Archiv für den Monat: Juni 2016

Vor dem ISTAF 2016: Auftaktpressekonferenz in der Berliner Taubenstraße

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Zu Pressekonferenzen nach Berlin fahre ich sehr gern. Zwar liegen 80 km Anfahrtsweg dazwischen, Neuruppin liegt eben leider nicht so dicht an der Metropole. Aber, in Berlin habe ich 45 Jahre verbracht, 30 in Ostberlin und 15 im vereinigten Berlin. Da bleibt viel Erinnerung, und es macht Spaß, diese aufzufrischen.

Zur ISTAF-Auftaktpressekonferenz  am 9. Juni wählten die Veranstalter wieder den Sitz eines ihrer Hauptsponsoren, der Deutschen Kreditbank (DKB), aus. Sie residieren in der Taubenstraße, einer Nebenstraße der Friedrichstraße. Zu DDR-Zeiten hieß diese Straße Johannes-Dieckmann-Straße, und unweit davon, in der Mohrenstraße, arbeitete ich ab 1960 ein Jahr lang im Außenhandelsunternehmen WMW-Export.

Viel Trubel herrscht heute wie damals in diesem Viertel, und die Parkplätze sind rar. Aber es ist vorteilhaft, wenn man sich in dieser Gegend noch auskennt, auch wenn sich vieles verändert hat. Meine Anfahrt über Kaiserdamm, Ernst-Reuter-Platz, Bahnhof-Zoo, Potsdamer Platz gestaltet sich einfach. In der Leipziger Straße biege ich dort nach rechts ab, wo früher ein Delikat- Laden war, indem es Köstlichkeiten zu sehr hohen Preisen zu kaufen gab. Je mehr man nachdenkt, desto mehr kommen die Erinnerungen.

Doch es soll ja heute um das ISTAF gehen. Also das Auto geparkt und stehenden Fußes (was für eine Floskel, aber sie bedeutet: sofort, umgehend) hinüber zum Gendarmenmarkt gelaufen. Manche sprechen vom schönsten Platz Europas und die Fotos zeigen das ein wenig:

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Von dort sind es nur noch wenige Schritte zum Ort der Pressekonferenz (PK).

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Hinein ins das moderne Gebäude führt eine Freitreppe. Nur der rote Teppich fehlt noch zum ganz großen Auftritt. Doch wir backen heute kleinere Brötchen. Sprich, der Wagen von „lekka berlin“ mit Brötchen, Pommes Frites und Currywürsten wartet schon vor der Tür auf uns.

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Mit Hilfe eines Armbandes haben wir dort später nach der PK freien Zugriff zu Eßbarem. Zunächst aber locken im Innern des Gebäudes  Erfrischungen in Form von Getränken, und auch die beiden sportlichen Gäste dieser PK, Diskuswerfer Robert Harting und Kugelstoßerin Christina Schwanitz, langen erstmal zu.

Auffällig ist die fast familiäre Atmosphäre dieser PK. Und wenn mich Meetingdirektor Martin Seeber und Pressechef Sven Ibald gleich am Eingang freundlich begrüßen, fühle ich mich sofort heimisch. Da denke ich dann einen Moment nicht an all das, was die Leichtathletik gegenwärtig negativ umtreibt.

 

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Und wie geht es Michael Reinsch (links), meinem geschätzten Kollegen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)? Im Gespräch mit dem Potsdamer Cheffotografen Eberhard Thonfeld scheint er Verbindung zu den Allmächtigen da „Oben“ aufzunehmen. Was bringt der 17. Juni? Wie urteilt die IAAF an diesem Tag über die russische Leichtathletik? Wird für alle russischen Leichtathleten das Tor nach Rio abgeschlossen?

Doch das ist heute nicht das Hauptthema. Heute dreht sich alles um das ISTAF 2016, das in diesem Jahr mit der 75. Auflage ein Jubiläum feiert, erstmals seit 1970 an einem Samstag stattfindet und einige Neuerungen bringt   (mehr dazu auch unter www.istaf.de).

Doch zunächst sind die Fotografen gefragt. Robert Harting und Christina Schwanitz müssen in allen Lagen posieren und tun dies mit einem Lächeln.

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Dann aber wird Platz genommen, sowohl auf den „billigen“ Plätzen:

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als auch im Podium:

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Meetingdirektor Martin Seeber, Robert Harting, Christina Schwanitz, Vorstandsvorsitzender der DKB Stefan Unterlandstätter, Geschäftsführer der EM 2018 Frank Kowalski (von links).

Und neu in der Runde ist Sven Ibald, seines Zeichens nun Head of Communications des ISTAF und der TOP Sportevents Gmbh, kürzer gefaßt Pressesprecher. Seine Premiere gelingt bestens, Nervosität ist ihm nicht anzumerken.

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Sven Ibald

Konkrete Fragen werden an alle fünf Persönlichkeiten, die im Podium Platz genommen habe, gestellt, untermalt mit kurzweiligen Filmen rund um das ISTAF. Es ist ein stimmiges Konzept einer Pressekonferenz.

Meetingdirektor Martin Seeber gibt das Ziel des Veranstalters vor, sowohl Topathleten als möglichst alle deutschen Medaillengewinner von Rio einzuladen. Neue Zuschauer sollen gewonnen werden, und dazu wird der günstige Sonnabend-Termin ebenso beitragen wie die Flutlichtatmosphäre und das Abschlußfeuerwerk. Und mit Blick auf seinen Nachbarn Robert Harting teilt er mit, daß dessen langjähriger Wunsch nun erfüllt wird. Der Diskusring wird vor die Ostkurve gelegt, dort wo sonst die Hertha-Fans Stimmung machen. „ Von dort haben die Athleten Gegenwind, der Diskus fliegt weiter (wenn denn Wind da ist, das kann er natürlich nicht garantieren). „ Robert Harting freut sich und fügt später im Gespräch mit Ulrike Krieger (BZ) hinzu: „ Ein weiterer Vorteil ist, daß wir nicht mehr diagonal aus einer Ecke, sondern parallel zu den Tribünen werfen. Die Zuschauer bekommen dadurch ein anderes Weitengefühl, der Genußfaktor ist viel höher“.   Jeder Genuß aber hat auch seinen Preis. Die Veranstalter mußten einiges Geld in die Hand nehmen. So kostet der neue Wurfboden, der dort stehen wird, wo sonst das Fußballtor ist, rund 15.000 Euro. Dazu muß der Rasen im Fünf-Meter – Raum ausgehoben und ein neuer Betonring eingelassen werden.

Neu an der Veranstaltung wird auch sein, daß die Kugelstoßerinnen und Kugelstoßer erstmals ihre Wettbewerbe gemeinsam austragen. Der Doppelpack rückt außerdem ins Hauptprogramm. Die Männer und Frauen bekommen auch eine gemeinsame Sitzbank im Stadion, sind dann eine ISTAF-Familie.“ Und träumen darf man auch: David Storl und Christina Schwanitz mit olympischen Medaillen im Gepäck im Berliner Olympiastadion, das wäre doch ein schönes Bild.

Einen anderen Traum träumt Frank Kowalski, Geschäftsführer der EM 2018, in eben diesem Berliner Olympiastadion. Er schaut schon zwei Jahre voraus und sieht, daß bei den Europameisterschaften jeder Abend wie ein Meeting ablaufen wird, daß zwischen 18.15 Uhr und 21.45 Uhr nur Finals geboten werden. Und er verschweigt auch nicht, daß Martin Seeber und er gewissermaßen „ Brüder im gleichen Geiste“ sind, was die Gestaltung einer Leichtathletikveranstaltung angeht und daß er Neuerungen des ISTAFs nach Möglichkeit auch auf die EM übertragen will.

Der Hausherr Stefan Unterlandstättner von der DKB betont seine Nähe zum ISTAF und sein großes Interesse an dieser Veranstaltung.

Robert Harting erzählt, daß er nun wieder die Leidenschaft des Wettkämpfers entdeckt hat (siehe mehr über ihn im „Treffs für Leichtathleten“ auf dieser Homepage).

Bei Christina Schwanitz wird noch einmal ihr grandioses Jahr 2015 mit dem Weltmeistertitel in Peking hervorgehoben. Und um sich die Dimension ihrer Bestweite von 20,77 m zu verdeutlichen, haben die Veranstalter im Raum der PK dicht vor dem Podium einen hölzernen Kugelstoßring aufgebaut, und ganz weit entfernt, kurz vor der nach außen führenden Treppe, auf der Erde die 20,77 m markiert.

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Manchmal braucht es solche einfachen Mittel, um sich Dimensionen deutlich zu machen. Ähnlich ist es ja, wenn man sich beim Hochsprung die 2,30 m an der Wohnungstür markiert oder in seinem Wohnraum die 8,00 m eines Weitspringers abschreitet (wenn das Zimmer das überhaupt zuläßt).

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Christina Schwanitz, die wie immer mit ihrer fröhlichen Präsenz überzeugt, verweist darauf, daß dieses Jahr 2016 nicht gerade reibungslos für sie verlief. Kurz nach dem Jahreswechsel verletzte sie sich, mußte dann 14 Wochen mit dem Training aussetzen und Wettkämpfe waren nicht möglich. Nun aber trainiert sie seit sieben Wochen wieder und es geht aufwärts. „ Aber Geduld ist nicht meine Stärke.“ Doch, und das äußert sie später mir gegenüber: „ Es ist positiv, daß ich dank 2015 weiß, wie es geht. Und Kugelstoßen ist wie Fahrrad fahren. Man verlernt es nicht.“ Und daß sie es nicht verlernt hat, bewies sie zwei Tage später beim Saisonauftakt in Gotha mit einer Weite von 19,05 m.

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Zwischendurch und zum Abschluß dieses Teils der Pressekonferenz wird eifrig fotografiert.

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Eberhard Thonfeld (Potsdam).

 

Es folgen die schon erwähnten Einzelgespräche.

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Und dann verabschiedet man sich langsam, darf vor dem Haus noch eine der Berliner Köstlichkeiten, die Currywurst mit Pommes Frites oder mit Brötchen genießen. Ich lasse in der Schlange (wie in früheren DDR-Zeiten, wir sind ja auch auf ehemaligem DDR-Gebiet) meinen Journalistenkollegen Ralf Jarkowski vor, weil er im Zeitstreß ist. Fünf Minuten gewinnt er vielleicht, aber das hilft ihm, denn 14.59 Uhr geht seine dpa-Meldung über die PK in die Welt hinaus.

Ich  nehme mir noch die Zeit, mich am Stehtisch mit einer Professorin aus München zu unterhalten, und darüber zu sinieren, wie normal es heute ist, wegen des Berufes die Wohnorte zu wechseln (sie hat das schon einige Male praktiziert). Sie, die im Bereich Bildung tätig ist, hebt hervor, daß heutzutage Jugendliche in der 11. oder 12. Klasse schon Praktikumswochen oder Monate im Ausland verbringen. Für Erwachsene ist es selbstverständlich, wegen des Berufes oder aus privaten Gründen rund um den Erdball reisen.

Ich aber, der ich 1980 oder 1985 oft in dieser Straße weilte, hatte damals nicht im Traum an ein solches „Wunder“ geglaubt. Zu unüberwindlich schien damals die Mauer.

Und da kann ich auch wieder den Bogen zum 75. ISTAF am 3. September schlagen. Denn dann ist es völlig normal, daß die Athleten aus aller Welt, aus Ost und West, aus Süd und Nord, nach Berlin einfliegen werden.

Peter Grau

Robert Harting: Die Leidenschaft des Wettkämpfers ist wieder da

 

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Diskuswerfer Robert Harting ist auf Pressekonferenzen, die sich um die Leichtathletik drehen, stets ein gern gesehener Gast. Besonders auch in Berlin, seiner Heimatstadt, dort, wo er das Olympiastadion lange Zeit als sein Wohnzimmer bezeichnete. In diesem Jahr soll es das wieder werden, bei der 75. Auflage des Internationalen Stadionfestes (ISTAF). Und wie um das zu beweisen, prangt sein Konterfei auf dem Werbeplakat.

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Im Sommerlook, mit T-Shirt und Shorts, kommt Robert Harting lächelnd die Eingangstreppe des DKB-Gebäudes in der Berliner Taubenstraße empor, als Gast der Eröffnungspressekonferenz für das 75. ISTAF. Er begrüßt jeden freundlich, den er sieht und erkennt, und nimmt sich erstmal am Büffet eine Erfrischung. Er sieht entspannt aus, läßt Sorgen und Ängste nicht erkennen, die ihm nach eigener Aussage gegenwärtig ob seines langen Fernabseins von den Wurfringen wegen seines Kreuzbandrisses plagen.

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Vorn auf dem Podium, neben ISTAF-Direktor Martin Seeber, der Weltmeisterin im Kugelstoßen von 2015, Christina Schwanitz, dem Vorsitzenden des Vorstands der Deutschen Kreditbank (DKB) Stefan Unterlandstättner und dem EM 2018-Chef Frank Kowalski (von links) läßt er sich dann in den Sessel fallen.

Geduldig gibt er Antworten auf die Fragen des neuen Head of Communications, Sven Ibald . ( Früher sagte man mal Pressechef, aber das ist heutzutage zu kurz gefaßt).

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Gern hat Robert Harting zuvor die Mitteilung von ISTAF-Chef Martin Seeber zur Kenntnis genommen, daß nun auf seinen Wunsch hin der Diskusring auf die andere Seite des Stadions verlagert wird, um den eventuellen Gegenwind für gute Weiten besser nutzen zu können. „ Da könnte dann der Stadionrekord von Lars Riedel (70,60 m) wohl ins Wanken geraten.“

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Ob Robert Harting diesen Rekord angreifen kann, läßt er offen. Zwar ist er nunmehr froh, wieder im Ring zu stehen. Den ersten Erfolg konnte er im Frühjahr beim ISTAF-Indoor einfahren, und man sieht ihm beim Einspiel eines kleinen Film von damals an, wie ihn das motiviert.

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Martin Seeber und Robert Harting

 

Seit dem Wettkampf am 5. Juni 2016 in Birmingham hat er nun die Olympianorm in der Tasche. Wohl wissend, daß das kein Freifahrtschein im Rennen nach Rio ist. Er räumt ein, daß es ein ungewohnter Zustand ist, in der gegenwärtigen Bestenliste nur auf Rang 5 zu rangieren. „ Aber jetzt ist die Konkurrenzsituation da, die ich mir immer gewünscht habe. Ich sehe da zwar eine Bedrohung, begreife das aber als Herausforderung. Zwar fehlen mir noch rund 60 bis 70 Prozent an Automatismen, die einfach für weite Würfe notwendig sind. Aber ich spüre wieder die Leidenschaft des Wettkämpfers.“

Diese Leidenschaft will er schon am Samstag (11. Juni) beim Meeting im niederländischen Leiden aufleben lassen. Aber unabhängig davon, bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel will er im Finale am 19. Juni möglichst ganz vorn landen, denn „ Meistertitel plus Olympianorm“ garantieren den Flug nach Rio.

Und auf dem Podium der Pressekonferenz hört man ihm wie immer gern zu, wenn er ins Philosophieren kommt, wenn er Einblicke in die Geheimnisse des Diskuswurfs gewährt.

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Die „Journalistenmeute“ aber gibt noch lange keine Ruhe. Ist einer wie Robert Harting da, dann hat er gefälligst auch viel zu erzählen, viel zu antworten. Ein bißchen egoistisch sind wir Journalisten dann alle. Ob er vielleicht jetzt lieber gehen würden, etwas zur Ruhe kommen, bzw. wieder ins nächste Training einsteigen möchte, das interessiert weniger.

Robert Harting ist zu bewundern, wie er so etwas bewältigt. Souverän ist er allemal. Als ihm noch auf dem Podium eine Frage zu Doping und zur russischen Leichtathletik gestellt wird, blockt er das geschickt ab und verweist auf ein mögliches Zwiegespräch nachher. Nicht daß er nichts sagen will, aber er weiß, daß es heute um das ISTAF geht, und das zunächst im Vordergrund steht.   Aber dann holt ihn die große Sportpolitik wieder ein. Ob er gestern den ARD-Film von Hajo Seppelt über die russische Leichtathletik gesehen habe und was er dazu sage, wird er gefragt: „ Nein , habe ich nicht gesehen, was kam denn darin vor?“ Köstlich, diese Gegenfrage. Er darf das. Als endlich, so denkt man als Außenstehender, das Frage – und Antwortspiel vorbei ist, sieht man Robert Harting an, daß zu diesem Zeitpunkt mittags gegen 13 Uhr sein Akku langsam leer wird. Aber „nein“ sagen ist eben nicht sein Ding. Meinem Potsdamer Kollegen Peter Stein gewährt er noch ein Vieraugengespräch.

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Peter Stein im Gespräch mit Robert Harting

 

Dann aber ist es geschafft. Als ich ihn, -es klingt vielleicht etwas altväterlich, aber ich darf das -, rate, in der nächsten Zeit nicht mehr allen Interviewwünschen nachzugeben, denn das würde auch solch eine starke Persönlichkeit wie ihn überfordern, zumal seine Hauptaufgabe gegenwärtig ja im Wurfring und dort im „Weitwerfen“ liege, schaut er mich dankbar an und meint: „ Das ist der richtige Rat. Ich habe es auch schon probiert, habe einfach mein Handy ausgelassen und nicht so oft ins Internet geschaut. Nur so geht es.“

Es möge für Robert Harting die Ruhe vor dem Sturm sein. Wohin „ der Sturm“ seine Diskusscheiben wehen wird, zeigt sich bald. Ob in Kassel, Amsterdam oder Rio, alles ist möglich.

Peter Grau

Die Speere fliegen – Matthias de Zordo ist wieder dabei

Die deutschen Speerwerfer lassen ihre Speere in diesem Jahr bisher sehr weit fliegen. Allen voran Thomas Röhler (LC Jena), der gegenwärtig (Stand 8. Juni 2016) die deutsche Jahresbestenliste mit 87,91 m anführt. Gefolgt wird er von Lars Hamann (Dresdner SC 1898 / 85,67 m) und Johannes Vetter (LG Offenburg / 84,38 m). Alle drei Athleten haben die für Olympia geforderte Norm von 83,00 m gepackt. Dahinter gruppieren sich Julian Weber (USC Mainz / 82,69 m) und Andreas Hofmann (MTG Mannheim /82,47 m) ein. Bernard Seifert (SC Potsdam) hat bisher 79,34 m geworfen und, – um ihn geht es in dieser Geschichte -, Matthias de Zordo hatte nach den 3 ungültigen Versuchen von Dessau nun am 4. Juni in Jena das erste kleine Erfolgserlebnis von 76,89 m.  Nicht weit eben und beileibe zu wenig im Kampf mit den anderen, aber eben ein Hoffnungsschimmer.

Am 27. Mai in Dessau, als noch vieles schief lief, sprach Michael Reinsch hinterher mit ihm. Lesen Sie Auszüge aus seinem Beitrag vom 4. Juni 2016 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):

Matthias de Zordo: Der Speerwerfer mit Killer-Instinkt

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Speerwerfer Matthias de Zordo ist wieder da, und er ist besser denn je. Nun gut, nach drei Fehlversuchen im ersten Wettkampf seit drei Jahren Verletzungspause war in Dessau erst einmal Schluss für den einstigen Weltmeister. Aber das lag nicht daran, dass er schlecht gewesen wäre. „Ich bin um einiges schneller angelaufen als im Training“, erzählt er, „die Beine sind besser gelaufen als erwartet.“ Und dann war er auch schon übergetreten. De Zordo verlängerte den Anlauf. „Im zweiten Versuch war ich noch schneller als im ersten.“ Wieder übergetreten, wieder ungültig. Aber der Speer flog, und er flog über die 75-Meter-Markierung hinaus. Auch der dritte Anlauf war so schnell, dass de Zordo sich nach dem Stemmschritt nicht zurückhalten konnte. Damit war der Wettkampf beim Anhalt-Meeting am 27. Mai 2016 in Dessau für ihn auch schon zu Ende.

Matthias de Zordo ist ein Beispiel dafür, dass jemand tatsächlich 110, 120 Prozent leisten kann.

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Matthias de Zordo 2010 bei der DM in Braunschweig (Foto: Dirk Gantenberg)

Als er 2010 aus heiterem Himmel Zweiter der Europameisterschaft von Barcelona wurde, als er bei der Weltmeisterschaft von Daegu im Jahr darauf überraschend auch noch den Titel holte, da erzählten Trainer und Mannschaftskameraden immer wieder, dass de Zordo nicht die besten Kraftwerte habe, nicht die besten Trainingsleistungen bringe, aber über einen Killer-Instinkt verfüge. „Das ist mal Neuland“, sagte der inzwischen 28 Jahre alte Athlet in Dessau, „dass ich im Training besser bin als im Wettkampf.“

Von einem Killer hat de Zordo so gar nichts, wie er in Dessau aus dem Stadion zur Wurstbude schlurft, wie er hier angeregt plaudert und dort freundlich schwätzt. Ganz offensichtlich genießt er es, wieder Athlet unter Athleten zu sein. In den vergangenen drei Jahren war de Zordo vor allem Patient und Rekonvaleszent gewesen. Bei den Olympischen Spielen von London 2012, wegen einer langwierigen Verletzung ohne Qualifikation nominiert, erreichte der Weltmeister nicht einmal das Finale; alle drei schlechten Versuche machte er ungeschehen, indem er absichtlich übertrat.

Nach Achillessehnenriss zwei Jahre Rehabilitation

Als er im Mai 2013 bei den Werfertagen von Halle an der Saale die neue Saison begann, ging ihm der Speer wieder nicht so leicht von der Hand, wie er das erwartet hatte. Er quälte sich mehr schlecht als recht durch den Wettkampf, und als er beim fünften Versuch den Speer mit Gewalt in eine Flugkurve zwang, riss ihm beim Stemmschritt mit dem rechten Bein die Achillessehne. Wer dabei war, wird den Schrei des verwundeten Athleten nie vergessen. De Zordo rettete sich in einen Purzelbaum, dann blieb er liegen. Zwei Jahre dauerten Rehabilitation und Aufbau – dann klemmte er sich im Ellbogen seines Wurfarms, des linken, einen Nerv ein, der sich auch noch entzündete. Das nächste Jahr ging verloren.

Nun also ist der Champion von gestern zurück, und er hat keine Eile, sich und der Welt zu beweisen, dass er immer noch ein überragender Athlet ist. Mit 28 Jahren ist de Zordo jung genug für mindestens noch einen olympischen Zyklus. Für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro ist er in dem Moment qualifiziert, in dem sein Speer 83 Meter weit fliegt. (d.h. nur dann, wenn er sich gegen starke deutsche Konkurrenz durchsetzt. P.Gr.)

Das ist ein großer Wunsch und auch erhofft, dass ich mitfahre nach Rio“, sagt de Zordo. „Aber mein Ziel ist es, mir nicht groß Druck zu machen. Ich will Anschluss finden, ich will ein positives Jahr haben, auf das ich aufbauen kann.“ Nicht Olympia ad hoc zählt, sondern die Perspektive.

Das ist der de Zordo, der seinen Sport ausübt wie eine Kunst. „Für mich ist Speerwurf ein Gefühl“, sagt er. „Ich muss die Bewegung spüren, den Speer, den Anlauf, wie ich vorn reingehe – und vor allem, wie die Spannung über die Brust kommt.“ In seinen Würfen wirkt ein unerklärliches, ein unkalkulierbares Element. Der Werfer wächst hinaus über den Sportler, der Tag für Tag Speerwurf trainiert. Sobald der Speer die Hand verlässt, weiß de Zordo, ob dies ein guter Wurf ist oder nicht. Die Weite ist die Bestätigung dessen, was er längst weiß.

Die Verletzung ereilte de Zordo just, als er aus dem Saarland nach Magdeburg umgezogen war und die Arbeit mit einem neuen Trainer begonnen hatte, Ralf Wollbrück. Drei Jahre lang haben sie daran gearbeitet, die Form von 2010 und 2011 wieder zu erreichen und vor allem Vertrauen in die Achillessehne zurückzugewinnen. Ständig habe er in den Körper hinein gehorcht, erzählt de Zordo, habe sich gefragt: Ziept es hier, ist dort alles in Ordung? „Ich kann normal sprinten, normal springen, normal stemmen“, sagt er nun. „Es ist schön zu wissen: Der Kopf ist frei.“

„Das Glück kommt, wenn ich mal eine Weite stehen habe“

88,36 Meter weit warf de Zordo 2011, in dem Jahr, in dem er Weltmeister wurde. Noch ist er mehr als zehn Meter von dieser Bestleistung entfernt. Thomas Röhler, sein thüringischer Konkurrent, hat es in der jungen Saison schon auf 87,91 Meter gebracht; im vergangenen Jahr gewann der Kenianer Julius Yego die Weltmeisterschaft mit 92,72 Metern. „Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich am Limit bin“, sagt de Zordo. Ist es ein Glück, wieder werfen zu können? Da wird aus dem Genießer des Augenblicks ein rationaler Athlet. „Das Glück kommt“, sagt er, „wenn ich mal eine Weite stehen habe und nicht drei ungültige Versuche.“

Michael Reinsch, FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin

(aus Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. Juni 2016)

 

Mark Frank: Früher Speerwerfer – heute Trainer

Mark Frank Porträtfoto

Äußerlich verändert hat sich Mark Frank, der Ex-Speerwerfer aus Rostock, nur wenig. Deshalb erkannte ich ihn sofort,  als ich mich am 21. Mai 2016 bei den Halleschen Werfertagen durch die Zuschauermassen zwischen Werferhaus und Kugelstoßanlage kämpfte.

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Bei solchen eher zufälligen Begegnungen ist es für mich immer angenehm, wenn sich beide Seiten erkennen. Das zeigt einesteils, daß man sich selbst nicht völlig verändert hat. Andererseits beweist es, daß man früher Vertrauen aufgebaut hat. Da ich nicht zu den „investigativen“ Journalisten ( von lateinisch investigare aufspüren, genauestens untersuchen)  gehöre und auch nicht gehören wollte, und die Sportler immer als Partner betrachtet habe, war mir solch eine menschliche Beziehung immer wichtig.

Mark Frank in Halle

Ein beiderseitiges Lächeln signalisierte nicht nur das Erkennen, sondern auch die Bereitschaft, miteinander zu sprechen. Und das ließ sich am besten in der kühlen Wurfhalle bewerkstelligen, abseits des aktuellen Treibens auf den Wettkampfanlagen.

Dreimal WM- dreimal Achter

Ein wenig schauten wir zunächst  auf die aktive Zeit des gebürtigen Neustrelitzers zurück, der für den 1. LAV Rostock startete und seit 1997 von Ralf Skopnik trainiert wurde. Im Jahr 2005 landete er  mit einem Europacupsieg seinen ersten internationalen Erfolg. Mark Frank qualifizierte sich damit für die Weltmeisterschaften in Helsinki, wo er Achter wurde. Danach er stellte er am 4. September beim ISTAF in Berlin mit 84,88 m seine persönliche Bestleistung auf.

Doch seine Hoffnung, daß es nun so weitergehen könnte, erfüllte sich nicht. 2006 zog er sich beim Fußballspiel eine Fußverletzung zu. „ Leider habe ich mich grundsätzlich beim Fußballspielen verletzt.  Das hat aber nicht mit meinen Fähigkeiten am Ball zu tun. Und die Lösung kann nicht sein, nicht zu spielen. Dafür mache ich es zu gerne und es lockert das Training etwas auf, ist  eine gute Möglichkeit der Erwärmung. Ich habe wie viele andere Jungen mit dem Fußball angefangen. Mit 9 Jahren bin ich zur Leichtathletik gekommen, habe dann beides sechs Jahre parallel betrieben. Ich wollte mich dann von der Leichtathletik lösen, aber mein damaliger Trainer in Neustrelitz, Bruno Beutler, hat mich überzeugt, doch Leichtathlet zu bleiben und das war auch sicher richtig.“  Soweit der Rückblick.

Nichts kaputt, aber trotzdem Schmerz

Jedenfalls behinderte ihn diese Verletzung 2006 länger als erwartet.  „Es wäre nicht eine solch langwierige Geschichte geworden, wenn man es richtig behandelt hätte,“ erinnert er sich. „Wenn ich den Fuß gebrochen hätte, wäre es sicher einfacher gewesen. So aber war nichts kaputt und der Schmerz trotzdem da. Deshalb habe ich mich im April 2006 in Wahrendorf einer Intensivtherapie unterzogen, aber dort hat man mir bereits gesagt, daß es eigentlich schon zu spät sei, um noch einen vernünftige Saison abzuliefern. Und so war es dann auch. Danach habe ich nochmals eine Therapie gemacht, und intensiv mit meiner Physiotherapeutin gearbeitet. Letztendlich haben wir es hinbekommen. Ich konnte wieder im Sprint-Sprungbereich trainieren, hatte aber nun technische Defizite.“

Mühevoll war es, aus dem Tief herauszukommen, zumal, wenn man beobachtete, wie andere den Speer fliegen ließen. „ Ich habe beispielsweise nach dem Meeting in Dessau lange mit dem Letten Vadims Vasilevskis zusammengesessen und Erfahrungen ausgetauscht. Der Lette war bei einem leicht übergetretenen Wurf auf 94 m gekommen.  „In den  Zubringerleistungen waren wir auf einer Ebene. Aber ins Staunen kam ich, als er uns erzählte, daß er im Training beispielsweise mit Anlauf durch die Lichtschranke rennt und dann 20 m mit Einbeinsprüngen überwindet. Und das in 2,7 Sekunden“.

In Deutschland, so sagte mir Mark Frank damals, wird noch zuviel Wert auf Maximalkrafttraining gelegt, obwohl das von der internationalen Konkurrenz  widerlegt wird. Die Weltspitze, ob nun Thorkildsen, Pitkämäki, Vasilevskis oder Makarow, ist athletisch geprägt und besitzt ein sehr gutes Technikbild. „Wenn ich mir aber das Technikbild in Deutschland ansehe,“ so Mark Frank, „ dann haben wir alle das gleiche Problem. Wir überlaufen mehr oder weniger das Stemmbein und verlassen uns auf unseren schnellen Arm. Wir sind nicht langsamer oder schwächer auf dem Arm, aber wir kommen nie in eine solche Abwurfposition, daß wir wirklich diese Katapultwirkung erzielen, daß unsere Hüfte richtig gegen das linke Bein arbeitet,  daß dann die Schulter sich richtig aufdreht und dann explodieren kann.“  Das klingt alles sehr speziell und es stammt auch aus dem Jahr 2006, aber es zeigte vor allem, daß sich Mark Frank schon damals mehr als üblich mit den Geheimnissen des Speerwurfes befaßte. Irgendwie blitzte da schon durch, daß er einmal Trainer werden könnte.

Doch bis dahin gingen noch einige Jahre ins Land, die leider auch durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Verletzungen geprägt waren. Das allein würde den Rahmen dieser Geschichte sprengen.

Mark Frank mit Speer

Jedenfalls kam er erst 2009 wieder so richtig in Schwung und holte sich seinen ersten Deutschen Meistertitel. Mit großen Erwartungen fuhr er zur Heim-WM ins Berliner Olympiastadion. Doch erneut wurde es nur ein achter Platz. „ Beim Einwerfen war noch alles okay“, ist im WM-Buch des DLV nachzulesen. „ Aber dann habe ich die Beinarbeit eingestellt. Sicher habe ich auch übersteuert, nur aus den Armen werfen geht eben nicht.

Aber er ließ sich nicht unterkriegen, versuchte auch 2011 bei der WM in Daegu nochmals, eine internationale Medaille zu erhaschen. Doch wieder wurde es nur der achte Platz. Und der Gedanke wurde immer stärker, daß es irgendwann mit dem aktiven Werfen Schluß sein werde.

Abschluß und Neuanfang

Und somit bekomme ich wieder die Brücke zu unserem aktuellen Gespräch in der Werferhalle. „ 2012 war ich nochmals bei Deutschen Meisterschaften dabei, dann aber war Feierabend.“ Warum nun doch? „ Wegen Alterserscheinungen“, bemerkt er leicht sarkastisch. „ Vor allem war es nun bei mir die Schulter. Ich habe sie im Spätsommer 2012 nochmals operieren lassen, in der Hoffnung, 2013 nochmals starten zu können. Aber diese Hoffnung hat sich dann leider zerschlagen. Es hat mit der Schulter nicht mehr so funktioniert, wie es früher war. Und das mußte ich einsehen.“

Aber in ein mentales Loch fiel er nicht. „  Für mich war seit längerem klar, daß ich den Trainerberuf ergreifen wollte. In meinem Verein hatte ich bereits Jugendliche betreut. Ich habe  2010  mit der Trainerausbildung begonnen.“ Über die B-Ausbildung ging die „Reise“ zur A-Lizenz und dann darauf aufbauend zur Diplomtrainer-Ausbildung in Köln (Trainerakademie). „ Die habe ich abgeschlossen und kann mich also Diplomtrainer nennen.“

Gegenwärtig hat er eine kleine Trainingsgruppe, betreut zwei 16-Jährige. Aber das ist natürlich nicht alles. „ Ich bin in der glücklichen Lage, über die Traineroffensive bei der Bundeswehr gefördert zu werden, – ich war ja Sportsoldat bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe-. Im offiziellen Deutsch bin ich also Bundeswehrtrainer.“

Gekoppelt ist diese Stelle in der Außenstelle Rostock an das Bundesleistungszentrum Neubrandenburg. In Neubrandenburg werden Kugel und Diskus betreut, in Rostock die Speerwerfer. „ Natürlich umfaßt mein Aufgabengebiet die Sichtung junger Athleten im norddeutschen Raum. Fakt ist, daß  in Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu wenig Trainer für den Speerwurf tätig sind. Entsprechend liegt dort auch die Talentsichtung ein wenig brach. Das soll also meine Hauptaufgabe sein. Hinzu kommt die Unterstützung der Bundestrainer für die Männer und die U20.“ Klar, daß eine solche Tätigkeit mit vielen Reisen verbunden ist. Um so mehr genießt der zweifache Familienvater Mark Frank ab und zu auch die Ruhe zuhause.  „ Wir, meine Frau und ich“, haben uns 2004 ein Haus in Groß Grenz gebaut, zwanzig Kilometer von Rostock entfernt. Und wir leben dort mit unseren Söhnen Eric und Jannik.“

Mark Frank mit Familie von Dirk Behm

Die glücklichen Vier  ( Foto:  Dirk Behm)

Viel reist der 38-Jährige herum, und so bleibt nur noch wenig Zeit für sein Hobby Angeln. „ Von Jugend  an habe ich gern geangelt, und ich habe auf diesem Gebiet auch noch einen Traum. Einmal möchte ich gemeinsam mit meinem ältesten Sohn in Nord-Norwegen angeln“.

Der Angelsport hat also Pause, aber ganz ohne Sport kommt Mark Frank nicht aus. „ Zweimal pro Woche gehe ich in den Kraftraum. Und wenn ich das nicht regelmäßig tue, wundere ich mich, daß Körperteile schmerzen, von denen ich vorher nichts wußte. Ab und an ist es der Rücken, und die Schultern sind sowieso vorbelastet.“   Und äußerlich sieht er fit wie immer aus. Das Lächeln hat er ebenfalls noch nicht verloren.  Auch nicht an diesem Samstag bei den Halleschen Werfertagen 2016.

Peter Grau

 

 

 

 

Michael Wolffsohn – Ich will keine Gesinnungs-Republik

 Soeben habe ich in meinem Tagebuch unter „ Entenküken, Fontane und Landschaften – die Chance zum Innehalten“  auch kurz zu politischen Themen Stellung genommen, so auch zur Armenien-Resolution. Gleichzeitig schrieb ich, daß es besser für mich sei, mich nicht auf die politische Ebene zuzubewegen.  Das schließt aber nicht aus, andere politische Wortmeldungen zu veröffentlichen.

Und da kommt mir eine Wortmeldung von Prof. Michael Wolffsohn gerade recht, die heute, am 3. Juni 2016,  in „BILD“ stand. Nicht jeder wird mit dem Inhalt einverstanden sein, aber zum Nachdenken regt es allemal an.

Lesen Sie im folgenden den Beitrag von Prof. Michael Wolffsohn:

Ich will keine
​Gesinnungs-Republik!

Von MICHAEL WOLFFSOHN

Hilfe, wir werden eine Gesinnungsrepublik! Wohin man in unserem Land schaut und was man hört, sieht oder liest: Einheitsmeinungen, Einheitsmeinungen, Einheitsmeinungen. Nun werden sie uns auch noch sozusagen staatlich verordnet.

Das jüngste Beispiel: Am Donnerstag beschloss der Bundestag fast einstimmig, den 1915 vom Osmanischen Reich mit deutscher Hilfe organisierten Mord an rund 1,5 Millionen christlichen Armeniern als „Völkermord“ zu bezeichnen. Einige Abgeordnete nannten diese Entscheidung „mutig“. Hier und da fällt sogar das (selbst-)lobende Wort „Zivilcourage“.

Natürlich war jener Massenmord ein Völkermord. Mich beeindruckt die selbst beanspruchte Zivilcourage überhaupt nicht. Ich sage denen, die im Jahre 2016 den Völkermord von 1915 verurteilen: „Guten Morgen. Auch schon aufgewacht? Glückwunsch.“

Ich erinnere daran, dass der US-Kongress eine vergleichbare Entschließung schon 1995 verabschiedet hat. Da so mancher bei uns fast alles aus den USA für „reaktionären Mist“ hält, weiß das kaum jemand.

Auch ich habe reichlich spät, nämlich 1995, in diversen nationalen und internationalen Medien die Verurteilung jenes Völkermords gefordert. Spät, aber 1995 war doch etwas früher als 2016.

Inhaltlich stimme ich der Bundestagsentscheidung zu. Ohne Wenn und Aber.

Und doch ABER: Ich kann es kaum noch ertragen, dass unsere Volksvertreter von links bis rechts, dass „der“ Staat sich immer häufiger zur erzieherischen und moralischen Anstalt emporschwingt.

Das genau ist der Staat eben nicht. Jedenfalls kein demokratischer Staat, denn in einer Demokratie spiegelt der Staat die VIELfalt der Meinungen, die es in der Gesellschaft gibt, wieder.

In unserer bundesdeutschen Demokratie nennen seit Bundeskanzler Willy Brandt die Staats- und Volksvertreter uns Bürger oft und gerne „mündige Bürger“. Wenn sie uns für mündige Bürger halten, müssen sie uns nicht erziehen. Genau das tun sie.

Das bedeutet: Sie nennen uns „mündige Bürger“, aber sie betrachten und behandeln uns als Unmündige, als kleine, dumme Kinder, denen man sagen muss: „Das darfst du, das darfst du nicht. Das ist gut, das ist schlecht.“ Ich möchte das, bitte schön, selbst entscheiden. Sie nicht, liebe Mitbürger?

Ich möchte mir auch nicht von Kanzlern, Ministern oder anderen Volksvertretern sagen lassen, welches Buch das Volk lesen oder nicht lesen soll. Das möchte ich selbst entscheiden. Sie auch, liebe Mitbürger?

Ich finde auch den inflationären Missbrauch des Wortes „Zivilcourage“ unerträglich. Zivilcourage ist so etwas wie Widerstand, Heldenmut und Notwehr. Das bedeutet: Zivilcourage ist eine ganz seltene Tugend. In einer Diktatur bedarf es der Zivilcourage zum Widerstand.

In einer Demokratie ist Widerstand unnötig. Widerspruch tut not. Ganz viel und ganz oft. Widerspruch in einer Demokratie ist – der Verfassung (bei uns Grundgesetz) sei Dank – nötig, aber ungefährlich für Leib und Leben. Das gilt erst recht für Zuspruch.

Bezeugt die Verurteilung des osmanisch-deutschen Völkermords von 1915 Zivilcourage? Nein. Sie bezeugt vielmehr die Entwicklung unserer Bundesrepublik zu einer Gesinnungsrepublik.

Die herkömmlichen Parteien sind dabei, den Bürgern einen einheitlichen Gesinnungsbrei zuzubereiten. Der mag durchaus wohl schmecken oder angebracht sein. Doch angewidert vom politischen Einheitsmenü wenden sich eher früher als später viele Bürger anderen Speisen zu.

Im Klartext: Immer mehr Bürger wenden sich von den etablierten Parteien (zu denen längst auch Die Linke gehört) ab und protestieren. Jeder Erzieher stößt irgendwann beim Erzogenen auf Widerspruch. Wenn die etablierten Parteien die Bürger immer mehr erziehen, werden diese sich ihnen entziehen.

Bitte, liebe von mir wirklich verehrte Volksvertreter, weniger Volkserziehung und mehr Politik. Dann haben Protestparteien wie die AfD auch weniger Zulauf.

Michael Wolffsohn

(aus BILD vom 3. Juni 2016)

Wolfsohn

Prof . Dr. Michael Wolffsohn , 69, ist Historiker. Soeben erschien ist  sein neuestes Buch „Zivilcourage, Wie der Staat seine Bürger im Stich lässt“, München, dtv, € 7,90

Entenküken, Fontane und Landschaften – die Chance zum Innehalten

Wer wie ich sich auf das Abenteuer Homepage einläßt, der muß wissen, was er will und wohin er will. Ich will zuallererst Wissenswertes über die Leichtathletik verbreiten, weil ich viele Jahre meines Lebens damit verbracht habe und weil ich sie noch immer mag, trotz aller Negativmeldungen. Und deshalb fahre ich auch zu Veranstaltungen wie den Halleschen Werfertagen und lasse dort vor allem das Drumherum auf mich wirken und gebe es weiter.

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David Storl wird bei den Halleschen Werfertagen interviewt

 

Spontan greife ich Ereignisse aus dem normalen täglichen Leben auf, so etwa unsere 30- tägige Begegnung mit der Entenfrau und ihren zehn Küken (siehe „Die Ente auf dem heißen Glasdach“).

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Über manches stolpere ich einfach, wenn ich durch die Stadt gehe. So geschehen, als der Künstler Ottmar Hörl für einige Wochen rund 400 Fontanefiguren vor der Neuruppiner Pfarrkirche aufstellte:

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Fontane-Figuren vor der Pfarrkirche (Foto: Wrosch)

Vier Fontane-Figuren trapierte er zudem am Bollwerk mit Blick auf den Ruppiner See. Und unsere Ente mit ihren Küken staunte nicht schlecht, als sie die vier gelben Gestalten sah, kurz bevor sie selbst den Sprung ins Wasser wagte (Foto: Wrosch)

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Ebenfalls ein wichtiges Element dieser meiner Homepage sind Spaziergänge durch Städte und Dörfer, und Wanderungen durch die Natur. Flora (Pflanzenwelt) und Fauna (Tierwelt) sind dankbare Objekte für den Fotoapparat und die Schreibfeder.

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Und ich merke es immer an den Reaktionen der Leser, daß sie sich gern auf diese „leichten“ Themen einlassen. Auch, um etwas Ruhe in das ansonsten hektische Leben zu bringen.

 

Heraushalten wollte ich mich aus den ausufernden politischen Debatten, obwohl das manchmal sehr schwer fiel und fällt. Denn ich habe den Eindruck, daß von der öffentlichen Meinung, sprich den Medien, oft die Probleme so lange behandelt werden, bis sie keiner mehr hören will und kann. So war es bei Böhmermann, der irgendwie die richtige Kampfrichtung gefunden hat, nämlich kontra Erdogan, daß nur wenige sich trauten, zu sagen, daß sie solch ein Gedicht als geschmacklos, einfach unangenehm empfanden (ich zählte mich dazu). Nun ist dieses Kapitel hoffentlich abgeschlossen.

Nicht abgeschlossen ist der allgegenwärtige, ständige Kampf gegen alles, was AfD heißt, was sich auch nur damit beschäftigt. Zuviel Interesse an dieser Partei weckt Mißtrauen, sodaß es klüger ist, sich nur im privaten Kreis oder überhaupt nicht zu äußern. Aber das nicht alle die AfD ablehnen, wird dann an den Wahlurnen sichtbar.

Die Flüchtlingsdebatte läuft gerade nur auf Sparflamme, zumindest in den Medien. An der Basis, in den Städten und Gemeinden, die eng damit befaßt sind, ist das sicher anders.

Heute kam nun ein neues „weltbewegendes“ Problem in die Öffentlichkeit. Der Bundestag stimmte der Armenienresolution zu. Normalerweise würden sich 99 Prozent der Deutschen nicht damit befassen, weil sie schlicht von diesem Fakt keine Kenntnis hatten. Nun aber ist man gezwungen, nachzuschauen, was damals im 1. Weltkrieg geschah und warum 1,5 Millionen Armenier ihr Leben lassen mußten.  Aber wenn man weiß, daß die Türkei bei diesem Thema immer sehr pikiert reagiert, versteht es man schwer, daß man nun ohne Not eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei riskiert.  Fazit: Gibt es nicht wichtigere Themen, die die Nation bewegen?

Und ein weiteres persönliches Fazit: Ich fahre besser damit, mich nicht auf die politische Schiene einzulassen. Dazu müßte ich ganz tief in die Materie einsteigen, mich vielleicht als Journalist im politischen Berlin akkreditieren lassen. Doch dazu habe ich nicht mehr die Kraft.

So belasse ich es bei Pressekonferenzen (PK) rund um die Leichtathletik. Wie etwa am 9. Juni, wenn ich nach Berlin zur Eröffnungs-PK des 75. ISTAF fahre.

Peter Grau