„Das trifft nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich.“ Ein Satz, eher holprig, aber im Nachhinein mit einer ungeheuren Wirkung versehen. Günter Schabowski, Sprecher des SED-Zentralkomitees, des Machtzentrums der DDR, spricht den Satz auf einer internationalen Pressekonferenz am 9. November 1989 um 18:57 Uhr in der Berliner Mohrenstraße aus und kündigt damit eine neue Reiseverordnung an.
Es dauert einige Minuten, ehe die Journalisten die Tragweite erkennen. Und genauso ergeht es mir im fernen Neuruppin. Ich habe die Pressekonferenz direkt im Fernsehen verfolgt. Verblüfft überlege ich, was das bedeuten könnte. Dann gehe ich ins Nachbarzimmer, wo meine Frau Ruth in ihrer Funktion als Glaserobermeisterin mit einigen Glasern der Region zusammensitzt und Fachprobleme diskutiert. „Ich glaube, wir dürfen bald alle legal reisen“, formuliere ich vorsichtig. Und damit war die Arbeitsberatung beendet. Reisefreiheit, dieses Wort elektrisiert in diesen Tagen alle.
Auch mich und meine Frau. An diesem Abend verfolgen wir bis in die Nacht hinein gebannt das Geschehen am Fernseher und sehen, wie sich in Berlin zuerst an der Bornholmer Straße die Schlagbäume heben und die Massen nach Westberlin strömen. In diesem Moment bedauere, daß ich an diesem Abend nicht in Berlin in meiner Wohnung bin. Dann wäre ich garantiert auch an die Mauer gefahren.
So aber warte ich bis zum nächsten Tag. Am 10. November aber fahre ich nach Berlin zum Grenzübergang an der Invalidenstraße. In einer kleinen Hausnische auf der linken Seite sitzt ein Grenzpolizist und drückt mir einen Stempel in meinen Personalausweis. Ein wenig Bürokratie muß eben noch sein. Mein Herz klopft ein wenig, aber im Spalier durch die Beifall klatschenden Westberliner nimmt meine Nervosität ab und die Freude zu.
Dann streife ich durch die Straßen, schaue mir die Gegend rund um den Kurfürstendamm an und lasse mich vom Glanz der neuen Welt blenden. Kurz vor meiner Rückfahrt vom S-Bahnhof Zoologischer Garten nach Ostberlin gehe ich noch zu einer Telefonzelle und berichte meine Erlebnisse nach Neuruppin. Als ich fertig bin und mich umdrehe, steht meine Tochter Ulrike überraschenderweise vor mir. Überraschend deshalb, weil ich nicht wußte, daß sie an diesem Tag ebenfalls in Westberlin ist. Wir fallen uns in die Arme, genauso, wie es am Tag der Maueröffnung viele Ostberliner und Westberliner taten.
Peter Scheerer
P.S.: Viel ist danach über dieses Ereignis geschrieben worden. So auch im November 2019, 30 Jahre nach dem Mauerfall: