Anna Rüh – die Diskuswerferin aus Magdeburg

An manche Interviews kann man sich als Journalist noch recht gut erinnern. Mir geht es so mit einem Interview mit der Diskuswerferin Anna Rüh. Bei einem meiner vielen Besuche der Halleschen Werfertage drängte sich im Mai 2012 die damals 18-Jährige durch ihre Leistung förmlich auf. Zwar war sie anfangs recht zurückhaltend, als ich sie in der Aufwärm-und Ruhehalle um ein Gespräch bat. Kein Wunder, denn ich nehme an, daß das ihr erstes großes, langes Interview wurde.

Anna Rüh Porträt vier

 

Und für mich war es deshalb so reizvoll, weil es meine erste Begegnung mit der langaufgeschossenen Blondine war. Da kann man dann viel fragen, erfragen und so war es dann auch. Es war ein ergiebiges Gespräch und im Ergebnis kam die folgende Geschichte zustande, die am 24. Mai 2012   bei leichtathletik.de   erschien:

Anna Rüh in neuen Dimensionen

Geplant hatte Anna Rüh (SC Neubrandenburg) eigentlich nur mit der U20-WM im Juli in Barcelona (10. bis 15. Juli 2012). Diese Planung wurde bei den Halleschen Werfertagen am Samstag ordentlich durcheinander gewirbelt: Mit einem Wurf auf 63,04 Meter überbot sie die Olympia-Norm und kann nun auch mit einem Olympia-Ticket liebäugeln. Glück brachte der 18-Jährigen in Halle ein ganz besonderes Wurfgerät.

Die schwarze Diskusscheibe, die Anna Rüh mit zu den Werfertagen gebracht hatte, nutzte einst die dreimalige Weltmeisterin Franka Dietzsch, die zu ihrer aktiven Zeit ebenfalls für den SC Neubrandenburg startete. Bei der WM 2007 in Osaka (Japan) schleuderte sie ihn auf die Siegesweite von 66,61 Meter.

An ihren Wurf vom Vormittag konnte Anna Rüh sich schon am Nachmittag nicht mehr so recht erinnern. „Ich war wahrscheinlich so erleichtert, dass ich es geschafft habe, und dann fiel eine Last von mir.“ Auf die Frage, ob sie danach sofort an London gedacht habe, lautete die spontane und ehrliche Antwort: „Ja, denn ich habe einen Meter über der Norm geworfen!“

Ticket nach London umkämpft

Anna Rüh räumte allerdings ein, dass die Reise nach London noch lange nicht gebucht sei. „Ich habe zwar gute Chancen, aber es gibt auch noch andere Werferinnen, die die Norm packen könnten.“

Dazu zählen sicherlich Heike Koderisch (SC Magdeburg) oder die ebenfalls noch der U20-Jugend angehörende Shanice Craft (MTG Mannheim).

Auch Bundestrainer Werner Goldmann bestätigte: „Natürlich haben im Moment Nadine Müller, Julia Fischer und Anna Rüh die besten Karten. Aber ich denke, dass auch andere Athletinnen bei guten Bedingungen noch in den Normbereich kommen können.“

Respekt vor Frauen-Konkurrenz

Nach dem U20-Wettbewerb am Vormittag maß sich Anna Rüh am Nachmittag mit den Frauen und zeigte einigen Respekt: „ Das ist natürlich ein Riesenniveau. Da versucht man sich anzupassen an dieses Niveau. Aber ich war auch viel nervöser“.

Aus nächster Nähe konnte sie beobachten, wie Nadine Müller (Hallesche LA-Freunde) mit 66,68 Metern alle Konkurrentinnen hinter sich ließ und auch Julia Fischer (SCC Berlin) mit 63,37 Metern erneut die Olympianorm übertraf. Sie selbst konnte ihre Leistung vom Vormittag bestätigen und wurde mit 62,32 Metern Sechste.

Trainingsleistung bestätigt

Für die blonde Athletin kam die Leistungssteigerung nicht überraschend. „Ich habe im Training gesehen, dass ich über 60 Meter werfen kann. Und im Wettkampf bin ich noch stärker als im Training, denn da kommt noch das Adrenalin hinzu.“

Trainiert hatte der Schützling von Dieter Kollark in der letzten Zeit nicht nur im heimischen Neubrandenburg, sondern auch viel in Kienbaum bei Berlin. Zwar habe sie sich von den Kraftwerten her nicht viel gesteigert, nur etwas an Körpergewicht zugelegt habe sie, die bei 1,84 Meter Größe jetzt rund 80 Kilogramm wiegt. „Aber wir haben viel Technik trainiert, und das hat sich ausgezahlt.“

Erstmals war sie zudem für eine Woche mit den anderen Spitzenwerfern im Trainingslager in Albufeira (Portugal). „Dort hat sie sehr gut trainiert, sodass die zweimalige Normerfüllung für mich keine Überraschung darstellt“, berichtete Bundestrainer Werner Goldmann.

Kaufmännische Ausbildung

Das Leben der 18-Jährigen besteht allerdings nicht nur aus Sport. In Neubrandenburg hat Anna Rüh im Sportgymnasium den Realabschluss gemacht und dann ein Jahr lang ein Praktikum in der Unternehmensberatung Hannig absolviert.

Da ihr das gefiel, begann sie dort anschließend eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation. Und sie hat das Glück, dass ihr Chef sportbegeistert ist und ihr für Training und Wettkämpfe die nötigen Freiräume lässt.

Im Jahr 2011 holte sie sich in Tallinn (Estland) bei der U20-EM mit dem Diskus Silber und bewies mit Bronze im Kugelstoßen ihre Vielseitigkeit. Doch gegenwärtig konzentriert sie sich mehr aufs Diskuswerfen. „Wir haben das Kugelstoßen etwas zurückgestellt, aber ich fange damit bald wieder an“. Vielleicht wird sie bei der U20-WM in Barcelona sogar wieder mit beiden Geräten antreten.

Anna Rüh von Dirk Gartenberg

Anna Rüh als Kugelstoßerin (Foto: Dirk Gantenberg)
Schwarzer Diskus als Glücksbringer

Dass Anna Rüh nicht unbedingt mit der Olympiachance gerechnet hatte, zeigt sich auch darin, dass über die nächsten Wettkämpfe noch keine Klarheit herrscht. „ Ich werde in Leipzig starten und dann natürlich bei den Deutschen Meisterschaften. Mehr weiß ich noch nicht“.

Fest steht, dass sie auch bei den nächsten Wettkämpfen wieder auf die Disken von Franka Dietzsch zurückgreifen wird. Im Moment bringt ihr die schwarze Scheibe von Osaka Glück: „Wenn man weiß, dass der Diskus schon mal so weit geflogen ist, dann vertraut man ihm.“ Und Anna Rüh hätte nichts dagegen, wenn der Diskus auch bei den Olympischen Spielen in London weit fliegen würde.

Soweit meine Geschichte über Anna Rüh aus dem Mai 2012.

 

2012 wurde dann für Anna Rüh das  international bisher erfolgreichstes Jahr. Bei der EM in Helsinki wurde sie Vierte, zwei Wochen danach gewann sie den Titel bei der Junioren-WM und bei den Olympischen Spielen in London erreichte sie einen zehnten Platz.

 

Die Jahre zwischen 2012 und 2016

Natürlich habe ich ihren weiteren Weg mit besonderem Interesse verfolgt, weil solch ein  Premiereninterview  auch im Gedächtnis bleibt.

Seitdem sind immerhin fast fünf Jahre vergangen.  Anna Rüh wirft weiterhin den Diskus, aber es hat sich seit 2012 viel getan.  Sie hat ihren Verein gewechselt, ist von Neubrandenburg nach Magdeburg gezogen. Und auch beruflich und privat hat sich einiges verändert.

 

Doch wie ist die aktuelle Lage zu Beginn des Jahres 2017?  Da hat einer Licht ins Dunkel gebracht, der selbst bis vor kurzem im Hochleistungssport als 400-m-Hürden -Läufer in der deutsche Spitze aktiv war, für den SC Magdeburg startete und deshalb auch Anna Rüh gut kennt: Varg Königsmark.

Königsmark bestes Profilfoto

Varg Königsmark  (Foto: Dirk Gantenberg)

Varg Königsmark hat 2016 die Spikes an den berühmten Nagel gehängt, studiert weiterhin Psychologie an  der Otto-von-Guericke-Universität von Magdeburg. Gegenwärtig absolviert er  im französischen Grenoble ein Forschungspraktikum.

Warum hat aber hat er nun für leichtathletik.de  eine lange Geschichte über die Diskuswerferin Anna Rüh geschrieben?  Varg Königsmark erzählt es mir so: „ Es war, wenn man so will, so etwas wie mein Pilotprojekt. Seit ich Jack Kerouac (US-amerikanischer Schriftsteller mit franko-kanadischen Wurzeln) gelesen habe, war es immer mein Wunsch, es nebenher im Schreiben zu versuchen. Und jetzt, da ich mit der Leichtathletik aus Athletenperspektive aufhören mußte, erschien es mir als ein günstiger Zeitpunkt, dahingehend mal einen kleinen Versuch zu starten.“

Königsmark Hürden mit Georg Fleischhauer

Varg Königsmark (rechts) und Georg Fleischhauer im Hürdenwald (Foto:  Dirk Gantenberg)

 

Vielleicht bleibt das auch keine „Eintagsfliege“, denn Varg Königsmark  erklärte mir auch:

„ Ich könnte mir schon vorstellen, auch gepaart mit der Psychologie, in diesen Bereich etwas weiter vorzudringen (Thema Fachjournalismus z.B.). Die Psychologie ist ja die Lehre menschlichen Verhaltens und Erlebens und daher finde ich es sehr „verlockend“, „ über Menschen“  zu schreiben, mich ausführlich mit den Hintergründen zu befassen. “

Seine aktuelle Geschichte über Anna Rüh jedenfalls ist sehr lesenswert. Unter der Überschrift „Anna Rüh und das verflixte Jahr 2016“ wurde sie bei  leichtathletik.de  am 17. Februar 2017 veröffentlicht.

Lesen Sie bitte unter: https://www.leichtathletik.de/news/news/detail/anna-rueh-in-neuen-dimensionen/

Wer noch mehr über Anna Rüh wissen möchte und wer viele Fotos sehen möchte, kann deren sehr beeindruckende Homepage   www.annarueh.de   besuchen.

Und wer sie in Aktion mit der Diskusscheibe sehen möchte, der muß zu einem der kommenden Wettkämpfe der leichtathletischen Sommersaison kommen.

Ich werde sie wahrscheinlich, wenn wir beide den Weg nach Halle/Saale zum diesjährigen Werfermeeting finden, dort wiedersehen. Nach nunmehr fünf Jahren, seit unserer ersten Begegnung.

 Peter Grau