in die westlichen Länder nur das Fernsehen. Und die Hoffnung auf das Rentenalter, denn dann durften die meisten DDR-Bürger gen Westen reisen.
Ganz so lange mußte ich dann doch nicht warten. Am 9. November 1989 fiel die Mauer und anschließend war für mich die Welt offen. Doch im Nachhinein betrachtet, war es für mich und meine Altersgenossen (wir waren nun bereits 50 Jahre) doch viel zu spät. Zwar konnten wir uns nun überall umsehen, ich konnte als Leichtathletik-Journalist an vielen internationalen Höhepunkten teilnehmen. Aber 28 Jahre Freiheit war uns genommen worden.
Nunmehr sind seit dem Fall der Mauer schon wieder fast 29 Jahre vergangen. Die Erinnerungen an die Zeit mit der Mauer verblassen immer mehr. Doch sie dürfen nicht ganz verblassen. Deshalb habe ich diesen Artikel geschrieben.
Peter Grau