In der Rubrik „Treffs mit Leichtathleten“ sollen nicht nur eigene Interviews veröffentlicht werden. Die Vielfalt wird dadurch erhöht, daß auch andere Autoren zu Wort kommen. Und so ist es mir eine Freude, meinem Journalistenkollegen Berthold Mertes auf meiner Website eine Bühne zu bieten. Im Februar 2015 hat er als Chefreporter des „Bonner Generalanzeigers“ mit Dieter Baumann ein Interview geführt, das auch heute noch lesenswert ist.
Dieter Baumann im Gespräch. Foto: Holger Teusch
TÜBINGEN/BONN. Dieter Baumann war ein begnadeter Läufer. Heutzutage tritt er 50 bis 60 Mal pro Jahr als Kabarettist auf.
Dieter Baumann ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wenige Tage, bevor er am 9. Februar 50 Jahre alt wird, laufen wir in Tübingen am Neckar entlang. Vorbei am Hölderlinturm, wo der berühmteste Dichter der Stadt 36 Jahre lebte. In dieser Umgebung fühlt sich der Olympiasieger von 1992 wohl.
Auch im 23. Jahr nach seinem Triumph von Barcelona ist Baumann in Deutschland als Läufer unerreicht. Aufgrund seiner positiven Dopingtests und der folgenden Manipulationsthese ist der Schwabe als Zahnpasta-Mann in die Sportgeschichte eingegangen. Als Kabarettist verarbeitet er seit 2009 auch seine eigene Vergangenheit. Mit dem „Kleinstkünstler“, wie er sich selbst bezeichnet, lief und sprach Berthold Mertes.
Herr Baumann, Sie wirken sehr fröhlich. Sind Sie im Reinen mit sich?
Dieter Baumann: Ich schäme mich nicht dafür: Ja, ich fühle mich sehr wohl.
Sie sind 1992 in Barcelona Olympiasieger über 5000 m geworden und halten immer noch die deutschen Rekorde von 3000 bis 10000 Meter. Welche Bedeutung hat das Laufen heutzutage für Sie?
Baumann: Mich treiben ganz unterschiedliche Dinge an. Aber alle haben mit Laufen zu tun.
Wie wichtig ist Ihnen die eigene Bewegung?
Baumann: Das habe ich letztes Jahr erkannt. Ich war zum ersten Mal in der Zeitrechnung als Freizeitläufer ernsthaft verletzt – nach 15 Jahren. Die Achillessehne war es, die auch in meiner Karriere immer wieder beleidigt war. Ich war also gehandicapt, und dabei habe ich festgestellt, wie wichtig das Laufen ist. Man stellt es ja erst fest, wenn es nicht mehr da ist.
Wie oft laufen Sie, und wie weit?
Baumann: Ich laufe täglich, jeweils zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Ich mache keine langen Läufe, also kein spezifisches Marathon-Training. Wenn ich gelegentlich an einem Marathon teilnehme, dann mache ich das aus diesem Training heraus. Das muss reichen – ich laufe dann halt langsamer.
Aber beim Walking sind Sie mit Ihren 50 Jahren noch nicht, oder?
Baumann: Letztes Jahr bin ich tatsächlich auch gewalkt. (lacht) Mit Stöcken. Ja, ich gebe es zu. Aber es war toll. Dabei habe ich den Entschluss gefasst: Wenn ich nicht mehr laufen kann, dann werde ich walken.
Der Leistungsgedanke ist dem Mann, der einst 5000 Meter schneller als 13 Minuten lief, inzwischen also völlig fremd?
Baumann: Es geht mir nicht mehr um Geschwindigkeit, sondern es geht mir um diese eine Stunde, in der ich draußen bin, im Wald. Ein bisschen bin ich auf den Spuren der Tübinger Dichter Hölderlin und Uhland unterwegs – die legten auch Wert auf Bewegung. Sie wanderten, um kreative Kräfte zu sammeln.
Was macht die Stunde mit dem Menschen?
Baumann: Sie gibt Zufriedenheit. Ich merke das bei mir: ich hole mir da mein Wohlfühlen ab, meinen Treibstoff, der mich durch den Tag trägt. Da kann kommen was will.
Wird die Welt beim Laufen rosarot?
Baumann: Nein, vor allem nicht die heutige. Die ist eine fürchterliche Welt. Aber es hilft mir, sie zu ertragen, vor allem in dem eigenen Mikrokosmos.
Zu Ihnen: Sie sind jetzt schon seit fünf Jahren erfolgreicher Kabarettist, nehmen sich selbst als Zahnpasta-Man auf die Schippe. War Ihr erstes Bühnenstück „Körner, Currywurst, Kenia“ eine Selbsttherapie, um über die Schattenseiten der Karriere nach den positiven Dopingproben lachen zu können?
Baumann: Humor kann natürlich helfen, darüber hinwegzukommen. Aber „Körner, Currywurst, Kenia“ ist in erster Linie eine Liebeserklärung an Kenia. Die Erfahrungen in Afrika haben mich geprägt. Ich durfte zehn Jahre lang dort mit den Jungs trainieren, mich jedes Jahr ein, zwei Monate dort anschließen. Das war für mich ein Geschenk, ich habe so viel mitgenommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich noch einmal etwas Ähnliches erleben darf in meinem Leben.
Was hat Sie so sehr beeindruckt?
Baumann: Die Menschen. Wenn bei uns eine Ampelanlage nicht funktioniert, kann man den Eindruck gewinnen, mit Deutschland ist es vorbei. Wir haben in den europäischen Ländern die Relationen verloren. Was mich das Erlebte gelehrt hat: Die Welt ist eine Suppe, auf der ein Fettauge schwimmt, und das sind wir. Wir haben einfach nur Glück, dass sich eine Eizelle und ein Spermium getroffen haben und wir zufällig in Europa und hoch zivilisiert geboren wurden. Den Menschen in Afrika geht es viel schlechter, aber sie sind wahnsinnig ausgeglichen. Sie schaffen sich in dieser einfachen Welt ein Lebensgefühl, das wir nicht erreichen. Wir sind mit allen möglichen Dingen unzufrieden. Auch 15 Jahre später erinnere ich mich zurück und denke: Hey, es gibt Menschen, die leben ganz anders, und sie beklagen sich nie.
Empfinden Sie es als Ehre, dass Sie als der weiße Kenianer in die Geschichte eingegangen sind?
Baumann: Das war nur auf den Laufsport bezogen. Ich selbst fange damit sehr wenig an. Es war eine Erfindung des Journalisten Robert Hartmann. Ein toller Begriff, aber eine Mediengeschichte.
Sie haben als Sportler geglänzt, haben Erfolg als Motivator, und finden seit einiger Zeit auch Anerkennung als Comedian – was ist Ihre liebste Rolle?
Baumann: Ich genieße einfach die Jetztzeit. Ich merke: Toll, auf der Bühne kann ich auch ein Anderer sein. Es gibt kein Scheitern. Nicht so ein: „Ach was macht der denn da?“ Ich entdecke jetzt erst, nach fünf Jahren, diese Freiheit auf der Bühne. Habe eigentlich keine Ahnung, was ich da mache. Ich bin nur ein Kleinstkünstler, aber es macht mir Spaß. Dieses Interview ist eine Momentaufnahme, und im Moment ist klar: die Rolle auf der Bühne ist schön.
Sie könnten es sich leichter machen und sich auf gut bezahlte Experten-Jobs konzentrieren. Warum reicht Ihnen das nicht
Baumann: Ich komme ja aus der Ecke Vortrag und Motivation. Was mich da manchmal und immer mehr stört: Ein Unternehmen beispielsweise engagiert mich und erwartet von mir, dass ich Mitarbeiter motiviere. Die werden aber gar nicht gefragt, sondern der Chef bildet sich ein: Ich muss mal meine Mitarbeiter motivieren. Also, lieber Baumann, mach mal den „Chaka“. Mindestens 50 Prozent der Leute im Saal wollen den Baumann aber gar nicht sehen. Die Stimmungslage ist eine andere, meine Rolle eine andere, und sie ist unendlich schwerer. Alle erwarten eine Botschaft. Die Bühne dagegen ist was anderes: zur Bühne kommen nur die Leute, die sagen, ich will den Baumann sehen. Ich interessiere mich dafür, was treibt der jetzt? Das spüre ich – also die gespannte Grundhaltung im Saal. Die bezahlen sogar Eintritt.
Und bekommen dafür welche Botschaft?
Baumann: Es gibt nur die eine: Hey Leute, geht raus, habt Spaß. Alles andere ist egal. Das ist die Rolle, die mir liegt.
Lassen Sie uns über ihre Stücke reden. Sie interpretieren Brot und Spiele nach der Erzählung von Siegfried Lenz, die in einer ganz anderen Zeit spielt. Der Protagonist Bert Buchner ist ein Mann, der vor der Vergangenheit flieht – ihm wird zugejubelt, solange er siegt, und keinen Moment länger. Ist Laufen heutzutage so populär, weil es die Chance bietet, vor etwas wegzulaufen?
Baumann: Nein. Überhaupt nicht. Ich glaube sogar eher: Er läuft zu sich. Ich glaube, dass sehr viele Menschen beim Sport, besonders beim Laufen, eine innere Ruhe finden. Sie finden zu sich, und sie finden Abstand. Grenzen sich dadurch auch einmal für eine halbe Stunde ab. Von dem, was im Alltag passiert.
Biografische Bezüge zu Ihrer Läuferkarriere sind in Ihrer Aufführung nicht zu leugnen, oder?
Baumann: Schon zu Jugendzeiten hat mir ein Läuferkollege dieses Büchlein geschenkt. Als ich dann mit der Kleinkunst angefangen habe, dachte ich, ich kann das auch so umschreiben, dass es für die Bühne passt. Unter dem Aspekt probieren, auch scheitern können, denn ich habe ja fünf unterschiedliche Rollen in dem Stück übernommen. Das war eine Auseinandersetzung mit mir, mit meiner Karriere, meiner Vergangenheit, und das hat mir sehr gut getan. Teilweise schwang dann auch meine Biografie mit.
Wie kommt es beim Publikum an?
Baumann: Der Zuschauer weiß nicht immer genau: Ist er noch bei Buchner oder bei Baumann. In einigen Momenten überlappen sich die Szenen mit meiner Karriere. Das kann ich nicht verhindern, das ist das Spannende.
Sind Sie ein anderer Mensch auf der Bühne?
Baumann: Ich bin dort der Bühnen-Baumann. Ab und zu kommt einer der mich kennt und sagt: Mensch, du bist da aber ganz schön arrogant. Dem sage ich: Dann habe ich alles richtig gemacht. Ich kann auf der Bühne plötzlich Dinge überziehen, die ich im richtigen Leben gar nicht machen würde.
Früher bei Trainingslagern waren Sie bekanntermaßen der Spaßvogel der Gruppe. Das Showtalent liegt also in Ihrer Natur, oder?
Baumann: Zweifellos.
Wie würden Sie das bezeichnen, was Sie auf der Bühne machen?
Baumann: Es gibt keine Begrifflichkeit für mein Genre, ich will auch keine.
Ihr jüngstes Stück heißt „Dieter Baumann, die Götter und Olympia“. Wie oft haben Sie das schon gespielt?
Baumann: 50-60 Mal im ersten Jahr. Was nicht viel ist. In der Kleinkunst-Szene werde ich damit belächelt. Damit bin ich noch nicht einmal Halbprofi.
Darin werden auch Missstände mit Blick auf die kommenden Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro kritisiert …
Baumann: Absolut. Bei Brot und Spiele habe ich gemerkt, dass ich ernsthaftes Theater mache. Das hat mit Comedy nichts zu tun. Es ist eine gespielte Lesung. Es gibt nur einen Witz, den ich ganz am Anfang einbaue. Aber mir war klar, ich muss wieder eine Mischung machen aus Ernsthaftigkeit und Lachen.
Ist das schwergefallen?
Baumann: Ach was. Die aktuelle Sportpolitik ist doch eine Steilvorlage. Was die Jungs mir anbieten, baue ich in mein Stück ein. Derzeit schleife ich einen neuen Sketch zu Russland – Thema Doping und Korruption.
Verraten Sie schon etwas?
Baumann: Ist doch ganz einfach: Die Realität ist schon Kabarett. Man braucht sie nur zu erzählen. Wie die ARD-Dokumentation belegt hat, ist die Frage doch: Kaufe ich mir eine positive Dopingprobe oder nicht? Wenn ein Schutzgeld zurückgezahlt wird, weil die Vertuschung nicht geklappt hat, dann ist das besser als bei der Mafia. Das ist FairPlay im Sport.
Das war jetzt die Ironie aus Ihrem Stück, oder?
Baumann: Genau. Und dann schmeißt man ein bisschen mit Geld um sich. Geld rumschmeißen ist sowieso gut, weil Doha kriegt zurzeit ja alles bis hin zur Fußball-WM. Die Sachen sind in Wirklichkeit natürlich leider nicht lustig, auch wenn ich sie lustig erzähle.
Am Ende ist der Zuschauer also eher nachdenklich als erheitert?
Baumann: Nebenbei erzähle ich launische Geschichten aus dem olympischen Dorf. Das ist spannend, weil das Leben dort ja keiner kennt, nur die Sportler. Und da bin ich dann bei der Verarbeitung des nächsten Teils meiner Karriere.
Auf deren Höhepunkt Sie als Autor des Buches „Ich laufe keinem hinterher“ ihre kreative Seite schon zeigten. 1995 schrieben Sie darin: „Baumann gedopt. Welch eine Schlagzeile. Welch eine Auflage. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde die halbe Welt nur darauf warten.“
Wie oft haben Sie die Buchpassage in der schweren Zeit nach Ihren positiven Dopingproben aufgeschlagen?
Baumann: Kein einziges Mal, aber ich weiß noch, dass ich es aufgeschrieben habe.
Wie konnten Sie das so genau beschreiben, was sich vier Jahre später zugetragen hat?
Baumann: Ich gebe eine kleine aktuelle Anleitung. Es gibt jetzt einen Olympiasieger und Weltmeister, der ja auch schon seine Angst vor einem Anschlag geäußert hat: Unser Diskuswerfer Robert Harting. Wer in der Sportszene drin ist, setzt sich mit der Thematik auseinander. Man hat dann ein gewisses Feeling für das, was möglich ist. Warum kommt Robert Harting auf die Idee? Das ist nicht aus der Luft gegriffen.
Schmerzt es heute noch, dass Ihr Name häufiger in Zusammenhang mit der Zahnpasta genannt wird als mit dem Olympiasieg 1992?
Baumann: Das empfinde ich nicht so und ich glaube auch nicht, dass es stimmt. Offen und ehrlich: das interessiert mich alles gar nicht.
In einigen Online-Rangfolgen von Doping-Ausreden kursiert ihre Erklärung mit der manipulierten Zahnpasta aber auch 15 Jahre später noch weit oben …
Baumann: Selbstverständlich nehme ich das wahr, ich bin ja nicht weltfremd. Ich kann aber nur den Kopf über Listen der so genannten dummen Ausreden schütteln, die keinerlei Tatsachen aufzählen. Es geht um Dinge, die passiert sind. Und nicht um die Frage, ob man mir glaubt oder nicht.
Gehen die Medien nach wie vor zu undifferenziert mit dem Doping-Thema um?
Baumann: Vieles hat sich zum Positiven verändert. Die Berichterstattung zum Fall der Skilangläuferin Sachenbacher-Stehle ist der Beweis dafür, dass sich bei den Medien der Blick geändert hat.
Nochmals: Sie müssen aber doch schwer unter Ihrem Doping-Schuldspruch gelitten haben?
Baumann: Dass es eine verrückte und wahnsinnige und auch sehr schmerzhafte Zeit war, ist ja völlig klar. Das muss man nicht erklären.
Wann war die durchgestanden?
Baumann: Nach vier bis fünf Jahren, wobei ich sehr schnell meine Energie in die Zukunft gesteckt habe.
Sie haben das Thema irgendwann abgehakt. Claudia Pechstein hat jahrelang um ihre Rehabilitierung gekämpft.
Baumann: Ich ziehe den Hut davor, was Claudia Pechstein macht. Die Sportszene wird irgendwann dafür dankbar sein. Sie kämpft mit einer unglaublichen Energie, allerdings ist diese Energie rückwärtsgewandt. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte das auch so getan, dann fände ich das schade für mein Leben. Ich finde, das Leben hat andere Facetten verdient. Jeder soll sein Glück suchen, insofern habe ich damals sehr schnell erkannt, ich muss aus diesem ganzen Prozess raus. Ich wusste für mich: ich muss die Zukunft gestalten.
Mit 37 Jahren die Karriere beendet zu haben, halten Sie auch im Rückblick für die richtige Entscheidung?
Baumann: Es war sogar ein Jahr zu spät. Ich hätte schon 2002 nach der EM-Silbermedaille von München aufhören müssen. Im Winter danach war ich verletzt, und dann kommst du als 38-jähriger da nicht mehr hin. Wenn du zweimal drei Monate raus bist, dann ist es vorbei.
Sie engagierten sich während Ihrer aktiven Zeit vehement gegen Leistungsmanipulation, manche sahen Sie als möglichen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes oder an der Spitze der Dopingbekämpfung. Wären Sie ohne die positiven Dopingtests Funktionär geworden?
Baumann: Ich habe doch einen tollen Funktionärs-Job – den auf der Bühne! Ich glaube, da kann ich sogar viel mehr gestalten, als ich das in einer Institution könnte.
Aber Sie hatten doch bestimmt mal den Gedanken: Was wäre wenn?
Baumann: Das halte ich für die falsche Lebensstrategie. Das Leben verläuft auf unterschiedlichen Pfaden. Es kommt eine Wegkreuzung, du entscheidest: links oder rechts. Ich gehe nicht zurück, um zu überlegen, wäre der andere Weg besser gewesen. Das finde ich zu mühsam. Ich bin gespannt auf die nächste Weggabelung, die kommt. Aber selbstverständlich gönne ich mir manchmal einen Blick zurück.
Und was kommt dabei heraus?
Baumann: Vor zwei Jahren habe ich tatsächlich einmal die Frage gestellt: Was wäre gewesen? Interessanterweise bin ich zu der Überzeugung gekommen, es wäre nicht viel anders gelaufen. Wahrscheinlich hätte ich die Funktionärslaufbahn eingeschlagen. Und wahrscheinlich wäre ich gescheitert. Ich kann das doch gar nicht. Ich bin kein Meeting-Mensch. Finde es absurd, dass man wegen jedem Zeug eine Sitzung machen oder eine Kommission einberufen muss. Jeder darf dann etwas dazu sagen. Es wird vertagt, und man hat doch keine Entscheidung. Ich liebe es, schnell zu entscheiden. Klar mache ich viele Fehler. Aber Fehler machen gehört für mich dazu.
Welche Fehler werden aktuell in der Dopingbekämpfung begangen?
Baumann: Im Anti-Doping-Kampf habe ich schon als Athlet die Meinung vertreten: Eine Anti-Doping-Instanz innerhalb des Sports kann nicht funktionieren. Sich selbst kontrollieren: Das geht natürlich nicht. Und vor allem: Man glaubt es nicht.
Was wäre die Alternative?
Baumann: Ganz klar die staatliche Kontrolle. Irgendjemand muss den Sport kontrollieren. Es ist nicht einsehbar, dass Monopolisten wie das IOC oder die IAAF höherrangig bewertet werden als Gesetze. Die aktuelle Form der Sportgerichtsbarkeit ist spätestens nach dem Skandal um Russland gescheitert. Wenn klar wird, so wie es die Reportage von Hajo Seppelt in der ARD gezeigt hat, dass man positive Proben kaufen kann und dass diese Korruption bis in höchste Funktionärskreise hochreicht, dann gibt es das wohl kaum nur in Russland. Die These, der Sport müsse seine Schiedsgerichte selbst stellen, ist komplett Kokolores. Das ist ein Scheingefecht, wenn man nicht kontrolliert werden will.
(Auszüge aus einem am 7.2.2015 im „Bonner Generalanzeiger“ erschienenen Interview. Weitere Gespräche mit Sportlern, Trainern und Funktionären aus allen Sportbereichen sind auf der Website der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de nachzulesen.
Weitere Fotos von Holger Teusch zu diesem Interview sind unter www.ga-bonn.de/baumann anzuschauen.)