Zwei Bücherfreunde treffen sich in Berlin

Warum habe ich mich kürzlich mit meinem Wiener Kollegen und Freund Olaf Brockmann gerade im Dussmann-Kulturkaufhaus in der Berliner Friedrichstraße getroffen?

Duss einunddreißig

Es bot sich einfach an. Einerseits wollten wir Ruhe zu einem ausführlichen Gespräch haben. Andererseits bin ich seit eh und je ein Bücherfreund. Schon als Jugendlicher war ich Stammkunde in der Erfurter Stadtbibliothek, und diese Leidenschaft hat sich bis heute erhalten.

Und Olaf sprudelt gleich los: „Bücher sind meine große Liebe. Ich bin von Kind an ein Lesemensch gewesen. Das habe ich auch meinen beiden Töchtern mitgegeben, sie sind mit Büchern aufgewachsen. Wir haben in unserer Wohnung in Wien einen Bestand von circa 8000 Büchern.“

Da haben sich also Brüder gleichen Geistes gefunden.

Einstein eins Duo

Olaf Brockmann (rechts) und Peter Grau

Metro neunundvierzig

Einstein neu Olaf zwei Einstein sechszehn

Olaf Brockmann 2018 im Dussmann-Kaufhaus

 

Ein wenig Symbolik liegt über unserem Treffen. Olaf ist in Rostock geboren, ich in Erfurt. Wir treffen uns also gewissermaßen auf halbem Wege, eben in Berlin. Unsere Wege könnten aber unterschiedlicher nicht ausgefallen sein. Das wird mir bewußt, als ich mir in den nächsten zwei Stunden von Olaf einiges aus seinem Leben erzählen lasse.

Und weil später dem Ganzen auch noch Fotos hinzugefügt werden, ein Tip: Wenn man die Bilder anklickt und sie dann auf dem Computer betrachtet, entfalten sie ihre ganze Pracht!

Von Rostock nach Düsseldorf

„Geboren bin ich am 13. März 1953 in Rostock, wo meine Eltern lebten“, erzählt mir Olaf. „Meine Mutter (Jahrgang 1917) kommt ursprünglich aus Neu Gaarz, einer Gemeinde 80 km südlich von Rostock. Sie stammt aus einer berühmten jüdischen Familie, die auch auf Felix Mendelssohn Bartholdy zurückgeht. Mit diesem Komponisten, Pianisten und Organisten bin ich damit auch entfernt verwandt. In der Weltwirtschaftskrise 1929 ging das Gut, auf dem meine Mutter lebte, verloren. Mein Vater (Jahrgang 1908) kommt ursprünglich aus Wismar. Später sind beide dann nach Rostock gekommen.

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Das Gut Neu Gaarz heute

 

Mein Vater war Kunstmaler

In Rostock lebte ich nur wenige Wochen. Schon im April 1953 sind wir in den Westen geflüchtet. Warum? Mein Vater war Kunstmaler. Er wurde Anfang der 50er Jahre zur Auftragsmalerei gezwungen, mußte Lokomotiven, Busse, Schiffe malen. Das behagte ihm nicht. Doch der eigentliche Grund für die Flucht lag tiefer. Mein Vater war gegen das herrschende System in der SBZ/DDR eingestellt und hat diese seine Meinung auch öffentlich kundgetan. Doch scheinbar ist er über das Ziel hinausgeschossen, hat sich zu weit vorgewagt. Es kamen dann auch eines Tages zwei suspekte Männer zu uns nach Hause in die Lessingstraße.

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 Lessingstraße (im Jahr 2018)

Mein Vater wurde aber rechtzeitig gewarnt, sodaß sie ihn nicht antrafen.

Ein zweiter Grund war, daß meine Mutter, die zunächst Sekretärin beim Oberbürgermeister in Rostock und später bei einem Universitätsprofessor war, aufgefordert wurde, Spitzeldienste zu leisten und sie das ablehnte.

Jedenfalls ist unsere Familie zwei Tage nach dem ominösen Besuch der beiden suspekten Männer vom Osten in die Bundesrepublik Deutschland geflohen und kam über Ostberlin und Westberlin nach Sonthofen in ein Flüchtlingslager.

Was sich so in einem Satz daher sagt, war allerdings besonders für meinen Vater sehr schwer, denn er mußte alles zurücklassen, was seine berufliche Tätigkeit ausmachte: alle Mal-Utensilien und alle Gemälde.

Mit 19 Jahren zu den Spielen nach München

Schließlich sind wir also in der Nähe von Düsseldorf gelandet. Ich bin in Erkrath aufgewachsen. Und dort habe ich leidenschaftlich Tischtennis gespielt. Schon recht früh, mit 14, 15 Jahren, kam bei mir der Wunsch auf, Sportjournalist zu werden. Ich bekam dann auch einen Termin bei Alfons Gerz, der im September 1945 den Sport-Informations-Dienst (SID) gegründet hat und ihm danach viele Jahre als Chefredakteur ein Gesicht gab. Gerz gestattete mir, an Wochenenden beim SID zu arbeiten. Ich fing also mit Telefondienst, Ergebnisdienst der Bundesliga und kleinen Meldungen an.

Ein einschneidendes Erlebnis für mich war, daß ich schon mit 19 Jahren im Jahr 1972 nach München zu den Olympischen Sommerspielen fahren durfte. Dort fing ich, der ich ja eigentlich vom Tischtennis kam, für die Leichtathletik Feuer. Ich sagte mir: Das will ich meinen Lebtag sehen und als Journalist machen! Eben die Leichtathletik bei Olympia und alle Großveranstaltungen der Leichtathletik. Aber damals konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß es nunmehr (Stand April 2018) schon 11 Olympische Sommerspiele, 16 Freiluft-Weltmeisterschaften und 17 Hallen-Weltmeisterschaften, also alle (!) Weltmeisterschaften Freiluft und Halle, werden sollten.

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Am Schreibtisch beim SID 1977 (in der Redaktion in Neuss)

 

Morgendliche Vorlesungen durch Heinz Vogel

In den Anfangsjahren beim SID hatten viele Kollegen einen positiven Einfluß auf mich, aber einen möchte ich besonders hervorheben: Heinz Vogel! Er war gewissermaßen mein Ziehvater, hat mir immer geholfen, zunächst bis zu seinem Weggang im Jahr 1974. Es hatte sich bis dahin ein Vater-Sohn-Verhältnis entwickelt, ich habe ihn sehr gemocht und er mochte mich auch. Auch nach seinem Weggang vom SID durfte ich ihn vier- bis fünfmal in der Woche morgens gegen 9 Uhr anrufen und dann hat er über eine aktuelle Leistung, über einen aktuellen Rekord doziert. Und er schlug oft die Brücke von 1896 bis in die 70er-Jahre. Die Gespräche dauerten dann im Minimum immer eine halbe Stunde. Aber da habe ich unglaublich viel gelernt. Es war auch notwendig, denn beim SID mußte ich die Zahlen wirklich parat haben, mußte immer sofort wissen, wie die Leistungen einzuschätzen sind.

Auch später saß Heinz Vogel auf der Pressetribüne neben mir, half mir, die Ergebnisse einzuordnen. Sei es nun bei den großen Meisterschaften, den Meetings wie in Zürich (wo ich seit 1975 ununterbrochen alle Meetings gesehen habe) oder etwa beim Europacup 1977 in Helsinki, wo sich die bundesdeutschen Männer als Gesamt-Team für den Weltcup in Düsseldorf qualifiziert hatten.

Von 1974 bis 1983 war ich also fix beim SID angestellt, mit den Schwerpunkten Leichtathletik und Tischtennis, damals habe ich schon in diesen beiden Sportarten alle Großveranstaltungen in der ganzen Welt gesehen. Bald war ich auch immer häufiger „Chef vom Dienst“. Vor der SID-Zeit war ich von 1972 bis 1974 bei der Bundeswehr, wo ich in einer Fernmelde-Kompanie Leutnant der Reserve wurde.

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Im Pressezentrum der Tischtennis-WM in Kalkutta 1975

 

Auf dem Weg nach Wien

Und mein Weg nach Wien? Der hat eine Vorgeschichte. Es beginnt im Herbst 1975. Ich war zwar für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal akkreditiert. Aber dann meinte der Chef des SID, Alfons Gerz, daß diese Spiele in Übersee noch zu früh für mich kommen. Da war ich natürlich sehr enttäuscht, aber ich sagte mir sofort, daß ich nun aber unbedingt 1980 nach Moskau zu den Olympischen Spielen wolle. Unmittelbar nach dieser Sitzung im Oktober 1975 bin ich zu Herrn Gerz gegangen und habe ihm gesagt: „Ich möchte gern Russisch lernen.“ Alfons Gerz sagte, daß er mir den Privatunterricht bezahlen würde. Er wußte natürlich, warum ich das machen wollte. Dann habe ich insgesamt sieben Jahre lang Privatunterricht in Russisch gehabt. Später sogar noch bei demselben Lehrer, dem ich mein ganzes Leben dankbar bin, Latein, als ich parallel zum Beruf studierte. Das war mein Weg zu den Olympischen Spielen in Moskau.

Nach Moskau habe ich gesagt: Ich will das Russisch nicht aufgeben, sondern studiere nebenher noch in Düsseldorf russische Geschichte. Und dann habe ich bei Lew Kopelew in Wuppertal ein Forschungsseminar absolviert. Lew Kopelew war ein russischer Germanist, Schriftsteller und Humanist, der wegen seiner politischen Haltung als Dissident aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde. Bei Kopelew schrieb ich eine Arbeit über den berühmten Reisebericht von Sigismund von Herberstein („Rerum Mocsovoticarum Commentarii“ von 1549) mit dem Titel: Herbersteins Charakteristik des russischen Volkes nach Sitten, Gebräuchen und geistigem Leben“. Kopelew fand die Arbeit „sehr gut“ und sagte zu mir: „Mit diesem Thema müssen Sie unbedingt zum Professor Leitsch nach Wien.“ Da habe ich Hals über Kopf beim SID gekündigt und ging an die Uni nach Wien zu Walter Leitsch, von 1965 bis 1996 ordentlicher Professor für Geschichte am Institut für Osteuropäische Geschichte der Wiener Universität.

Zu Professor Leitsch habe ich gesagt: „Lew Kopelew schickt mich zu Ihnen.“ Worauf Walter Leitsch antwortete: „Dann komm`s rein!“ Daraus wurde ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis. Er hat mich immer gemocht und mochte vor allem meinen Fleiß. Bei den Seminararbeiten hat Leitsch oft zu mir gesagt: „Typisch deutsch. Sie sind ein deutscher Fleißbold!“

Ich habe also osteuropäische Geschichte mit Schwerpunkt russische Geschichte studiert und im Nebenfach deutsche Geschichte. Angefangen hatte ich damit in Düsseldorf (vier Semester) und abgeschlossen 1988 als Magister in Wien.

Ursprünglich wollte ich zu Prof. Leitsch, um weiter über Herberstein zu forschen. Schließlich habe ich meine Magisterarbeit aber über einen Gesandten namens Johann Georg Korb geschrieben, der 1698/1699 am Hof von Peter dem Großen lebte. Korb hat einen berühmten Reisebericht über Moskau („Diarium Itineris in Moscoviam“) geschrieben. Diesen Bericht habe ich im Vergleich mit anderen ungedruckten, zeitgenössischen Quellen auf den Wahrheitsgehalt geprüft. Einer der interessanten Aspekte der Arbeit ist der Bericht von Korb, nach dem Peter der Große Strelizen eigenhändig hingerichtet haben soll. Korb ist dafür die einzige Quelle. Mir erscheinen seine Informationen glaubwürdig. Meine Magisterarbeit wurde mit großer Hilfe von Leitsch auch in den Jahrbüchern für Geschichte Osteuropas veröffentlicht:

Olaf Brockmann: Der Bruch Peters des Großen mit Alt-Moskau: Korbs Diarium und Diplomatenberichte aus Moskau zu den Ereignissen der Jahre 1698 und 1699, In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Neue Folge, Bd. 38. H. 4 (1990), Seiten 481 bis 503, Franz Steiner Verlag.

Leitsch fragte mich, ob ich noch promovieren wolle. Doch dies war mit meiner Familie und meiner Tätigkeit bei der „Kronen Zeitung“ zeitlich nicht mehr vereinbar.

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 Verleihung des akademischen Grades des Magisters der Philosophie im Jahr 1988 an der  Uni Wien

 

Ein paar Sekunden bis zum Ja-Wort

Spätestens jetzt ist es auch Zeit, etwas über meine Familie zu sagen.

Meine Frau Zita habe ich im Mai 1985 kennengelernt. Sie war damals als Stewardeß auf dem ungarischen Schiff „Rákóczi“ tätig, das eine Dreiländerfahrt durch Österreich, die Slowakei und Ungarn machte. Wie es der Zufall wollte, war ich als Passagier auf diesem Schiff, lernte dort für eine Philosophieprüfung über die deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt und eines ihrer philosophischen Hauptwerke, die „Vita activa oder Vom tätigen Leben“.

Weil mir die Musik beim Lesen zu laut war, bat ich die Stewardeß, die Musik leiser zu stellen. So kamen wir ins Gespräch. Einen Tag später lud ich sie zum Essen ein, eine Woche später zu „Fidelio“ in die Wiener Staatsoper. Danach fragte ich sie, ob wir nicht heiraten wollten. Zita hat nur ein paar Sekunden überlegt, ehe sie „Ja“ sagte. Nur neun Wochen später haben wir in Ungarn geheiratet, in Bugyi in der Nähe von Budapest:

Krone Hochzeit

Meine Frau hat in Budapest noch den Uni-Abschluß gemacht (Russisch und Deutsch) und ist dann endgültig nach Wien gekommen. Jetzt haben wir zwei große Töchter, Sophie ist 31 Jahre und Evelyn 28 Jahre alt. Sie haben beide in England studiert. Sophie hat in Cambridge in History of Science (Wissenschaftsgeschichte) über Guatemala promoviert. Sie unterrichtet in Leicester, lebt in London. Evelyn hat Kunstgeschichte studiert und war lange Zeit als Museumspädagogin im größten Museum Budapests angestellt. Jetzt arbeitet sie mit großer Leidenschaft bei der UNO-Flüchtlingshilfe in deren Dependance in Budapest. Doch auch die Kunstgeschichte betreibt sie weiter.

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Die MS Rákóczi, auf der ich Zita kennenlernte

 

Ein Leben als Sportjournalist

Mir ist Olaf Brockmann allein als Sportjournalist bekannt geworden. Da verblüfft es mich, als er erzählt: „Einmal wäre ich fast ganz in die Außenpolitik gegangen. Das passierte bei der Zeitung „Die Presse“. Dort war ich, als ich nach Wien gezogen war und nebenher studiert hatte, als Pauschalist in der Sportredaktion tätig. Ich schrieb aber schon gelegentlich auch über historische und aktuell politische Themen. Nach Gesprächen mit dem Herausgeber und dem Chefredakteur wechselte ich in die Außenpolitik, kam aber mit dem Chef der Außenpolitik nicht klar. Deshalb ging ich zum Sport zurück und durfte quasi zur Belohnung gleich einen Riesenbericht über den Dreisprung-Weltrekord von Willie Banks mit 17,97 m (16. Juni 1985) schreiben. Im Februar 1986 aber wechselte ich zur „Kronen Zeitung“, die fortan meine berufliche Heimat wurde. Und dort war ich wieder ausschließlich Sportjournalist. Meine drei Haupt-Sportarten als Journalist waren Leichtathletik, Schwimmen und Tischtennis, also alles Sommersportarten. Daneben berichtete ich auch etwa über Fechten, Judo, Reiten, Rudern, Tennis oder Rhythmische Sportgymnastik.

Vielleicht etwas ungewöhnlich in Österreich, wo der Wintersport solch eine große Rolle spielt. Aber ich war und bin Deutscher, eben kein Österreicher, sondern ein Zugereister. Aber so habe in meiner Karriere als Sportjournalist doch von circa 270 Europa- und Weltmeisterschaften berichten können.“

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Auf der Pressetribüne bei der Leichtathletik-WM in Athen 1997

 

Abschied von der „Kronen Zeitung“

Warum aber hat sich Olaf Brockmann nun von der „Kronen Zeitung“ verabschiedet?

In den letzten Jahren hatte er nicht nur als Festangestellter bei der „Krone“ gearbeitet, sondern war auch ehrenamtlich in der Pressekommission des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) tätig.

„Das wurde mir dann einfach zu viel, von Mai bis September war ich nur unterwegs“, blickt Olaf Brockmann zurück. „Das Pensionsalter liegt in Österreich bei 65 Jahren. Ich habe immer gesagt, daß ich noch bis zu den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro bei der „Krone“ arbeiten werde. Das habe ich dann auch wahrgemacht, bin am 1. April 2017 in die Frühpension gegangen und wurde zuvor schon im Februar in der Redaktion mit einer tollen Überraschungsfeier sehr nett verabschiedet.“

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Überraschungsfest zum Abschied in der „Kronen Zeitung“ (Foto: Wolfgang Hänlein)

 

Für die IAAF auf Reisen

„Das bedeutet aber nun für mich beileibe kein ruhiges Leben. 2017 war ich beispielsweise für die IAAF u.a. dreimal in Kenia, einmal in Uganda, in China, in Doha und in vielen europäischen Ländern.

Meine ehrenamtlichen Tätigkeiten in der IAAF sind vor allem zwei Bereiche. Seit 2007 war ich immer Presse-Delegierter bei allen Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaften. Die Jugend-WM (jetzt U-18-WM) wurde ja leider nach der sensationellen Auflage 2017 in Nairobi eingestellt.  Dafür bleibt die U-20-WM (früher Junioren-WM) wie in diesem Sommer in Tampere. Weiter bin ich Presse-Delegierter bei den 14 Meetings der Diamond League, überwache und helfe mit, daß die Bedingungen für die Medien dort okay sind, sprich Pressehotel, Pressezentrum, Pressetribüne, Pressekonferenzen oder Internet… Das macht mir mittlerweile fast mehr Spaß, als selbst zu schreiben.“

Impressionen aus einem Sportjournalisten-Leben

Ging es bisher in unserem Gespräch im Berliner Kultur-Kaufhaus Dussmann vorrangig um den Lebensweg von Olaf Brockmann, bekomme ich nun einen Einblick in das, was er bisher erlebt hat.

Buda Olaf und Spitz

Wiedersehen mit dem US-Schwimmer Mark Spitz

Bolt Ostrava 2017 siebzehn Olaf und Usain

Treff mit Usain Bolt

 

Wenn man von 1972 bis jetzt alle Großen des Sports (zumindest in Leichtathletik. Schwimmen und Tischtennis) kennengelernt hat, von Mark Spitz bis Michael Phelps, von Carl Lewis bis Usain Bolt und gar bei Haile Gebrselassie oder Tegla Loroupe zu Hause eingeladen war, dann kann einer wie Olaf Brockmann stundenlang erzählen. Gut, daß wir uns die Zeit für eine weitere Plauderstunde nehmen und noch besser, daß das Ganze nicht eine vorgegebene Länge haben muß, denn: Meine Homepage und damit auch die Rubrik von Olaf Brockmann kann sehr viel fassen! 

Wo aber anfangen, wo aufhören? Es muß bei Episoden bleiben!

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Bei Haile Gebrselassie daheim in Addis Abeba in seiner Villa

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 Bei Tegla Loroupe daheim in Kapenguria zum Dinner

 

Als Mao Tse Tung 1976 in China starb

„Ein Jahrhunderterlebnis war für mich 1976 das Tischtennisturnier in Shanghai in China. Gerade zu diesem Zeitpunkt, am 9. September 1976, starb der Staatsführer Mao Tse Tung. Deshalb wurde das Turnier um zehn Tage verschoben. Wir waren insgesamt drei Wochen in China, auch in Peking, was so nicht geplant war. Jedenfalls habe ich all die Trauerfeierlichkeiten für Mao direkt mitbekommen. Und auch als junger Journalist erlebt, wie schwierig es damals war, Berichte aus dem abgeriegelten China in die Heimat zu übermitteln. Die Telefonleitungen im Hotel waren geblockt. Aber am Ende hatte ich großes Glück, daß ich über Telex einen Reuters-Kollegen in Hongkong erreichte und dieser netterweise meine Berichte nach Düsseldorf übermittelte.“

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Trauerfeierlichkeiten für Mao Tse Tung in Shanghai 1976 (Brockmann Dritter von rechts)

 

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Trauerfeierlichkeiten für Mao Tse Tung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1976

 

Mit der Räuberleiter den Weltrekord gemeldet

„Die wohl spannendsten Geschichten erlebte ich immer in Moskau, in Leningrad, halt in der gesamten UdSSR. Rund 35 Mal weilte ich bis heute in der UdSSR bzw. Rußland, bin ja auch 1978 mit der Transsibirischen Eisenbahn gefahren.

1980 war ich also für vier Monate Olympia-Korrespondent für den SID. Damals bin mit dem Auto über Finnland, Karelien, Leningrad (heute St. Petersburg) und Kalinin (Twer) nach Moskau gefahren. Bei den sowjetischen Meisterschaften, die vor den Olympischen Spielen stattfanden, war der Presseraum für die westlichen Medien gesperrt. Sie hatten nicht damit gerechnet, daß jemand aus dem Westen dabei ist. Ich aber kannte den Presseraum im Lenin-Stadion von der Spartakiade 1979 und wollte natürlich auch aktuell arbeiten, zumal Olga Kuragina einen Fünfkampf-Weltrekord mit 4856 Punkten aufstellte! Diesen Weltrekord wollte ich so schnell wie möglich nach Düsseldorf „verkaufen“. Aber ohne Telefon, ohne Telex? Die Rettung kam durch einen Kollegen der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. So wahr ich hier sitze, hat der mir mit seinen Händen eine Räuberleiter gehalten, hat mich nach oben gehievt. Ich wußte, daß in einem oberen Stockwerk die Telex-Räume waren. Der Raum mit dem Telex mit einer deutschen Tastatur aber war abgesperrt. Ein anderer Raum mit einem Telex mit russischer Tastatur aber nicht, den habe ich dann benutzt. Da ich Russisch konnte, wußte ich: Das russische K ist im deutsche auch das K, das y ist u, p ist das r… dann habe ich auf dem Telex also Düsseldorf angewählt und kurz die wichtigsten Informationen (Name, Punktzahl) hineingeschrieben: Kuragina 4856. Dort in Düsseldorf war Peter Abrahams Chef vom Dienst und der fragte lapidar zurück: Wer ist denn da? Was soll das denn? Ich schrieb: Olaf. Und dazu noch ein „WR“, also die Abkürzung für einen Weltrekord. Er hat mich weiter nach Einzelheiten zum Weltrekord ausgefragt und dann einen tollen Bericht geschrieben. So konnte der SID als erste Nachrichtenagentur diesen Weltrekord in der westlichen Welt vermelden.

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Mit dem Auto bis zum Roten Platz in Moskau

 

Staatsbesuch von Helmut Schmidt bei Breschnjew

Viele, viele Erfahrungen habe ich während meiner Zeit als Olympiakorrespondent in Moskau gemacht. Ein Highlight war aber auch abseits des Sports, als ich hautnah dabei war, wie am 30. Juni der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Staatsbesuch in die Sowjetunion einflog und auf dem Militärflughafen Scheremetjewo von Leonid Breschnjew empfangen wurde. Viele westliche Länder, wie auch die Bundesrepublik Deutschland, hatten die Olympischen Spiele in Moskau wegen des Einmarsches der UdSSR Ende Dezember 1979 in Afghanistan boykottiert. Der Staatsbesuch von Helmut Schmidt in der UdSSR war natürlich eine politische Sensation. Dank der Hilfe des damaligen Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Leo Wieland, und des deutschen Press Attaché in Moskau wurde ich für Schmidts Staatsbesuch in der UdSSR akkreditiert und konnte für den SID vom Empfang in Scheremetjewo und von der Schmidt-Pressekonferenz am folgenden Tag im Hotel National berichten, auch wenn der Boykott der westlichen Länder bei den Spielen angesichts der brisanten politischen Weltlage nur eine Randnotiz war.

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Hautnah beim Staatsbesuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt bei Leonid Breschnjew dabei

 

Der Geheimdienst hört mit

In Kiew fanden in jenem Sommer 1980, als ich Olympia-Korrespondent war, auch die sowjetischen Schwimm-Meisterschaften statt. Ich verabredete ein Telefon-Interview für den Abschlußtag der Meisterschaften mit dem Cheftrainer der sowjetischen Schwimmer, Sergej Waizechowski, den ich schon gut kannte. Er konnte blendend deutsch, hatte es, wenn ich mich recht erinnere, bei einem Studien-Aufenthalt in Berlin gelernt. Ich erreichte Waizechowski telefonisch in Kiew von meinem Zimmer im Moskauer Hotel Cosmos. Wir haben uns lange unterhalten. Schließlich redete ich, als 27-jähriger, unvernünftiger Bub, irgendwann auch über Afghanistan, das die Sowjets seit Dezember 1979 besetzt hatten. In dem Moment, als ich das Wort „Afghanistan“ fallen ließ, platzte eine Stimme in unser Telefongespräch: Bitte beenden sie sofort das Gespräch. Sogleich wurde die Leitung abgeklemmt. Der Geheimdienst hörte immer mit.

Vier kaputte Telefonklingeln

1981 fand in Leningrad erstmals nach dem Olympia-Boykott von 1980 wieder ein Leichtathletik-Wettkampf UdSSR gegen die Bundesrepublik Deutschland statt und zwar im Mehrkampf Mitte Juni in Leningrad. Über den bereits erwähnten FAZ-Kollegen Leo Wieland habe ich die Telefonnummern vom Pressezentrum aus Leningrad nach Düsseldorf in die SID-Zentrale gegeben. Denen habe ich über Leo Wieland sagen lassen: Ruft mich 18 Uhr nach meiner Zeit an und dann gebe ich euch den Bericht durch. Ich aber wartete nach dem Wettkampf (Sabine Everts und Jürgen Hingsen waren damals die Einzelsieger) vergebens, kein Telefon klingelte. Und dann habe ich wie in einem Reflex einfach mal einen Hörer abgenommen und hatte urplötzlich Düsseldorf am Apparat. Und die Dame von der Telefonzentrale sagte mir: „Wir versuchen seit einer halben Stunde, dich zu erreichen, aber du hast ja nicht abgehoben.“ Kurzum, an allen vier Telefonen war die Klingel kaputt. Deshalb konnte es nicht klingeln.

Die „Krone“ sprach mit einem Toten

„Ein Exklusiv-Interview der wirklich außergewöhnlichen Art hatte ich mit dem russischen Hochsprung-Olympiasieger Waleri Brumel. Den hatten 1990 deutschsprachige Agenturen in ihren Meldungen bereits sterben lassen. Wie sich herausstellte, war dies eine klassische Falschmeldung. Damals war ich gerade beim Höhen-Leichtathletik-Meeting in Sestrière. Von dort rief ich aus dem Pressezentrum Brumels Frau in Moskau an. Durch mein Studium konnte ich ja Russisch. Sie hat mir nur verblüfft gesagt, daß Waleri lebt und ob ich Waleri sprechen wollte. Na klar! Dann habe ich ihn, den Totgesagten, ausführlich interviewt. Ein Klassiker für den Boulevard auf der Seite 1: Wir sprachen mit einem „Toten“. Verstorben ist Brumel dann erst im Jahr 2003.“

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Seite 1 der „Kronen Zeitung“: Wir sprachen mit einem „Toten“

 

Viele Weltrekorde von Sebastian Coe miterlebt

Als Sebastian Coe als Mittelstreckler aktiv war, habe ich natürlich seine beiden Olympiasiege (Moskau 1980 und Los Angeles 1984) und viele seiner Weltrekorde gesehen. So auch seine beiden Weltrekorde in Zürich 1979 (1500 m) und 1981 (Meile), beide Rekorde an unvergeßlichen Abenden in Zürich. Heute kann ich sagen, daß ich mit Seb Coe befreundet bin, bis heute, wo er IAAF-Präsident ist. Er war ja sogar eine Zeitlang Vorsitzender unserer Pressekommission und unterstützte mich bei meinen Tätigkeiten in der IAAF, auch das ist für mich ein Anreiz, in der Pension weiter für die IAAF ehrenamtlich zu arbeiten. So war ich auch stolz, daß gerade Seb Coe mich im Vorjahr in London dafür ehrte, daß ich bisher von allen Leichtathletik-Weltmeisterschaften als Journalist berichtet habe.

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Akkreditierung für den „SID“ in Zürich 1981, wo Sebastian  Coe einen Meilen-Weltrekord lief.

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Ehrung für die Berichterstattung von allen Leichtathletik-Weltmeisterschaften durch Sebastian Coe in London 2017

 

Im Clinch mit Alberto Juantorena

„Meine Lieblingsgeschichte aber ist meine erste Begegnung mit dem kubanischen Mittelstreckler Alberto Juantorena. Ich war 1977 beim Weltcup in Düsseldorf im Innenraum für die Flashinterviews eingesetzt. Juantorena hatte den Startschuß zum 400-m-Lauf nicht gehört und ist deshalb hinterhergelaufen. Als er ins Ziel kam, war er unglaublich verärgert. Er hat wohl gedacht, daß ich der Starter gewesen bin, und drohte mir wild mit der Faust, als wollte er mich verprügeln. Dieses Bild ging um die Welt, war selbst in der „Sports Illustrated“. Es war für mich schon ein arges Gefühl, dem großen Juantorena so gegenüberzustehen. Aber ich blieb cool, ich wußte schon, daß er nicht schlagen würde.

Juantorena, der Doppel-Olympiasieger und Weltrekordler, hatte am Vortag beim Weltcup das große 800-m-Rennen gegen Mike Boit gewonnen und hatte am nächsten Tag natürlich auch über 400 m gewinnen wollen. Da das aber zunächst nicht gelang, legte das amerikanische Team (es waren ja Erdteil-Mannschaften beim Weltcup am Start) Protest ein. Die Jury d‘Appell erklärte nach Protest und Gegenprotest, daß ein Flugzeug vom nahegelegenen Flughafen Düsseldorf-Lohausen über das Rheinstadion geflogen sei, just beim Start vom 400-m-Lauf, und so Juantorena irritiert habe. Außerdem habe zu dieser Zeit ein Kamerateam den Hammerwurf-Wettbewerb gefilmt. Beides war für die Jury der Grund, den Lauf wiederholen zu lassen, aber es war offensichtlich eine sportpolitische Entscheidung, ein Kniefall vor Juantorena. Zumindest gewann Juantorena am Schlusstag des Weltcups noch den Wiederholungslauf über 400 m.

Ich bekam noch am Schlußtag ein Foto eines befreundeten Fotografen von dieser für mich doch berühmten Szene mit dem mir drohenden Juantorena und wollte mir beim Bankett ein Autogramm von ihm holen. Aber er war immer noch böse auf mich. Prof. August Kirsch, damals Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), ist zu Juantorena gegangen und hat ihm erklärt, daß ich doch nur ein kleiner Journalist sei. Daraufhin kam Juantorena auf mich zu und gab mir das Autogramm. Seit Düsseldorf 1977 sind wir beste Freunde. Immer, wenn er mich sieht, kommt er auf mich zu, lachend, aber mit der Faust drohend. Das ist schon die Leichtathletik-Geschichte meines journalistischen Lebens.“

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Juantorena drohte beim Weltcup in Düsseldorf 1977 im Ernst und mit voller Wut mit der Faust…

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 … und heute beste Freunde: 40 Jahre später drohte Juantorena in Nairobi 2017 (aus Spaß) mit der Faust!

Peter Grau