Eine Insel sollte es auf jeden Fall sein. Thomas Zacharias wusste schon sehr früh in seinem Leben, dass er das Glück auf einer Insel zu suchen hatte. Zu sehr war er vom Schiffbrüchigen Robinson begeistert und zu sehr machte ihn das Dasein eines Promikindes zum Außenseiter. Zunächst einmal stand aber an, sich beruflich in Deutschland zu bewähren. Als das halbwegs gelang, fing der 1947 geborene Sohn des weltweit gefeierten „Wundergeigers“ Helmut Zacharias mit seiner damaligen Ehefrau Eva vom Auswandern zu träumen. Zunächst sollte es nach Australien oder Neuseeland gehen, aber die Kanaren sind eben doch ein Stückchen näher an der „alten Heimat“, von der er bis heute geschäftlich abhängig ist.
Thomas Zacharias sieht seine Persönlichkeit mehrfach gespalten. „Nach Aufmerksamkeit und Anerkennung lechzend und doch im Schmollwinkel kauernd, philanthropischer Weltverbesserer und menschenscheuer Soziopath, ehrgeiziger Leistungssportler und von Minderwertigkeitsgefühlen geplagter Versager, Gesellschaftskritiker und intellektuell gescheitert“ – so seine Selbsteinschätzung.
Zunächst fand er im Sport sein Zuhause, indem er nach seiner Karriere als Hochspringer und einem Abschluss zum Diplomsportlehrer Übungsgeräte für Hochsprung und Hürdenlauf erfand und vermarktete.
Im Hochsprung stellte er 1971 mit einer Höhe von 2.22 Metern seinen persönlichen Rekord und damit eine Hallenweltbestleistung auf. Nach drei Deutschen Meisterschaften und vier Deutschen Rekorden streikte das Knie kurz vor den Olympischen Spielen von München ‘72, und die hoffnungsvolle Karriere fand ein jähes Ende.
Seinen großen Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen hatte er sich aber schon 1968 in Mexiko erfüllt. Dort landete er mit für ihn eher enttäuschenden 2,09 m „nur“ auf dem 14. Platz. Dafür war er der erste deutsche Spitzensportler mit Beatles-Mähne und einer eigenen politischen Meinung – sehr zum Argwohn der Funktionäre.
In den Jahren 1972 bis 1979 trainierte er im USC Mainz Schüler, Jugendliche und Spitzenathleten.
Nach 1980 zog er sich langsam aus dem Rampenlicht zurück aufs Land und widmete sich intensiv seiner geschundenen Seele, machte eine tiefgreifende Psychotherapie und bildete sich privat in Sachen Selbsterfahrung und persönliches Wachstum nach Wilhelm Reich, Fritz Perls, Alexander Lowen, also im Themenbereich körperorientierter Tiefenpsychologie.
1983 fand er auf Lanzarote ein einsam gelegenes Häuschen mit Blick aufs Meer, das er sich gerade so leisten konnte, und begann das Buch zu schreiben, mit dem er seit vielen Jahren schwanger ging. Das Ziel: Allgemeinverständlich die Tiefen und Abgründe der Seele zu beschreiben, aus denen die Probleme der zivilisierten Menschen aufsteigen und sie an einem gesunden, glücklichen Leben hindern.
Die Tiefe der Seele ergründen
„Was es heißt, ein Mensch zu sein“. Dieses Buch, in der Idylle der Hügel von Famara entstanden und im nordhessischen Nentershausen selbst verlegt, ist in seiner ganzen Machart, von der Sprache bis zur setzerischen Gestaltung, einzigartig und hätte weit mehr als 4 Auflagen mit über 16.000 verkauften Exemplaren verdient. Es ist aber im Chaos der damals überschwappenden New-Age-Welle untergegangen.
Es folgte ein kürzeres, komprimiertes Werk zum selben Thema „Drei Komplexe sind normal“. Und beide Bücher zu lesen wäre für jeden nach Selbstverwirklichung Suchenden ein Gewinn. Allein der Markt hat sie verschluckt.
Die Zwillinge
Definitiv haben von diesem Wissen und Verstehen allerdings die 1990 geborenen Zwillinge Alex und Luna profitiert, die auf Lanzarote geboren und aufgewachsen zu zwei zauberhaften Geschöpfen gediehen.
Die Zwillinge Alex und Luna
Mitte der 90er Jahre wandte sich Thomas Zacharias mit neuer Begeisterung dem Hochsprung zu. Im Team des damaligen Bundestrainers war für ihn und seine zutiefst fundierten Theorien aber kein Platz. Und so entstand 1996 das Buch „Hoch- und Weitsprung perfekt – Mit Köpfchen der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen“. Mit diesem Werk stellt er so gut wie alles in Frage, was die klassische Literatur zum Thema hergibt. Er beweist mit biomechanischen Gesetzen und Berechnungen, dass seiner Meinung nach die deutschen Hochsprungtheoretiker auf dem Holzweg sind und prophezeit dem deutschen Hochsprung eine katastrophale Dekadenz. Und diese hat inzwischen eindeutig stattgefunden.
Um all das in der Praxis zu beweisen, fing er selbst wieder an zu üben und verbesserte den Seniorenweltrekord für 50jährige von 1,90 m auf zunächst 1,97 m.
Sprungreihe vom 1,97 –m-Sprung im Jahre 1997 in Stuttgart
Wenige Wochen nach diesem Sprung überflog er in Balingen 1,98 m, dann 1,99 m in Fürth und 2,00 m in Birmingham. Diese Marke hat heute nach 19 Jahren immer noch Bestand. In allen folgenden Altersklassen sprang Thomas Zacharias weitere Weltrekorde, so dass er nach einem offiziellen Punktesystem als mit Abstand bester Hochsprung-Senior aller Zeiten dasteht. Und dies natürlich im Straddle, den er, wie er selber sagt, erst mit 49 Jahren richtig verstanden und erlernt hat.
Der Baby-Straddle
Seine Golfbücher wurden Bestseller
Zwischendurch zettelte Thomas Zacharias in der Welt der Golfer eine ähnliche Revolution an. Zwar nicht als Aktiver, – dazu fehlt ihm bei weitem das Talent -, aber als Lehrer und Theoretiker zum Thema Golfschlag-Technik und -Didaktik. Für ein paar Jahre wurde er Betreuer der Amateurnationalmannschaft und Referent in der Golflehrerausbildung. Bis man auch dort seiner aufrührerischen Thesen überdrüssig wurde. Seine Bücher zum Thema wurden allerdings Bestseller: „Golfprofis schwingen nicht – sie schlagen!“ und „Der neue Golfschlag“ (Kosmos, Stuttgart).
Im Laufe seines Lebens hat ThZ, wie er selbst gerne firmiert, vielen Menschen mit seinen praktischen Erfindungen das Leben erleichtert: Er entwarf die erste intelligente, systematische Sporttasche der Welt. Im Schulunterricht haben sich seine aufblasbaren Hochsprunglatten und schaumstoffgepolsterten Klapp-Hürden in nunmehr über 40 Jahren millionenfach bewährt.
Viele weitere Erfindungen (Übungsgeräte und Accessoires für Sportler, Haushalt und Hotellerie) liegen in seiner Schublade, weil Thomas Zacharias nur ungern zum Konsumterror und Wachstumswahn des Industriezeitalters beitragen möchte.
Schon früh sah er ein, dass die Gesellschaft zur Besinnung kommen muss, um eine Wirtschaftsform zu entwickeln, die nicht auf Wachstum und Wettbewerb baut. „Will denn keiner sehen, dass der Wettbewerb immer nur wenige Gewinner und massenweise Verlierer hervorbringt?! Dafür ist doch der Sport da. Hier kann der Mensch seine Gier und seinen Ehrgeiz doch ausleben, ohne anderen existenziell zu schaden! Aber man hat nicht nur die Wirtschaft in den Sport getragen, sondern auch den Sport in die Wirtschaft. Und die Vernunft ist auf der Strecke geblieben.“ So der verzweifelte Ausruf eines „humanistischen Misanthropen“, der angesichts der Umweltschäden, der mit deutschen Waffen geführten Kriege und der entsprechenden Flüchtlingsströme die Hoffnung auf eine Wende zum Guten für die Menschenwelt aufgegeben hat.
Idylle am Fuß der Berge
Und das passt ja wiederum perfekt zu der Idylle am Fuße der Bergkette von Famara, weit weg vom früher einsamsten Strand der Insel, wo heute die zahllosen Windsurfer und Kiteflieger die Nacktbadenden verscheucht haben und sich schon mit ihren Takelagen verheddern. Thomas Zacharias war dort seit Jahren nicht mehr.
Auf seiner Gartenterrasse hat er alles, was er braucht: Sonne und Wind, eine Hochsprunganlage und einen Golfabschlag. Einen Arbeitsplatz mit Blick aufs weite Meer hinaus mit der Insel La Graciosa am Horizont.
Und seine geliebte Frau Lola, die er nach 26 Jahren „wilder Ehe“ und schwersten Krisen nun am 22.12.2015 tatsächlich noch geheiratet hat. Ein Lebenskünstler, wie er im Buche steht…
Glücklich nach der Eheschließung
(Diogenes von der Töss besuchte den Lebenskünstler vor einigen Jahren für die Zweimonatszeitschrift „ Lanzarote 37 Grad“. Thomas Zacharias hat den Beitrag nun aktualisiert.)
Eine glückliche Familie
Thomas Zacharias 2014 im Gespräch mit Wieland Backes in der Ratesendung des SWR „ Ich trage einen großen Namen“.
Als Nachgang:
15 Fragen an Thomas Zacharias:
1 Ihr Lieblingsfach in der Schule?
Physik, Geometrie, Philosophie. Horrorfächer: Orthographie (Legastheniker), Chemie, Mathematik, Geschichte. Die Schulpflicht verschüttet im Kind die Lernbereitschaft. Heute genieße ich das Bildungsfernsehen und bemitleide die Jugend, die zur Dummheit erzogen wird.
2 Haben Sie ein berufliches/privates Motto?
Ich tu alles, um nichts tun zu müssen.
Faulheit macht erfinderisch.
Lass immer die Liebe dich leiten.
Folge Deinem Herzen.
3 Wer ist für Sie Sportvorbild und weshalb?
Vorbilder Haben heißt, (wie) jemand anders sein Wollen.
Und das liegt mir nicht.
Bewundert und verehrt habe ich viele. Aber dann stellte sich immer heraus, dass sie auch alle nur Menschen sind. Gut so!
4 Welches Sportereignis hat Sie am meisten beeindruckt?
Der 10-Kampf von Rom im offiziellen Olympiafilm.
Die großen Stürze und Unfälle bei Ski- und Autorennen.
5 Was treibt Sie an, Sport zu treiben?
Im Training die Freude am körperlichen Dasein und der Schmerz des Versagens.
Also letztlich das Sehnen nach Selbstachtung. Im Wettkampf die Hoffnung auf menschliche (Be-)Achtung.
6 Haben Sie neben Sport weitere Hobbys?
Mir das wahnsinnige Treiben in der Menschenwelt auf bis zu drei Fernsehern gleichzeitig vor Augen führen zu lassen.
Ich halte das aber seit einiger Zeit nicht mehr aus.
7 Ihre größte sportliche Leistung?
Die vielen, schweren Niederlagen zu verkraften.
8 Persönliche Stärken/Schwächen?
Starkes Verständnis für alle Schwächen.
9 Ihre Lieblingslaster?
Schokolade. Mich erhöhen, indem ich andere kleinrede.
10 Welche Begabung hätten Sie gern?
Ein Musikinstrument professionell zu bedienen.
Aber dann wäre ich sicher kein Leistungssportler geworden.
11 Welche Entscheidungen haben Sie bereut?
Reue ist Energie- und Zeitverschwendung. Es sei denn, man versteht sie als Kraft zum Lernen und Bessermachen. Also Reue im Sinne von hilflosem Lamentieren und die Zeit zurückdrehen wollen lähmt wohl eher.
Aus Fehlern kann man nur lernen, wenn man sie selbst begangen hat. Und dann erst kann man sie vielleicht vermeiden. Die Wirkung der eigenen Entscheidungen ist ja nie verlässlich absehbar. „Anders-Entschieden“ ist ja nicht gleich „Anders-gekommen“.
12 Gibt es einen Menschen, dem Sie ewig dankbar sind?
Viele! Spontan denke ich an Werner Bähr (mein Bundestrainer), an Ingomar Sieghart (mein kollegialer Förderer) und an Berno Wischmann (mein stiller Mentor im Verein und an der Uni). Meinen 4 Partnerinnen und natürlich meinen Eltern, Schwester, Bruder, meinen Zwillingen (1990).
Eigentlich bin ich von Dankbarkeit erfüllt. Leider vergesse ich das auch manchmal.
13 Woran glauben Sie?
Dass alles, was und woran ich je geglaubt habe, Schwachsinn war.
Dass wir Menschen unintelligent und unwissend sind und uns folglich maßlos überschätzen (auch die meisten Genies). Dass die Welt viel komplizierter ist, als es die Menschen jemals begreifen werden. Dass in Wahrheit alles nochmal vollkommen anders ist, als die Wissenschaftler uns vorgaukeln. Wenn Wissen nicht zur Weisheit führt, taugt es nichts. Ein unbedeutender Müllkutscher hat vielleicht mehr Weisheit als alle Philosophen von Sokrates bis Sartre zusammen. Zurzeit glaube ich, dass Alles schwingt. Folglich ist die Allsumme immer Null. Unser Mühen ist folglich illusorisch. Alles ist schon geschehen, bevor wir es erleben. Daher gibt es auch keinen freien Willen. Nur den unfreien Willen an den freien zu glauben.
14 Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?
Als ich mit 43 beschloss, eine Familie zu gründen, hatte ich den Eindruck, all meine Träume seien erfüllt. Sonst hätte ich es gelassen. Kann ich nur wärmstens weiterempfehlen: Erst Kinder haben, wenn man all seine eigenen Träume erfüllt sieht. Jetzt sehe ich die Träume meiner Kinder und denke, dass es nicht wichtig ist, ob diese sich erfüllen, sondern dass man überhaupt Träume hat und verfolgt. Ohne Träume ist das Leben sicher unerträglich. Auch wenn die meisten irgendwann platzen oder ihre Erfüllung gar nicht glücklich macht.
15 Wann hat sich für Sie das Leben gelohnt?
Wenn nicht täglich, dann wohl nie. Aber das Leben muss sich nicht lohnen.
Die Latiniker (Franzosen, Spanier, Portugiesen, Italiener) sagen: „Vale la pena“.
Will sagen: „Es ist des Leides wert.“ Also ist das Glück wohl nur der Lohn fürs Leiden. Oder: Mit dem Leid bezahlen wir das Glück. Man kann aber auch den Eindruck gewinnen, dass es Menschen gibt, die mit ihrem Leid das Glück der anderen bezahlen. Viele Arme machen Einen reich. Universelle Nullsumme eben.