Archiv für den Tag: 14. Mai 2016

Die Ente auf dem heißen Glasdach

Dieser Titel ist folgendem Filmtitel aus den 1950er Jahren nachempfunden:  Die Katze auf dem heißen Blechdach. Dieser Film, nach  dem gleichnamigen Theaterstück von Tennessee Williams gedreht, wurde am 18. September 1958 in den USA uraufgeführt. Die Hauptrollen spielten damals Elisabeth Taylor und Paul Newmann. Der Film wurde zu einem der größten Kassenschlager der 1950er Jahre. Und ich kann mich dunkel erinnern, daß ich dazu auch mein Scherflein beigetragen habe, irgendwann 1960 oder 1961, als ich schon in Berlin wohnte und für Ostmark in einem Westberliner Kino diesen Film sah. Und wenn mich auch der  Inhalt nicht ganz so begeisterte, ist mir der Filmtitel bis heute im Gedächtnis geblieben.

Genug der Einleitung, denn es soll ja hier nicht eine Katze, sondern eine Ente die Hauptrolle spielen.

Das Nest auf dem Dach

Vor einem Monat, am 13. April,  wollten wir unser Glasdach, das sich über der Sitzecke unseres kleinen  Hausgartens spannt, von Efeuranken und Blättern reinigen.

Ente klein Idylle im GartenP1020587

Glasermeister Mario Wrosch, ( mehr zu ihm  am Ende der Geschichte) der in unserem Haus seine Werkstatt betreibt,   stieg also aufs Dach und staunte nicht schlecht. Dort, wo der größte Haufen an Ästen und  Blättern lag, hatte sich eine Ente niedergelassen. Und da sie sich nach ihrer Entdeckung auch nicht vom Fleck rührte, kamen wir schnell zum Schluß:  Sie brütet.

Mario 378 BrütenDSC00378

Fortan wurde es zur täglichen Routine, mit unseren Fernstechern aus ca. 10 Meter  Entfernung zu beobachten, was sich tat.  Es tat sich nichts, und wir waren immer sicherer, daß diese Ente brütete. Sie verließ nie ihren Platz, verlagerte nur ein wenig die Stellung. Und ein Entenmann ließ sich nicht blicken.

Wir machten uns im Internet sachkundig. Dort stand, daß es im Frühjahr üblich sei, daß Enten, besonders Stockenten,  auf Balkonen oder Hausdächern brüten würden.  Man solle also den Dingen seinen Lauf lassen. Tips bekamen wir viele, was man tun solle und wie lange es dauern könne. Der Anruf beim Tierpark Kunsterspring brachte nur allgemeine Hinweise. Wir hatten auf Unterstützung gehofft, aber die Auskunft war:  „ Wir haben viel zu viele Enten, können also nicht helfen“.

Es dauerte und dauerte. Die Ente bewegte sich zwar wenig vom Fleck, aber baute ihr Nest immer mehr aus.  Am Schluß war es fast wie eine Trutzburg um sie herum.

Leichte Zweifel kamen bei uns auf, ob das Brüten Erfolg haben würde, ob die Eier befruchtet waren oder es sich vielleicht nur um eine Scheinschwangerschaft handele.

30 Tage nach der Entdeckung war es dann endlich soweit.

Die Küken sind da

Am Freitag, dem 13. Mai 2016, Punkt 8 Uhr in der Früh schaute ich gewohnheitsmäßig aufs Dach und bekam einen freudigen Schreck. Die Ente war in voller Größe zu sehen und viele Küken standen um sie herum.

Ente klein Küken gerade daP1020720

Ente klein kurz nach GeburtP1020722

Ente klein 24 Ente plus KükenP1020724

Die Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Nun kam der größere Teil des Abenteuers für uns. Im Geiste vorbereitet hatten wir uns, denn wir wollten die Entenschar zu Fuß hinunter zum Ruppiner See bringen. Der Weg war klar, das Ziel auch. Aber, zunächst mußte sich die Entenmama mit  ihren Schützlingen in Bewegung setzen.

Und sie tat es mit Bedacht. Einige Male stolzierte sie mit den 10 Küken über das Glasdach, um zum einen das Laufen zu trainieren und zum anderen den Fluchtweg vom Dach auszuloten. Auffallend, wie diszipliniert die Küken waren. Niemand ging eigene Wege, alle folgten der Mutter.

Ente klein auf GlasdachP1020729

Wir aber trafen Vorbereitungen, schleppten Wannen mit Wasser in den Garten und legten Holzlatten an das Dach, um das Herunterkommen zu erleichtern.

Ente klein Wannen 35P1020735

Ente klein Blick durchs GlasdachP1020737

Es zog sich bis in den frühen Nachmittag hin. Und dann wählte die Entenmama einen von uns unerwarteten Weg. Der führte nicht wie erhofft in unseren Garten, sondern man stürzte sich gemeinsam etwa zwei Meter hinab auf Nachbars Grundstück.  Unsere Aufregung wuchs.  Dann aber sichteten wir die Mama mit ihren Küken im tiefen Gras von Nachbars Garten. Aufgeregt schnatterte die Ente, aber es gelang uns zu Dritt, die Ente zum Gang durch den Torweg hinaus auf die Friedrich-Ebert-Straße zu bewegen. Und wie erhofft folgte die aufgeregte Kükenschar ganz diszipliniert.

Der Weg zum See

Nun hieß es für uns, die Ruhe zu bewahren und der Entenschar den Weg zu weisen. Mit  Holzlatten in Form von Löffeln zeigten wir den Weg.   Zwei Kinder, die zufälligerweise vorbeikamen, schlossen sich auf unsere Bitte hin an. „ Wir sind tierlieb, helfen gern“.  Nebenher ihr Eis schleckend, waren sie uns eine große Stütze.  Aber ganz ohne Aufregung ging es trotzdem nicht.

Ente klein EntenmarschP1020741

Zunächst führte unser Weg nach 50 Metern über den Schulplatz, wo wie jeden Freitag der Markt stattfand.  Die Marktbesucher wurden schnell auf uns aufmerksam.  Wann sieht man schon mal solch einen Entenzug in der Stadt?

Es wurde etwas unruhiger im Umfeld und auch die  Ente zeigte sich leicht irritiert. Sie versuchte zunächst, nach rechts auszubrechen. Vielleicht konnte sie sich erinnern, daß  sie vor rund einem Monat mal aus dieser Richtung eingeflogen war.

Aber durch geduldiges Zureden und sanfte Gewalt mit Hilfe unserer „Holzlöffel“  brachten  wir sie wieder auf den richtigen Weg.  Kurz hinter dem  Postgebäude kam bald die nächste Bewährungsprobe für unsere „Prozession“.  Es galt, die Friedrich-Engels-Straße  zu überqueren. Nur gut, daß diese Straße immer noch eine Dauerbaustelle ist und der Autoverkehr deshalb gering war.

Mario Poststraße 413

Zwar wollte unsere Entenfrau wieder nach rechts ausbrechen, aber das wußten wir geschickt zu verhindern.  Nun mußten wir nur noch durch die Poststraße. Vielleicht konnten die Enten das Wasser schon erahnen.  Jedenfalls ging es flott voran, in brütender Sonne.

Ente klein KlosterhofP1020742

Mario 414 Post 2

Ente klein StolpersteineP1020743

Erstaunlich, wie fit die Küken an ihrem ersten Lebenstag schon waren. Und auch die Ente, die ja 30 Tage nur still im Nest gesessen hatte, watschelte mit flottem Tempo voraus.   Entgegenkommende Passanten wurde von  uns freundlich auf die andere Straßenseite „komplimentiert“, unsere Schützlinge sollten keine Hindernisse mehr haben.

Der See ruft

Erleichterung bei uns, als wir dann den Ruppiner See  direkt  vor uns sahen. Links das Restaurant „Zur Wichmannslinde“ und der Aussichtspunkt „ Spucknapf“, rechts vor der Klosterkirche der gewaltige Bühnenaufbau für das Musikschauspiel „Grete Minde“ im Rahmen der Fontane-Festspiele.

Und wir marschierten mittendurch. Wir hatten schon vorher unsere eigene Aufführung, die für uns ja auch eine Uraufführung war.

Mario 415 Ufer Fontanes

Leicht abschüssig nun der Pflasterweg hinunter zum Bollwerk, doch Frau Ente wählte den kürzeren Weg über den Rasen.

Ente klein Ente plus Küken 44 P1020744

Vielleicht sah sie dort auch die vier gelben Fontane-Figuren, die  vom Künstler   Ottmar Hörl aufgestellt worden sind (400 weitere Skulpturen aus Plastik stehen gegenwärtig vor der Neuruppiner Pfarrkirche, unter dem Motto:  Theodor Fontane – Wanderer zwischen den Welten) ,  und dachte sich:  Wo Fontane ist, da wandert es sich gut.

Die letzten Meter schaffte unsere „Prozession“   mit Bravour. Die kleinen Treppenabsätze bildeten kein Hindernis, springend und purzelnd wurden sie überwunden. Dann endlich war man am Wasser angelangt.

Mario 416 Bollwerk

Wir konnten nachfühlen, als unsere Ente genüßlich einen ersten Schluck Wasser zu sich nahm.  Sehr lange hatte sie darauf gewartet, denn in den 24 Tagen der Brut war nur wenig Regen gefallen.

Nun aber hatte sie Wasser im Überfluß vor sich. Und deshalb: hinein in den Ruppiner See. Die 10 Küken zeigten sich nicht als wasserscheu und stürzten sich erstmals in ihrem bisher so kurzen Leben ins Wasser.

Mario Wasser 417

Ente klein im WasserP1020745

Und dann segelte die Enten-Armada davon, mit einem beachtlichen Tempo. Unsere guten Wünsche begleiteten sie.

Ente klein WegschwimmendP1020746

Das Abenteuer  „ Die Ente auf dem heißen Glasdach“ hatte ein glückliches Ende gefunden.

Peter Grau

(Fotos: Peter Grau und Mario Wrosch)

Glaserei Wrosch