Treffs mit Leichtathleten

Hürdensprinterin Nadine Hildebrand: Warum ich trotz allem zu Olympia 2016 will

Deutsche Meisterin, Medaillenhoffnung, Anwältin: Die Hürdensprinterin Nadine Hildebrand flog von Erfolg zu Erfolg – und landete hart. Sie lief an Krücken, verlor ihren Job. Auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro will sie nun die Hindernisse des Lebens überwinden.
In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beleuchtet sie viele Facetten ihres Sportlerlebens und erklärt, warum sie trotz aller Probleme um die Fahrkarte für Olympia 2016 kämpfen wird.

Hildebrand   Nadine    klein
Nadine Hildebrand bei den Deutschen Meisterschaften 2014 in Ulm
(Foto: Dirk Gantenberg)

Einmal bei Olympia sein

Eine meiner schönsten Erinnerungen ist die an den 192-Meter-Lauf von Olympia. Ich war 16 Jahre alt, und wir Latein- und Altgriechisch-Schüler waren auf Klassenfahrt in Griechenland. Natürlich haben wir das antike Heiligtum und seine Sportstätten besucht. Alle wussten, dass ich Leichtathletin bin. Wir hatten gemeinsam gelacht, als wir lernten, dass Läufer für einen Fehlstart ausgepeitscht wurden. Als wir ans Stadion kamen, hieß es natürlich: Nadine, lauf mal! Ich bin losgespurtet, in Sandalen und Freizeitklamotten. Jogging verbietet sich in Olympia. Am Ende der langen Geraden war ich ziemlich kaputt. Zurück bin ich gegangen.

Damals ahnte ich nicht, wie bitter es sein kann, Spitzensportlerin zu sein. Und trotzdem: Einmal im Leben will ich bei Olympischen Spielen starten. Ich trainiere dafür, mich für den Hürdensprint zu qualifizieren.
London 2012 habe ich um nur zwei Hundertstelsekunden verpasst. Ein Hauch von nichts. Das soll mir mit Rio de Janeiro und einer Qualifikationszeit von 13 Sekunden nicht passieren. In diesem Jahr, zwölf Jahre nach meinem Olympia, habe ich die Chance, bei den Spielen dabei zu sein. 2020 mit den Olympischen Spielen in Tokio werde ich zu alt sein. Ich würde mir nie verzeihen, wenn ich es nicht jetzt versuchte.

Ein ziemlicher Rückschlag

Olympische Spiele sind etwas Besonderes. Mir geht es nicht um das berühmte Dabeisein-ist-alles. Ich will dort richtig gut sein. Das bedeutet: Bestzeit laufen, eine saubere Leistung zeigen, mit der ich zufrieden sein kann. Ob das für den Endlauf reicht, wird sich zeigen. Mit meiner Bestzeit von 12,71 Sekunden wäre ich im Endlauf der Weltmeisterschaft von Peking Sechste geworden. Aber die Hallen- und die Freiluft-Saison des vergangenen Jahres fand ohne mich statt. Wegen eines Knorpelschadens im Knie musste ich operiert werden. Das war ein ziemlicher Rückschlag. 2014 war mein erfolgreichstes Jahr. Über 60 und über 100 Meter wurde ich deutsche Meisterin, also in der Halle und im Stadion. Bei der Hallen-Weltmeisterschaft in Sopot wurde ich Siebte, bei der Europameisterschaft in Zürich Sechste, mit der Nationalmannschaft gewann ich die Team-Europameisterschaft.
Doch was es bedeutet, seinen ganzen Tagesablauf und Jahre seines Lebens auf den Leistungssport, auf den einen perfekten Lauf von knapp 13 Sekunden auszurichten, wusste ich damals noch nicht. Das verstehen auch die allerwenigsten „Nichtsportler“. Das Schlimmste daran ist: Nur wenige schätzen dies auch entsprechend wert. Früher wäre ich als deutsche Meisterin vom Bürgermeister am Bahnhof empfangen worden. Heute schauen mich Spaziergänger im Wald komisch an, wenn ich bergauf an ihnen vorbeirase, nur um ihnen kurze Zeit später keuchend entgegenzugehen.

Jurastudium und Hochleistungssport

Ich habe Abitur gemacht, an einer normalen Schule. Ich habe mein Jurastudium in Regelstudienzeit beendet und mein erstes Staatsexamen drei Wochen nach meinem achten Platz bei der Europameisterschaft 2010 in Barcelona bestanden; 35 Prozent meiner Kommilitonen fielen durch. Auch beim zweiten Staatsexamen war ich unter den glücklichen 85 Prozent, die damit ihre Referendarszeit abschlossen; kurze Zeit nach der Hallen-Europameisterschaft 2013. Weder die Schule noch die Hochschule haben mir Erleichterungen eingeräumt. Zu Meisterschaften und in Trainingslager musste ich vor oder nach Prüfungsterminen reisen; mein Sport und meine Doppelbelastung hat niemanden interessiert. Verrückt, wenn ich mir vorstelle, dass meine Konkurrentinnen von amerikanischen Hochschulen für ihre Erfolge gefeiert werden und ihre Bilder an Ehrenplätzen hängen.

Neue Stelle als Rechtsanwältin gefunden

Ich dagegen kann mich heute glücklich schätzen, nach gut sechs Monaten Suche eine neue Stelle als Rechtsanwältin gefunden zu haben. Durch Teilzeitarbeit habe ich genug Freiraum, um mich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten. Mein alter Arbeitgeber, der stolz darauf zu sein schien, eine Spitzensportlerin halbtags zu beschäftigen, hatte mir im August gekündigt. Statt bei der Reha hätte er mich vermutlich lieber am Schreibtisch gesehen.

Stuttgart-nur noch Fußballstadt

Das ist generell ein Problem: Kaum jemand versteht, was ich eigentlich mache. Meine Eltern haben die Weltmeisterschaft 1993 in unserer Heimatstadt Stuttgart miterlebt. Das war einmalig, erzählen sie. Ein Ereignis, bei dem man dabei sein musste. Das Publikum hat für seine Fairness und seine Begeisterung damals einen Preis von der Unesco bekommen. Heute ist von der Faszination Leichtathletik nichts mehr übrig. Die Stadt betreibt Fußball in Monokultur. Beim Umbau des Stadions ist die Rundbahn verschwunden und in der Folge auch der Sparkassen-Cup, einer der weltbesten Hallen-Wettkämpfe.

Nur für Medaillen und einen Handschlag

Für meine Titel kriege ich – im Gegensatz zu Fußballern mit Meisterschaft oder ohne – eine Medaille und einen Handschlag. Das bisschen, das man von der Sporthilfe bekommt – es sind genau 200 Euro im Monat, nicht, wie landläufig behauptet, mehrere tausend Euro – reicht auch nicht wirklich weit. In unserer Sportart großen Reichtum anzuhäufen, davon träumt hier niemand! Aber wenigstens eine kleine Belohnung dafür zu bekommen, dass man mit dem Sport seinen Körper, seine berufliche Perspektive und auch seine Rente opfert, wäre meiner Ansicht nach nicht mehr als recht und billig.

Medien fördern Monokultur Fußball

Wenn die Bevölkerung wenigstens unsere Leistung anerkennen würde, denke ich oft – das jahrelange Training, die faszinierenden Wettkämpfe. Manchmal ärgert mich das sehr. Aber um eine andere Sportart als Fußball gut zu finden, müssten die Leute sie erst einmal zu sehen bekommen. Die Medien fördern die Monokultur Fußball, und selbst wenn sich die Kameras mal zu anderen Sportarten verirren, wird meist nur die Goldmedaille als einzig zufriedenstellendes Ergebnis dargeboten. Leichtathletik ist eine Randsportart geworden. Und das nicht nur im Fernsehen. In der Zeitung bei uns zu Hause wird fünf Seiten lang beschrieben, wer beim VfB welche großartigen Leistungen gebracht und wer welche Wehwehchen hat. Und dann kommt eine Notiz: Ach ja, es gibt auch noch einen Weltmeister in der Leichtathletik.

Korruption und Doping

Wie ist das nur passiert? Klar, der ganze Korruptionsdreck, in dem der Weltverband IAAF steckt, hat nicht geholfen. Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Das ist mein Sport, der da vor die Hunde geht. Aber es war auch vorher schon schwierig.
Doping? Kann eigentlich auch nicht der Grund sein. Da gab und gibt es regelmäßig Enthüllungen und Skandale, wie jetzt erneut in Russland. Doch der Verdacht fällt allgemein auf die gesamten Sportler. Auch die Deutschen, die sich dann wieder für jede neue Bestleistung rechtfertigen müssen. Dabei ist das doch genau das, was die Medien eigentlich sehen wollen: Bestleistungen, neue Helden.

… und keiner will Leichtathletik sehen

Wenn ich mir das vorstelle: Vielleicht fahre ich zu den Olympischen Spielen und keiner will Leichtathletik sehen. Vielleicht laufe ich wahnsinnig gut und niemand sieht hin, weil alle denken, die Sportart sei total verseucht. Das ist eine so furchtbare Vorstellung, da könnte ich heulen.
Vermutlich werden wir in Rio auch die russischen Leichtathleten wiedersehen. Ein deutscher Leichtathlet kann das nicht verstehen: Wie kann die Welt-Anti-Doping-Agentur, die Wada, einen Kodex verabschieden und dann Länder zulassen zum internationalen Wettbewerb, obwohl sie sich nicht daran halten? Die sich nach dem Skandal nur scheinbar wieder auf dem richtigen Weg befinden. Natürlich darf man nicht vergessen, dass die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) in Deutschland die Vorgaben der Wada übererfüllt. Aber wie können Länder an Wettbewerben teilnehmen, die nicht mal eine eigene Nada haben oder deren Nada, wie die russische, suspendiert ist? Warum sind Athleten startberechtigt, deren Verbände non-compliant sind, also nicht den Regeln entsprechen?

Morgens 6 Uhr klingeln die Dopingkontrolleure

Wir deutschen Leichtathleten haben uns damit abgefunden, dass man morgens um 6 Uhr aus dem Bett geklingelt wird, um seine Doping-Probe abzugeben. Man öffnet im Schlafanzug und uriniert wenig später im Badezimmer vor den Augen einer fremden Frau in einen Plastikbecher. Danach füllt man die minimum 90 Milliliter Urin in zwei versiegelbare, manipulationssichere Behälter um und füllt diverse Formulare aus. Wenn alles schnell geht, dauert das etwa dreißig Minuten, aber es können auch einmal mehrere Stunden vergehen, wenn etwa die Dichte des Urins nicht den Anforderungen entspricht oder der Harndrang auf sich warten lässt. All das nehmen wir in Kauf. Doch sollte das nicht für alle Sportler – nicht nur für Leichtathleten – weltweit so sein?

Mein bestes Rennen kommt noch

Manchmal werde ich gefragt, warum ich nicht meine Verletzung zum Anlass genommen habe, auszusteigen. Eine Vollzeitstelle anzutreten und Karriere zu machen. Aber ich kann nicht mit 35 Jahren sagen: Da ist noch was offen, ich will mich für Olympia qualifizieren. Ich muss es jetzt versuchen, mit 28. Ich weiß, dass ich mein bestes Rennen noch nicht gelaufen bin. Zu erleben, wie ich mich in einem guten Lauf selbst übertroffen habe, wie ich mir sage: So schnell warst du! Auf der Laufbahn zu sein, wenn die Zuschauer aufspringen und schreien und klatschen – das bietet mir einzig und allein der Sport.

(aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19.3. 2016)

Andreas Busse – Vom Weltklasse-Mittelstreckler zum Veranstaltungsmanager

?
Andreas Busse mit einem „Feuerfisch“ (leon fish) 2013 in Kuba am Strand von Cayo Libertad

Der Dresdner Andreas Busse sorgte als Mittelstreckler in den 80er Jahren für Aufsehen, als er in die Weltspitze vorstieß. 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau ging er zweimal auf Medaillenjagd, aber es blieb am Ende nur ein vierter Platz. „ Enttäuscht war ich trotzdem nicht, denn immerhin war mit Sebastian Coe, Steve Ovett, Steve Cram und Jürgen Straub die Weltspitze komplett vertreten, und ich war gerade mal 20 Jahre alt.“ Und seine Leistungen wurden in den nächsten Jahren noch besser. Mit 1:34:10 min über 1500 m kurz vor Los Angeles 1988 konnte er sich erneute Medaillenchancen ausrechnen. Doch dann die größte Enttäuschung seiner Laufbahn: Der Boykott der Ostblockstaaten. Dahin waren alle Medaillenträume.“ 1988 beendete er seine sportliche Karriere.
Heute ist Andreas Busse Projektleiter für Veranstaltungen in Karlsruhe.

Am Rande der diesjährigen Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig konnte sich der mittlerweile 56-Jährige noch gut an alles erinnern. Für seinen Doppelstart in Moskau über 800 m und 1500 m hat Andreas Busse eine einfache Erklärung: „Ich war schnell genug und hatte auch die entsprechende Ausdauer“. Es war ein hartes Programm, zumal er sich kurz vor Moskau noch eine Zerrung zugezogen hatte. „ Außerdem hatten wir alle andere Rennen erwartet, mit einem Sieger Coe über 800 m und Ovett über 1500 m. Doch dann war das Ergebnis genau umgekehrt.“ Und Busse wurde nur Fünfter über 800 m.
Anschließend hatte er nur kurz frei. „ Da sah ich mir live das Handballfinale zwischen der DDR und der UdSSR an, welches die DDR mit 23:22 nach Verlängerung gewann. Das war mein einziges Olympiaerlebnis“. Ansonsten war er ständig selbst aktiv, zunächst bei 3 Läufen über 800 m und dann nochmals bei 3 Läufen über 1500 m, wo er im Finale Vierter wurde.
Heutzutage ist ein solches Programm schwer vorstellbar.

OS 1980 1500 m Straub, Coe, Cram, Ovett, Busse (v.r.
Finale über 1500 m bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau. Von rechts: Straub, Coe, Cram, Ovett, Busse (296); Foto: Sportverlag / Schlage

Schwer vorstellbar auch, was man empfinden würde, wenn einem kurz vor dem Größten, der Teilnahme an Olympischen Spielen, plötzlich mitgeteilt wird, daß boykottiert wird. „Ich war im bulgarischen Plowdiw im Trainingslager, als der Trainer uns das mitteilte. Da brach bei mir eine Welt zusammen. Dabei waren wir ein Jahr zuvor im Rahmen des Länderkampfes USA-DDR schon mal in Los Angeles gewesen, kannten also die Wettkampfanlagen und das olympische Dorf in der „University of Southern California“.
Da war es dann nur ein schwacher Trost, als nach der Olympiade die von ihm in Potsdam erzielten 1:34:10 mit dem Ergebnis von Los Angeles verglichen wurden und für ihn ein dritter Platz errechnet wurde. „Ich war für die DDR nun Bronzemedaillengewinner, bekam den Vaterländischen Orden in Bronze und durfte nach Kuba fahren.“

Andreas Busse klein Autogrammkarte eins

Andreas Busse klein Autogramm zwei
Zwei Autogrammkarten aus früheren Zeiten

Andreas Busse blieb zwar weiter aktiv, aber die jüngeren und schnelleren Hauke Fuhlbrügge und Jens-Peter Herold rückten nach. „ Als man mir sagte, daß ich zu alt sei und die Reise zu den Olympischen Spielen 1988 nach Seoul zu teuer sei, hörte ich dann auf, und das ziemlich abrupt“.

Finanzfachmann in Berlin

Aber zumindest fiel er nicht beruflich nicht in ein Loch. Er hatte zunächst in Dresden ein Kfz-Ingenieurstudium begonnen, war dann zum Sportstudium gewechselt. An der Dresdner Außenstelle der DHfK Leipzig studierte er, aber dann kam der Abschied vom Sport und das Angebot, in Berlin in der Zentrale des Deutschen Verbandes für Leichtathletik (DVfL) zu arbeiten. Diese Gelegenheit packte er beim Schopfe und war ab 1989 in der Storkower Straße in Berlin in der Abteilung Finanzen beschäftigt. Dort befaßte er sich vor allem mit den Abrechnungen größerer Veranstaltungen wie DDR-Meisterschaften und Crossmeisterschaften. Als Delegationsleiter begleitete er auch eine Mannschaft nach Bulgarien.
„ Zur Wende und mit der Auflösung des DVfL Ende 1990 haben wir das noch vorhandene Material an die Sportclubs verkauft.“ Sie waren also praktisch diejenigen, die das Licht ausmachten. Aber nicht im Sinne der Floskel, die auf die wachsende Republikflucht anspielte. Die war ja mit der Einheit nicht mehr nötig.

Projektleiter für Veranstaltungen

Andreas Busse aber mußte sich nun um eine neue Arbeitsstelle bemühen. Als beim Sport-und Bäderamt der Stadt Karlsruhe eine Stelle im Bereich Veranstaltungsbetreuung ausgeschrieben wurde, bewarb er sich dort. Er wurde angenommen und ist seit dem 2. Januar 1991 in Karlsruhe als Projektleiter tätig. Aktuell ist Andreas bei der Karlsruher Event GmbH, einer städtischen Tochter, als Projektleiter für Sportveranstaltungen angestellt.
„Seit nunmehr 20 Jahren betreue ich das Indoor-Meeting der Leichtathletik.“ Aber auch für andere Sportarten wie Handball, Basketball, Volleyball, Boxen oder Radsport und Turnen oder Tischtennis hatte er mit den Hut auf.

Die Europahalle“ war eine für den Sport sehr taugliche Halle. Aber auch Konzerte wurden dort durchgeführt. Die Zahl der dort Auftretenden ist lang gewesen und reichte von André Rieu und Hansi Hinterseer über die Ärzte, BAP, Boss Hoss, Deep Purple, Chris de Burgh, PUR, Yes, Hooters oder Status Quo, Die Toten Hosen, Silbermond bis zu Mario Barth, Bylent Ceylan, Helene Fischer uvm.

Ein wenig stolz ist Andreas Busse vor allem darauf, daß er das Indoor-Meeting mit aufgebaut hat. Gründer und lange Zeit dabei war Siegfried König als 1. Meeting Direktor, der vor allem für die Athletenverpflichtung zuständig war. Der holte dann Alain Blondel mit ins Boot und zog sich selbst aus beruflichen Gründen zurück. Auch mit Blondel kommt Andreas Busse sehr gut aus. „Alain war Trainer und ist Manager, war 2014 in Zürich bei den letzten Europa-Meisterschaften Technischer Direktor und nutzt seine guten Verbindungen, auch bis in die IAAF- Zentrale hinein. Alain ist auch einer der Mitinitiatoren der neuen Indoor-World-Tour bei der IAAF, sozusagen „unser Mann vor Ort“.
Er ist in Karlsruhe unser Sportdirektor und als meine rechte Hand die perfekte Ergänzung.“
Andreas Busse aber trägt die Hauptverantwortung für die gesamte Durchführung und ist ganzjährig u.a. mit dieser Veranstaltung befaßt. „Hier sehe ich mich sowohl als „Strippenzieher“ wie auch als Teamleiter.“

2014: Das Aus für die Europahalle

Eine echte Bewährungsprobe für das ganze Team begann im Mai 2014, als die Europahalle von der Gebäudeverwaltung wegen diverser Probleme, vor allem aus brandschutztechnischer Sicht gesperrt wurde. Das Indoor-Meeting stand damit auf der Kippe. Die Hauptfrage war, ob man in einer der vorhandenen Messehallen die Leichtathletik anbieten kann. Andreas Busse schildert das in einem Rückblick so: „ In der Europahalle war die Leichtathletikanlage fest eingebaut, konnte also nicht einfach ausgebaut werden. Mobile Anlagen aber gibt es nur wenige. Ich hatte das Glück, in Karlsruhe den gebürtigen Amerikaner Darrell Tuxford zu haben, der mit der Sportartikelfirma Nordic gute Kontakte hatte. Tuxford kaufte in Göteborg die alte EM-Anlage für die Stadt Karlsruhe. Die Rundbahn war fertig konfektioniert, wurde auf Paletten gelagert und transportbereit. Das Infield aber bestand nur aus einzelnen Rollen. Die hätten geklebt werden müssen, und die Gefahr war groß, daß das nicht hält bzw. nicht paßt. So ließen wir bei der estnischen Firma „Kanstet“ den Unterbau als Guß anfertigen, mit Holzplatten belegen, und die Läufer darauf verkleben, um dann alles wieder in einzelne kleine Platten zerschneiden und palettieren zu lassen. Insgesamt 17 Trucks aus Schweden und Estland haben das Material nach Karlsruhe gebracht, und hier wurde das Puzzle wieder zusammengesetzt.
Meine Hauptaufgabe bestand darin, alle technischen Gewerke und die Leichathletik-spezifischen Dinge termingerecht zusammen zu führen.“
Voller Spannung erwartete man dann den ersten Testwettkampf, aber die Anlage hielt das, was sie versprach. Und auch die folgenden Bewährungsproben beim Indoor-Meeting, bei den Süddeutschen Meisterschaften und den Deutschen Meisterschaften 2015 verliefen erfolgreich. „ So gut, daß beim DLV gleich der Gedanke aufkam, sich für Hallen-Europameisterschaften zu bewerben.“
Busse und Blondel klein

Und deshalb wurden Andreas Busse (links) und Alain Blondel auch nach Prag geschickt, um sich die Hallen-EM 2015 anzusehen.

Schon 25. Hochzeitstag

Beruflich lief also bei Andreas Busse vieles wie gewünscht. Und auch privat setzte er auf Kontinuität. „Wir hatten gerade unseren 25. Hochzeitstag.“ Seine Frau Petra kennt er schon fast ein Leben lang, seit ihrer gemeinsamen Vereinszugehörigkeit beim SC Einheit Dresden. Petra Krug war ebenfalls Leichtathletin, spezialisierte sich auf die 400 m Hürden, lief 1989 ihre Bestzeit von 54,35 s und gewann 1989 auch die letzten DDR-Meisterschaften.
An der Leipziger DHfK schloß sie ihr Sportstudium ab und hatte bei der SG Dynamo Hohenschönhausen in Berlin ihre erste Arbeitsstelle als Trainerin einer Jugendgruppe. Sie war noch einiges länger als Andreas aktiv, trainierte zuletzt bei Inge Utecht zusammen mit Ellen Fiedler in Berlin. Im Juni 1991 kam ihr Sohn Marc zur Welt.
Anschließend versuchte sie es nochmals, sich für die Olympischen Spiele 1992 zu qualifizieren. Doch sie hatte eine Schilddrüsenunterfunktion, und es dauerte zulange, bis sie richtig medikamentös eingestellt war. Der Zug nach Barcelona war damit abgefahren, und Petra beendete 1992 ihre Karriere.

Heute arbeitet Petra Busse als Übungsleiterin bei der SG Siemens in Karlsruhe und bietet vom Kindergarten bis zum Seniorensport, von der Rückenschule über Nordic Walking bis hin zu Stepp-Aerobic alles im Verein an.
Andreas Busse ist ebenfalls noch sehr aktiv, fährt täglich 15 km mit dem Rad zur Arbeit, spielt bei der SG Siemens zweimal pro Woche Tischtennis. Einige Zeit hat er auch Nordic Walking praktiziert. „ Nur das Laufen habe ich heruntergeschraubt. Wenn ich heute mal laufe, dann maximal 45 Minuten und ganz moderat“.

Ruhe und Entspannung beim Angeln

Ruhig und moderat geht es auch bei seinem wichtigsten Hobby zu, dem Angeln. „Schon als Kleinkind bin ich mit einer kleinen Handangel losgezogen und war stolz, wenn ich einen Fisch gefangen hatte. Auch ins Trainingslager in Kienbaum bin ich oft mit Koffer und Angel angereist. Ich hatte immer einen Angelausweis, später den Fischereischein. In Karlsruhe haben wir eigene Seen, auch am Rhein angele ich gern.
Und was ist für ihn das Besondere am Angeln?
Die Ruhe, die Entspannung und das Naturerlebnis. Ich finde es einfach schön, wenn ich beispielsweise einen Eisvogel beobachten kann. Und das kann ich hier in Karlsruhe, wo ich mich insgesamt sehr wohl und inzwischen auch heimisch fühle.“

Peter Grau

Alexandra Wester: Vom Laufsteg in die Weitsprunggrube

Weitspringerin Alexandra Wester hatte sich mit ihrem 6,95 –m-Satz beim 3. ISTAF-INDOOR in Berlin direkt in die Weltspitze katapultiert.

Nachklang 164

Danach mit Wolf-Dieter Poschmann im Interview

Naturgemäß stiegen damit auch die Erwartungen der Öffentlichkeit für ihren ersten Auftritt in der deutschen Nationalmannschaft bei der Hallen-WM in Portland (USA) spürbar an.

Zwei Tage vor ihrem dortigen Finalauftritt hatte mein Kollege Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Geschichte über einen kürzlichen Besuch an der Kölner Trainingsstätte der 21-Jährigen veröffentlicht.

Auch wenn Alexandra Wester dann bei der Hallen-WM nicht alle Erwartungen erfüllen konnte, nach einem ersten ungültigen Versuch nur schwer in die Gänge kam und am Ende mit 6,67 m in einem sehr starken Wettbewerb „nur“ Sechste wurde, lohnt es sich nochmals, Auszüge aus dem FAZ-Artikel vom 18. März 2016 zu lesen:

Grau lastet der Himmel auf der Stadt. In Kälte und Nieselregen trainieren Leichtathleten. An den Maschinen im Vereinsgebäude schuften Freizeitsportler. Andere wärmen sich an Tee- und Kaffeetassen die Hände. Willkommen beim ASV im Westen von Köln.

Southbeach Miami: Sonne, Sand, Meer. Eine Yacht bringt Alexandra Wester an den Strand, damit sie mit uns unter Palmen Liegestütz und Kniebeugen übt oder den Reifen eines Trucks stemmt. „Al-X-Fitness“ heißt das Programm. Das Video ist noch zu sehen im Internet. Doch es ist Vergangenheit.

Warum nur hat Alexandra Wester, wie sie 1,80 Meter groß, athletisch und strahlend vor uns steht im Klubhaus, Florida aufgegeben für das Rheinland?
„Ich habe Miami total genossen“, antwortet die 21-Jährige. „Aber ich habe mich für den Hochleistungssport entschieden.“ Dieser hat, das ist gewiss, nur auf sie gewartet. Beim Hallen-Istaf in Berlin machte die Weitspringerin einen Satz, der erst fünf vor sieben endete. Die 6,95 Meter bewiesen: Sie ist auf dem Sprung in die Weltklasse. Seit Heike Drechsler, Olympiasiegerin von Barcelona 1992 und Sydney 2000, ist keine deutsche Athletin mehr so weit gekommen…
So weit war in diesem Winter weltweit noch keine Frau gesprungen. Von Druck will sie dennoch nichts wissen. „Das ist allgemein bekannt, dass auf einem Athleten mehr Druck lastet, sobald er so eine Hammerweite raushaut“, sagt sie. „Für mich ist das eine Befreiung. Der Sprung hat mir Druck genommen.“

Weitsprunggrube im Garten

Vor Miami war Saulheim in Rheinhessen. Dort wuchs das Mädchen auf. Tochter eines Deutschen und einer Mutter aus Ghana, geboren in Gambia, trägt sie an einem Lederband eine Kauri-Muschel am Hals. „Sie erinnert mich daran, woher ich komme“, sagt sie. „Sie ist mein Glücksbringer.“
Doch mit dem Schicksal ist das so eine Sache. Damit die kleine Alexandra ihre unbändige Energie kanalisieren konnte, setzte ihr Großvater einen speziellen Sandkasten in seinen Garten: eine >Weitsprunggrube. Das Mädchen nutzte sie begeistert. Aus dem Kind wurde eine Leichtathletin, so vielseitig wie vielversprechend.

Totalschaden am Knie

2011 sollte sie als Mehrkämpferin an der U-18-Weltmeisterschaft in Lille teilnehmen; ihr erster internationaler Einsatz. Zwei Wochen vor der Qualifikation stürzte sie schwer beim Hürdenlauf. Die Diagnose war niederschmetternd. „Totalschaden im Knie“, fasst sie die Bänder- und Meniskusrisse heute zusammen.

Da hätte ihre sportliche Laufbahn schon zu Ende sein können. Doch sie bewies, wie groß ihr Talent und ihr Ehrgeiz sind. Weil das Knie, das linke, das ihres Sprungbeins, wohl nie mehr so belastbar sein würde wie zuvor, lernte sie um. Nun springt sie mit rechts ab, wie manchmal als Kind. Und sie nahm das Angebot an, mit ihrer großen, schlanken Figur Kleidung zu präsentieren.
Bevor sie in diesem Winter beim Istaf in Berlin die mehr als 12.000 hingerissenen Zuschauern mitnahm in den Anlauf zum Weitsprung, war sie schon zweimal bei der Fashion Week in der Stadt gewesen. Nicht, dass sie den Anlauf in einen Catwalk verwandelt.
Aber neben der Leistung, über die nackten Zahlen hinaus, aus denen die Resultate der Leichtathletik bestehen, hat sie etwas zu bieten, das rar ist im Sport: die Interaktion mit dem Publikum, die Freude, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und die Fähigkeit, ihre Freude am Erfolg mit den Zuschauern zu teilen.

Alexandra Wester klein Leipzig sitzend

Entspannt bei den Deutschen Meisterschaften in Leipzig
Foto: Dirk Gantenberg

Was vor fünf Jahren womöglich ein Ausweg war, sich über Schmerz und Zweifel hinwegzutrösten, das Modeln, gibt ihr heute die Sicherheit, im Scheinwerferlicht zu bestehen. Wer sie bei ihren Fernsehauftritten gesehen hat seit Berlin, weiß, dass sie das Potential zum Star hat.
Auch deshalb nennt sie, wenn sie von großen Leichtathleten spricht, die Läuferin Alyson Felix, die immer wieder Verletzungen überwand, Usain Bolt, der eine ganz eigene Lockerheit ausstrahlt, vor allem Zehnkämpfer Ashton Eaton und Heike Drechsler, weil sie im größten Erfolg bodenständig geblieben seien. Es klingt wie eine Mahnung an sich selbst, wenn die Weitspringerin verspricht: „Abheben ist nicht.“

Alexandra Wester klein Leipzig springend

Alexandra Wester wird in Leipzig 2016 deutsche Meisterin
(Foto: Dirk Gantenberg)

Im Sport allerdings doch. Seit ihrer Verletzung konzentriert sich Alexandra Wester mehr und mehr auf ihre stärkste und liebste Disziplin, den Weitsprung. „Für mich war das viel mehr Druck als heute“, sagt sie, „als ich zurückkam und niemand an mich glaubte.“ Bundestrainer Uli Knapp allerdings hatte immer ein Auge auf die lange, schlanke Athletin. „Sie hat gute Hebel“, sagt er. „Ich habe sie immer als Weitspringerin gesehen. Im Gegensatz zu vielen anderen großen, schlanken Frauen ist sie schnell und explosiv.“

Personaltrainer in den USA

Die Welt des Sports erschien ihr reizvoller als die der Mode. Ein Stipendium der University of Miami eröffnete ihr den Weg nach Amerika. Alexandra Wester ließ sich zum Personal Trainer ausbilden und wurde Fitness-Coach mit eigenem Youtube-Kanal. Aus Alexandra wurde Al-X.
Dann ein Muskelfaserriss. Es scheint, dass unter den vielen Verletzungen ihres Lebens diese ein Glück war. Denn die Sportlerin war damit raus aus der Knochenmühle der College-Wettkämpfe, in denen sie mehrmals täglich hart trainieren und wöchentlich in verschiedenen Disziplinen hätte antreten müssen. Übers Internet stimmte sie mit Bundestrainer Knapp ihr Reha- und Fitnesstraining ab und profilierte ihre Athletik von Masse auf Schnellkraft um. Autoreifen stemmt sie seit gut einem Jahr nicht mehr. Von elf Einheiten pro Woche fuhr sie ihr Training runter (in Köln sind es fünf). Fußgelenke, Achillessehne, Knie und Hüftbeuger erholten sich. Alexandra Wester baute Muskeln ab. In Miami wog sie zeitweilig 72 Kilo. Nun, in Köln, bringt sie nicht mehr als 64 Kilo auf die Waage.

Erst im Sommer 2015 war Alexandra Wester wieder bereit für Wettkämpfe. Aber sie wusste, sie würde ihr Stipendium, das einen Wert von reichlich 60.000 Dollar hat, nicht verlängern. Auf eigene Faust flog sie nach Los Angeles, um ihr Comeback im Weitsprung zu geben. Die 6,29 Meter, die ihr gelangen, hatten einen hohen Preis. „Beim letzten Sprung zieht es extrem in meinen Fuß rein“, erinnert sie sich. „Mir wurde schwindelig, der Fuß schwoll an.“ Um nicht das Comeback zu gefährden, das sie sich selbst erarbeitet hatte und mit dem sie die große Hoffnung verband, redete sie sich ein, dass dies eine Stauchung sei – bis im Oktober, lange nach der deutschen Meisterschaft und ihrem Entschluss, nach Köln zu gehen, ein Sportarzt feststellte: „Die Bänder sind weg.“ Nun macht sie, zusätzlich zu den Stabilitätsübungen für ihr linkes Knie, auch noch Übungen für den rechten Fuß.

Zurück nach Deutschland

„Die Entscheidung, zurück nach Deutschland zu gehen, war schwer“, sagt sie. „Aber ich habe das Gefühl: Für den Leistungssport, wenn ich wirklich ganz oben ankommen möchte, ist das richtig.“ Schon vor sieben Jahren, als Rio de Janeiro den Zuschlag erhielt, in diesem Sommer die Olympischen Spiele auszurichten, hatte sie sich vorgenommen: Da will ich hin.
Kann es ein besseres Omen geben als die schnurgerade Verbindung zwischen ihrem Studienort, der Sporthochschule und ihrer Trainingsanlage beim ASV? Sie heißt Olympiaweg.

Was hat Köln, was Miami nicht hat?

Zwei Daumen und eine Mütze“, ruft Charles Friedek. Und hebt zwei Daumen. 44 Jahre alt ist der Mann inzwischen, der 1999 erst in der Halle von Maebashi und dann im Stadion von Sevilla Weltmeister im Dreisprung wurde. Der Deutsche Leichtathletik-Verband beschäftigt ihn als Bundestrainer für den Dreisprung.
Alexandra Wester trainierte gerade zwei Wochen bei ihm, da sprang sie 6,59 Meter, 13 Zentimeter weiter als je zuvor. Jeden Trainingstag hatte er sie einen Zentimeter besser gemacht. „Da wusste ich“, sagt sie, „er ist ein sehr besonderer Trainer.“ Er gibt das Kompliment zurück: „Alexandra ist ein sehr fokussierter Typ mit hohen Zielen. Sie hat das Potential, sie zu erreichen.“

Alexandra Wester klein zwei Fotos nebeneinadner

Eine tolle Entwicklung hat Alexandra Wester von 2009 bis 2016 genommen.
Fotos: Dirk Gantenberg (website: www.diga-media.com)

Ihr Krafttraining bestimmt die Fitness-Expertin selbst. Friedek ist für die Trainingsplanung zuständig. Im selbstbewussten Austausch begegnen sich die Athletin, die am 21. März 22 Jahre alt wird, und ihr doppelt so alter Trainer auf Augenhöhe. Für ihn ist die Herausforderung, ihr Talent in Erfolg umzumünzen, mindestens ebenso groß wie für sie. Für den Sport verzichtet sie derzeit auf die Welt der Mode. „Vielleicht später einmal wieder“, sagt sie. Wieder gilt es für sie, sich zu konzentrieren. Dennoch will sie, im Gegensatz zu vielen anderen Leichtathleten, auf die Hallen-Weltmeisterschaft in Portland nicht verzichten. „Nach so vielen Anläufen werde ich endlich das Nationaltrikot tragen“, sagt sie. „Wegen zwei Wochen Aufbautrainings sollte man so eine Gelegenheit nicht sausen lassen.“ Sie freut sich darauf, zu lernen, mit der Stimmung, mit den Abläufen und mit der Konkurrenz bei einem Großereignis umzugehen.

Knackt sie auch die Sieben-Meter-Marke?

Wird Alexandra bei der WM sieben Meter springen? „Damit legen Sie die Latte ganz schön hoch“, sagt der Bundestrainer. „Manchmal hat es jahrelang keinen Sieben-Meter-Sprung gegeben.“ Wer allerdings in der Halle so weit springe, könne in der Freiluft-Saison, sobald er den richtigen Windstoß von hinten erwische, auch mal 7,10 Meter weit fliegen, prognostiziert er. Die Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen von London 2012 und bei der WM von Peking 2015 gingen für nur ein kleines bisschen mehr weg: 7,12 und 7,14 Meter.

Was hat Köln, was Miami nicht hat? Eine Perspektive, die selbst über Rio hinausreicht.

Michael Reinsch, FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin

Michael Reinsch

Jochen Busse: Weitspringer, Trainer und Sporttherapeut

Busse Jochen klein Autogrammkarte

„ Das war mein bester Sprung, diese 8,12 m am 19. Juli 1981 auf Schalke“. So beschreibt Jochen Busse, seines Zeichens damals Weitspringer, das Video, auf dem der Sprung aufgezeichnet ist, mit allen Emotionen, mit Zehnkämpfer Jürgen Hingsen im Hintergrund und mit dem allseits beliebten und leider zu früh verstorbenen Fotografen Gustav Schröder – dem Mann mit der Baskenmütze – in Aktion.

Auf Schalke, das ist für den gebürtigen Duisburger Jochen Busse nicht nur eine Floskel. „ Im Ruhrpott ist man entweder Schalke- oder Dortmund – Fan. Und ich bin seit eh und je Schalke-Anhänger. So war es für mich als Leichtathleten ein besonderes Ziel, im Parkstadion Gelsenkirchen, das in den 70er-Jahren aus der Glück-Auf-Kampfbahn Gelsenkirchen entstanden war, zu starten. Zweimal, 1975 und 1981, fanden dort die Deutschen >Leichtathletik-Meisterschaften statt. Und beide Male gewann ich im Weitsprung diese Meisterschaften.“

Sein bester Sprung

Interessant ist auch die Geschichte, wie Jochen Busse viel später an dieses Video gekommen ist. „ 2006 kam Marlene Lufen, heute Moderatorin beim SAT 1-Frühstücksfernsehen, nach der Operation ihres gerissenen Kreuzbandes in meine Physiotherapie-Praxis in Köln. Nachdem ich sie behandelt hatte, fragte sie mich, wie sie mir einen Gefallen tun könne. Ich erzählte ihr, daß ich noch nie den besten Sprung meiner Laufbahn, eben diese 8,12 m, gesehen habe. „ So etwas wie die heutigen Mediatheken gab es damals noch nicht. Aber ich hatte die Hoffnung, daß es irgendwo beim Fernsehsender noch eine Kopie der DM 1981 geben könne. Zu dieser Zeit war Marlenes Mann, der ARD-Sportreporter Claus Lufen gerade bei der Fußball-WM in Südafrika. Aber es gibt ja Telefone und so regelten es die Lufens irgendwie. Marlene Lufen kam dann in meine Praxis: „Schau mal, Jochen, was ich hier habe.“ Und sie hatte meinen Sprung auf einer DVD. Als ich ihn dann anschaute, kamen mir die Freudentränen.“

Wie aber war Jochen Busse überhaupt zur Leichtathletik gekommen?

Geboren am 10. März 1954 in Duisburg, lernte Jochen Busse zunächst am Steinbart-Gymnasium. „Mein Sportlehrer Herr Sparritz sah, daß ich als Zwölfjähriger 5 Meter weit sprang und meinte, ich solle in einen Verein gehen. Diesem Rat folgte ich und ging zu Eintracht Duisburg, übrigens auch der Stammverein von Jürgen Hingsen.“ Das Training schlug an. Als 16-Jähriger sprang er 6,60 m und als 18 Jähriger war der nunmehr 1,91 m große Schlaks im Jahr 1972 mit 7,35 m Dritter der Deutschen Jugendmeisterschaften in Bielefeld. Dort lag auch Hans-Peter Briegel vor ihm, die „Walz aus der Pfalz“ und später als Fußballspieler und Trainer bekannt geworden.
Jochen Busse aber verbesserte sich weiter, langte 1974 bei 7,85 m an und war damit in der deutschen Spitze angekommen. Seine kontinuierliche Entwicklung kam auch daher, daß er nach der Schule zur Bundeswehr gegangen war und zwar als Sportsoldat nach Warendorf. Und danach begann er mit einem Studium an der Sporthochschule in Köln. Sportlich war er auf der Jagd nach den 8 Metern, aber auf diesem Weg gab es 1978 einen Rückschlag, als er einen schweren Unfall mit Schädelbruch und langem stationären Aufenthalt hatte. Da stand seine sportliche Laufbahn auf der Kippe.

Zusammen mit Mögenburg und Thränhardt

Ein Jahr Ausfall war die Folge, doch bei neuen Vereinen, zunächst Bayer Leverkusen und dann ASV Köln, ging es wieder aufwärts. „ In Köln kam ich in eine Trainingsgruppe mit Brigitte Holzapfel (heute Kurschilgen und Bundestrainerin), Ulrike >Paas, Dietmar Mögenburg und Carlo Thränhardt. Und ich merkte schnell, daß unter Trainer Dragan Tancic ganz anders trainiert wurde, anders, als ich es vorher kannte. Und von Tancic habe ich sehr viel für meine spätere Trainerlaufbahn gelernt.“ Aber nicht nur das Training gestaltete sich anders. „Auch das Leben, das die führten, gefiel mir. Angefangen von den langen Aufenthalten im Trainingslager Estepona im spanischen Andalusien.“ Bis dahin hatte Jochen Busse international noch nicht mitmischen können, aber nun fiel bald die 8-Meter-Marke, 1980 in Warschau. Und diese 8 Meter bedeuteten auch damals schon etwas. „ Ich kam damit in jedes internationale Feld, konnte in Zürich, Berlin und Brüssel starten.“ Und was noch wichtiger war: Er konnte sich für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau qualifizieren. „ Wir waren bereits komplett eingekleidet und voller Vorfreude, doch dann erreichte uns die Nachricht vom Boykott. Die Enttäuschung war natürlich groß. Als kleines Trostpflaster wurde eine Alternativveranstaltung in Philadelphia (USA) organisiert. Die Ergebnisse wurden mit denen von Olympia verglichen und danach ein sechster Platz ausgerechnet. „Dafür bekam ich dann eine bescheidene Prämie und eine Reise für 14 Tage nach Vancouver/Kanada.“
Aber Jochen Busse gab nicht auf, steigerte sich weiter, bis zu den 8,12 m auf Schalke.

Jochen Busse 8,12 m

Und er nahm einen zweiten Anlauf, an Olympischen Spielen teilzunehmen. „ 1984 wurde ich deutscher Meister mit einer Weite von 7,92 m bei Gegenwind, war außerdem in Fürth 8,01 m gesprungen und hatte die Olympianorm geschafft.“ Aber er wurde nicht mitgenommen. „ Ich war 30 Jahre und die Funktionäre haben mir gesagt, daß ich zu alt sei“.

Diplomarbeit über Bob Beamons 8,90 m-Satz

Sicherlich war Jochen Busse enttäuscht, Olympia nicht erleben zu dürfen. Aber er bekam schnell die Kurve, suchte nun nach dem Ende seiner sportlichen Karriere die nächste Bewährung. „ Ich wurde Trainer, und da bin ich erst so richtig zum Profi geworden. Trainer bin ich auch deshalb geworden, um bei meinen Athleten die Fehler zu vermeiden, die ich gemacht habe. “
Um Trainer zu werden, mußte Jochen Busse zunächst sein Sportstudium abschließen. „Die letzte Hürde war die Diplomarbeit, die ich in Anatomie schrieb, was mir später viel geholfen hat“. Als Weitspringer wählte er ein naheliegendes Thema: „ Ich habe den 8,90-m-Sprung von Bob Beamon bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko anatomisch analysiert, d.h. auf 84 Seiten untersucht, welcher Muskel wann wo arbeitet. Es war gewissermaßen eine Symbiose aus Anatomie und Biomechanik.“ Diese Arbeit wurde für gut befunden, und Jochen Busse hatte damit den Diplomsportlehrer (heute Diplomsportwissenschaftler) in der Tasche.
Im Fitneßstudio
Aber er wurde nicht gleich Trainer, sondern er eröffnete zunächst gemeinsam mit Partnern in Köln ein Fitneßstudio. „ Ich war dort Teilhaber und Teilzeitangestellter.“ Es war ein völlig neues Konzept innerhalb eines Hotels, des Ascot-Hotels am Hohenzollernring.“ Aber das lag ihm mehr, als etwa Berufssoldat bei der Bundeswehr zu werden oder den Verwaltungsweg einzuschlagen.

Ein Anruf von Mögenburg

Wie oft in seinem Leben kam dann überraschend ein Wechsel. Hochspringer Dietmar Mögenburg, mit dem er ja noch gemeinsam trainiert hatte, rief eines Montags an. „Didi, so sein Spitzname, fragte, ob ich sein Trainer werden wolle. Ich, der ja nur sieben Jahre älter war, sagte sofort zu, und am Mittwoch saßen wir schon gemeinsam im Flugzeug nach Los Angeles. Zwei Monate trainierten wir dort und anschließend begann eine erfolgreiche Zeit.“ Insgesamt holte sich Dietmar Mögenburg auf Welt-und Europaebene acht Goldmedaillen, u.a. Gold bei den Olympischen Spielen 1984.

Busse und Didi klein
Jochen Busse (links) und Dietmar Mögenburg

Doch Jochen Busse sieht es auch kritisch: „Er war erfolgreich, aber nicht erfolgreich genug. Nach seinen Erfolgen nervte es dann, daß Didi auf einmal nur noch Vierter wurde. Er hatte massive Knieprobleme, aber ich habe ihn körperlich immer noch so hinbekommen. Aber wegen der Schmerzen konnte er die gute Technik nicht mehr springen. Am Ende waren wir beide unzufrieden, und Didi trennte sich von mir und ging wieder zu Tancic zurück“.

Trainer von Sabine Braun

Jochen Busse aber war inzwischen hauptamtlicher Trainer in Wattenscheid geworden, trainierte dort auch gemeinsam mit Gertrud Schäfer die Mehrkämpferin Sabine Braun. „ Sabine Braun wurde in Split Europameisterin und Weltmeisterin 1991 in Tokio. Ich habe sie im Hochsprung von 1,86 m auf 1,94 m und im Weitsprung auf 6,67 m gebracht.“

In dieser Zeit der politischen Wende und dem Ende der DDR kamen von dort, besonders aus Erfurt und Chemnitz, viele Athleten, um in Wattenscheid zu trainieren. Und der Wattenscheider Mäzen Steilmann nahm sich ihnen sofort an. „ Zu mir kamen u.a. die Weitspringer Konstantin Krause und Dreispringerin Angela Barylla. “
Aber dann gab es wieder einen der Zufälle im Leben des Jochen Busse.

Konditionstrainer bei den Fußballern

„Als ich eines Morgens mit Sabine Braun trainierte, stand plötzlich Hannes Bongartz in der Halle. Er war damals Fußballtrainer bei der SG Wattenscheid 09, die 1990/1991 in der zweiten Liga spielten.“ Bongartz sagte: „ Ich brauche einen Konditionstrainer.“ Und Busse antwortete: „ Ja, hier! Und dann hat er mich für den nächsten Morgen zum Training eingeladen. Anschließend durfte ich eine Woche auf Probe arbeiten und dann hatte ich den Job.“

Busse Jochen klein Fußball Wattenscheid

Mannschaftsfoto der SG Wattenscheid 09 (Jochen Busse: 2. Reihe, Dritter von rechts)

Das Jahr 1991 wurde zum schönsten Jahr im Berufsleben von Jochen Busse. „ Sabine Braun wurde Weltmeisterin in Tokio und die SG Wattenscheid 09 stieg in die 1. Bundesliga auf.“
In der Leichtathletik hielten die Erfolge danach an, denn Sabine Braun holte 1992 Bronze bei der Olympiade in Barcelona und 1993 Silber bei der WM in Stuttgart.

Aber die Glückssträhne hielt nicht an, zumindest nicht beim Trainer Busse. „ Ich wurde als Trainer betriebsbedingt gekündigt, weil die Abteilung Leichtathletik ein Haushaltsloch von 400.000 Mark aufwies.“ Sabine Braun trainierte er zwar trotzdem weiter, und er war auch noch Konditionstrainer beim Fußball, aber es fehlte ihm nun eine hauptamtliche Tätigkeit.
„ So bin ich Therapeut geworden“, meint er lakonisch. Und im Nachhinein erzählt es sich wieder ganz einfach: „ Ich war ziemlich verzweifelt. Und da kam wieder so ein Telefonanruf: Hier ist der Werner. Wir machen eine Reha in Essen auf, hast Du Lust?“ Werner Kisters, der Anrufer, war früher mal Masseur beim Deutschen Leichtathletikverband (DLV) gewesen. Jochen Busse sah sich das in Ruhe an, war von dem Objekt, immerhin einer Investition von 12 Millionen DM, beeindruckt. Er sagte zu und war fortan Therapieleiter in der “Ambulanten Tagesklinik für orthopädische Rehabilitation“.

Lizenz als Therapeut

Busse Jochen klein Frau behandelnd

Jochen Busse bei der Arbeit

Einen kleinen Haken hatte die Sache aber. Jochen Busse war noch gar kein Therapeut. „ Ich hatte mir zwar ein Grundwissen erworben, im Studium und in der Praxis in Köln. Aber mir fehlten die notwendigen Schriftstücke für die Krankengymnastik, für die Rehabilitation, sprich die Zeugnisse. Das mußte er nun alles in Lehrgängen nachholen. „ Ich fuhr nach Regensburg zu Klaus Eder, dem Physiotherapeuten der Deutschen Fußballnationalmannschaft und habe dort meine Lizenz für Rehabilitation gemacht, die sogenannte EAP-Zulassung. Danach war ich anerkannter Therapeut.“
Und einer, der vor Arbeit kaum mehr eine Ruhepause hatte. „ Ich bin morgens in die Klinik nach Essen fahren, danach nachmittags zum Konditionstraining der Fußballer nach Wattenscheid. Und ich hatte auch noch Sabine Braun und andere Leichtathleten wie Weitspringer Konstantin Krause zu trainieren.“

Da war es dann eine „Arbeitsentlastung“, als Ende er 90er die Trennung von Sabine Braun kam. „ Gertrud Schäfer, die Haupttrainerin von Sabine, hatte gekündigt und da habe ich gesagt, daß ich auch nicht mehr will. Wir haben uns dann freundschaftlich getrennt und haben auch heute noch eine gute Verbindung.“
Die Fülle an Arbeit in den 90er-Jahren hatte jedoch auch einen Preis. Der Sport ließ sich mit einem normalen Familienleben nicht vereinbaren. Und seine erste Ehe, aus der sein Sohn Christoph stammt, wurde geschieden. „ Das hat mich zu dieser Zeit natürlich sehr beschäftigt und einige Konzentration im Job gekostet. Aber der Sport hat mich auch so geprägt, daß ich Konflikte bewältigen kann.“

Probleme durch die Gesundheitsreform

Und Schwierigkeiten gab es dann auch kurz vor der Jahrtausendwende, als die Gesundheitsreform von Ulla Schmidt (SPD) griff, und vorübergehend die ambulante Reha abgeschafft wurde. „ Damals war das Rehazentrum in Essen im freien Fall und ging pleite, weil keine Aufträge mehr kamen. Ich bin da mit einem blauen Auge herausgekommen, auch wenn ich erstmals in meinem Leben arbeitslos war.“ Er ging zum Arbeitsamt und bekam dort den Rat, sich selbständig zu machen. „Ich wurde freier Mitarbeiter in einer Praxis für Physiotherapie und Krankengymnastik in Köln-Widdersdorf an und arbeitete dort von 2003 bis 2012.“
Aber nach wie vor hing Jochen Busse an der Leichtathletik, und deshalb erfreute ihn zu dieser Zeit ein Anruf (das Telefon spielte im Leben von Jochen Busse immer eine große Rolle), der vom Pulheimer SC kam, einem Leichtathletikverein aus der Nähe von Köln, und ihm die Betreuung einer Jugendgruppe anbot. Von 2006 bis 2012 trainierte er also eine Gruppe von 20 Jungen und Mädchen der Altersklasse 14/15.

Umzug von Köln nach Neuruppin

Privat segelte er auch wieder in ruhigen Wassern. Seine jetzige Frau Heike hatte er 2003 in Köln kennengelernt. Sie ist eine gebürtige Neuruppinerin, hatte dort 17 Jahre als Medizinisch-Technische Assistentin in den Ruppiner Kliniken gearbeitet und war nach der Wende nach Köln gegangen, um dort zu arbeiten. „ Sie kam mit einer lädierten Schulter in meine Praxis“, erinnert sich Jochen Busse sehr genau. „ Und dann erzählte sie mir etwas über ihre Geburtsstadt Neuruppin. Künftig fuhren wir oft nach Neuruppin, und es gefiel mir auf Anhieb.“ Ab 2005 beobachteten sie, wie am Ufer des Ruppiner Sees ein neues Hotel gebaut wurde. „ Wir gehörten dann mit zu den ersten Gästen und waren mit der Zeit dort Stammgäste.“ Und bei einem dieser Besuche wurde Jochen Busse in der Bar zufällig Ohrenzeuge, als die Hotelchefin Martina Jeschke sich mit Bekannten über Gesundheit und Sport unterhielt. „ Meine Ohren wurden immer größer, und dann mischte ich mich einfach ein: Entschuldigung, das kann ich. Ich hole ihnen die Bundesliga hierher,“ sagte er in seiner zupackenden, selbstbewußten Art.

Fußballmannschaften nach Neuruppin geholt

Jochen Busse überzeugte und wurde 2012 als Sport- und Gesundheitsmanager im Hotel eingestellt. Morgens arbeitete er im Marketingbüro des Hotels und sorgte dafür, daß viele Fußballmannschaften ins Trainingslager nach Neuruppin kamen. Vom HSV, über Union Berlin, Eintracht Braunschweig, Werder Bremen, RB Leipzig, bis zu Sevilla, alle kamen und waren zufrieden.

6 Die Bullen in der Schleuse

RB Leipzig im Trainingslager in Neuruppin (siehe auch Geschichte mit Tim Lobinger in dieser Rubrik)

Außerdem entwickelte er physiotherapeutische Produkte im Gesundheitswesen, die als Arrangements für Hotelgäste angeboten wurden. Und in seine Gesamttherapie baute er auch Erkenntnisse aus der Kinesiologie ein. Kinesiologie ist die Lehre von der ganzheitlichen Energieversorgung. Damit nutzt man manuelle Muskeltests, Krankheiten und Beschwerden zu diagnostizieren und entsprechende Therapien zu entwickeln. „ Die Gesamttherapie wurde Hotelgästen, aber auch Neuruppinern angeboten und war sehr erfolgreich.“ Auch seine Frau Heike Busse bekam in der Gesundheitstherme des Hotels eine Stellung. Es deutete alles darauf hin, daß die Busses ihr endgültiges Lebensglück in Beruf und Privatleben gefunden hatten. Doch das war ein Trugschluß.

Noch viele Projekte im Kopf

Mitte 2015 zogen fast aus heiterem Himmel dunkle Wolken auf.
Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Hotelchefin und Jochen Busse über die künftige Geschäftsausrichtung und am Ende stand die Trennung. „ Es tat mir zwar sehr leid, denn ich hatte mich dort lange Zeit sehr wohl gefühlt, aber schon aus Selbstachtung mußte ich einen Schlußstrich ziehen. Wenn es deutlich unterschiedliche Auffassungen gibt, ist es besser, wenn man sich trennt.“

Es soll aber noch kein Ende seines Berufslebens sein. „ Ich fühle mich noch nicht alt genug, um aufzuhören. Ich habe viele Projekte im Kopf und bin gespannt, was durchzusetzen ist.“

Peter Grau

Dietmar Koszewski: Vom Hürdenwald zur Tauchbasis

Dietmar Koszewski  allein

Der Berliner Dietmar Koszewski gehörte in den 90er Jahren zu den führenden deutschen Hürdenkurzsprintern. Regelmäßig lieferte er sich u.a. mit Florian Schwarthoff packende Kämpfe über den Hürden.
Seine größten Erfolge waren der siebente Platz bei der WM 1993 in Stuttgart, der Studentenweltmeistertitel 1993 in Buffalo und der dritte Platz bei der Europameisterschaft 1990 in Split.
Dietmar Koszewski ist Diplomphysiker, Diplomingenieur für Luft-und Raumfahrttechnik und außerdem Diplomsportwissenschaftler. Seit 2002 arbeitet er dort, wo andere Urlaub machen: in Port Safaga in Ägypten. Dort ist er Miteigentümer einer Tauchbasis.

Dietmar  klein Tauchanzug

Anfangs der blaue Judo-Gürtel

Wie aber ist Dietmar Koszewski überhaupt zur Leichtathletik gekommen? Wie viele Jungs spielte er in seiner Kindheit Fußball, fand aber nur wenig Gefallen daran. Schon mehr Spaß machte es ihm beim Judo, wo er es bis zum blauen Gürtel brachte. Nur braun und schwarz fehlten ihm dort. Er probierte Vollkontakt-Karate, schnupperte ins Turnen hinein und kam dann zur Leichtathletik, zum SC Charlottenburg. Dort fühlte er sich beim Mehrkampf in einer großen Gruppe unter Trainer „Robbi“ >Kruse sehr wohl, gewann auch seinen ersten deutschen Jugendmeistertitel. Weniger Glück hatte er 1986 bei den Juniorenweltmeisterschaften, als er wegen eines Muskelrisses im Weitsprung aufgeben musste. Die Verletzungen häuften sich und außerdem hatte er große Schwächen in den Würfen.

Der Wechsel zum Hürdensprint

So wechselte er schließlich zu seiner Schokoladendisziplin, dem Hürdensprint . „Hürdenlauf ist technisch sehr anspruchsvoll, verlangt nicht nur Maximalkraft und Schnelligkeit, sondern auch koordinative Fähigkeiten, Technik und ein allgemeines Bewegungsverständnis,“ sagte er 1994 in einem Interview in der Zeitschrift „Leichtathletik“.
Dietmar Koszewski wechselte damals nicht nur die Disziplin, sondern auch den Trainer. Von nun an betreute ihn in Berlin Frank Hensel, der heutige Generalsekretär des DLV.
1988 wurde Dietmar Koszewski Zweiter bei der DM, erreichte mehrmals die Norm für die Olympischen Spiele. Warum er nicht nach Seoul mitgenommen wurde, weiß er bis heute nicht. Es war für ihn eine große Enttäuschung, aber trotzdem dachte er nicht ans Aufhören. Und bald ging es im neu gegründeten LAC Halensee Berlin wieder voran.

Erster deutscher Meistertitel

1989 holte er sich den ersten Titel bei den Männern, bezwang dabei erstmals Florian Schwarthoff. „ Ich war vorher immer Zweiter, hatte mich zeitweise schon damit abgefunden. Aber jeder möchte gewinnen. Doch trotz unserer Konkurrenz verstanden wir beide uns sehr gut, haben viel miteinander erlebt, und diese Freundschaft hat sich bis in die heutige Zeit erhalten.“
Auch international ging es voran. 1990 ließ er in der Bestzeit von 13,41 s mit der unerwarteten Bronzemedaille bei den Europameisterschaften in >Split aufhorchen.
Doch 1991 folgte bei der WM in Tokio ein Rückschlag, als er schon im Vorlauf ausschied. Und bei den Olympischen Spielen von Barcelona kam im Halbfinale das Aus. Doch auch aus diesen Tiefs kämpfte er sich wieder heraus.

Im WM-Finale von Stuttgart

Das Jahr 1993 konnte sich sehen lassen. Zunächst holte er sich den Hallenmeistertitel in Sindelfingen, bei Zeitgleichheit mit Florian Schwarthoff. Und auch der Titelgewinn bei der DM im Freien in Duisburg war Koszewski nicht zu nehmen.
Der Erfolg bei der Universiade in Buffalo stärkte sein Selbstvertrauen weiter. Bei der WM in Stuttgart war er schon im Vorlauf in 13,52 s so schnell wie noch nie in einem internationalen Wettkampf. Im Endlauf blieb er dann nicht fehlerfrei, aber für seinen siebten Rang konnte er sich gemeinsam mit Schwarthoff, der Fünfter wurde, vom begeisterten Publikum auf einer Ehrenrunde feiern lassen.

Physik, Raumfahrt und Sport

Von da an aber setzte er andere Schwerpunkte, gab der beruflichen Ausbildung mehr Raum. 1985 hatte er an der Technischen >Universität Berlin das Studium begonnen. Da er vielseitig interessiert war, wählte er gleich drei Fächer: Mathematik, Physik sowie Luft-und Raumfahrttechnik. Er hatte in der Schule bereits Leistungskurse für Mathematik und Physik belegt und alles, was mit Fliegen zusammenhängt, faszinierte ihn. Zwei Fächer schloss er ab, durfte sich nun Diplomphysiker und Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik nennen. Gern wäre er auch auf diesem Gebiet beruflich eingestiegen, aber es fehlten die entsprechenden Angebote. So kam ihm der Gedanke, seine Physik-Kenntnisse weiter zu nutzen und ein Lehramt Sport /Physik anzustreben. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung sollte sein, in Köln ab 1996 Sport zu studieren. Gleichzeitig versuchte er sich für die Olympischen Spiele 1996 zu qualifizieren. Im entscheidenden Wettkampf bei den Deutschen Meisterschaften im Müngersdorfer Stadion von Köln wurde er aber hinter Florian Schwarthoff, Claude Edorh und Eric Kaiser nur Vierter. Der Zug nach Olympia war damit abgefahren. Und langsam ließ er seine sportliche Laufbahn ausklingen. 1999 hörte er mit dem Hochleistungssport auf.
Sein Sportstudium schloss er ab, war nun auch noch Diplomsportwissenschaftler.

Die Leichtigkeit des Seins beim Tauchen

Und dann vollzog er 2002 einen rigorosen Schnitt in seinem Leben.
„ Ich folgte meiner Passion, dem Tauchen, ging nach Ägypten, um dort unter Wasser meine Ruhe zu finden, Spaß zu haben und anderen das Tauchen beizubringen.“

Tauchen war schon lange sein Hobby. 1988 fing er damit an, und wie es der Zufall wollte, lernte er das Tauchen im ägyptischen Safaga am Roten Meer, dort, wo er nun seine Tauchbasis betreibt. Doch bis dahin sollten noch einige Tauch-Jahre ins Land gehen. „Ich war zum Tauchen in den USA, in Indonesien, Thailand, Malaysia, auf den Philippinen u.s.w.“

Dietmar klein Tauchanzug zwei

Und die Anfangsfreude erlosch nicht. „Ich genoss nicht nur die Ruhe, sondern auch das Schweben und das Gefühl von Wasser auf der Haut“, drückt er es aus. „ Über Wasser sind wir an den Luftdruck, an den Wind u.s.w. gewöhnt. Unter Wasser ist das etwas anderes: Ich atme durch meine Lunge ein, erzeuge Auftrieb und empfinde dann eine Leichtigkeit. Gleich wie schwer man ist, unter Wasser bekommt man ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Und das begeistert mich.“

Viele bunte Fische

Begeistert ist Dietmar Koszewski natürlich auch von dem, was er unter Wasser sieht. Seine Kurzformel: vbF und svF. Das bedeutet: Viele bunte Fische und sehr viele bunte Fische. „ Und wenn die Fische, egal ob groß oder klein, Dich sehen wollen, dann siehst Du sie auch“, schwärmt er. „Mich fasziniert die extreme Vielfalt hier im Roten Meer. Und die Leichtigkeit des Seins und die Ruhe und die Entspanntheit, die
man dort haben kann.“

?
?
?
?
? ?

Dietmar klein Fisch acht

Eine eigene Tauchbasis

Nach Safaga kam er also 2002 wieder, und zwar zunächst als Angestellter. Heutzutage hat er gemeinsam mit den drei Ägyptern Moumen, Ahmed und Essa eine eigene Tauchbasis mit dem klingenden Namen Freedom Divers –Diving Center ( übersetzt in etwa: Die Freiheit des Tauchens – Tauch-Zentrum).

Dietmar Koszewski  klein  mit Partnern
Von links: Dietmar Koszewski, Moumen Nabata und Ahmed Nabata.

Das Konzept umreißt er so: „ Wir geleiten Touristen durch die Unterwasserwelt und bringen sie sicher wieder zurück. Und wir zerstören die Umwelt nicht. Ich empfinde das als eine sehr wertbringende Tätigkeit. Seit mittlerweile 14 Jahren bewege ich mich also im Bereich der Erwachsenenbildung oder Weiterbildung, und es macht mir immer noch sehr viel Spaß.“ Er ist damit gewissermaßen doch noch ein „Lehrer“ geworden, wenn auch anders als damals in Köln angedacht.

Dietmar Koszweski klein  mit 2 Gästen

Dietmar Koszewski klein mit einem Gast  GZSZ

Dietmar Koszewski, der über das Internet einen intensiven Draht zur Welt und speziell zu Deutschland hat, ist natürlich über die Sorgen informiert, die seine Kunden plagen. Sorgen, ob Ägypten ein sicheres Reiseland sei. „ Ich hatte in den letzten sieben Jahren kein schlechtes Gefühl, meinen Gästen zu sagen: kommt jetzt hierher. Ich würde mir nur dann Gedanken machen, wenn die „Deutsche Lufthansa“ keine Linienflüge mehr nach Kairo anbieten würde. Aber das ist sogar in den turbulenten letzten fünf Jahren des „Arabischen Frühlings“ nicht der Fall gewesen. Sie ist immer nach Kairo geflogen. Erst wenn das nicht mehr so ist, überlege ich, wie ich schnell aus diesem Land herauskomme.“
Auch diesmal, im Jahre 2016 im Februar, hatte er ein sicheres Gefühl, als er geschäftlich nach Deutschland flog, um die Bootsmesse in Düsseldorf zu besuchen. Und man konnte wieder mit ihm plaudern, über die alten Zeiten im Hürdenwald und die neue Zeit unter Wasser.

Peter Grau

Dietmar klein auf dem Gipfel

Bei einem Abstecher in Nepal auf einer Höhe von 6.473 Metern

Wolf-Dieter Poschmann: „Ich polarisiere gern“

Nachklang 164

strong>Wolf-Dieter Poschmann interviewt beim 3. ISTAF-INDOOR in Berlin Weitspringerin Alexandra Wester nach ihrem 6,95-m-Sprung.

In der Rubrik „Treffs mit Leichtathleten“ sollen nicht nur eigene Interviews präsentiert werden. So nahm ich gern das Angebot meines Journalistenkollegen Berthold Mertes an, ein Interview mit dem ZDF-Moderator und Leichtathletik-Experten Wolf-Dieter Poschmann wiederzugeben, das im Bonner Generalanzeiger erschien.
Darin äußert sich Poschmann zum Wandel der Sportberichterstattung im Fernsehen, eigenen journalistischen Ansprüchen, Reaktionen im Internet, der Dopingbekämpfung und Barfuß-Auftritten.

26.2.2016 BONN. Vom Rhein ist Wolf-Dieter Poschmann irgendwie nie losgekommen. In Köln geboren, unter anderem für den LC Bonn als Leichtathlet gestartet, hat er in Mainz seine berufliche Heimat gefunden. (Mainz liegt gegenüber der Mündung des Mains am Rhein, P.Gr.).
Nach 30 Jahren ZDF, davon zehn Jahre als Leiter der Hauptredaktion Sport, geht der langjährige Moderator des Aktuellen Sportstudios nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio in den Ruhestand.
Mit dem 64-Jährigen sprachen Berthold Mertes und Hartmut Eickenberg für den Bonner Generalanzeiger.

Herr Poschmann, die Fernsehgemeinde war überrascht bis irritiert, als Sie das ZDF spezial zum Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach barfuß moderierten. Machen Sie das häufiger?
Wolf-Dieter Poschmann: Ich bin halt als Enthüllungsjournalist bekannt und bekomme auch keine kalten Füße, wenn ich über Brisantes berichte… Nein, das war Zufall. Ich habe damit nicht gerechnet, dass meine Füße zu sehen sein könnten und auch nicht, dass Menschen angesichts dieses schwerwiegenden Themas auf solche Petitessen achten. Dass daraus eine solche Welle wurde, ist einerseits amüsant, aber auch bezeichnend für den Zustand unserer Medienlandschaft.

Der Grund interessiert uns aber nun doch.
Poschmann: Der ist ganz banal. Ich hatte neue Einlagen für meine Schuhe bekommen und sollte sie ohne Strümpfe einlaufen. Wir hatten wenig Zeit bis zur Sendung, der Moderationstisch war sehr niedrig, übertrieben gesagt fast Kniekehlenhöhe. Ich bin 1,90 m. Bevor nun wieder hektisch umgebaut wurde, habe ich schnell die Schuhe ausgezogen. Das brachte ein paar Zentimeter. Dass trotz der Blende vor dem Tisch meine Füße zu sehen waren, darauf wäre ich im Leben nicht gekommen.

Ihr Auftritt war ein Internet-Hit.
Poschmann: Es gab einige Interview-Wünsche, ich wurde gebeten, eine offizielle Erklärung zu formulieren, selbst in einer unserer ZDF-eigenen Sendungen sollte ich die Szene nachspielen und aufklären. Ich habe gefragt, ob ich ihnen den Puls fühlen müsste…..

Da sind wir beim Thema: Wie hat sich die Fernseh-Landschaft mit den Jahrzehnten verändert?
Poschmann: Grundlegend. Als ich vor 30 Jahren beim ZDF angefangen habe, waren es paradiesische Zustände. ARD und ZDF waren allein auf weiter Flur. Wohin wir auch mit unseren Kameras gekommen sind, wir wurden geradezu dankbar empfangen. Wir hatten die Souveränität, unser Programm ausschließlich nach journalistischen Kriterien, nach der Bedeutung der jeweiligen Ereignisse zu gestalten. Das, was man als Angebots-Fernsehen definieren kann.

Das heißt?
Poschmann: Wir haben ein Programm nach unseren redaktionellen Vorstellungen gemacht, ohne groß nach den Wünschen der Zuschauer zu fragen. Es war die hohe Zeit der Magazine, wie dem Sport-Spiegel, der auch hintergründigen, nachdenklichen Geschichten. Auf die Quote wurde kaum Rücksicht genommen, die hatte man. Das hat sich mit dem Aufkommen des Privatfernsehens radikal verändert.

Und heute?
Poschmann: Sind wir ein Nachfrage-Medium. Wir erfragen über Quoten und Umfragen, was die, die uns Gebühren bezahlen, mehrheitlich sehen wollen. Wir sind also in erster Linie Dienstleister. Und die Erkenntnis ist: Live schlägt alles. Nachbearbeitung, Hintergrundgeschichten sind Garnitur. Das Fernsehen heute ist streng erfolgsorientiert, das Selbstverständnis einer Redaktion tritt zunehmend in den Hintergrund, Unterschiede sind kaum noch wahrnehmbar.

Wie sehen Sie die Entwicklung?
Poschmann: Sehr kritisch. Die Konkurrenz auf dem Markt lässt einen schneller wankelmütig werden, auch in seinen eigenen journalistischen Ansprüchen. Man ist geneigt, neuen Tendenzen, Strömungen zu folgen. Es gab Zeiten, als Spielerfrauen auf der Tribüne oder Hobbys der Profis fast wichtiger als der Sport selbst wurden. Darüber haben wir intern heftig diskutiert und uns gefragt: Wollen wir das mitmachen oder wollen wir uns nicht doch unseren Standpunkt, unseren Stil bewahren und ein Mahner bleiben.

Aber Sie haben sich angepasst.
Poschmann: Ja, viel zu häufig, und das finde ich bedauerlich. Die Berichterstattung im Allgemeinen ist braver, geschmeidiger und weniger kontrovers geworden.

Das gilt auch fürs Aktuelle Sportstudio, das Sie 230 Mal moderiert haben. Die jungen Moderatoren sind nett, aber nicht sehr kritisch.
Poschmann: Das sagen Sie. Sie dürfen nie vergessen, Moderation und Kommentierung unterliegen immer auch subjektiven Einschätzungen, es gibt im Grund genommen keine objektivierbaren Kriterien. Jeder muss wissen, wofür er steht: für welche Werte, für welchen Stil. Vielen ist angenehmer, fröhlich und unterhaltsam daherzukommen und kontroverse Themen zu umgehen, das bietet weniger Angriffsfläche. Aber natürlich ist auch relevant, welchen Rahmen eine Redaktion vorgibt und welchen Anspruch sie hat.

Nachklang 146
Interviews haben Wolf-Dieter Poschmann immer Spaß gemacht. Ob im Fernsehen, bei Straßenläufen oder wie hier beim 3. ISTAF-INDOOR in Berlin, als er mit der nun nicht mehr aktiven Sprinterin Verena Sailer sprach.

Wer hat Sie geprägt?
Poschmann: Dieter Kürten. Er hat mich geholt. Dafür bin ich ihm ein Leben lang dankbar. Als ich als Deutschlehrer kam, war ich begeistert, wie wichtig für Kürten, Harry Valérien oder Wolfram Esser Sprache war und wie sehr sie sich darum bemüht haben, uns zu vermitteln, den Sportjargon nicht zu übernehmen und Klischees zu vermeiden. Das ständige Erinnern an die Verantwortung, die man vor einem Millionenpublikum hat. Auch in dieser Hinsicht war Dieter Kürten ein wunderbarer Lehrmeister. Er sagte: Nur, wenn du dich in deiner Alltagssprache bemühst, sauber zu formulieren, wirst du das auch in einer Live-Sendung, in der du unter Druck formulieren musst, aktivieren können, Rolf Kramer sprach von der „präsenten Prosa“.

Ein missglückter Satz kann in heutiger Zeit im Netz einen Shitstorm auslösen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Poschmann: Wer den Schritt in die Öffentlichkeit wagt, sollte ehrlicherweise niemals die vielen Privilegien vergessen und deshalb auch nicht wehleidig werden. Bedauerlicherweise sind aber Grenzen des Anstands verrutscht, der Ton verroht. Aber klar: Im großen, unergründlichen Netz muss man radikalisieren, übertreiben, beleidigen, um aufzufallen.

Treten Sie in Interaktion mit Usern?
Poschmann: Nein, ich bin weder bei Facebook noch Twitter. Ich habe auch nichts gegen seriöse Kritik, wir dürfen ja nie vergessen, wir kritisieren und bewerten doch selbst permanent Sportler, Trainer, Funktionäre. Wenn Dieter Kürten mich nach einer Sendung mal beiseite nahm und sagte: Pass auf, du bist da auf einem schwierigen Weg, da bin ich sehr hellhörig geworden. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Oder wenn mich Telefonanrufer nach der Sendung darauf aufmerksam machen, dass ich mich gesetzt hätte, bevor meine Gäste Platz genommen hatten. Das sei unhöflich. Ja, das darf man annehmen. Berechtigte und begründete Kritik ist doch auch letztlich hilfreich, und über gut formulierte Verrisse kann ich auch schmunzeln…nach 2 Tagen, versteht sich! …

Sie haben sich mal mit einer Äußerung bei den WM 2009 über die Hammerwerferin Betty Heidler vergaloppiert.
Poschmann: Ich habe gesagt: Wenn man in Marzahn aufgewachsen ist und das unbeschadet überstanden hat, ist man zu allem fähig. Das war eher launig gemeint, hatte aber durchaus den Hintergrund, sich auch mithilfe des Sports in einem nicht unauffälligen Stadtteil durchgesetzt zu haben. Witzig war, dass sie nach der Äußerung deutschen Rekord warf und Silber gewann. Ein Sturm der Entrüstung, der Besser-Wessi war schnell an die Wand genagelt. Nicht das erste Mal, dass ich die Humor-Toleranz überschätzt habe. Leute – es ist doch nur Sport – kommt von „disportare“, zerstreuen….macht Euch locker – bitte !!!

Sie werden 65 Jahre. Sind die Spiele in Rio die Abschiedsvorstellung?
Poschmann: Definitiv. Ein wunderbarer Abschluss. Und langsam ist es ja auch gut, keine Bitterkeit. Ich habe so viel Spannendes und Großartiges erlebt, durfte ein kleiner Teil von großen Sportmomenten sein, habe Generationen von Sportlern kommen und gehen sehen, habe die deutsche Einheit, die im Sport ja irgendwie immer noch nicht richtig vollzogen ist, begleitet. Es fällt mir nicht schwer loszulassen – also jetzt. Wie’s im Oktober ist, weiß ich nicht. Aber dann habe ich Zeit, im Netz richtig abzulästern. ..

Bei den Sommerspielen 2012 in London haben Sie sich bei der Übertragung des 100-m-Finales in bemerkenswerter Weise zum Dopingkampf in Deutschland geäußert: ineffektiv, zu teuer, die wenigen, die erwischt würden, würden dämonisiert. Das klang für einige wie ein Plädoyer für Dopingfreigabe.
Poschmann: Mir ging’s um das Comeback von US-Sprinter Justin Gatlin nach vierjähriger Dopingsperre. In Deutschland gab’s Stimmen, die über seinen Start überhaupt Unverständnis äußerten. Ich habe den Standpunkt vertreten, der Sport dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Die deutsche Rechtsauffassung sieht vor, dass ein Mensch, der einen Regelbruch begangen hat, nach Abbüßung seiner Sanktion und Sperre das Recht auf Wiedereingliederung und die Chance auf einen Neuanfang hat, es also keinen Grund gibt, einen ehemaligen Sünder zu dämonisieren.

Gatlin war die eine Seite. Die andere der Vorwurf, Kontrollen bringen nichts.
Poschmann: Aufwand und Ertrag bei den Trainingskontrollen stehen für mich in keinem vernünftigem Verhältnis. Mit einem enorm hohen logistischen, personellen und finanziellen Aufwand und einem für mich unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre werden Trainingskontrollen durchgeführt. Die Statistik der Nada beweist jedes Jahr, dass im Verhältnis zu Proben und Kontrollen im Training mehr Dopingfälle im Wettkampf aufgedeckt werden. Wenn man dann die Erkenntnisse der Biochemiker heranzieht, die über mannigfaltige Mittel und Methoden berichten, wie sich die Kontrollen umgehen lassen, wenn man weiß, dass der Anti-Doping-Kampf im Interesse nur weniger Nationen liegt, dann kommen mir Zweifel. Ich halte es für angemessen, das zu äußern.

Der Eingriff in die Privatsphäre wird von vielen Sportlern kritisiert.
Poschmann: Wer Einblick hat in den Ablauf einer Dopingkontrolle, der wird zur Einschätzung kommen, dass das unangemessen ist und gegen die Würde des Menschen verstößt. Dass sich Menschen, nur weil sie Leistungssport betreiben, bei Sportverbänden an- und abmelden und ihren Standort definieren müssen, ist ebenfalls unwürdig.

Also kein Plädoyer für die Freigabe von Doping.
Poschmann: Im Gegenteil. Es ist ein Plädoyer für intelligente, raffinierte und international gleichwertige Maßnahmen.

Dennoch gab es von Seiten der Dopingbekämpfer heftige Kritik.
Poschmann: War ja auch nicht anders zu erwarten. Ich habe wie viele als braver, netter Moderator begonnen. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt: Wofür willst du stehen, was ist dein journalistischer Anspruch, was sind deine Werte? Mit der Erfahrung der Jahre und der Kenntnis der Hintergründe habe ich beschlossen, zu benennen, was meiner Meinung nach falsch läuft. Dass ich damit polarisiere, ist mir bewusst. Damit lebe ich gut und gerne.

(Auszüge aus einem am 26. Februar 2016 im „Bonner Generalanzeiger“ erschienenen Interview, geführt von Berthold Mertes und Hartmut Eickenberg. Nachzulesen auch auf der Website der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de.)

Zur Person
Wolf-Dieter Poschmann (64) wollte nach einem Studium der Germanistik und Pädagogik eigentlich Deutschlehrer werden. 1985 kam er als Hospitant zum ZDF, wurde freier Mitarbeiter und ist dort seit 1993 Redakteur. Der Leichtathletik-Experte, der selbst ein herausragender Langstreckenläufer war, moderierte von 1994 bis 2011 das Aktuelle Sportstudio und war von 1995 bis 2005 Leiter des Hauptsports. Poschmann hat von zahlreichen internationalen Großereignissen berichtet.

Nachklang 129

Wolf-Dieter Poschmann beim 3. ISTAF-INDOOR im Interview mit Weitspringerin Heike Drechsler

Diskuswerfer Robert Harting: Rauschhafte Rückkehr in den Ring

klein PK 85

Erlebt hat Robert Harting viel in den letzten drei Jahren. Himmelhochjauchzend- zu Tode betrübt, das war die Skala, auf der er sich bewegte. Ein Kreuzbandriß verpaßte seiner sportlichen Laufbahn einen argen Dämpfer. Doch der wahre Meister zeigt sich dann, wenn er erfolgreich aus einem Tief emporklettert.
Im Vorfeld des 3. ISTAF-INDOOR hat Robert Harting viele Interviews gegeben. Die Journalisten sprachen oft und gern mit ihm, eben auch, weil er nicht nur Allgemeinplätze von sich gibt.
Einen Tag vor dem Spektakel in der Mercedes-Benz Arena sprach auch Michael Reinsch, der FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin, mit dem Diskuswerfer.

Michael Reinsch 097 mit Harting

Da konnten beide noch nicht wissen, wie es am nächsten Tag abends ausgehen würde.

Das Comeback aber gelang. Robert Harting durfte jubeln.
Wie Michael Reinsch das live miterlebte, schilderte er in folgendem Artikel in der FAZ:

Rauschhafte Rückkehr in den Ring
Für Robert Harting ist das Istaf Indoor Bewährungsprobe und Therapie zugleich. Anderthalb Jahre nach seiner Knieverletzung genießt der Olympiasieger seinen ersten Auftritt.
Eine schnelle Drehung, ein mächtiger Wurf, der den Diskus auf einen Flug von 60,82 Metern schleudert, und zum Abschluss ein Luftsprung – quicklebendig ist Robert Harting an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Wer wünscht sich nicht, nach langer Abwesenheit freundlich zurück an der Werkbank begrüßt zu werden?
Dem Olympiasieger und dreimaligen Weltmeister zeigen am Samstagabend mehr als 12.000 Zuschauer in der Arena von Berlin mit ihrem Jubel, dass ihnen seine Abwesenheit von anderthalb Jahren ziemlich lang geworden war. Der Champion ist gerührt. „Das war ein besonderes Erlebnis heute, das bleibt für immer in meinem Herzen“, ruft er, als das Tagwerk vollbracht ist.
Und das war keine Kleinigkeit. Harting machte deutlich, dass auch für ihn Diskuswerfen harte Arbeit ist. Sein zweiter Wurf eierte rechts raus und landete mehr als zwei Meter vor der Sechzig-Meter-Marke, eigentlich indiskutabel. Wurf drei schoss ins Netz, beim vierten knallte die zwei Kilo schwere Scheibe ins Metallgerüst über dem Wurfring. Der fünfte Versuch, ein unrunder Flug, erbrachte 60,97 Meter.
Doch auf einmal funktioniert alles. Die Drehung. Die Beschleunigung. Die Flugkurve. Flammen schießen hoch im Zentrum der Arena, als die Scheibe auf der blauen Bahn der Sprinter landet, erst ein Raunen, dann Rufe und Beifall dringen von den engen Tribünen. Harting strahlt. Dann das Ergebnis: 64,81 Meter, der Sieg. Nun ist es an Harting, zu jubeln. Wie er auf die Knie fällt, wie er lacht, wie er triumphierend beide Hände zum Victory-Zeichen in die Luft reckt – alles beweist, was ihm keiner so recht glauben wollte: dass der Meister unsicher und aufgeregt gewesen war wie ein Anfänger.

Vor gut anderthalb Jahren war Harting bei einem kleinen Lauf im Training gestolpert, gestürzt – und hatte sich die Bänder im linken Knie gerissen. Eigentlich schon wiederhergestellt, hatte er knapp ein Jahr später auf die Verteidigung seines Titels bei der Weltmeisterschaft in Peking verzichtet. Nur nichts riskieren, hieß die Devise, Rio geht vor. Mit enormer Geduld hatte der Hüne von 125 Kilogramm sich zunächst auskuriert und dann die Kraft aufgebaut, die er für seine unübertrefflichen Würfe und, wer weiß, seinen zweiten Olympiasieg braucht. Doch je weiter er kam im Training, desto mehr fehlten ihm der Vergleich und das Adrenalin, das sein Körper bei Herausforderungen produziert. Krafttraining und Würfe gegen die Wand reichten nicht mehr.
Für Harting ist Diskuswerfen Kampfsport, und er brauchte Gegner statt Trainingspartner. Wie gut, dass er vor Jahr und Tag den Diskuswurf im Saale angeregt hatte als Marketing-Gag für seinen Sport. Nun konnte er das daraus entstandene Istaf Indoor zu Therapie und Bewährungsprobe nutzen.

„Ich habe keine Arme gefühlt und keine Beine“
„Ich habe keine Arme gefühlt und keine Beine“, beschrieb er die Minuten vor dem Wettkampf. „Man geht ein bisschen waffenlos da rein.“ Und dann fluteten die Hormone seine Blutbahn für einen Rausch, wie ihn nur Olympische Spiele und Weltmeisterschaften auslösten. „Das war ein geiler Abend“, freute er sich. „Das hätte ich so nicht erwartet.“
Doch Harting wäre nicht Harting, würde er nicht überschießende Hoffnung und die damit verbundene Erwartung dämpfen. „Das Ergebnis täuscht“, behauptete er. Man habe ja gesehen, dass die Jungen – sein Bruder Christoph wurde mit 64,34 Meter Zweiter vor dem belgischen WM-Zweiten Philip Milanov mit 64,13 Meter – Weltklasse seien, sagte Harting, für ihn gelte, was an jedem Arbeitsplatz gelte: einordnen, unterordnen, durchsetzen. Damit habe er begonnen, das Anstellen am Ende der Hierarchie beginne mit dem Beginn der Freiluft-Saison.
Auf den Wettkampf will sich der 31 Jahre alte Harting konzentrieren. Exkurse in die Sportpolitik wie sein erfolgreicher Protest gegen die Nominierung überführter Doper als Sportler des Jahres des Weltverbandes (IAAF) oder seine weniger folgenreiche Argumentation gegen das Anti-Doping-Gesetz soll es so bald nicht mehr geben. Sein Engagement für die Sport-Lotterie, die er zu gründen half, hat Harting beendet. „Deutschland, dann musst du untergehen“, sagt er bitter über seinen Versuch, die Sportförderung von Grund auf zu ändern. Scheint, als hätte Harting nicht nur eine Herausforderung, sondern auch Balsam für die Seele gebraucht.

Michael Reinsch, FAZ-Korrespondent für Sport in Berlin
Michael Reinsch

Robert Harting: Über Wiederbeginn, Doping-Frust und Machtlosigkeit

Robert Harting 14.11.2013  Foto

Vor drei Jahren, am 14. November 2013, nahm ich dieses Foto in der O2 World Berlin auf, bei einer Pressekonferenz zur Vorbereitung des ersten ISTAF-INDOOR. Robert Harting konnte da noch ungezwungen in die Kameras lächeln. Und auch danach gab es für ihn oft Grund zur Freude. Doch dann im September 2014 riß ihm beim Training das Kreuzband, und nach der OP folgten lange Monate der Rehabilitation und des Neuaufbaus.
Nun soll nach 530 Tagen Pause der Wiedereinstieg in den Wettkampfmodus folgen, und das auch wieder beim ISTAF-INDOOR, am 13. Februar 2016 in der gleichen Halle, die nun Mercedes-Benz Arena Berlin heißt.

Indoor 2016  sig_indoor_2016[1][1]-1

Eine Woche vorher hat sich Berthold Mertes, Sportchef des „Bonner Generalanzeigers“, mit Robert Harting getroffen und mit dem 31-Jährigen über seinen körperlichen und seelischen Zustand, über seine Olympiahoffnungen und über den neuen Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, Sebastian Coe, gesprochen.

Lesen Sie einige Auszüge aus diesem Interview:

Berlin/Bonn. 5.2.2016. Das Café Mirbach in Berlin-Weißensee ist in die Jahre gekommen, strahlt einen rauen Charme aus. Wie Robert Harting, der an diesem grauen Februar-Nachmittag von der Trainingshalle in Hohenschönhausen zum Interview mit dem General-Anzeiger rübergekommen ist. Mit kratziger Stimme bestellt der Diskuswurf-Olympiasieger einen Ingwertee mit Zitrone. „Halb so wild“, sagt er, „Comeback nicht gefährdet.“ Robert Harting ist Querdenker, vielleicht Querkopf. Hört zwar auf seine Oma, die ihn bat, nach großen Siegen nicht mehr sein Trikot zu zerreißen. Aber nicht auf Funktionäre. Er zeigt Haltung im Anti-Doping-Kampf und wurde auch deshalb dreimal zu Deutschlands Sportler des Jahres gewählt.
Die Leistungen des 2,01-Meter-Mannes sind überragend: Seit dem ersten seiner drei WM-Titel 2009 ist er der Herr der Ringe. Dem EM-Gold 2014 ließ Harting noch den Heimsieg beim Berliner ISTAF mit mächtigen 68,21 Meter folgen. Zwei Wochen später riss im Training das Kreuzband im linken Knie.

Herr Harting, wie geht es Ihrem Knie?
Robert Harting: Das Knie ist eigentlich super. Ich konnte nach der Verletzung relativ schnell wieder laufen, so nach sechs Monaten. Auch mal wieder einen Ball schießen. Aber es ist schwer, die ganzen Automatismen wieder aufzubauen. Die sind total unterbrochen.

Können Sie das erläutern?
Harting: Der Körper geht sofort in die Schonhaltung. Die Bewegungsmuster, die immer intuitiv waren, sind weg. Das muss man sich alles wieder erdenken, und das kostet Zeit.

Nennen Sie eine Prozentzahl: wo stehen Sie physisch?
Harting: Nicht schlecht eigentlich. Zu einem vergleichbaren Zeitpunkt etwa vor den Spielen 2012 in London vielleicht bei 90 Prozent – gemessen daran, dass ich nach den Trainingswerten etwa 63,50 Meter werfen könnte. Das ist alles im Plan.

Wie wollen Sie zu alter Stärke zurückfinden?
Harting: Ich brauche Wettkämpfe, damit ich wieder die eigene Leistungsfähigkeit spüren kann. Das kann man von hier aus dem Café leider nicht. Da kann man nur viel erzählen.

Also ist es höchste Zeit für ein Comeback – kommt das Hallen-Istaf, quasi in Ihrem Wohnzimmer, gerade zur rechten Zeit?
Harting: Ja, ich brauche das jetzt zur Orientierung.

Auch weil Ihnen mental ein paar Prozent mehr fehlen als körperlich?
Harting: Das liegt nach einer so langen Pause auf der Hand. Jeden Tag aufzustehen, sich zu fragen: Bin ich leistungsfähig? Was tut weh, was nicht? Das ist eklig, das macht keinen Spaß. Man muss jeden Tag eine Enttäuschung in Kauf nehmen können und sich zusammenreißen.

Wie meinen Sie das?
Harting: Im letzten Sommer ging alles immer nur vorwärts. Jetzt kommt man wieder in diese ganzen nervigen Arbeitsprozesse hinein, die Feinabstimmung.

Spüren Sie Ihr Alter?
Harting: Ich habe ein bisschen meine körperliche Veränderung unterschätzt. Ab 30, 31 verändert sich der Körper eines Sportlers. Die Verletzung kam in einem blöden Moment. Nun habe ich zwei Störfelder, die ich gleichzeitig behandeln muss: Das Alter und die Verletzung.

Erleben wir wieder den Robert Harting, wie wir ihn vor zwei Jahren gesehen haben?
Harting: Nein, den alten Harting wird es nicht mehr geben. Ich muss im Wettkampf selbst erst einmal sehen, wieviel vom Rest noch übrig ist. So eine Vorherrschaft wird es nicht mehr geben.

Warum so skeptisch?
Harting: Es gab bisher nur einen Diskuswerfer, der nach einem Kreuzbandriss wieder unter die Top Ten gekommen ist. Das ist eine aussagekräftige Statistik.

Das hört sich nicht so an, als könnte es in Rio einen Olympiasieger namens Robert Harting geben.
Harting: Ganz ehrlich? Das stimmt! Mir fehlen noch Bausteine, Informationen. Dazu brauche ich jetzt Wettkämpfe.

Sie wirken grüblerisch. Gibt sich das bis Rio? Erwarten Sie die alte Geradlinigkeit und Klarheit zurück?
Harting: Ich arbeite daran, dass Letzteres passiert. Aber das Thema nervt mich. Ich bin seit eineinhalb Jahren raus, war auch mal eine Weile entlastet. Aber ich muss mich erst mal wieder da reinarbeiten.

Hört sich an, als fingen Sie ganz von unten an.
Harting: Im Sport geht es immer um Einordnen, Unterordnen, Durchsetzen. Vor der Verletzung musste ich mich nur noch durchsetzen. Jetzt bin ich zwei Schritte zurückgegangen, beim Istaf-Indoor folgt erst einmal wieder die Einordnung.

Wie wirkt sich das Erreichen der 30er-Marke konkret aus? Kommen Sie morgens schwerer in Gang?
Harting: Es gibt physische und psychische Punkte. Physisch merkt man in vielen Bereichen keine großen Unterschiede, aber leider in den entscheidenden. Zum Beispiel in der Schnelligkeit. Wenn ich nur ein Zehntel verliere, verliert auch der Diskus an Energie. Das sieht man von außen nicht, aber man merkt es beim Abwurf, am Wurfgefühl. Alle Werfer, Gerd Kanter und wie sie alle heißen, die sind alle ab 30, 31 langsamer geworden. Und das wartet auf mich genauso.

Und psychisch?
Harting: Man hat immer mehr Enttäuschungen. Mit 25 ging alles vorwärts, man konnte sich immer verbessern und hat dazugelernt. Das Thema ist mit 28 durch. Dann heißt es: Niveau halten durch Nachdenken. Wo kriege ich noch Leistung her? Ab 31 bist du auf dem absteigenden Ast. Und dann vergleicht man sich: Was ich vor fünf Jahren noch richtig gut konnte, kann ich jetzt viel schlechter. Da muss man einen klaren Kopf bewahren.

Wie schaffen Sie das?
Harting: Als Sportler braucht man neue Reize. Man kann sich das wie bei einem Handy vorstellen. Da hält der Akku am Anfang anderthalb Tage, nach zwei Jahren muss ich es abends aber auf jeden Fall aufladen. Mit dem Handy kann ich immer noch telefonieren und alles andere, aber ich muss mit weniger Akkuleistung auskommen. So ist das auch bei mir. Mein Akku ist schwächer geworden, das limitiert mich. Deswegen ist das Istaf-Indoor auch so wichtig für mich. Ich kann sehen, wie ich unter Stress reagiere, das habe ich eineinhalb Jahre nicht gehabt.

Was dominiert vor Ihrem Comeback: Vorfreude oder Sorge?
Harting: Alles. Alle Gefühle, Angst, Respekt, Freude, Motivation, Aufregung, der Stress des eigenen Anspruchs.

Die Leichtathletik steckt momentan in der Krise. Der Weltverband IAAF soll Dopingsünder gedeckt haben, Russlands Leichtathleten stehen unter Generalverdacht. Belastet das Ihre Psyche zusätzlich?
Harting: Das Schlimme ist die Pauschalisierung, das fehlende Diffenzierungsvermögen. Es gab schon viele Sportler, vor allem aus der deutschen Leichtathletik, die sich klar gegen Doping positioniert haben. Die mussten sich teilweise in Interviews fragen lassen, ob sie nicht einfach neidisch auf die anderen Nationen wären. Und nun werden sie auch noch in dieses ganze System mit hineingeschmissen.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat gesagt: „Schlimmer als die Fifa geht’s nimmer. Aber die Leichtathletik bekommt es hin.“ Fühlen Sie sich als Leichtathlet in Ihrer Ehre verletzt angesichts des schlechten Images Ihrer Sportart?
Harting: Natürlich. Es ist ideologisch erniedrigend, enttäuschend. Der gute Sport, der sportliche Wettstreit, der wird eben nicht von allen so betrieben. Aber das Schlimmste sind die Pauschalisierungen.

Was können Sie als Sportler konkret tun?
Harting: Wir haben ja letzten Sommer schon vor dem großen Skandal im Weltverband die Aktion „HitIAAF“ auf Youtube gestartet und wurden dann in unseren Ahnungen bestätigt. Viele Leute fanden es gut, dass die Athleten sich zu Wort gemeldet haben. Ich bin für eine Allianz zwischen Medien, Sportlern und Zuschauern. Da könnte man richtig viel Druck ausüben.

Der Druck ist ja schon teilweise entstanden. Sie haben selbst gefordert, dass der IAAF-Präsident Lamine Diack und seine Gefolgschaft weg müssen. Nun ist er weg.
Harting: Aber es ist nicht damit getan, dass drei, vier Leute ausgetauscht werden. Es muss einiges verändert werden.

Was denn konkret?
Harting: Der Absolutismus muss weg. Das Hierarchische dieses Verbandes, der die Sportart nicht zusammenhält, sondern abgrenzt. Und zwar, um so viele eigene Vorteile wie möglich daraus zu ziehen. Diack ist schweinereich geworden, weil er Leute bestochen und alles in seine Tasche gewirtschaftet hat. Ihm ging es nicht um die Sportart. Auch Thomas Bach hat als DOSB-Präsident vor allem persönliche Ziele verfolgt – er wollte IOC-Präsident werden. Das hat er nun geschafft….

IAAF-Präsident Sebastian Coe ist einer, der total diplomatisch wirkt, der Menschen zusammenbringt. Haben Sie ihn schon einmal außerhalb einer Medaillenzeremonie erlebt?
Harting: Leider nicht. Ich habe ihn aber ein paarmal angetwittert.

Hat er zurückgetwittert?
Harting: Nein, natürlich nicht. In einem Posting habe ich ihm einmal ein paar Fragen gestellt, auch darauf hat er nicht geantwortet. Jetzt habe ich ihn „entfolgt“.

Kann ein so diplomatischer Mensch genau der Mann sein, der die Kultur im Weltverband verändert?
Harting: Das glaube ich nicht. Wer so was jahrelang gemacht hat, weiß nicht mehr, was das Beste ist. Neuen Wind bekommst du nur, wenn du neue, frische Gedanken reinbringst. Ich glaube nicht, dass eine absolutistische Institution in der Lage ist, andere Denkweisen anzunehmen.

Ihre Zuversicht, dass sich wirklich etwas ändert, wirkt äußerst gering, richtig?
Harting: Das stimmt.

Sie wissen nun, Ihr (Welt)Verband hat jahrelang Dopingbetrug gedeckt. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie selbst in den Ring steigen?
Harting: Ein Gefühl von Machtlosigkeit, Erniedrigung, Unwichtigkeit. Meine Werte sind völlig zerstört. Eigentlich müsste jeder Athlet, der sich betrogen fühlt, eine Anzeige stellen. Aber das macht ja keiner.

Der britische Leichtathletikverband will alle Weltrekorde löschen lassen, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Das hat der damalige DLV-Präsident Helmut Digel schon vor der Jahrtausendwende gefordert. Was halten Sie davon?
Harting: Historische Rekorde, dann neu anfangen, das wäre korrekt gewesen. Ich verstehe nicht, warum das nicht geklappt hat. Ich wäre auf jeden Fall dafür.

Obwohl Rekorde auch als Mahnmal einer unrühmlichen Dopingära verstanden werden können?
Harting: Es sollte nichts reingewaschen werden, in dem Sinne, dass es nicht stattgefunden hätte. Aber die ständige Spiegelung mit der Vergangenheit für die heranwachsenden Athleten würde wegfallen. Und bei Weltmeisterschaften würde man nicht immer von damals reden.

Motto durchatmen, neu anfangen – welche positiven Effekte sähen Sie noch, außer dass Robert Harting auch zum Weltrekordler werden könnte?
Harting: Es würde den Zustand der Leichtathletik verändern. Man könnte das übrigens mit einem einfachen Kunstgriff hinkriegen. Indem man zum Beispiel festlegt, dass der Diskus ab sofort 2001 Gramm wiegen muss statt bisher 2000. Schon hätte man neue Listen. Mit dem Löschen der Rekorde würde Sebastian Coe ein eindeutiges Zeichen setzen.

(Auszüge aus einem am 5. Februar 2016 im „Bonner Generalzeiger“ erschienenen Interview. Das ganze Interview ist auf der Website der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de nachzulesen.)

Die Plätzers aus Norwegen

klein Kjersti und Stephan

Stephan Plätzer und Kjersti Tysse Plätzer

Stephan Plätzer war ein guter deutscher Mittelstreckler und gehörte in den 90er-Jahren zu den erfolgreichen Athleten des TV Wattenscheid. Er war mehrfacher Deutscher Meister in den Staffeln und machte vor allem als Tempomacher bei Deutschen Rekorden, Europarekorden – und Weltrekorden von sich reden. Später trainierte er die norwegische Geherin Kjersti Plätzer (geb. Tysse), die 2000 in Sydney und 2008 in Peking olympisches Silber über 20 km gewann.

Doch wie kam ich nach vielen Jahren in Kontakt mit ihnen?

Weckruf um Mitternacht

Kürzlich lag ich um Mitternacht im Bett, konnte nicht einschlafen und schaute auf mein Smartphone. Da sah ich auf Facebook die Eingabe: Stephan Plätzer stellt eine Freundschaftsanfrage. Nicht immer liegt mir jeder Name auf der Zunge, denn zu viele sind es in den Jahrzehnten geworden. Aber da machte es sofort Klick: Plätzer, da gab es doch die norwegische Geherin Kjersti.

Fast die Begegnung in Eisenhüttenstadt

Sofort schlug ich in meinem Archiv nach und entdeckte, dass ich sie zuletzt im Jahr 2000 beim Europacup der Geher in Eisenhüttenstadt gesehen hatte. Dort, auf der „Insel“, war ich viele Jahre zu den jährlichen Geherwettkämpfe gewesen. Dieser Europacup war in dieser Kette der Höhepunkt.
Kjersti Plätzer belegte über 20 km den dritten Platz, aber gesprochen habe ich nicht mit ihr. Da hatte ich wohl zuviel mit den deutschen Athleten zu tun. Vor allem mit Andreas Erm, der hinter dem Polen Korzeniowski Zweiter geworden war und mit den deutschen Frauen, die allerdings hinter den hohen Erwartungen zurückblieben. Über sie hatte ich in der „Leichtathletik“ vom 20. Juni 2000 geschrieben:
„Viel Trost brauchte diesmal das „schwache“ Geschlecht. Nach den guten Leistungen von Naumburg vor sechs Wochen hatten sie selbst von sich mehr erwartet. Kathrin Boyde und Beate Gummelt, die bereits für Sydney qualifiziert sind, und Melanie Seeger, die sich auf der „Insel“ qualifizieren wollte. Am Ende standen sie mit leeren Händen da, sprich mit für sie selbst enttäuschenden Zeiten. „Ich weiß nicht, woran es liegt, denn mein Training deutete klar auf eine 1:30er Zeit hin“, erklärte Beate Gummelt. „Und ich weiß, dass andere auch nicht anders trainieren, habe in Flagstaff mit der Norwegerin Kjersti Plätzer trainiert, die hier Dritte wurde“.
In Eisenhüttenstadt kam ich also mit der Norwegerin nicht ins Gespräch. Und auch ihrem Trainer Stephan Plätzer begegnete ich dort nicht.

Der Zufall ist das Salz des Lebens

Nach über 15 Jahren nun der erste richtige Kontakt, diesmal über das Internet. Stephan Plätzer hatte meinen Namen zufällig bei Facebook gesehen und erinnerte sich daran, dass ich früher viel über die Geherinnen und Geher geschrieben habe. „ Ja, Facebook bringt die Menschen zusammen“, schrieb er mir später. „ Auf diesem Weg habe ich viel Kontakt zu vielen Leuten, die Kjersti und mir zu unserer aktiven Zeit begegnet sind.“
Ein wenig Zufall also, und noch etwas mehr Zufall kam hinzu: Gerade an diesem Tag hatte ich mir erstmals einen silbernen Ring mit der Inschrift „ Norge 1940“ aufgesteckt, den mein Onkel in den Kriegstagen in Norwegen erstanden und später mit nach Deutschland zurückgebracht hatte. Zudem war ich vor wenigen Monaten erstmals in Norwegen gewesen, auf einer kleinen Kreuzfahrt mit der Color Line von Kiel nach Oslo und zurück.
„ Es gibt immer wieder Zufälle“, bestätigt auch Stephan Plätzer. „ Auch wir erleben immer wieder mal einige Überraschungen. Die Welt ist schon klein. 1989 hatte ich bei der Universiade in Duisburg den Norweger Ove Talsnes in meinem 1500-m-Vorlauf. Er ist jetzt Arzt der Norwegischen Leichtathleten, und wir reisen nun seit mehreren Jahren gemeinsam zu den Internationalen Meisterschaften. Ove in seiner Funktion als Nationalmannschaftsarzt und ich als Trainer für die beiden norwegischen Geher Erik Tysse (den Bruder von Kjersti; 20 km und 50 km) und Håvard Haukenes (50 km).

Umzug nach Norwegen

klein Trainingsstrecke der Geher

Trainingsstrecke für die norwegischen Geher

Nachdem Stephan Plätzer 1995 Kjersti geheiratet hatte, siedelte er 1998 nach Norwegen um. Seitdem lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, Tochter Kiara Lea und Sohn Sebastian, in Syfteland, einem kleinen Ort südlich von Bergen.
Stephan arbeitete bis Ende 2012 für das norwegische Olympische Komitee im Ausdauerbereich. „ Meine Aufgabe war es, die deutschsprachige Literatur für das Ausdauertraining und das Höhentraining zu verfolgen und an Höhentrainingsseminaren im In-und Ausland teilzunehmen,“ erzählt er. „ Und ich habe auch im Kreise der norwegischen Skilangläufer Vorträge gehalten und bin mit Kjersti im Trainingslager der norwegischen Biathleten gewesen. Die norwegischen Spitzenbiathleten Liv Grete Poiree und Raphael Poiree sind unsere Freunde“.
Inzwischen ist Stephan Plätzer in der Nähe seines Wohnortes als Lehrer tätig, unterrichtet die Schüler der 8. bis 10. Klassen in den Fächern Deutsch, Englisch, Sport und im „Wahlfach“ Aktivität und Gesundheit. Dort hat er einen sportfreudigen Arbeitgeber, der seine Tätigkeit im Leistungssport, sprich die Betreuung der Geher-Athleten Erik Tysse und Håvard Haukenes sowie der portugiesischen Geherin Susana Feitor, voll unterstützt und ihn zu wichtigen Anlässen wie Meisterschaften und Trainingslagern freistellt. Und es war Stephan 2014 auch möglich, bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich für das schweizerische Fernsehen die Wettbewerbe der Geher als Co-Kommentator zu begleiten. Dafür hatte er sich schon früher die Grundlagen erarbeitet. „ Ich habe an der Deutschen Sporthochschule in Köln Sportpublizistik studiert und war anschließend bei Sat 1 in Hamburg.“

Plätzerganzklein Zürich

Stephan Plätzer (rechts) als Co-Kommentator des Schweizer Fernsehens SRF bei der EM 2014 in Zürich; links Jann Billeter vom SRF

Zusätzlich arbeitet Stephan auch als Persönlicher Trainer, hat dafür von 2011 bis 2012 gemeinsam mit seiner Frau ein Studium an der Norwegischen Sporthochschule absolviert.
Seine Frau Kjersti beendete ihre Karriere nach der WM 2009 in Berlin. Sie bestreitet jetzt ein fünfjähriges Teilzeitstudium, das in der nahen Gemeinde Os angeboten wird. Kjersti will später Schüler von der 1. bis zur 7. Klasse unterrichten. Neben der umfassenden Pädagogik hat sie bereits Mathematik und Norwegisch abgeschlossen. Gegenwärtig studiert sie die Fächer Religion und Sport. Im nächsten Jahr wird sie das Studium mit einem Bachelor abschließen. Neben ihrem Studium ist Kjersti auch als Persönliche Trainerin aktiv.
Langeweile gibt es also nicht im Hause Plätzer. Und für Stephan ist der Kontakt nach Deutschland nach wie vor sehr wichtig. „ Ich bin häufig mit meinen Athleten in Wattenscheid, wo sie hervorragende Trainingsbedingungen vorfinden und Freundschaften pflegen können.“
Und darüber hinaus hält er den Kontakt zur Welt über das Internet. So ist das ferne Norwegen dann doch nicht so fern.

Peter Grau

kleinSoefteland Sommer Küchenfensterklein

Blick im Sommer aus dem Küchenfenster

klein Winter aus dem Küchenfenster

Blick im Winter aus dem Küchenfenster

Dieter Baumann: „Ich bin ein Kleinkünstler“

In der Rubrik „Treffs mit Leichtathleten“ sollen nicht nur eigene Interviews veröffentlicht werden. Die Vielfalt wird dadurch erhöht, daß auch andere Autoren zu Wort kommen. Und so ist es mir eine Freude, meinem Journalistenkollegen Berthold Mertes auf meiner Website eine Bühne zu bieten. Im Februar 2015 hat er als Chefreporter des „Bonner Generalanzeigers“ mit Dieter Baumann ein Interview geführt, das auch heute noch lesenswert ist.

baumann

Dieter Baumann im Gespräch. Foto: Holger Teusch

TÜBINGEN/BONN. Dieter Baumann war ein begnadeter Läufer. Heutzutage tritt er 50 bis 60 Mal pro Jahr als Kabarettist auf.

Dieter Baumann ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wenige Tage, bevor er am 9. Februar 50 Jahre alt wird, laufen wir in Tübingen am Neckar entlang. Vorbei am Hölderlinturm, wo der berühmteste Dichter der Stadt 36 Jahre lebte. In dieser Umgebung fühlt sich der Olympiasieger von 1992 wohl.
Auch im 23. Jahr nach seinem Triumph von Barcelona ist Baumann in Deutschland als Läufer unerreicht. Aufgrund seiner positiven Dopingtests und der folgenden Manipulationsthese ist der Schwabe als Zahnpasta-Mann in die Sportgeschichte eingegangen. Als Kabarettist verarbeitet er seit 2009 auch seine eigene Vergangenheit. Mit dem „Kleinstkünstler“, wie er sich selbst bezeichnet, lief und sprach Berthold Mertes.

Herr Baumann, Sie wirken sehr fröhlich. Sind Sie im Reinen mit sich?
Dieter Baumann: Ich schäme mich nicht dafür: Ja, ich fühle mich sehr wohl.

Sie sind 1992 in Barcelona Olympiasieger über 5000 m geworden und halten immer noch die deutschen Rekorde von 3000 bis 10000 Meter. Welche Bedeutung hat das Laufen heutzutage für Sie?
Baumann: Mich treiben ganz unterschiedliche Dinge an. Aber alle haben mit Laufen zu tun.

Wie wichtig ist Ihnen die eigene Bewegung?
Baumann: Das habe ich letztes Jahr erkannt. Ich war zum ersten Mal in der Zeitrechnung als Freizeitläufer ernsthaft verletzt – nach 15 Jahren. Die Achillessehne war es, die auch in meiner Karriere immer wieder beleidigt war. Ich war also gehandicapt, und dabei habe ich festgestellt, wie wichtig das Laufen ist. Man stellt es ja erst fest, wenn es nicht mehr da ist.

Wie oft laufen Sie, und wie weit?
Baumann: Ich laufe täglich, jeweils zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Ich mache keine langen Läufe, also kein spezifisches Marathon-Training. Wenn ich gelegentlich an einem Marathon teilnehme, dann mache ich das aus diesem Training heraus. Das muss reichen – ich laufe dann halt langsamer.

Aber beim Walking sind Sie mit Ihren 50 Jahren noch nicht, oder?
Baumann: Letztes Jahr bin ich tatsächlich auch gewalkt. (lacht) Mit Stöcken. Ja, ich gebe es zu. Aber es war toll. Dabei habe ich den Entschluss gefasst: Wenn ich nicht mehr laufen kann, dann werde ich walken.

Der Leistungsgedanke ist dem Mann, der einst 5000 Meter schneller als 13 Minuten lief, inzwischen also völlig fremd?
Baumann: Es geht mir nicht mehr um Geschwindigkeit, sondern es geht mir um diese eine Stunde, in der ich draußen bin, im Wald. Ein bisschen bin ich auf den Spuren der Tübinger Dichter Hölderlin und Uhland unterwegs – die legten auch Wert auf Bewegung. Sie wanderten, um kreative Kräfte zu sammeln.

Was macht die Stunde mit dem Menschen?
Baumann: Sie gibt Zufriedenheit. Ich merke das bei mir: ich hole mir da mein Wohlfühlen ab, meinen Treibstoff, der mich durch den Tag trägt. Da kann kommen was will.

Wird die Welt beim Laufen rosarot?
Baumann: Nein, vor allem nicht die heutige. Die ist eine fürchterliche Welt. Aber es hilft mir, sie zu ertragen, vor allem in dem eigenen Mikrokosmos.

Zu Ihnen: Sie sind jetzt schon seit fünf Jahren erfolgreicher Kabarettist, nehmen sich selbst als Zahnpasta-Man auf die Schippe. War Ihr erstes Bühnenstück „Körner, Currywurst, Kenia“ eine Selbsttherapie, um über die Schattenseiten der Karriere nach den positiven Dopingproben lachen zu können?
Baumann: Humor kann natürlich helfen, darüber hinwegzukommen. Aber „Körner, Currywurst, Kenia“ ist in erster Linie eine Liebeserklärung an Kenia. Die Erfahrungen in Afrika haben mich geprägt. Ich durfte zehn Jahre lang dort mit den Jungs trainieren, mich jedes Jahr ein, zwei Monate dort anschließen. Das war für mich ein Geschenk, ich habe so viel mitgenommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich noch einmal etwas Ähnliches erleben darf in meinem Leben.

Was hat Sie so sehr beeindruckt?
Baumann: Die Menschen. Wenn bei uns eine Ampelanlage nicht funktioniert, kann man den Eindruck gewinnen, mit Deutschland ist es vorbei. Wir haben in den europäischen Ländern die Relationen verloren. Was mich das Erlebte gelehrt hat: Die Welt ist eine Suppe, auf der ein Fettauge schwimmt, und das sind wir. Wir haben einfach nur Glück, dass sich eine Eizelle und ein Spermium getroffen haben und wir zufällig in Europa und hoch zivilisiert geboren wurden. Den Menschen in Afrika geht es viel schlechter, aber sie sind wahnsinnig ausgeglichen. Sie schaffen sich in dieser einfachen Welt ein Lebensgefühl, das wir nicht erreichen. Wir sind mit allen möglichen Dingen unzufrieden. Auch 15 Jahre später erinnere ich mich zurück und denke: Hey, es gibt Menschen, die leben ganz anders, und sie beklagen sich nie.

Empfinden Sie es als Ehre, dass Sie als der weiße Kenianer in die Geschichte eingegangen sind?
Baumann: Das war nur auf den Laufsport bezogen. Ich selbst fange damit sehr wenig an. Es war eine Erfindung des Journalisten Robert Hartmann. Ein toller Begriff, aber eine Mediengeschichte.

Sie haben als Sportler geglänzt, haben Erfolg als Motivator, und finden seit einiger Zeit auch Anerkennung als Comedian – was ist Ihre liebste Rolle?
Baumann: Ich genieße einfach die Jetztzeit. Ich merke: Toll, auf der Bühne kann ich auch ein Anderer sein. Es gibt kein Scheitern. Nicht so ein: „Ach was macht der denn da?“ Ich entdecke jetzt erst, nach fünf Jahren, diese Freiheit auf der Bühne. Habe eigentlich keine Ahnung, was ich da mache. Ich bin nur ein Kleinstkünstler, aber es macht mir Spaß. Dieses Interview ist eine Momentaufnahme, und im Moment ist klar: die Rolle auf der Bühne ist schön.

Sie könnten es sich leichter machen und sich auf gut bezahlte Experten-Jobs konzentrieren. Warum reicht Ihnen das nicht
Baumann: Ich komme ja aus der Ecke Vortrag und Motivation. Was mich da manchmal und immer mehr stört: Ein Unternehmen beispielsweise engagiert mich und erwartet von mir, dass ich Mitarbeiter motiviere. Die werden aber gar nicht gefragt, sondern der Chef bildet sich ein: Ich muss mal meine Mitarbeiter motivieren. Also, lieber Baumann, mach mal den „Chaka“. Mindestens 50 Prozent der Leute im Saal wollen den Baumann aber gar nicht sehen. Die Stimmungslage ist eine andere, meine Rolle eine andere, und sie ist unendlich schwerer. Alle erwarten eine Botschaft. Die Bühne dagegen ist was anderes: zur Bühne kommen nur die Leute, die sagen, ich will den Baumann sehen. Ich interessiere mich dafür, was treibt der jetzt? Das spüre ich – also die gespannte Grundhaltung im Saal. Die bezahlen sogar Eintritt.

Und bekommen dafür welche Botschaft?
Baumann: Es gibt nur die eine: Hey Leute, geht raus, habt Spaß. Alles andere ist egal. Das ist die Rolle, die mir liegt.

Lassen Sie uns über ihre Stücke reden. Sie interpretieren Brot und Spiele nach der Erzählung von Siegfried Lenz, die in einer ganz anderen Zeit spielt. Der Protagonist Bert Buchner ist ein Mann, der vor der Vergangenheit flieht – ihm wird zugejubelt, solange er siegt, und keinen Moment länger. Ist Laufen heutzutage so populär, weil es die Chance bietet, vor etwas wegzulaufen?
Baumann: Nein. Überhaupt nicht. Ich glaube sogar eher: Er läuft zu sich. Ich glaube, dass sehr viele Menschen beim Sport, besonders beim Laufen, eine innere Ruhe finden. Sie finden zu sich, und sie finden Abstand. Grenzen sich dadurch auch einmal für eine halbe Stunde ab. Von dem, was im Alltag passiert.

Biografische Bezüge zu Ihrer Läuferkarriere sind in Ihrer Aufführung nicht zu leugnen, oder?
Baumann: Schon zu Jugendzeiten hat mir ein Läuferkollege dieses Büchlein geschenkt. Als ich dann mit der Kleinkunst angefangen habe, dachte ich, ich kann das auch so umschreiben, dass es für die Bühne passt. Unter dem Aspekt probieren, auch scheitern können, denn ich habe ja fünf unterschiedliche Rollen in dem Stück übernommen. Das war eine Auseinandersetzung mit mir, mit meiner Karriere, meiner Vergangenheit, und das hat mir sehr gut getan. Teilweise schwang dann auch meine Biografie mit.

Wie kommt es beim Publikum an?
Baumann: Der Zuschauer weiß nicht immer genau: Ist er noch bei Buchner oder bei Baumann. In einigen Momenten überlappen sich die Szenen mit meiner Karriere. Das kann ich nicht verhindern, das ist das Spannende.

Sind Sie ein anderer Mensch auf der Bühne?
Baumann: Ich bin dort der Bühnen-Baumann. Ab und zu kommt einer der mich kennt und sagt: Mensch, du bist da aber ganz schön arrogant. Dem sage ich: Dann habe ich alles richtig gemacht. Ich kann auf der Bühne plötzlich Dinge überziehen, die ich im richtigen Leben gar nicht machen würde.

Früher bei Trainingslagern waren Sie bekanntermaßen der Spaßvogel der Gruppe. Das Showtalent liegt also in Ihrer Natur, oder?
Baumann: Zweifellos.

Wie würden Sie das bezeichnen, was Sie auf der Bühne machen?
Baumann: Es gibt keine Begrifflichkeit für mein Genre, ich will auch keine.

Ihr jüngstes Stück heißt „Dieter Baumann, die Götter und Olympia“. Wie oft haben Sie das schon gespielt?
Baumann: 50-60 Mal im ersten Jahr. Was nicht viel ist. In der Kleinkunst-Szene werde ich damit belächelt. Damit bin ich noch nicht einmal Halbprofi.

Darin werden auch Missstände mit Blick auf die kommenden Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro kritisiert …
Baumann: Absolut. Bei Brot und Spiele habe ich gemerkt, dass ich ernsthaftes Theater mache. Das hat mit Comedy nichts zu tun. Es ist eine gespielte Lesung. Es gibt nur einen Witz, den ich ganz am Anfang einbaue. Aber mir war klar, ich muss wieder eine Mischung machen aus Ernsthaftigkeit und Lachen.

Ist das schwergefallen?
Baumann: Ach was. Die aktuelle Sportpolitik ist doch eine Steilvorlage. Was die Jungs mir anbieten, baue ich in mein Stück ein. Derzeit schleife ich einen neuen Sketch zu Russland – Thema Doping und Korruption.

Verraten Sie schon etwas?
Baumann: Ist doch ganz einfach: Die Realität ist schon Kabarett. Man braucht sie nur zu erzählen. Wie die ARD-Dokumentation belegt hat, ist die Frage doch: Kaufe ich mir eine positive Dopingprobe oder nicht? Wenn ein Schutzgeld zurückgezahlt wird, weil die Vertuschung nicht geklappt hat, dann ist das besser als bei der Mafia. Das ist FairPlay im Sport.

Das war jetzt die Ironie aus Ihrem Stück, oder?
Baumann: Genau. Und dann schmeißt man ein bisschen mit Geld um sich. Geld rumschmeißen ist sowieso gut, weil Doha kriegt zurzeit ja alles bis hin zur Fußball-WM. Die Sachen sind in Wirklichkeit natürlich leider nicht lustig, auch wenn ich sie lustig erzähle.

Am Ende ist der Zuschauer also eher nachdenklich als erheitert?
Baumann: Nebenbei erzähle ich launische Geschichten aus dem olympischen Dorf. Das ist spannend, weil das Leben dort ja keiner kennt, nur die Sportler. Und da bin ich dann bei der Verarbeitung des nächsten Teils meiner Karriere.

Auf deren Höhepunkt Sie als Autor des Buches „Ich laufe keinem hinterher“ ihre kreative Seite schon zeigten. 1995 schrieben Sie darin: „Baumann gedopt. Welch eine Schlagzeile. Welch eine Auflage. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde die halbe Welt nur darauf warten.“

Wie oft haben Sie die Buchpassage in der schweren Zeit nach Ihren positiven Dopingproben aufgeschlagen?
Baumann: Kein einziges Mal, aber ich weiß noch, dass ich es aufgeschrieben habe.

Wie konnten Sie das so genau beschreiben, was sich vier Jahre später zugetragen hat?
Baumann: Ich gebe eine kleine aktuelle Anleitung. Es gibt jetzt einen Olympiasieger und Weltmeister, der ja auch schon seine Angst vor einem Anschlag geäußert hat: Unser Diskuswerfer Robert Harting. Wer in der Sportszene drin ist, setzt sich mit der Thematik auseinander. Man hat dann ein gewisses Feeling für das, was möglich ist. Warum kommt Robert Harting auf die Idee? Das ist nicht aus der Luft gegriffen.

Schmerzt es heute noch, dass Ihr Name häufiger in Zusammenhang mit der Zahnpasta genannt wird als mit dem Olympiasieg 1992?
Baumann: Das empfinde ich nicht so und ich glaube auch nicht, dass es stimmt. Offen und ehrlich: das interessiert mich alles gar nicht.

In einigen Online-Rangfolgen von Doping-Ausreden kursiert ihre Erklärung mit der manipulierten Zahnpasta aber auch 15 Jahre später noch weit oben …
Baumann: Selbstverständlich nehme ich das wahr, ich bin ja nicht weltfremd. Ich kann aber nur den Kopf über Listen der so genannten dummen Ausreden schütteln, die keinerlei Tatsachen aufzählen. Es geht um Dinge, die passiert sind. Und nicht um die Frage, ob man mir glaubt oder nicht.

Gehen die Medien nach wie vor zu undifferenziert mit dem Doping-Thema um?
Baumann: Vieles hat sich zum Positiven verändert. Die Berichterstattung zum Fall der Skilangläuferin Sachenbacher-Stehle ist der Beweis dafür, dass sich bei den Medien der Blick geändert hat.

Nochmals: Sie müssen aber doch schwer unter Ihrem Doping-Schuldspruch gelitten haben?
Baumann: Dass es eine verrückte und wahnsinnige und auch sehr schmerzhafte Zeit war, ist ja völlig klar. Das muss man nicht erklären.

Wann war die durchgestanden?
Baumann: Nach vier bis fünf Jahren, wobei ich sehr schnell meine Energie in die Zukunft gesteckt habe.

Sie haben das Thema irgendwann abgehakt. Claudia Pechstein hat jahrelang um ihre Rehabilitierung gekämpft.
Baumann: Ich ziehe den Hut davor, was Claudia Pechstein macht. Die Sportszene wird irgendwann dafür dankbar sein. Sie kämpft mit einer unglaublichen Energie, allerdings ist diese Energie rückwärtsgewandt. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte das auch so getan, dann fände ich das schade für mein Leben. Ich finde, das Leben hat andere Facetten verdient. Jeder soll sein Glück suchen, insofern habe ich damals sehr schnell erkannt, ich muss aus diesem ganzen Prozess raus. Ich wusste für mich: ich muss die Zukunft gestalten.

Mit 37 Jahren die Karriere beendet zu haben, halten Sie auch im Rückblick für die richtige Entscheidung?
Baumann: Es war sogar ein Jahr zu spät. Ich hätte schon 2002 nach der EM-Silbermedaille von München aufhören müssen. Im Winter danach war ich verletzt, und dann kommst du als 38-jähriger da nicht mehr hin. Wenn du zweimal drei Monate raus bist, dann ist es vorbei.

Sie engagierten sich während Ihrer aktiven Zeit vehement gegen Leistungsmanipulation, manche sahen Sie als möglichen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes oder an der Spitze der Dopingbekämpfung. Wären Sie ohne die positiven Dopingtests Funktionär geworden?
Baumann: Ich habe doch einen tollen Funktionärs-Job – den auf der Bühne! Ich glaube, da kann ich sogar viel mehr gestalten, als ich das in einer Institution könnte.

Aber Sie hatten doch bestimmt mal den Gedanken: Was wäre wenn?
Baumann: Das halte ich für die falsche Lebensstrategie. Das Leben verläuft auf unterschiedlichen Pfaden. Es kommt eine Wegkreuzung, du entscheidest: links oder rechts. Ich gehe nicht zurück, um zu überlegen, wäre der andere Weg besser gewesen. Das finde ich zu mühsam. Ich bin gespannt auf die nächste Weggabelung, die kommt. Aber selbstverständlich gönne ich mir manchmal einen Blick zurück.

Und was kommt dabei heraus?
Baumann: Vor zwei Jahren habe ich tatsächlich einmal die Frage gestellt: Was wäre gewesen? Interessanterweise bin ich zu der Überzeugung gekommen, es wäre nicht viel anders gelaufen. Wahrscheinlich hätte ich die Funktionärslaufbahn eingeschlagen. Und wahrscheinlich wäre ich gescheitert. Ich kann das doch gar nicht. Ich bin kein Meeting-Mensch. Finde es absurd, dass man wegen jedem Zeug eine Sitzung machen oder eine Kommission einberufen muss. Jeder darf dann etwas dazu sagen. Es wird vertagt, und man hat doch keine Entscheidung. Ich liebe es, schnell zu entscheiden. Klar mache ich viele Fehler. Aber Fehler machen gehört für mich dazu.

Welche Fehler werden aktuell in der Dopingbekämpfung begangen?
Baumann: Im Anti-Doping-Kampf habe ich schon als Athlet die Meinung vertreten: Eine Anti-Doping-Instanz innerhalb des Sports kann nicht funktionieren. Sich selbst kontrollieren: Das geht natürlich nicht. Und vor allem: Man glaubt es nicht.

Was wäre die Alternative?
Baumann: Ganz klar die staatliche Kontrolle. Irgendjemand muss den Sport kontrollieren. Es ist nicht einsehbar, dass Monopolisten wie das IOC oder die IAAF höherrangig bewertet werden als Gesetze. Die aktuelle Form der Sportgerichtsbarkeit ist spätestens nach dem Skandal um Russland gescheitert. Wenn klar wird, so wie es die Reportage von Hajo Seppelt in der ARD gezeigt hat, dass man positive Proben kaufen kann und dass diese Korruption bis in höchste Funktionärskreise hochreicht, dann gibt es das wohl kaum nur in Russland. Die These, der Sport müsse seine Schiedsgerichte selbst stellen, ist komplett Kokolores. Das ist ein Scheingefecht, wenn man nicht kontrolliert werden will.

(Auszüge aus einem am 7.2.2015 im „Bonner Generalanzeiger“ erschienenen Interview. Weitere Gespräche mit Sportlern, Trainern und Funktionären aus allen Sportbereichen sind auf der Website der Tageszeitung unter www.general-anzeiger-bonn.de nachzulesen.
Weitere Fotos von Holger Teusch zu diesem Interview sind unter www.ga-bonn.de/baumann anzuschauen.)