Olaf Brockmann, gerade zurück von der Leichtathletik-WM aus Doha, stürzte sich wenige Tage später in seiner Heimatstadt Wien auf den nächsten Höhepunkt. Marathonläufer Eliud Kipchoge wollte zum zweiten Mal versuchen, die Schallgrenze von 2 Stunden zu unterbieten.
Schon vor dem Lauf sprach Olaf Brockmann mit Eliud Kipchoge und verfaßte den folgenden Text:
Eliud Kipchoge: Ich will Geschichte schreiben
„Der Kurs ist ausgezeichnet, einfach perfekt, flach und schnell. Alles ist hervorragend vorbereitet“, bedankte sich Weltrekordler Eliud Kipchoge, der am Samstag früh im Prater als erster Mensch einen Marathon unter zwei Stunden laufen will. Erstmals überhaupt hat er seine Frau Grace und seine drei Kinder Lynne, Griffin und Gordon zu einem großen Bewerb einfliegen lassen: „Sie sollen erleben, wenn ich Geschichte schreibe.“
Wien als Nabel der Sportwelt.
Der Kenianer, schon jetzt der größte Marathonläufer aller Zeiten, versprühte bei der Pressekonferenz am Rande der Prater Hauptallee, wo er am Samstag auf einem Rundkurs laufen wird, unendlichen Optimismus. „Der Druck ist enorm, aber ich versuche, ruhig zu bleiben. Ich kann nicht sagen, dass ich zu 100 Prozent unter zwei Stunden laufe. Das kann man niemals sagen. Aber ich bin voller Zuversicht.“ In Monza vor zwei Jahren hatte er bei seinem ersten Versuch, diese magische Grenze zu unterbieten, mit Hilfe von Tempomachern das Ziel in 2:00:25 hauchdünn verfehlt. Danach verbesserte er den offiziellen Weltrekord in Berlin auf grandiose 2:01:39. Jetzt folgt Wien. „Berlin und Wien sind verschiedene Sachen – in Berlin ging`s um den Weltrekord, in Wien geht es darum, dass ich Geschichte schreibe.“
Wien sei für Eliud Kipchoge der ideale Ort für die Challenge: „Die Menschen hier lieben den Sport. Wien ist eine Sportstadt. Das Wetter ist jetzt sehr gut. Und die Strecke im Prater ist windgeschützt.“ Alles passt. Und auch auf den Wendepunkten am Lusthaus (wo die Kurve mit einer günstigen Überhöhung neu geteert wurde) und am Praterstern werde er „keine Zeit verlieren“. Kipchoge: „Im Rennen gibt es keinen einzelnen speziellen kritischen Punkt. Jeder Kilometer ist kritisch.“ Er müsse immer aufpassen. Schritt für Schritt. „Du kannst nicht physisch fit sein, ohne auch mental fit zu sein. Wenn dein Geist stark ist, dann wirst du gut sein.“
Insgesamt 41 Tempomacher, alles Weltklasseläufer, sind engagiert, die sich während der 42,195 km abwechseln, um Kipchoge zu der Traumzeit zu verhelfen. Kollegen aus seinem Trainingscamp in Kaptagat berichten, dass er in einer „unglaublich guten Form“ sei. Die Rede ist davon, dass er derzeit das Potenzial im Marathonlauf von 1:58 Stunden habe.
Immer wieder betont Kipchoge, dass er bei der INEOS 1:59 Challenge der Welt zeigen will, „dass Menschen keine Grenzen haben“. Der Kenianer: „Wer setzt die Grenzen? Alle Grenzen sind im Kopf. Ich möchte die Grenzen im Kopf verschieben.“ Alles sei möglich. Er glaubt, dass bis zu drei Milliarden Leute sein Rennen am Samstag sehen werden, 30 TV-Stationen übertragen live in 200 Länder. Der genaue Zeitpunkt des Starts auf der Reichsbrücke wird noch bekannt gegeben. Er will durch seinen Lauf vor allem weltweit Menschen motivieren.
Wurde vor zwei Jahren eine Million Dollar als Prämie für eine Zeit unter zwei Stunden ausgelobt, so war diesmal nie die Rede von einem Bonus. Kipchoge: „Geld spielt keine Rolle.“ Es gelte nur, in die Geschichtsbücher zu laufen. Er verschwende keine Gedanken daran, was passiert, wenn er sein Ziel verpasst. „Ich bin nur auf Samstag fixiert.“ Selbst Kenias stellvertretender Staatspräsident William Ruto fliegt nach Wien ein, um Kipchoges historischen Rekordversuch im Prater zu erleben.
Das weltweite Medieninteresse war schon bei der Pressekonferenz, von Michelle Sammet souverän geleitet, gewaltig. Kollegen von China bis Südafrika, von Kenia bis in die USA und allen großen Leichtathletik-Nationen Europas waren anwesend. Wien als Nabel der Sportwelt. Für Wolfgang Konrad, Renndirektor des Vienna City Marathons und mit seinem Team als lokaler Veranstalter in diese Challenge eng in die Organisation eingebunden, hat es eine derart weltumspannende Sportveranstaltung in Wien noch nie gegeben. „Es ist wie das Neujahrskonzert im Sport.“
Olaf Brockmann
Olaf Brockmann saß ganz in der Nähe der Ziellinie auf seinem Presseplatz und konnte von dort aus die Entwicklung des Rennens bestens beobachten. Dann durfte er jubeln. Aber andererseits war er wieder sehr schnell mit dem Abfassen seines ersten Artikels, der dann auf Facebook und bei krone.net erschien:
Sportgeschichte im Prater!
Eliud Kipchoge unterbot als erster Mensch in 1:59:41 die legendäre Zwei-Stunden-Grenze im Marathonlauf. Vor zwei Jahren hatte der jetzt 34 Jahre alte Kenianer diese Marke in Monza noch um 26 Sekunden verpasst. Jetzt ist er am Ziel aller seiner Träume angelangt. Und das bei uns in Österreich. Eine der größten Momente in der Geschichte der Leichtathletik. Eine Sternstunde des Sports!
„Ich bin überglücklich. Ich habe gezeigt, dass man Grenzen brechen kann. Die Tempomacher waren großartig, die Unterstützung von den Fan einmalig“, schwärmte Kipchoge. „Wir haben gezeigt, dass wir die Welt schöner machen.“
Noch vor Jahren war es unvorstellbar, dass ein Läufer über die 42,195 km eine solche Zeit laufen könnte. Aber Eliud Kipchoge, der größte Marathonläufer aller Zeiten, revolutionierte die Leistungen im Langlauf. Nach seinem ersten, knapp gescheiterten Versuch vor zwei Jahren, die Zwei-Stunden-Grenze zu durchstoßen, stellte er im Vorjahr in Berlin einen neuen Weltrekord in 2:01:39 Stunden auf. Ein nächster Meilenstein seiner großen Karriere. „Spätestens danach war ich überzeugt, dass ich auch unter zwei Stunden laufen kann!“, meinte der Kenianer, der in Wien in die Geschichtsbücher lief. Offizielle Zeit auf die Hundertstel: 1:59:40.20!
Mit Hilfe von insgesamt 41 Tempomachern, durch die Bank alles Weltklasseläufer, realisierte Kipchoge diese Traumzeit in der bis ins kleinste Detail vorbereitete INEOS 1:59 Challenge. Da das Ein- und Aussteigen der Pacemaker den Regeln des Leichtathletik-Weltverbandes widerspricht, kann die Zeit nicht als neuer Weltrekord anerkannt werden. Aber mit seiner Berliner Zeit von 2:01:39 ist er nicht nur offizieller Weltrekordler, sondern jetzt auch jener Mann, der die Zwei-Stunden-Grenze im Marathonlauf durchstieß. Der Größte aller Zeiten. Und es war gewaltig, wie Wien, wie Österreich diese Laufsensation angenommen hat. Zig Tausende Fans säumten die Strecke im Prater, beim Wendepunkt am Praterstern war die Hölle los. Die Zuschauer trugen ihn förmlich zur Traumzeit!
Diese Traumgrenze wurde schon im Vorfeld dieser mit einem Millionen-Aufwand vorbereiteten Veranstaltung immer wieder mit dem legendären Meilen-Weltrekord von Roger Bannister verglichen worden war. Der Brite war am 6. Mai 1954 in Oxford 3:59,4 als Erster über die Meile unter vier Minuten gelaufen.
Österreich war damit an diesem 12. Oktober 2019 zum zweiten Mal in der Leichtathletik-Geschichte Schauplatz eines legendären Weltrekordes. Am 26. und 27. Mai 2001 hatte Roman Sebrle beim Mehrkampf-Meeting in Götzis als erster Zehnkämpfer die 9000-Punkte-Grenze übertroffen. Der Tscheche stellte damals mit 9026 Punkten einen Fabelrekord auf.
Jetzt also schrieb Eliud Kipchoge ein weiteres Stück Leichtathletik-Historie in Österreich. Die Prater Hauptallee wird für immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Start des Marathons war auf der Reichsbrücke, dann führte das Rennen über den Praterstern auf die Hauptallee, wo auf einem Wendekurs (mit den Punkten Lusthaus und Praterstern) auf der geraden, flachen und windgeschützten Strecke der Marathon bewältigt wurde. Ziel war auf der Prater Hauptallee in Höhe des Stadionpark-Platzes, wo sich um Kipchoge schließlich unfassbare Freudenszenen abspielten.
Kipchoge war schon 2003 Weltmeister in Paris über 5000 m, dreimal war er Crosslauf-Weltmeister, dann folgten bei Olympia im Marathonlauf Bronze, Silber und Gold. Viermal gewann er den Marathon-Klassiker in London, dreimal in Berlin. Und mit seiner Zeit unter zwei Stunden ist er jetzt für ewig in die Geschichtsbücher gelaufen. Der Größte aller Zeiten. Man sollte ihm auf der Hauptallee ein Denkmal setzen.
Olaf Brockmann
Olaf Brockmanns Nachbetrachtungen:
„Die letzten 100 Meter waren die schönsten Momente in meinem Leben. Dieses Gefühl zu wissen, dass ich die Grenze durchbreche, war einfach unbeschreiblich“, ging Eliud Kipchoge die letzten Augenblicke seines historischen Marathons noch einmal durch. Mit einem glücklichen Lächeln, schon jubelnd, lief er nach 42,195 km in 1:59:41 Stunden auf der Prater Hauptallee ins Ziel. Als erster Mensch bewältigte er einen Marathon unter zwei Stunden.
Was sich danach um den Wunderläufer im Prater abspielte, war sagenhaft. Die Fans, übrigens viel, viel mehr als erwartet, lagen Kipchoge zu Füßen, feierten ihn mit Sprechchören. Deshalb bedankte sich der 34-jährige Kenianer zunächst immer wieder bei den Zuschauern: „Sie haben mich entlang der Strecke wunderbar unterstützt. Ich bin ihnen sehr dankbar.“ Wie seinem Management, seinem Sponsor, seinem Trainer, seiner Familie (Frau und seine drei Kinder waren anwesend) und natürlich den 41 Tempomachern, die beim Rennen ein- und ausgestiegen sind und ihn zu dieser unfassbaren Traumzeit gezogen haben.
„Es ist eine goldene Ära“, schwärmte Eliud Kipchoge, „ich habe heute Sportgeschichte geschrieben. Ich habe gezeigt, dass der Mensch keine Grenzen kennt. Die Grenzen gibt es nur im Kopf. Man kann Mauern einreißen.“ Seit Monaten habe er auf dieses Event hintrainiert. „Daher ist dies der glücklichste Tag in meinem Leben.“ Er ist der Größte aller Zeiten. Im Marathon Olympiasieger und offizieller Weltrekordler (2:01:39), Sieger bei den größten Rennen in Berlin (3x) und London (4x). Wichtiger als die Weltrekordzeit ist Kipchoge das Durchstoßen der Zwei-Stunden-Grenze – mit Hilfe der Tempomacher, was gegen die Regeln des Weltverbandes verstößt.
Aber erstmals unter zwei Stunden! Sagenhaft. Die Zeit wurde sogar auf die Zehntel gemessen. Exakt 1:59:40.2 – nach den Regeln im Marathonlauf wird diese Zeit aber aufgerundet auf 1:59:41. Man darf sie nicht, wie es viele Berichterstatter gemacht haben, auf 1:59:40 abrunden. Aber ganz egal! Die Traumzeit ist Tatsache. Unter zwei Stunden. „Es war heute wie eine Reise zum Mond. Jetzt sind wir aber wieder auf der Erde gelandet.“ Mit beiden Beinen. „Der Druck war groß. Ganz Kenia hat von mir eine Zeit unter zwei Stunden erwartet.“ Selbst Kenias Staatspräsident Jomo Kenyatta hatte Kipchoge tags vor dem Rennen noch angerufen und motiviert. Circa drei Milliarden Menschen, heißt es, haben das Rennen live am TV in 200 Ländern verfolgt.
Natürlich sei er vor dem Rennen aufgeregt, sehr nervös gewesen, bekannte Kipchoge. „Von 9 Uhr abends hatte ich bis 3 Uhr nachts geschlafen. Dann aber lag ich lange wach.“ Um fünf Uhr sei er aufgestanden, habe Haferflocken gefrühstückt. „Die Zeit von 5 Uhr bis zum Start um 8:15 Uhr war die schlimmste Zeit meines Lebens!“ Mit dem Startschuss aber sei er ruhig gewesen. Im Rennen selbst lief er den Kilometer meist wie ein Uhrwerk in 2:50 Minuten. Den letzten Kilometer lief Kipchoge in 2:41. Er sagte: “Ich habe im Rennen nie Zweifel gehabt, es nicht zu schaffen.“
Texte und Fotos: Olaf Brockmann