Treffs mit Leichtathleten

Die Regensburger Läuferin Franzi Reng. Als Journalistin beim Frankfurt-Marathon unterwegs.

Manchmal zahlt es sich aus, wenn man auf Facebook befreundet ist. Seit einigen Wochen gehört die Langstreckenläuferin Franzi Reng (LG Telis Finanz Regensburg) zum großen Kreis meiner Freunde. Gesprochen habe ich bisher  mit der Regensburgerin noch nicht, sondern nur aus der Ferne ihre bisherige Laufkarriere verfolgt.

Nun aber stieß ich durch Zufall auf eine Geschichte, die Franzi Reng zum diesjährigen Frankfurt-Marathon ( 30. Oktober 2016) geschrieben und auf  www.larasch.de  veröffentlicht hat.

Larasch.de, davon hatte ich bisher nichts gehört. Dabei ist dieser Internetdienst schon seit Mai 2014 im Netz.

„Larasch hat es sich zur Aufgabe gemacht, für mehr Transparenz im Ausdauerbreitensport zu sorgen. Dafür recherchiert unser Team in der Szene und trägt Veranstaltungsdaten, Ergebnislisten und GPS-Tracks für die Disziplinen: Laufen, Radfahren, Schwimmen, Skaten, Skilanglauf, Triathlon, Aquathlon und Duathlon zusammen. Jeder kann uns dabei unterstützen! Als Resultat unserer gemeinsamen Arbeit erhältst Du umfangreiche Analysen, übersichtliche Informationen und tolle Bilder deines Hobbies in einem Portal.

So werden die Ziele von larasch.de  beschrieben. Und der Chef Dirk Lange ist sehr kommunikativ und hat mir recht schnell gestattet, die von Franzi Reng geschriebene Geschichte „Medien-Marathon“ zu veröffentlichen.

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Franziska Reng stellt sich bei larasch.de  selbst so vor:

„ Ich bin Franzi, eine 20-jährige Läuferin auf dem Weg zum Marathon. Bisher standen bei mir vor allem Langstrecken bis zum Halbmarathon im Fokus, ich möchte mich nun aber auch endlich auf die „Königsdisziplin“ wagen. Vielleicht ist es ja schon bald so weit …  Wenn ich gerade nicht trainiere, arbeite ich als Journalistin und studiere an der Universität Regensburg.“

Und wie sie schreibt, kann man im Folgenden nachlesen:

Medien -Marathon

Der Frankfurt Marathon 2016 ist Geschichte. Die Teilnehmer haben bis zur Ziellinie alles gegeben – unzählige Siegerfotos, Videos und Berichte dokumentieren ihren Erfolg. Doch was ist auf der anderen Seite der Linse passiert?

Es ist Freitag, elf Uhr vormittags. Im „Matterhorn“ herrscht buntes Treiben: Eilig werden Broschüren, Flyer und Kugelschreiber an die vielen Tische des großzügig eingerichteten Tagungsraumes verteilt. Vorne werden Leinwände aufgebaut, hinten Kaffeekannen gefüllt. Bedienstete in Uniform des Mövenpick-Hotels schieben Wägen herum, tüfteln an der Beleuchtung, überprüfen die Tontechnik.
Währenddessen strömen immer mehr Leute mit großen Taschen und Kameras in den Raum. Sie verteilen sich auf die Tischreihen, manche wollen ganz vorne sitzen, andere beobachten das Geschehen lieber von den hinteren Plätzen aus. Schreibzeug wird hervorgekramt, hier und da wird noch in gedämpfter Lautstärke geplaudert – das Ganze hat schon fast etwas von einer Klassenarbeit: Auf dem Tisch ein Packen Papierkram und Schreibmaterial, dazu Essen und Getränke, um den grauen Zellen im Zweifelsfall einen kleinen Energieschub zu verleihen. Sogar die Stimmung ist ähnlich aufgewühlt: Wann geht es denn nun los? Wir haben ja schon nach elf, wann kommen die denn…?

Nach und nach erscheinen endlich ein paar Herren im Anzug, zuletzt gesellen sich noch ein paar schlanke, meist dunkelhäutige Leute in Trainingsanzügen dazu –

dann werden endlich die Türen geschlossen und das Licht gelöscht.
Ein stimmungsvolles Trailer-Video wird abgespielt und jeder, der bisher noch nicht so ganz im Bilde war, was hier abläuft, weiß spätestens jetzt Bescheid: Der Frankfurt Marathon steht bevor. Willkommen auf der Pre-Race-Pressekonferenz.
Das Video zeigt eindrucksvoll: Alles ist angerichtet, die letzten Vorbereitungen sind abgeschlossen, es kann losgehen! Der Veranstalter verspricht ein mindestens so packendes Event wie im letzten Jahr.

Sobald das frisch entworfene Marathon-Logo mit neuem Namenssponsor auf der Leinwand verschwunden, die mitreißende Musik verklungen und die Beleuchtung wieder eingeschalten ist, zückt ein Großteil der Anwesenden sofort mindestens eine Kamera, wenn nicht gleich zwei oder drei. Egal wer der Funktionäre nun der Reihe nach die kleine Bühne betritt – sie alle werden hundertfach abgelichtet. Von Videogeräten, Spiegelreflex, einfacher Digicam, bis hin zu Smartphones ist alles dabei.

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Die Fotografen drängen sich um die Tribüne der Pressekonferenz (Foto: Franzi Reng)

 

Ein Fotograf platziert sein Stativ in ausgezeichneter Position direkt vor seinem Nebenmann, der nächste blendet den Moderator auf der Tribüne mit seinem Blitzlicht, sodass er gequält seine Augen zusammenkneifen muss, wieder jemand anderes erhebt sich und vollführt, statt brav wie ein Schuljunge in der Bank zu sitzen und Notizen zu machen, vor den Sprechern wahrliche Kunststücke. Alles, nur um aus der besten Perspektive eine besonders ausgefallene Nahaufnahme zu bekommen. Ja, manchmal kann man es schon verstehen, warum die „Pressefritzen“ ein oft nur widerwillig geduldetes Völkchen sind.

Aber es ist nun mal ein Geben und Nehmen: Die Einen hoffen auf Informationen und interessante Details für die mehr oder weniger große Leserschaft. Die anderen wünschen sich gute Berichterstattung, positive Meinungen und Werbung für das eigene Event.
Darum scheut man auch keine Mühe, allen Journalisten einen herzlichen Empfang zu bereiten und nach Begrüßungsreden, Erklärungen zu ausführlichen Berichten, angeleitet durch den Moderator, noch genügend Zeit für die neugierigen Fragen aus dem Publikum zu lassen.

Viel gibt es dann aber gar nicht mehr zu klären. Nur ein Kollege aus den Niederlanden nutzt die Gelegenheit, um detaillierte und kompliziert formulierte Fragen zu stellen. Die meisten quittieren seinen Auftritt mit einem müden Lächeln. Der Kollege ist bekannt, fährt jedes Jahr dieselbe Strategie. Und irgendwie ist man ja froh, dass es jemanden gibt, der sich anscheinend noch eigene Gedanken macht und nicht nur stur reproduziert, was ihm an Input auf dem Servierteller dargeboten wird.

Die spannendsten Geschichten schreiben sich ja dann doch nicht nach den steifen Pressekonferenzen, sondern eher wenn man ganz ungezwungen beisammensitzt. Und selbst dafür ist beim Frankfurt Marathon gesorgt: Mit einer Get-Together-Party am Abend. Hier sollen Organisatoren, Athleten und – natürlich – Medienvertreter bei einem gemeinsamen Abendessen ins Gespräch kommen. Für angenehme Rahmenbedingungen ist durch die Mövenpick-Hotelküche gesorgt. Ein Journalist, der selten Nein zu Verpflegung sagt, die er nicht extra auf die Spesenabrechnung schreiben muss, fühlt sich hier wie im Schlaraffenland: Der Sekt fließt in Strömen, der Schokoladenbrunnen sprudelt und spätestens mit einer Kugel Eis kommt sogar dem sonst so seriösen Jo Schindler schon mal der ein oder andere Spaß über die Lippen.

Das Zusammentreffen endet nicht, bevor der neue Tag beginnt – erst recht nicht für die Fotografen, die selbst nachdem die Quelle des Schokoladenbrunnens versiegt ist, noch eine Sonderschicht im Büro schieben: Die Aufnahmen des Abends sollen schließlich gleich online gehen.

Es ist Samstag, zehn Uhr vormittags. Der Ort des Geschehens hat sich nach draußen auf den Messeplatz verschoben. An der Startlinie steht das Aufgebot des vermutlich hochkarätigsten Spaßlaufs in Deutschland: Arne Gabius, Irina Mikitenko, Herbert Steffny – alle drei sind bester Laune und winken in die Kamera, als der Startschuss zum Brezellauf fällt.

Begleitet von Videokameras, Fotografen auf Motorrädern und einer laufenden Reporterin bahnt sich die Menge den Weg durch Frankfurts Straßen. Im Ziel gibt es Medaillen und Brezen* für alle (*die Autorin erlaubt sich, aufgrund ihrer süddeutschen Heimat, die bayerisch-/österreichische Variante des Wortes „Brezel“ zu benutzen). Und nicht zu vergessen: Fotos. Als ob die vielen Selfies nicht schon genug wären.

Wer sich in diesen Tagen rund um das Marathon-Gelände bewegt, läuft quasi ununterbrochen Gefahr von einer der vielen Kameras abgelichtet zu werden, für Videoteams ein Interview geben zu „müssen“ oder ganz unabsichtlich durch das Bild eines Live-Streams zu huschen. Die Medienpräsenz ist enorm und doch lässt sich eines ganz klar feststellen: Hier handelt es sich vor allem um regionale Pressevertreter oder um Organe der ohnehin geballt auftretenden Laufszene. Von überregionalen Sendern bleibt der älteste Stadtmarathon Deutschlands weitestgehend unbeachtet und auch alles was nicht mehr in den Einsatzbereich des hessischen Rundfunks fällt, scheint sich nicht mehr sonderlich für das Frankfurter Geschehen zu interessieren. Die Marathonszene feiert in diesen Tagen ein riesengroße Party – und bleibt dabei trotzdem irgendwie unter sich.

Es ist Sonntag, neun Uhr vormittags. Wenn man jetzt durch die Straßen rund um das Messegelände geht, trifft man nur noch Menschen in Sportkleidung mit diesen großen Beuteln behängt. Jeder, der nicht Laufschuhe oder Anfeuerungsinstrumente trägt, ist Polizist oder Strecken-Posten mit Warnweste.
An der Friedrich-Ebert-Anlage zentriert sich das Geschehen: Hier lässt sich neben den soeben genannten Spezies sogar noch ein weiterer Typ Mensch antreffen: Die Medienleute. Moderatoren heizen das Publikum an und motivieren die Läufer, dazu dröhnt Musik aus den Lautsprechern. Auf der Medien-Tribüne drängen sich Journalisten.

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Sein oder nicht sein – alles eine Frage der Akkreditierung (Foto Franzi Reng)

 

Ganz vorne steht aber allein ein Stativ mit Smartphone-Halterung, das Übertragungsgerät für den Live-Stream. Sieht irgendwie mickrig aus. Trotzdem wird es wie ein Goldschatz bewacht: Wer sich ihm auch nur auf einen halben Meter nähert, wird verärgert zurückgedrängt. Überhaupt herrscht hier oben eine ziemlich beengte Stimmung. Man merkt sofort, wie unerwünscht man ist. Zugangsberechtigung hin oder her. Fünf Minuten vor dem Start lässt der Hessische Rundfunk sogar die Treppe der Tribüne räumen. Der Pressesprecher des Veranstalters schüttelt den Kopf. Er ist hier der mit Abstand unaufgeregteste Mensch. Nicht ärgern, nur wundern.

Im Ziel gibt es ähnliche Szenarien. Sobald sich die Sieger der Festhalle nähern, versucht jeder Fotograf, sich so gut wie möglich hinter der Gitterabsperrung zu postieren. Nur wenige dürfen sich überhaupt davor aufhalten. Und wenn mal wieder einer von diesen hochprivilegierten Organisatoren durchs Bild latscht, ertönt sofort genervtes Stöhnen. Dann überquert der erste Marathoni die Ziellinie. Es regnet Konfetti, das Publikum jubelt, Blitzlichtgewitter. Perfekte Inszenierung für perfekte Bilder. „Mark look here“ „Mark please smile to me“ Schnell wird dem überanstrengten Sieger noch ein Handtuch des Sponsors übergeworfen, er bekommt Hände geschüttelt, wird umarmt und für Interviews herumgereicht.

Das Prozedere wiederholt sich noch ungefähr zehn mal. Dann sind die wichtigsten Kandidaten im Ziel, die Siegerehrungen sind abgehalten und die meisten machen sich auf ins Pressezentrum im Hotel. Nun gilt es, Material zu sichten und erste Berichte zu verfassen. Die werden in den Online-Medien, einigen Tageszeitungen und den regionalen Rundfunk-Anstalten zu lesen und zu sehen sein. In der großen Tagespresse wird Frankfurt wohl eher nur eine schmale Seitennotiz wert sein, außerhalb von Hessen und den Heimatorten der Sieger wird das Event vernachlässigt werden. Es ist und bleibt kein breit aufgestelltes Spektrum der Medienvertreter, sondern ein Zirkel an ähnlichen und teils auch konkurrierenden Organen. Demensprechend eifrig wird nun im Pressezentrum gearbeitet.

Für die restlichen Läufer, die währenddessen ihren ganz persönlichen Erfolg, das Marathon-Finish, feiern, bleibt gerade mal noch eine Handvoll Fotografen und Reporter vor Ort, hauptsächlich für den Veranstalter im Einsatz. Die Moderatoren machen aber weiter einen großartigen Job und werden nicht müde, auch die letzten Ankömmlinge bei ihrem Einlauf in der Halle euphorisch zu begrüßen, selbst wenn die Zahl der Zuschauer und Kameras exponentiell abnimmt. Die Zielfotografen geben sich weiterhin Mühe um gute Aufnahmen, auch wenn sie vor Durst schon fast mit der Zunge auf dem roten Teppich kleben. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn. Ob es ihr eigener ist, oder der von unzähligen glücksdurchströmten Finishern, die ihnen im Siegestaumel um den Hals fallen, wissen sie nicht mehr.

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Zielfotograf Frank lichtet unermüdlich die jubelnden Finisher ab (Foto: Franzi Reng)

Ist man wie Frank Depping, der mit seiner Kamera in der Festhalle wartet, bis auch der letzte Teilnehmer das Ziel erreicht, nicht das erste Mal dabei, weiß man, worauf man sich einlässt: Es ist nun mal ein Marathon. Ein Kraftakt, bei dem jeder an seinen Grenzen geht. Nicht nur die unzähligen Läuferinnen und Läufer. Sondern auch alle Mitarbeiter der Medien, die Berichterstatter, die Fotografen und Kamerateams.

Die kleine Reporterin aus Regensburg, die in diesem Jahr zum allerersten Mal dabei sein durfte, weiß das jetzt auch – und ist überglücklich, als sie nach drei anstrengenden Tagen sogar (dank Zeitumstellung!) noch kurz vor Mitternacht ihre bayerischen Heimat erreicht. Sie legt sich sofort ins Bett, ist todmüde. Ein paar Mails, die in den letzten Tagen durch den Marathon-Trubel unbeachtet geblieben sind, muss sie vor dem Schlafen trotzdem noch schnell beantworten. Dazu hört sie noch ein bisschen Radio, B5aktuell, um fünf vor zwölf kommen hier immer noch einmal die Sportnachrichten.
Und plötzlich klingt die Stimme von Mona Stockhecke aus dem kleinen Gerät neben ihr: „Mein Kreuz schmerzt. Meine Füße haben einige Blasen und ich spreche ein wenig langsam. Aber insgesamt bin ich überwältigt.“ – Die Reporterin auch: Der Frankfurt Marathon hat es heute also doch noch von Hessen bis in den Süden, in die Studios des Bayerischen Rundfunks geschafft!

Franzi Reng  (veröffentlicht bei  www.larasch.de)

 

Matthias Bühler – ein Hürdensprinter aus Leidenschaft

Matthias Bühler Iris

Matthias Bühler nach seinem Erfolg bei der DM 2016 in Kassel (Foto: Iris Hensel)

Hürdensprinter Matthias Bühler sammelt Deutsche Meistertitel wie andere Briefmarken. Sechsmal gelang ihm das bisher. Bei Olympischen Spielen war er zweimal am Start, in London 2012 und jetzt 2016 in Rio de Janeiro.  Doch nur dabei sein ist für den 1,89 m  großen Athleten aus der Gemeinde Haslach im Kinzigtal nicht ausreichend. Er will ganz vorn in der Weltelite mitmischen.

Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro sollte es diesmal klappen, mindestens bis ins Halbfinale wollte er sich vorkämpfen. Sogar das  Finale lag für ihn im Bereich des Möglichen. Immerhin kann er auf eine Bestzeit von 13,34 s  verweisen. Doch für eine solche Zeit (oder noch schneller) muß alles zusammenpassen. Zunächst die eigene Fitneß, sprich: gesund muß er sein. Dann sollten auch die äußeren Bedingungen ansprechend sein. Beides aber traf diesmal für Matthias Bühler nicht zu.

Rio 2016 für Homepage

Sein olympischer Vorlauf war für Mittwoch, den 17. August, abends 20.40 Uhr Ortszeit angesetzt. Diese späte Zeit war nicht das Problem, sondern der Rücken: „ Ich hatte leider extreme Rückenprobleme und daher war es für mich schon beim Aufwärmen schwierig, richtig aus dem Block zu gehen, mich voll zu belasten. Hinzu kamen die schlechten Witterungsbedingungen. Es nieselte schon vorher immer, aber kurz vor dem Lauf setzte der Starkregen ein.“

Matthias Bühler im Regenvorlafu von Rio

Im Regen von Rio

Trotzdem wollte er alles geben. „  Man muß in einer solchen Situation positiv denken. Ich habe versucht, mit Hilfe des Adrenalinschubs, den man natürlich in einem solchen Stadion bekommt, den Schmerz zu unterdrücken. Das hat dann mehr oder weniger funktioniert, ich bin eine 13,82 s gelaufen.“  Aber das war zu wenig, wenn man berücksichtigt, daß Matthias Bühler in den letzten beiden Jahren bei den Höhepunkten  zwischen 13,30 s bis 13,40 s gelaufen ist.

Doch dann gab es plötzlich noch einen Hoffnungsschimmer. Weil die Athleten der beiden ersten Vorläufe durch den Starkregen besonders benachteiligt wurden, gab man acht Läufern, die eigentlich schon ausgeschieden waren, eine neue Chance. Für sie wurde ein neuer Lauf angesetzt. „ Es war dann bereits 23.15 Uhr geworden“, erinnert sich Matthias Büchler. „ Es war sehr, sehr spät. Wir waren völlig durchnäßt, besonders meine Spikes und mein Trikot. Und dann kurz vor Mitternacht nochmals rauszugehen, war für mich echt heftig.“ So war es dann kein Wunder, daß er  diesen Strohhalm nicht festhalten konnte, mit 13,90 s noch langsamer lief. „ Das hat mich dann natürlich schwer mitgenommen.“ Und seine Stimmung besserte sich in den Tagen danach auch nicht mehr. „ Für mich war Rio ein absoluter Albtraum“, erklärt er.

„ Ich habe mich Jahre darauf vorbereitet, bin nach Amerika, habe viel investiert, meine ganzen Ersparnisse, alles, was ich in meinem Leben zusammengekratzt habe, ausgegeben, um optimal vorbereitet zu sein. Und wenn dann eine Verletzung dazwischen kommt, dann ist das mehr als ärgerlich“.

Dieses Negativerlebnis zog ihn umso mehr herunter, weil er sich als  „ Sportler aus Leidenschaft bezeichnet.  „ Ich hänge unheimlich am Sport. Ich mag es, jeden Tag an mein Limit zu gehen, Erfolge zu feiern, international durchzustarten.“ Nur so gelingt es ihm auch, sich nach Niederlagen wieder zu motivieren.

In Offenburg mit 18 Jahren erstmals über die Hürden

Begonnen hatte diese Leidenschaft schon mit sieben Jahren.  „ Zunächst war ich beim Turnen und habe auch etwas Fußball gespielt. Immer schon hatte ich mich gern bewegt. Als mich mein Nachbar fragte, ob ich nicht Lust hätte, zum Leichtathletik-Training mitzukommen, sagte ich zu.“ Die nächsten Jahre bis zum 17. Lebensjahr betrieb er Breitensport, trainierte zwei- bis dreimal auf der Aschenbahn seiner Heimatstadt Haslach. An Hürden war damals noch nicht zu denken. Doch er entwickelte seine Sprintfähigkeit, „ über 100 m bin ich damals bereits an die 11,0 s herangelaufen, später 2008 war ich bei 10,52 s angekommen.“ Und die entscheidende Wendung kam, als er 2011 nach Offenburg in die leistungsstarke Trainingsgruppe von Wilhelm Seigel wechselte. Mit dessen Sohn Quentin Seigel gab es dort auch einen starken Hürdenläufer, der bereits mehrmals deutscher Jugendmeister geworden war und der heutzutage über die 400 m Hürden unterwegs ist.

„ Das war dann meine erste Begegnung mit dem Hürdenlaufen. Da war ich 18 Jahre. Ich habe dann vier Jahre benötigt, um mich von einer Zeit von 15,50 s über 110 m Hürden auf 13,36 s zu steigern.“

Matthias Bühler hatte aber in dieser Zeit nicht nur den Sport im Kopf, sondern auch seine berufliche Zukunft. So erlernte er in seinem Heimatort Haslach den Beruf eines IT-Systemkaufmanns ( IT-Kaufleute beraten die Kunden, um für sie die passende IT-Lösung zu finden, d.h. sie planen und realisieren Informations- und Telekommunikationssysteme. Sie sind oft für den für den Einkauf von Hard- und Software verantwortlich und leiten Projekte in kaufmännischer, technischer und organisatorischer Hinsicht / P.Gr.).

Mit 21 Jahren hatte er die Lehre abgeschlossen. Mit seinen Eltern beriet er nun, wie es weitergehen sollte. Und seine Eltern sagten ihm jegliche Unterstützung zu, damit er sich weiterhin voll auf seinen Sport konzentrieren konnte.

Und hier beginnt das eigentliche Dilemma im heutigen Leistungssport. Wie finanziert man ihn? Versucht man die duale Karriere, d.h. Sport und Beruf gleichberechtigt laufen zu lassen?   Matthias Bühler hat dazu ein klare Meinung: „ Der Hochleistungssport ist so belastend, so fordernd, daß man auch genügend Zeit finden muß, um zu regenerieren,“ meint Matthias Bühler. „ Das ist meines Erachtens nicht möglich, wenn ich nebenbei noch arbeite. Sonst können eher Verletzungen entstehen oder vielleicht sogar ein Burnout.“

Trotzdem hat er es versucht, hat halbtags gearbeitet, und war auch einige Zeit bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr. „Generell  finde ich die Förderung durch die Bundeswehr oder auch die Bundespolizei eine gute Sache“, läßt er keine Zweifel aufkommen. „ Vor allem für die Athleten, die  es machen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen.“  Aber wenn er es mit den Bedingungen vergleicht, unter denen in seiner Trainingsgruppe in Amerika trainiert wird, dann erkennt er doch große Unterschiede, sieht einfach keine Chancengleichheit: „ Wenn ich etwa im Herbst  meinen Soldatendienst oder andere den Polizeidienst ableisten müssen, trainieren meine amerikanischen Kollegen schon voll und haben damit einen gehörigen Vorsprung“.

Da wünscht sich Matthias Bühler eben eine staatliche Unterstützung, wie sie etwa in Großbritannien oder Frankreich gewährt wird. Aber er weiß auch, daß das im Moment Wunschdenken ist. Und je länger man sich mit ihm unterhält, erkennt man, wie tief dieses Problem „ Wie finanziere ich meinen Sport“ ihn umtreibt.  Wie aber mag es den vielen anderen Athleten ergehen, die noch nicht,  wie Matthias Bühler, zumindest in der nationalen Spitze angekommen sind und noch nicht an die Tür zur Weltspitze anklopfen?

Für Matthias Bühler änderte sich vieles, als er im Jahre 2012 auf der Abschlußparty des ISTAF in Berlin den Deutsch-Amerikaner Andreas Behm kennenlernte und erfuhr, daß dieser Trainer in den USA ist. „ Wir haben uns lange unterhalten und danach rotierte es in meinem Kopf.“

Ich bin dann mal weg nach Amerika

Der Kontakt blieb und 2013 ergab sich dann für Matthias Bühler eine Chance, als Andreas Behm nach Phönix im US-Staat Texas umzog und  dort gemeinsam mit anderen Trainern ein Trainingszentrum etablierte. Bühler fragte an, ob dort eine Vollzeitbetreuung möglich sei, was bejaht wurde. „Ich überlegte einige Tage, ob ich alle meine Ersparnisse dafür einsetzen könnte  und zusätzlich noch von meinen Eltern Unterstützung bekommen würde. Als das geklärt war, habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Amerika geflogen.“

 

Tägliches Training mit Aries Merritt

Matthias Bühler  Merrit, Bühler, Behm

Aries Merritt, Matthias Bühler  und Trainer Andreas Behm (von links)

 

Matthias Bühler kommt schnell ins Schwärmen, wenn er von seiner Trainingsgruppe in den USA erzählt. Und er zählt einige Athleten auf, mit denen er trainiert.  Allen voran  Aries Merritt, der 2012 in London Olympiasieger wurde und kurz danach in Brüssel mit 12,80 s einen neuen Weltrekord aufstellte. „ Mit Aries bin ich so gut wie immer zusammen, alle Technikeinheiten absolvieren wir gemeinsam“, berichtet er. Und deshalb war er auch voller Sorge, als für seinen Trainingskumpel am 1. September 2015 eine Nierentransplantation notwendig wurde. Doch das verlief komplikationslos, Aries läuft wieder fast wie in alten Zeiten. Nur daß seine 13,22 s nicht ausreichten, um sich in den USA für Olympia zu qualifizieren.

Matthias Bühler Hurdle Crew complte

„Zu unserer Hürdentruppe gehören 8 Athleten, neben Aries Merrit auch Mikel Thomas (Trinidad Tobago), der eine 13,19 s zu stehen hat und Wayne Davis,  der bereits 13,20 s lief.“ Stuart McMillan ist mein Kraft- und Sprinttrainer und Andreas Behm für die Hürdentechnik zuständig. Beide arbeiten eng zusammen und in der Vorbereitung und während der Saison habe ich  auch oft mit absoluten Topsprintern zu tun, die über 100 m unter 10 Sekunden und über 200 m unter 20 Sekunden laufen können.“ Er nennt als Beispiele Ameer Webb (USA), der über 200m schon 19,85 s gelaufen ist und vor allem den Kanadier  Andre de Grasse, der aus Rio drei Medaillen mitbrachte.  Zunächst über 100 m eine Bronzene hinter Usain Bolt und Justin Gatlin, dann über 200 m eine Silberne hinter Usain Bolt und zum Abschluß mit der kanadischen Sprintstaffel nochmals eine Bronzene.

Bolt Semi 200 m Zwiegespräch

Zwiegespräch zwischen Andre de Grasse und Usain Bolt im Halbfinale über 200 m (Foto: Olaf Brockmann)

 

Bolt Semi 200 m kurz vor Ziel

200-m-Finale von Rio: 1. Usain Bolt (19,78), 2. Andre de Grasse (20,02), 3. Christophe Lemaitre (20,12, nicht im Bild), 4. Adam Gemili (20,12)  (Foto: Olaf Brockmann)

„ Für mich ist der Aufenthalt in den USA  der einzigste Weg, in die Weltspitze zu kommen und mich weiterzuentwickeln, denn wir haben eben dort Trainer, die mit Medaillenkandidaten und absoluten Weltklasseathleten umgehen können und das schon seit Jahren.“

Matthias Bühler hat aber auch bemerkt, daß in Deutschland seine Vorstellungen nicht überall geteilt werden. Spätestens, als er im Herbst 2015 auf Vereinssuche war. „ Oft wurde mir gesagt: Du trainierst ja in Amerika, das finden wir nicht so gut. Deswegen können wir Dich auch nicht in den Verein aufnehmen.  Da habe ich dann auch wieder einen großen Nachteil gehabt.“ Aber letztendlich fand er mit der TSG Weinheim einen neuen Verein, dem er zunächst einen Deutschen Meistertitel beschwerte.

Ich mag dieses Mann gegen Mann laufen

Es ist schon ein gewisses Phänomen, daß Bühler so viel Meistertitel geholt hat. Worin sieht er dafür die Basis? Hat das immer auch mit Nervenstärke zu tun? „  Es ist für mich persönlich nervlich immer eine große Anstrengung bei Deutschen Meisterschaften“ räumt Matthias Bühler ein. „ Und da braucht man natürlich das nötige Selbstbewußtsein. Und dann habe ich auch eine gewisse Kaltschnäuzigkeit, um unter einer Drucksituation gut zu laufen. Ich mag dieses Mann gegen Mann laufen, wo man dann seine Stärke ausspielen muß, nicht verkrampfen darf.“

Aber nur mit Nervenstärke geht es auch nicht. Da gehört auch eine gehörige Portion Talent dazu. Und das bringt Matthias Bühler mit, den vor allem die harten Rennen gegen den anderen Olympiateilnehmer von Rio, Gregor Traber, weitergebracht haben. Oft brachte er seine besten Leistungen beim Höhepunkt, und das nicht nur bei Deutschen Meisterschaften. Bei der EM 2014 in Zürich brachte ihn seine beste Jahresleistung von 13,39 s ins Halbfinale, und als bester Deutscher verpaßte er nur ganz knapp das Finale.

Matthias Bühler Letzigrund 2014

Matthias Bühler bei der EM 2014 in Zürich

 

Ähnlich war es 2015 bei der WM in Peking, als er sich in 13,35 s als Siebtschnellster der Vorläufe für das Halbfinale qualifizierte. Dort wurde er in einem stark besetzten Lauf hinter dem Franzosen Dmitri Bascou und dem US-Amerikaner David Oliver in 13,34 s Dritter. Nur neun Hundertstel-Sekunden fehlten ihm am Ende zum Einzug ins Finale.

Matthias Bühler Peking 2015   eins

Matthias Bühler WM 2015 Peking

Matthias Bühler bei der WM 2015 in Peking

 

„  Leider haben mir in diesem Jahr 2016 Verletzungen sehr zugesetzt. Zu den Deutschen Meisterschaften in Kassel war ich auch schon angeschlagen, aber es hat trotzdem in 13,44 s  zum Titel gereicht,  was mich selbst überrascht hat.“   Doch danach verschlimmerte sich die Verletzung, sodaß er sein olympisches Ziel verfehlte.

Aber den Mut verliert er trotzdem nicht. Dazu hängt er zu sehr am Hürdenlauf.

Obwohl, und da sind wir gegen Ende unseres Gespräches wieder beim leidigen Thema, dem Geld. „ Ich verdiene nicht genug, um mir Essen und Trinken kaufen zu können“, bringt er es vielleicht etwas überspitzt auf den Punkt. Und auf die Nachfrage, daß er ja mit zur Spitze gehöre, antwortet er fast resignierend: „ Ja, aber das bringt nichts. Das ist egal. Ich bekomme 200 Euro monatlich von der Sporthilfe. Der ganze Druck liegt dann eben auf den Vereinen, aber die sind auch nicht auf Rosen gebettet, haben immer weniger Geld, weil es auch für sie immer schwerer wird, Sponsoren zu bekommen. Die Vereine können also nicht mehr das Leben der Athleten finanzieren.   Dann bin ich auch teilweise auf den Verband angewiesen und der Verband unterstützt mich auch. Aber es ist eben nicht genug, um leben zu können. Die ganzen Jahre habe ich von meinen Ersparnissen gelebt und die sind jetzt aufgebraucht. Ich bin sozusagen wieder bei Null angelangt. Obwohl ich jetzt 30 Jahre alt bin, sechsmal Deutscher Meister wurde, zweimaliger Olympiateilnehmer bin, bei der EM Zürich Neunter wurde und bei der WM 2015 Elfter. Solche Erfolge bringen aber nichts, sie bringen mir finanziell nichts. Ich habe theoretisch nicht genug, um mir etwas zu essen kaufen zu können. Das ging bisher nur mit meinen Ersparnissen und der Unterstützung meiner Eltern. Mir geht es auch nicht um Reichtum,  sondern mein Ziel ist es einfach, vom Sport leben zu können, etwas zum Essen haben und die Miete bezahlen zu können.“

Ziemlich düster, diese Aussage. Und da drängt sich die Nachfrage sofort auf: Warum macht er das überhaupt noch? Und da sind wir wieder am Anfang unseres Gespräches. „Die Leidenschaft für meinen Sport bringt mich dazu.“  Nach wie vor ist Matthias Bühler vom Hürdensprint fasziniert. „ Man muß im Hürdensprint unheimlich viel riskieren. Es ist eine Kombination aus Sprint und Technik,  der Adrenalinpegel ist unheimlich hoch. So hoch ist er im Flachsprint lange nicht. Im Sprint sind die Rennen meistens nach 70 m entschieden. Im Hürdensprint kann noch bis zum letzten Zeitpunkt etwas passieren. Das fasziniert mich. Überhaupt dieser Kampf eins gegen eins, Mann gegen Mann. Das gibt mir einen unheimlichen Kick und das macht den Hürdensprint auch aus. Bei einer enormen Geschwindigkeit alles zu riskieren und technisch sauber zu laufen, was natürlich schwer ist. Das gibt mir dann ein gutes Gefühl, wenn es klappt. Und gerade solche Läufe im entscheidenden Moment zu gewinnen, das macht eben Spaß.“

Und diesen Spaß will er sich noch einige Zeit erhalten. Zunächst sollen die Verletzungen auskuriert werden. Am 5. Oktober ist dann wieder Trainingsstart in den USA. „ Ich denke, daß ich noch deutlich mehr zeigen kann,  als die 13,34 s, meine bisherige Bestzeit. Auch mein Trainer in den USA traut mir ein höheres Potential zu. Aber da muß man eben durchkommen, muß verletzungsfrei bleiben. Und das hofft Matthias Bühler für seine nächsten beiden Ziele: die WM in London 2017 und die EM in Berlin 2018.

Peter Grau

 

Matthias Bühler

Geb: 2. September 1986

Größe/Gewicht:  1,89 m / 76 kg

Beruf: IT-Systemkaufmann

Verein: seit  2016 TSG Weinheim, davor LG Offenburg, TV Haslach.

Bestzeit 110 m Hürden: 13,34 s

Erfolge: Deutscher Meister 2009, 2010, 20111, 2013, 2014, 2016; 2012 und 2016 Olympiateilnehmer; WM 2015  Elfter, EM 2014 Neunter.

 

Olympiasieger Thomas Röhler: Unabhängig vom Primat des Goldes

Er ist einfach ein dankbares Objekt, noch eher ein Subjekt  für Journalisten.

Thomas Röhler Rio mit Journalisten

Thomas Röhler im Gespräch mit deutschen Journalisten in Rio (Foto: Olaf Brockmann)

Olympiasieger Thomas Röhler scheint immer noch viel Stoff für lange Geschichten, wertende Beiträge zu bieten. Und so konnte mein Kollege Michael Reinsch auch nicht anders, als kurz vor seiner Abreise aus Rio de Janeiro nochmals das  Phänomen Röhler auszuloten. Ein Phänomen, das keines ist, wenn man ihn näher kennt oder länger mit ihm spricht.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 22. August 2016 konnte man den folgenden Artikel lesen:

Olympiasieger Thomas Röhler: Unabhängig vom Primat des Goldes

 „Ich werfe auch für Thomas Röhler weit“: Seinen Olympiasieg wertet der Speerwerfer zwar als extrem wichtig für die Statistikfreunde, er selbst ist aber in ganz anderer Weise zielorientiert.

Thomas Röhler mit Medaille

Thomas Röhler mit der Goldmedaille (Foto: Olaf Brockmann)

 

Als er zu seiner Reise nach Rio aufbrach, war Thomas Röhler so aufgeregt wie noch nie vor einem Wettkampf. Er wusste, er war der beste Speerwerfer des Jahres, er hatte eine Muskelverletzung im Rücken überwunden, und er wollte sich beweisen. Als der 24-Jährige im Olympischen Dorf auf seinen Wettkampf wartete, verwandelte sich die Vorfreude in Druck. Auf vielen Kanälen erreichte ihn die Dringlichkeit, mit der Erfolge, nein: Medaillen und Siege von den deutschen Leichtathleten erwartet wurden.

Am Samstag hatten überraschend Christoph Harting die Goldmedaille im Diskuswerfen gewonnen und David Jasinski die Bronzemedaille – und dann war es eine Woche lang wie abgeschnitten.

Daniel Jasinski Christoph Harting

Daniel Jasinski (links) und Christoph Harting

Am Samstag drauf sollte Röhler Olympiasieger werden. Eine Woche: viel Zeit für Ungeduld, viel Zeit, um aus dem eigenen Anspruch die Erwartung anderer werden zu lassen. Röhler trat nicht an, um die deutsche Leichtathletik zu retten. Obwohl: Schon vor seinem Sieg hatte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, geurteilt, die Leichtathletik sei in einem besorgniserregenden Zustand. „Klar werfe ich für Deutschland“, sagte Röhler und griff nach der Goldmedaille, die vor seiner Brust baumelte. „Aber ich werfe auch für Thomas Röhler den Speer weit.“

Der erste Olympiasieg eines deutschen Speerwerfers seit dem von Klaus Wolfermann bei den Spielen von München 1972 ist für das Land, für den Verband und für den Sportler ehrenvoll. Er hätte nicht früher kommen können, doch er kommt zu spät. Längst sind die Konsequenzen gezogen, schon ist die Umstrukturierung der Leistungssport-Abteilung im Leichtathletik-Verband beschlossen, und die Ausrichtung der staatlichen Sportförderung zielt auf ein Drittel mehr Medaillen.

Diese Goldmedaille sei „extrem wichtig für alle, die auf Statistiken stehen“, sagte Röhler leicht distanziert. Zwar hat er das Studium in seiner Heimatstadt Jena abgeschlossen, das Sport mit Betriebswirtschaft verbindet. Doch persönlich hat der 24-Jährige sich unabhängig gemacht vom Medaillenzählen, vom Primat des Goldes als einzigem Ausdruck von Erfolg.

Thomas Röhler  2   klein Scheinwerfer

„Vor einem Jahr habe ich eine Super-Serie geworfen und war Vierter“, erinnerte er an die Weltmeisterschaft von Peking 2015. In unverstellter Freude über seine Leistung von 87,41 Meter und über den hochklassigen Wettbewerb, in dem er Platz drei um nur 23 Zentimeter verpasst hatte, versprach Röhler, dass er seine Holzmedaille feiern werde.

„Diesmal habe ich eine Super-Serie geworfen, und dieser eine Wurf war dabei, der diese Medaille hier gebracht hat.“ 90,30 Meter warf Röhler, sein dritter Wurf des Jahres über neunzig Meter, die überragende Leistung des Abends. Thomas Röhler ist Realist. Deshalb ist es für ihn keine Metapher, wenn er sagt, dass er sich hohe Ziele stecke. Seit 2012 gewinnt er die deutsche Meisterschaft, und über die Jahre hat er sich daran gewöhnt, Favorit zu sein. Diese Rolle sei er nun bereit, auch international einzunehmen.

Der Athlet mit einer solch breiten Brust ist es gewohnt, trotz 1,90 Meter Länge und 90 Kilo Athletik in seinem Metier als schmächtig zu gelten. Nicht allein mit seinem schnellen Anlauf und seiner Explosivität ist Röhler den Kraftprotzen voraus. Akribisch und unkonventionell bereitet er seine Erfolge vor. Die Schlagzeile „Röhler zittert sich ins Finale“ amüsierte ihn, denn der Wurf von 83,01 Meter war Teil seines Plans.

Treppe verhalf zum Olympiasieg

Absichtlich hatte er in der Qualifikation lediglich so weit geworfen, wie er musste. Er nutzte seine drei Versuche dazu, sich mit den Bedingungen vertraut zu machen: der stehenden Luft im Olympiastadion, dem „jumpy“ Belag des Anlaufs, der enormen Höhe der Arena. Wie eine Halle wirke das Stadion, folgerte er, „niemand kann hier nur seine alten Bewegungsmuster abrufen“.

Und Röhler visiert tatsächlich ein Ziel hoch im Station an. Vielleicht mache dies nur ein Olympiasieger, sagte er, als er verriet, dass er zum ersten Besuch eines Stadions seine Kamera mitbringe. Vom Abwurf aus macht er ein hochauflösendes Bild von der gegenüberliegenden Kurve. Eine halbe Stunde lang suchten er und sein Trainer Harro Schwuchow darauf einen Fixpunkt, dann hatten sie eine markante Treppe gefunden.

Sie musste Röhler im Wettkampf finden, auf sie musste er mit dem 800 Gramm schweren Speer zielen, und er würde die perfekte Flugkurve nehmen. Nach dem vierten Versuch, der nur 84 Meter weit ging, legte sich Röhler auf den Rücken und blickte in den Nachthimmel über Rio, den ein Vollmond erhellte. „Ich musste bei mir bleiben“, erklärte er. „Ich hatte das Ziel aus den Augen verloren.“ Beim nächsten Wurf war er wieder bei sich, fand das Hilfsziel – und traf.

„Wir hatten extrem geile vierte Plätze“

Das war der Moment, daran zu erinnern, dass eben nicht alles in Gold und Medaillen gemessen werden könne. „Wir hatten extrem geile vierte Plätze“, sagte er und hatte damit das Gegengift für die große Depression in der Mannschaft von fast 90 Leichtathleten, die sich schon an das Abschneiden von Peking 2008 erinnern lassen muss, als Christina Obergföll mit Platz drei für die einzige Medaille der Leichtathletik-Auswahl sorgte.

Zehnkämpfer Kai Kazmirek und Weitspringerin Malaika Mihambo kamen tatsächlich auf Platz vier, Sprinterin Gina Lückenkemper erreichte das Halbfinale, die Siebenkämpferin Carolin Schäfer wurde Fünfte, und Hindernisläuferin Gesa Krause verbesserte als Sechste im Endlauf den deutschen Rekord. Das Abschneiden bei der sogenannten kleinen Europameisterschaft in Amsterdam drei Wochen vor Olympia mit fünf Titeln und 16 Medaillen hat offenbar die Maßstäbe verschoben, in der Priorität der Athleten wie bei den Erwartungen der Öffentlichkeit.

Im Nachhinein mag sich der Muskelfaserriss, der den Favoriten Röhler dort schon in der Qualifikation bremste, als Glücksfall erweisen. Zwei Wochen lang war der Speerwerfer zu Hause mit aktiver Reha beschäftigt, von Physiotherapie und Wickeln bis zu Gymnastik. „Ich kenne meinen Körper besser als vorher“, sagte er trocken über die Leidenszeit. Womöglich war sie die beste Vorbereitung auf den Triumph von Rio.

Michael Reinsch, Korrespondent für Sport, Berlin

Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. August 2016

Gina Lückenkemper – keine lächelt schöner als sie

 

Gina Lückenkemper ist eines der neuen, jungen Gesichter des deutschen Frauensprints. Ins Berliner Olympiastadion bringt sie zum 75. ISTAF zwei Bronzemedaillen von der EM aus  Amsterdam mit.

Gina klein Porträt von ihrer Seite

Würde eine „Miss Lächeln“ gewählt werden, wäre Gina Lückenkemper erste Anwärterin. Die  19jährige Sprinterin lächelt oft und gern. „ Ich bin ein Honigkuchenpferd“, charakterisiert sie sich selbst. Und es ist beileibe keine Unsicherheit. Das würde auch überraschen, bei ihrem rasanten Aufstieg in die deutsche Sprintspitze. Nach dem Abschied der jahrelang besten Sprinterin Verena Sailer hatte man sich Sorgen gemacht. Doch unbegründet, denn die Dortmunderin schaffte nach dem Gewinn der Goldmedaille über 200 m bei der U20-EM sofort den Sprung in die Erwachsenspitze.  Ihre große Stärke ist ihre Lockerheit. „ Sie verfügt über die Fähigkeit, über den Spaßfaktor locker zu bleiben. Und im Sprint ist Lockerheit sehr wichtig,“ hat ihr Trainer Uli Kunst kürzlich erklärt.

Und sie selbst meint: „Schnell war ich schon immer. Ich rede schnell , ich esse schnell“. Und manchmal fährt sie auch schnell Auto.

Die Hauptschnelligkeit aber bringt sie auf die Laufbahn. In diesem Jahr kannte sie einfach keine Zeitgrenzen. Bei der DM 2016  in Kassel holte sie sich über ihre Lieblingsstrecke von 200 m in 22,84 s Gold.

Gina klein DM 2016

Gina Lückenkemper bei der DM 2016 in Kassel (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Anschließend lief sie bei der EM in Amsterdam 22,74 s und bekam dafür die Bronzemedaille. Nochmals Bronze gab es für sie in der 4×100-m-Staffel, und das in der Besetzung Tatjana Pinto, Lisa Mayer, Gina Lückenkemper und Rebekka Haase.

Rennen gibt mir das Gefühl von Freiheit“, erklärte sie danach. Und das wollte sie auch in Rio beweisen. Die Staffel sollte es richten, eine Medaille wurde angepeilt. Beinahe wäre einer der stärksten Gegner, die US-Staffel, im Finale nicht dabei gewesen, weil sie im Vorlauf den Stab verloren. Doch durch eine recht zweifelhafte Entscheidung wurde ihnen ein Sololauf genehmigt, und damit  kamen sie durch die Hintertür ins Finale und dort zu Gold. Die deutsche Staffel mit Gina Lückenkemper lieferte ein beeindruckendes Rennen, aber am Ende reichte es nur zu einem vierten Platz. Oder streicht man am besten dieses „Nur“?

Ihr Trainer sieht bei ihr noch große Reserven. „ Sie muß sich aber entscheiden, ob sie in die Weltspitze hinein und dafür mehr ins Training investieren will.“ Doch da spricht er aber eher von der Perspektive in Richtung Olympia 2020 in Tokio.

Zunächst aber wird Gina Lückenkemper dem Berliner Olympiastadion ihre Aufwartung machen. Zwei Jahre später bei der EM 2018 könnte hier für sie eine weitere „Sternstunde“ kommen. Das Lächeln wird sie bis dahin nicht verlieren.

Gina klein 2014 Gantenberg

Gina Lückenkemper im Jahr 2014 (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Gina Lückenkemper

200 m I Frauen

Alter: 19 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung:  22,67 s

Erfolge: 4×100 m: Vierte Olympia 2016,  Dritte EM 2016, Dritte  U20-EM 2014;  200 m: Dritte EM 2016, U20-Europameisterin 2015

Corinna Harrer: „Olympische Spiele machen dich kaputt“

Corinna Harrer London Foto

Die 25-Jährige Corinna Harrer startet für die LG Telis Finanz Regensburg. Mit 16 Jahren wurde sie Deutsche Jugendmeisterin über 400 Meter. Diese Grundschnelligkeit nahm sie als Basis mit auf die Mittelstrecke und spezialisierte sich auf 1500 Meter. Auch auf längere Distanzen war sie schon erfolgreich. 2014 gewann sie den nationalen Titel über 10.000 Meter, vor der siebenmaligen Titelträgerin Sabrina Mockenhaupt.

Corinna Harrer hat auf ihrer Facebook-Seite ein Interview  verbreitet, welches Max Bosse für die Berliner Zeitung führte. Es ist gewissermaßen der Hilferuf einer Leichtathletin, die dicht vor dem Einzug in die Weltspitze stand, die nach Rio wollte, aber nun nicht dabei sein konnte. Warum das so ist, lesen Sie im folgenden im Interview:

Für Corinna Harrer hat sich der Olympiatraum in einen Albtraum verwandelt. 21 Jahre war sie alt, als sie 2012 in London über 1500 Meter mit 4:05,70 Minuten das Finale um ein paar Zehntelsekunden verpasste. Nachträglich wurden mehrere Konkurrentinnen wegen Dopings disqualifiziert. Die Läuferin aus Regensburg hätte das Finale somit eigentlich erreicht − als erste Deutsche seit 1988. Doch was der Beginn einer Profikarriere in der Weltspitze hätte sein sollen, geriet zur Verletzungsodyssee. In Rio ist sie nicht dabei.

„Olympische Spiele machen dich kaputt“

Frau Harrer, was machen Sie am Mittwoch um 3.30 Uhr morgens?

Schlafen. Das 1500-m-Finale möchte ich nicht anschauen. Ich hatte an London eigentlich immer gute Erinnerungen. Das wurde im Nachhinein immer mehr zerstört. Olympische Spiele sind ein unheimlich schönes Erlebnis, aber sie machen dich auch kaputt. Man ist wie bei Big Brother jeden Tag überwacht und ein bisschen eingesperrt. Im Nachhinein sollte man sich die Zeit geben, das zu verarbeiten.

Ihre Bewunderung für andere Sportler ist erloschen?

Man weiß, dass gedopt wird. Ja, klar. Aber nicht, dass es so viele sind. Ich war im Halbfinale 17., inzwischen bin ich Elfte. Die Dunkelziffer ist viel höher. Rio wird nicht arg viel sauberer sein. Durch den Ausschluss der Russen und die Sperren manch anderer sind ein paar raus, aber von zwölf sind im Finale wohl immer noch fünf voll.

Sechs der ersten neun aus dem Finale in London wurde Doping nachgewiesen sowie zwei weiteren Läuferinnen aus den Vorläufen.

Das Halbfinale war für mich eines meiner größten Rennen, vor allem, weil ich vom vorletzten Platz noch mal aufkam. Und dann kommt so was. Die Freude ist weg. Ich wäre im Finale gewesen, und vielleicht hätte das Finale einen ganz anderen Charakter gehabt ohne die Gedopten, weil die nicht die Kraft gehabt hätten, noch mal so schnell zu laufen. Dazu kommt die Sache mit der Gesundheit.

Und zwar?

Um mit den Gedopten mitzuhalten, musst du die ganze Zeit trainieren, und dann kommt die Regeneration zu kurz. 2012 hatte ich das erste Mal Probleme. Am Tag vor dem Halbfinale habe ich vier Stunden beim Physio im olympischen Dorf verbracht. In so einem Moment achtest du nicht auf die Gesundheit.

Was war die Folge?

Nach London habe ich nur zwei Wochen Pause gemacht und dann wieder angefangen. Du willst immer mehr, 2014 stand die EM in Zürich an. Ich habe so lange trainiert, bis mir der Fuß gebrochen ist. Ich habe Tage, an denen ich aus dem Bett aufstehe und mich frage, ob es das wert ist. Ich humple rum wie eine 80-Jährige. Aber ich bin 25 Jahre alt.

2015 ist Ihre Achillessehne gerissen.

Ich hatte vorher schon jahrelang Fersenprobleme. Eine Russin hat mir bei der Mannschafts-EM dann die Achillessehne kaputt getreten. Ich will so nicht aufhören, mit diesen ganzen Verletzungen. Ich will es mir noch mal beweisen. Vielleicht ist es auch der Zeitpunkt abzuspringen. Der Verband hat mich in der Reha null unterstützt, und die Krankenkasse hat die Kosten nicht übernommen, weil es für die wie ein Arbeitsunfall war. Privat habe ich 10.000 Euro ausgegeben. Das war mein ganzes Erspartes von London. Wäre es beim Einsatz für den Verein passiert, wäre es bezahlt worden, weil man über den Verein versichert ist. Von der Sporthilfe habe ich eine Einmalzahlung bekommen: 1000 Euro. Der Tod ist 10.000 Euro wert.

Was ist das Problem?

Unser Bundestrainer fordert Profitum. Welche Möglichkeiten hat man? Ich wollte zur Polizei, Heimat und Verein aber nicht verlassen. Also wäre nur die Landespolizei gegangen. Die nimmt aber vorwiegend Wintersportler. Bundeswehr war für mich nie ein Thema, weil ich den Beruf ja auch nach dem Sport ausüben muss. Fordern, aber nicht fördern, das nervt mich.

Gibt es jemanden aus dem Rennen, der für Sie Olympiasiegerin ist?

Laura Weightman war im Finale relativ weit hinten. Die kenne ich sehr gut. Ihr traue ich zu, dass sie sauber ist. Wie sie trainiert, macht Sinn, sie bringt auch mal menschliche Leistungen. Ich bin aber sehr vorsichtig geworden. Letztlich sind die Sieger diejenigen, die für sich wissen, dass sie sauber sind.

Ist das ein Trost?

Nicht wirklich. Wäre ich in London im Finale gestanden, wären es fast 30.000 Euro mehr gewesen. Preisgelder, Sporthilfe und Sponsorengelder. Das wären fast zwei Jahre finanzierter Sport gewesen. Ich hatte die Hoffnung, den Sport als Profi so zu betreiben, dass ich davon leben kann. Wie soll ich mit denen, die Profisport machen, mithalten, wenn ich 30 Stunden arbeite, wie ich es jetzt mache? Einerseits erwartet Deutschland Profitum, andererseits tun wir zu wenig, um saubere Sportler zu unterstützen.

Bei der EM 2012 sind Sie aufgrund nachträglicher Doping-Disqualifikationen von Platz neun auf sechs gerutscht. Was bedeutet das?

Als Sechste hätte ich den A-Kader-Status bekommen, auch unter den Top-Acht bei Olympia. Der gilt für vier Jahre. Vier Jahre Geld vom Verband. Trainingslager wären bezahlt worden, mit Trainer und Physiotherapeut. Im B-Kader gibt es ein Mal im Jahr 200 Euro. Es ist nicht nur das. Bei der U23-EM 2011 war ich Dritte, inzwischen Zweite. Die Medaille habe ich jetzt nachträglich gekriegt, ich befürchte, dass es noch mehr werden. Bei der U20-EM 2009 war ich Zweite, die Erste ist inzwischen gesperrt. Es ist wie beim Lotto. Es ist ein Medaillenrecycling.

Deutsche sind immer nur Opfer?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Deutschen sauber sind.

Warum?

Manche Kontrolleure reden auch ihren Frust von der Seele und erzählen, wie andere versuchen zu bescheißen. Ich glaube, dass wir eine Nation sind, die sauberer ist als vielleicht Kenia oder Russland. Aber schwarze Schafe gibt es überall. Was mich positiv stimmt: Mir wurde noch nie etwas angeboten, in keinem Fitnessstudio, in keiner Praxis. Als ich mit dem Sport auf dem Niveau angefangen habe, dachte ich, dass irgendwann einer kommt und sagt, dass er da was hätte.

Man muss also selbst aktiv werden, um Dopingmittel zu bekommen?

Genau. Alleine ist das nicht möglich. Mein Trainer würde sich über die Leistung wundern, die Trainingsgruppe. Es gibt ein ganzes System, das dich irgendwann hinterfragt. Eigentlich musst du die einweihen. Du brauchst einen Arzt und einen Sponsor, um dir das leisten zu können. Einer alleine kann es nicht.

Hätte denn Julia Stepanowa nach Rio gehört?

Nein. Ich fand diesen Aufruhr mit den Spenden für sie ein bisschen krass. Es sei Julia Stepanowa vergönnt, wenn ihr jemand einen Job anbietet, damit sie ihr Leben finanzieren kann. Ihr Leben ist nicht leicht, aber sie war auch eigennützig genauso wie die Türkin Asli Alptekin, die als Zeugin aufgetreten ist, um vielleicht doch noch die Chance auf Rio zu bekommen.

Corinna Harrer Rückfront

Fotos: Photo-Studio Büttner in Regensburg

Das Interview führte Max Bosse für die Berliner Zeitung vom 16. August 2016.

Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24595368 ©2016

Thomas Röhler: „Ich wußte: Ich bin bereit für 90 Meter“

 

Thomas Röhler mit Medaille

Den olympischen Goldwurf des Jenaers Thomas Röhler habe ich live im Fernsehen verfolgt und umjubelt. Im Mai hatte ich am Rande der Hallenser Werfertage gemeinsam mit Johannes Knuth von der Süddeutschen Zeitung mit ihm gesprochen. Schon damals waren wir beide von ihm beeindruckt, ob seiner klaren Aussagen, ob seiner Art, wie er das Speerwerfen lebt.

Um so mehr hat mich dieses Gold nun begeistert. Und ich hatte auch keine Bedenken, daß er sich anschließend irgendwie verkehrt verhalten könnte. Er ist für jeden Journalisten ein „dankbarer“ Gesprächspartner. Vielleicht ganz anders als ein Robert Harting, aber eben doch von ähnlicher intellektueller Klasse.

Kein Wunder, daß sich nach seinem Wettkampf die deutschen Journalisten um ihn scharten. Und sie alle lächelten um die Wette. Hatten sie doch vorher leider wenig zu lachen.

Thomas Röhler Rio mit Journalisten

Meine Kollegin Silke Morrisey, die in Rio das Geschehen hautnah für leichtathletik.de verfolgte, hat seine Aussagen in der Mixedzone von Rio  zusammengefaßt.

Byd achtzehn Silke Morrissey

Nachzulesen unter  leichtathletik.de am 22. August 2016 im Interview der Woche unter der Überschrift: Thomas Röhler: Ich wusste: Ich bin bereit für 90 Meter.

 

(alle Fotos von Olaf Brockmann, Kronen-Zeitung Wien)

 

 

 

 

 

 

 

Meine Fernsehnacht mit dem Olympiasieger Thomas Röhler

Was ich  gestern in meiner Geschichte “ Meine drei Nächte mit den Leichtathleten“ schon vorausgesagt hatte, ist eingetroffen. Ja, es wurde noch übertroffen. Der Favorit Thomas Röhler, der wegen einer Rückenverletzung bei den Europameisterschaften in Amsterdam die Hoffnungen nicht erfüllen konnte, holte sich in Rio de Janeiro im Speerwerfen das olympische Gold, auf das viele gehofft hatten.   “ Ich hatte schon auf dem Aufwärmplatz und schon beim Aufstehen eine gutes Gefühlt. Ich bin superhappy, meine Leistung hier abgerufen zu haben, “ freute er sich kurz nach seinem Gold-Erfolg am Mikrofon der ARD.

Das Ergebnis: Gold: Thomas Röhler (Jena) 90,30 m,  Silber: Julius Yego (Kenia) 88,24, Bronze: Keshorn Walcott (Trinidad und Tobago) 85,38, 4. Johannes Vetter (Offenburg) 85,32, …. 9. Julian Weber (Mainz) 81,36.

Etwas überhöht, aber nicht ganz von ungefähr,  die erste Meinung aus Rio:   “ Vielleicht hat Thomas Röhler damit eine ganze Sportart gerettet„.    Es war ein riesiges Erlebnis, nach vielen Enttäuschungen in der Leichtathletik.

Zwei Stunden vor der Entscheidung im Speerwerfen hatte Michael Reinsch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Interview mit Thomas Röhler veröffentlicht, das einiges über den Speerwerfer aus Jena artikulierte.  Das Interview ist zu lesen unter:

http://www.faz.net/aktuell/sport/olympia/deutsches-team/speerwerfer-roehler-ist-favorit-im-finale-in-rio-bei-olympia-14396590.html#GEPC;s2

Thomas Röhler ist also der Favoritenrolle vollauf gerecht geworden.  Und irgendwie habe ich es am Rande der Hallenser Werfertage im Mai in meinem Gespräch (gemeinsam mit Johannes Knuth)  mit Thomas Röhler gespürt, daß  2016 sein Jahr werden könnte.

Soviel live in dieser Nacht des Goldes.    Nun kann ich mich beruhigt wieder ins Bett legen. Es hat sich gelohnt, für Thomas Röhler aufzustehen.

Thomas Röhler 2 klein Scheinwerfer Thomas Röhler 1 klein Schatten Thomas Röhler 3 klein mit Trainer DSC09330-2 Thomas Röhler 4 klein mit Tasche  Thomas Röhler 6 klein Nahaufnahme

 

Cindy Roleder – Europameisterin und Olympiafünfte im Hürdensprint

Für die hochgewachsene  Cindy Roleder (SC DHfK Leipzig)  war die sportliche Welt am 7. Juli 2016 in Ordnung .  An diesem Tag setzte sie sich im Finale der Europameisterschaften in Amsterdam über die 100 m Hürden in  12,62 s   durch.  Und damit waren auch die Aussichten für ein erfolgreiches  Auftreten bei Olympia bestens.

Nachdem sie in Rio das Halbfinale in 12,69 s glatt überstanden hatte, erhoffte sie sich  im Finale eine kleine Steigerung.

Roleder Finale

Cindy Roleder (ganz oben) im olympischen Endlauf von Rio 2016   (Foto:  Olaf Brockmann)

Doch die kam nicht mehr, in 12,74 s wurde sie Fünfte. Das war allerdings die beste Plazierung einer deutschen Hürdensprinterin bei Olympia seit 1988 in Seoul. Doch danach war sie, im Unterschied zu manch anderen Athleten in ähnlicher Situation, ehrlich zu sich und zu den Medien. Sie zeigte sich nicht vollauf zufrieden, sondern konnte die Gedanken an eine mögliche Medaille nicht verdrängen. „ Heute waren die drei US-Mädels besser – Brian Rollins (12,48 s) gewann vor Nia Ali (12,59 s) und Kristi Castlin (12,61)- , aber leider war es auch kein runder Lauf von mir, war ich beispielsweise zu dicht an der ersten Hürde.“

Aber sie blickte auch gleich zurück: „ Vor drei Jahren, bevor ich zu Wolfgang Kühne nach Halle/Saale ins Mehrkampfteam wechselte, hätte ich niemals damit gerechnet, daß ich mal ein olympisches Finale erreichen würde.“

Dieser Wechsel zum Mehrkampf brachte ihr den erhofften Sprung nach vorn. Sie trainierte nun auch andere Disziplinen, „ es tut gut, nicht immer nur Hürden zu laufen. Und ich fühle mich wohl in der Trainingsgruppe mit Rico Freimuth und Michael Schrader.  Ich habe auch ein neues Selbstbewußtsein bekommen.“  Und das zahlte sich schon 2015 aus, als sie bei der WM in Peking mit 12,59 s Zweite wurde.

Beharrlich ist sie auf alle Fälle, weiß ihren Kopf durchzusetzen. So wundert es nicht, als sie in einem Interview mit leichtathletik.de  auf die Frage, wie sie zu Dieter Bohlen und Daniela Katzenberger und deren TV-Quotenhascherei stehe, antwortete: „Auch wenn viele ihr Tun mehr als skeptisch beurteilen,  finde ich es stark, daß die beiden sich nie beirren lassen, ihren Kopf durchsetzen und sich deshalb auch behauptet haben.“

Ihr sportliches Tun hatte beim Turnen begonnen. Doch dafür war sie bald zu groß. „ Aber vom Körpergefühl her profitiere ich immer noch davon“.  Über den Wettbewerb „ Jugend trainiert für Olympia“ kam sie dann zur Leichtathletik, trainierte in Chemnitz viele Disziplinen. „Doch weil es in Sachsen keinen Mehrkampftrainer gab, wurde ich dann Hürdensprinterin, denn dafür hatte ich das meiste Talent.“

Ob sie auf ewig Hürdensprinterin bleiben wird, steht auf einem anderen Blatt. „ Ich trainiere auch im nächsten Jahr in der Mehrkampfgruppe, auch weil sich das bewährt hat. Und ich werde sicherlich auch wieder einen Mehrkampf bestreiten“.

Peter Grau  

 

Noch vor der EM 2016 in Amsterdam veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter der Überschrift  „Hürdensprinterin Cindy Roleder: Weniger ist manchmal mehr“ einen Beitrag von Anne Armbrecht, Leipzig.

Lesen Sie diesen Beitrag unter   http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/huerdensprinterin-cindy-roleder-geht-im-training-neue-wege-14327247.html

 

Cindy Roleder

100 m Hürden I  Frauen

Alter: 27 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung: 12,59 s

Erfolge:  Europameisterin 2016, Fünfte Olympia 2016,  Vizeweltmeisterin 2015, Bronze EM 2014,  Deutsche Meisterin 2016?, 2015, 2011

Bernard Lagat – Abschied von der Laufbahn beim ISTAF

 

Harting klein ISTAF 067

Schon vor einem Jahr hat sich der US-Mittel- und Langstreckler Bernard Lagat beim ISTAF-Meetingdirektor Martin Seeber für das 75. ISTAF angemeldet. „ Ich will meine Karriere hier im Olympiastadion beenden, mit den Fans eine Party feiern“.  Vor sieben Jahren, bei der WM 2009, konnte sich Lagat erstmals von den Berlinern feiern lassen, als er WM-Bronze über 1500 m und WM-Silber über 5000 m gewann. Insgesamt zehn Mal ging der Doppelweltmeister und dreifache Hallenweltmeister beim ISTAF an den Start.

2010  gab er  Michael Reinsch von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein längeres Interview und daraus ist damals folgende Geschichte entstanden, die die wichtigsten Fakten über Bernard Lagat enthält:

 

Bernard Lagat: Der laufende Weltbürger

Er stammt aus Kenia, ist amerikanischer Staatbürger, hat eine kanadische Frau und einen chinesischen Trainer. „Global, das ist das Wort“, sagt Bernard Lagat: „Ich bin ein Bürger der Welt.“

Der kleine Sportsfreund Miika Lagat ist nicht leicht zufriedenzustellen. Als er im Juni zu Hause in Tübingen im Fernsehen das 5000-Meter-Rennen der Diamond League in Oslo sah, machte er aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Da bogen drei Läufer gleichauf in die Zielgerade ein, da kämpften drei Männer mit schmerzverzerrten Gesichtern um den Sieg – und dann unterlag Papa den beiden Äthiopiern Imane Merga und Tariku Bekele. Miika Lagat vergoss bittere Tränen.

Als Bernard Lagat am Tag darauf seinen vierjährigen Sohn in die Arme nahm und ihm erzählte, dass er (in 12:54,12 Minuten) immerhin persönliche Bestzeit und amerikanischen Rekord gelaufen sei, konnte er ihn nicht ganz überzeugen. „Du sollst nicht verlieren“, rief der Junge. „Ich will, dass du immer gewinnst.“

 „Keine Gelegenheit, an das Rennen zu denken und nervös zu werden“

Das sind so die Aufgaben, die ein Vater zu meistern hat. Bernard Lagat geht sie optimistisch an. Schließlich ist er der Doppel-Weltmeister über 5000 und 1500 Meter von Osaka 2007, Hallen-Weltmeister über 3000 Meter von Budapest 2004 und Doha 2010 sowie Gewinner verschiedener Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Für seinen Start an diesem Sonntag beim Istaf im Berliner Olympiastadion hat er seinen australischen Manager James Templeton ein paar besonders schnelle Tempomacher bestellen lassen. Wenn er über die 3000 Meter schon aus dem Rennen um die Diamanten ist, will er doch beweisen, dass er die Bestzeit von 7:32,49 Minuten, mit der er in Doha den Titel gewann, unterbieten kann.

Miika wird das Rennen am Sonntagnachmittag nicht im Fernsehen verfolgen müssen. Er begleitet mit seiner kleinen Schwester und seiner Mutter den Vater zur Arbeit nach Berlin. „So reisen wir am liebsten“, sagt Bernard Lagat. „In unserem Hotelzimmer ist immer etwas los. Ich habe gar keine Gelegenheit, an das Rennen zu denken und nervös zu werden.“

„I bin a Schwob“, sagt Lagat akzentfrei

Vor bald 36 Jahren (am 12. 12. 1974) in Kapsabet im Rift Valley von Kenia geboren, hat das Laufen Lagat zu einem Weltbürger gemacht. Ein Stipendium brachte ihn 1997 an die Washington-State-Universität. Als er 2003 amerikanischer Staatsbürger wurde, hatte er schon sechs Sommer in Deutschland zugebracht. „Global, das ist das Wort“, sagt Lagat. „Ich stamme aus Kenia, bin Amerikaner, habe einen chinesischen Trainer, James Li, und eine kanadische Frau. Ich bin ein Bürger der Welt.“

Er lernte seine Frau Gladys Tom, die einen japanischen Familienhintergrund hat, an der Hochschule kennen, an die James Li ihn mit einem Stipendium geholt hatte. Sohn Miika trägt als zweiten Vornamen den kenianischen Namen Kimutai, und der Name seiner Schwester Gianna verweist auf die Liebe der Eltern zu Italien. Gemeinsam leben sie in Tucson in Arizona. Es war der Stadtlauf, der Bernard Lagat nach Tübingen brachte. Seitdem ist er mit dem Leiter des Laufs, dem Kinderarzt Frieder Wenk, befreundet, seitdem fliegt er im Sommer von Stuttgart aus in die Welt, seitdem liebt er die Laufstrecken in den Wäldern um Tübingen. Seit einigen Jahren hat er ein eigenes Häusle. Als Lagat 2007 als Doppelweltmeister aus Osaka heimkehrte, empfingen ihn Stadt und Bürgermeister als Tübinger. „I bin a Schwob“, sagt Lagat akzentfrei. „Ich bin ein halber Deutscher.“

Zum Laufen gebracht hat ihn seine Schwester Mary Chepkemboi

Seine europäische Heimat rettete ihn, als er, der stolz darauf ist, nicht einmal Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, bei der Weltmeisterschaft 2003 in Paris positiv auf Epo getestet wurde. Der Jura-Professor Dieter Rössner machte ihn mit dem Mikrobiologen und Doping-Experten Werner Franke aus Heidelberg bekannt, dessen Frau nach einem Treffen mit Lagat überzeugt war: Dieser Mann lügt nicht. Franke schickte einen erfahrenen Wissenschaftler aus seinem Labor, der den Doping-Analysten bei der Untersuchung der B-Probe auf die Finger sah. Das Ergebnis: Test negativ, Lagat unbelastet.

„Wenn sie die A-Probe ebenso sorgfältig analysiert hätten, wäre sie auch negativ gewesen“, sagt Lagat. „Das lehrt einen: Wenn jemand, gerade bei diesem Test, positiv ist, sollte man zweimal nachdenken, bevor man ihn einen Doper nennt. Es kann mich noch einmal treffen, es kann einen anderen sauberen Athleten treffen. Alles hängt von der Arbeit des Labors ab.“ Seine Klage, das Verfahren zu ändern, scheiterte.

„Sie wird alle Mädchen in der Leichtathletik schlagen“

Zum Laufen gebracht hat ihn seine Schwester Mary Chepkemboi. Sie gewann 1984 die Afrikameisterschaft über 3000 Meter, nahm an internationalen Crossläufen in Afrika teil, aber gab den Gedanken an eine Karriere auf, um ihre Familie mit acht jüngeren Geschwistern zu unterstützen. Sie kam nicht nur für das Schulgeld von Bernard, ihrem sieben Jahre jüngeren Bruder, auf. Sie hielt ihn auch zu ernstem Training und zur Teilnahme an Wettkämpfen an. „Sie sagte: Ich habe dich rennen sehen“, erinnert er sich. „Du kannst gut werden.“ Was sie nie konnte, tat ihr kleiner Bruder: Er rannte zu einem Stipendium in Amerika und zu den lukrativen Sportfesten nach Europa. „Ohne sie hätte ich die Schule verlassen und wäre zur Armee gegangen“, sagt Lagat.

Längst ist es an ihm, das läuferische Talent seiner fünf jüngeren Geschwister zu fördern. Sein älterer Bruder William Cheseret hat eine Marathon-Bestzeit von 2:12,09 Stunden. Seine jüngere Schwester Evelyne Jerotich Lagat ist einen Halbmarathon in 1:11,35 gelaufen, und auch aus seinem Bruder Robert Cheseret ist ein respektabler Mittelstreckler geworden. Die Zweitjüngste, Irene Lagat, rannte zu einem Stipendium der Universität von Arizona und ist ebenfalls längst Amerikanerin. In die Jüngste, Viola, setzt Bernard die größten Hoffnungen. „Sie wird alle Mädchen in der Leichtathletik schlagen“, sagt er voraus. Der Teenager lebt inzwischen bei ihm und seiner Familie in Tucson in Arizona. Bernard könnte ihr Vater sein. Wenn Viola etwas von ihm lernen kann, dann, wie weit in die Welt das Laufen führen kann.

Michael Reinsch, Berlin

Michael Reinsch

(aus „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22.8.2010)

Malaika Mihambo – glücklich auch ohne Medaille

 

Malaika Mihambo, der Springfloh aus Oftersheim, einer Gemeinde zwischen Heidelberg und Mannheim gelegen,  sprang in Rio so weit wie noch nie. 6,95 m wurde im Finale der Weitspringerinnen für die 22-Jährige vermessen, doch diese Weite reichte nicht für eine Medaille. Das Trio Tianna Bartoletta (7,17 m), Brittney Reese (7,15) und Ivana Spanovic (7,09) war einfach zu gut an diesem Tag. „ Aber ich bin trotzdem zufrieden, denn ich habe eine neue Bestleistung aufgestellt und bin über mich hinausgewachsen“. Wohl wahr, wenn man die Vorgeschichte kennt. Anfang des Jahres war für sie an Training nicht zu denken. An beiden Knien war die Patella-Sehne entzündet, die Ärzte sagten eine lange Reha-Phase voraus. Doch sie irrten sich, und die kleine Kämpferin war schneller wieder auf den Beinen als erwartet. In Kassel wurde die 1,70 m große und 56 kg schwere Athletin von der LG Kurpfalz,  deutsche Meisterin, bei der EM in Amsterdam holte sie Bronze.

Schon immer galt sie, deren Mutter aus Deutschland und deren Vater aus Sansibar (Tansania) kommen, als großes Talent. Als Kind hatte sich im Ballett, beim Turnen und beim Judo versucht, war dann aber zur Leichtathletik gekommen. Erste Goldmedaillen sammelte sie bei den Europameisterschaften der U20 und der U23.   Vor zwei Jahren sprang sie in Braunschweig schon mal 6,90 m, wußte also um ihr Leistungsvermögen. Und ihr Trainer Ralf Weber führte sie behutsam und zielgerichtet.

Zielstrebig ist Malaika Mihambo auch außerhalb des Sports. Sie studiert Politikwissenschaften an der Universität Mannheim. „Ich brauche etwas für den Kopf und will nicht nur Sport betreiben“. Beides bekommt sie recht gut unter einen Hut und wurde dafür sogar 2014 als „Sport-Stipendiat des Jahres“ ausgezeichnet. Und daß sie sich auf in der Öffentlichkeit gut bewegen kann, bewies sie auch bei einem Pflichtpraktikum im Oftersheimer Rathaus.

Stichwort Kopf! Malaika ist der Meinung, daß das Mentale beim Weitsprung eine wesentliche Rolle spielt. „ Wenn man mit dem Kopf nicht dabei ist, den Fokus hat und beibehält, dann wird es nichts. Körperliche Beschwerden oder Anlaufprobleme kann man besser ausgleichen.“ So konzentriert sie sich beispielsweise auf die Atmung, um das Drumherum auszublenden. „ Die Schwierigkeit ist allerdings dabei, daß bei Wettkämpfen immer neue Situationen auftreten. Würden immer die gleichen Problemmuster auftreten, wäre es einfacher.“

Malaika heißt auch die Tochter von Basketballer Dirk Nowitzki. Darauf angesprochen, ob sie ein Fan von ihm sei oder er von ihr, antwortete sie: „ Ich nehme mal an, daß seine Tochter jünger ist als ich. Also denke ich, eher von mir. Vielleicht wird sie ja auch mal Basketballerin und springt dann ganz weit und hoch.“

 

Malaika Mihambo

Weitsprung I Frauen

Alter: 22 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung: 6,95 m

Erfolge: 4. Platz Olympia 2016, Bronze EM 2016, 5. Platz WM 2015, 4. Platz 2013; Gold U23-EM 2015; Gold: U20-EM 2013.