Archiv für den Tag: 14. Januar 2016

2012 – als es noch das Kugelstoßmeeting in Nordhausen gab

Seit vielen Jahren hatte ich im Januar immer ein festes Ziel: Nordhausen. Dort fand ein Kugelstoßmeeting statt, das die Weltelite und die deutsche Elite anzog. Ich als gebürtiger Thüringer fuhr gern ins thüringische Nordhausen, auch wenn manchmal Schnee und Eis auf den Straßen lagen und die Anreise nicht immer einfach war. Aber wohl fühlte ich mich dort immer. Um so mehr vermisse ich nun dieses Meeting.
Es bleibt mir wie vielen anderen nur die Erinnerung. Doch die ist auch gerade dann etwas wert, wenn anderswo dunkle Wolken über der Leichtathletik hängen.

In der Zeitschrift „Leichtathletik“ vom 25. Januar 2012 schrieb ich folgende Reportage über das Meeting:

Einmal dabei, immer dabei

Warum nehmen Drei-Zentner-Männer eine lange Anreise für nur einen einzigen Meeting-Start in Europa in Kauf? Ganz einfach: Weil es nach Nordhausen geht. Die thüringische Kleinstadt hat sich zum Mekka der Kugelstoßer gemausert.
Jedes Jahr im Januar kommen sie auch aus den USA. „Gemeinsam mit Reese Hoffa bin ich nur für diesen einen Wettkampf nach Europa geflogen“, erzählt der US-Hüne Christian Cantwell und ergänzt: „ Es ist toll, in solch einer Atmosphäre zu agieren, und ich habe den Eindruck, dass es immer besser wird, das Publikum noch mehr mitgeht“.
Da kann er mitreden, denn er ist schon zum fünften Mal dabei. Landsmann Adam Nelson, der eine 16 Stunden lange Anreise von Athens (Bundestaat Georgia) in den Knochen hat, beschreibt es so: „Dies ist eine unglaublich dichte Atmosphäre, um die Saison zu beginnen. 2000 Leute, und sie alle lieben Kugelstoßen. Die Intensität in der Halle hebt uns auf ein besseres Niveau. Was wir hier an Leistungen sehen, dürfte mehr mit der Stimmung zu tun haben, als mit der Form der Athleten.“

Vier Stunden Unterhaltung

Was aber zieht die Massen in die vor zehn Jahren erbaute Wiedigsburghalle, in der auch viele Konzerte stattfinden? Es ist zu allererst der Sport. Die Leute wollen Leistungen sehen und fühlen sich zudem vier Stunden bestens unterhalten. Schon der Beginn ist spektakulär, wenn das Hallenlicht gedämpft wird und die Scheinwerfer auf die Athleten gerichtet werden. Jeder Einzelne läuft, begleitet von einem Nachwuchssportler, eine kleine Runde auf der Riesenmatte. Dann nehmen sie in Reih und Glied Aufstellung, lauschen den Kurzfassungen der Nationalhymnen. Alles stilgerecht und emotional.
Die Emotionen dürfen dann im Ring ausgelebt werden. David Storl übertrifft alle Erwartungen, ist wie schon bei der WM der Größte. Dreimal stößt er weit, dreimal reißt er sofort die Arme hoch. Das ist ein ganz anderer Storl als noch vier Jahren, als er erstmals als Jugendlicher in Nordhausen startete und etwas unterkühlt nach dem U20-Sieg auftrat. (übrigens durfte ich damals erstmals ein Interview mit ihm führen und habe seitdem seine Entwicklung hautnah verfolgen können. P.Gr.).
Mit 21,24 Metern gewinnt er die zwölfte Auflage des Meetings. „ So habe ich mir den Einstieg in die Olympiasaison vorgestellt. Ich habe schon beim Einstoßen gemerkt, dass es hier gut geht“, freute sich Storl. Trainer Sven Lang meinte: „ Das war die Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Schön, dass er sich seine Lockerheit bewahrt und nervenstark wie eigentlich immer agiert hat. Der Sieg gegen die Amerikaner war gut für sein Selbstbewusstsein“.
Das Publikum ist jedenfalls begeistert, die „La-Ola“ schwappt durch die Wiedigsburghalle, die an sich nur einen spröden Charme versprüht. Man sitzt auf schmalen Holzbänken, ohne Rückenlehne, und Hunderte stehen auf der Empore. Aber Luxus will man nicht, man will Sport sehen.
Und den sieht man doppelt, einmal live im Ring und gleichzeitig auf einer riesigen Videowand. Zusätzlich sorgt das Sprecher-Gespann Hardy Gnewuch und Andreas Möckel für Informationen, bindet das Publikum immer wieder ins Geschehen ein.

Kugelstoßen mit Musik

Die Hände bleiben nicht ruhig, und zudem wird noch durch flotte Musik die Stimmung hochgehalten. Man könnte die Veranstaltung auch“ Kugelstoßen mit Musik“ nennen, in Anspielung auf das Hochsprung-Meeting im nicht weit entfernten Arnstadt.
Noch mehr Adrenalin wird so in die Körper der Sportler gepumpt, und für manche ist das fast zuviel. Christian Cantwell beschreibt das so: „ Es ist echt hart hier. Ich hatte vorher gute Trainingsleistungen. Nun komme ich her und erlebe diese Atmosphäre. Die Aufregung hat mir den Wettkampf verdorben“. Aber immerhin wurden es noch 21,01 Meter, was Platz drei bedeutete.
Die Zuschauer bejubeln alle Athleten, aber manche eben noch ein wenig mehr. Natürlich thront David Storl über allen, aber auch Reese Hoffa ist ein Publikumsliebling. Nicht nur, weil er, der im Dezember noch mit Kniebeschwerden zu tun hatte, mit 21,14 Metern Zweiter wird, sondern auch wegen einer Sondereinlage. Der Drehstoßer trifft im dritten Versuch gegen das die 21 Meter markierende Hütchen am linken Rand des Sektors, das in tausend Teile zersplittert. Hoffa freut sich unbändig darüber, auch wenn der Stoß ungültig ist. Die Zuschauer lieben ihn dafür noch ein bisschen mehr.

Und sie begeistern sich diesmal auch am Wettstreit der Frauen. Lange Zeit sieht die Magdeburgerin Nadine Kleinert mit ihrem Anfangsstoß von 18,96 Metern wie die Siegerin aus. Doch der erhoffte Stoß über die 19 Meter bleibt für sie aus.
Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) rückt ihr immer näher und begeistert sich und das Publikum im fünften Versuch mit dem Siegesstoß von 19,06 Metern. „Das war noch nicht alles, was ich kann. Aber der beste Saisoneinstieg meiner Karriere“.
Mit dem persönlichen Hallenrekord von 18,29 Metern überzeugt die Bronzemedaillengewinnerin der Hallen-EM von Paris 2011, Josephine Terletzki (SC Magdeburg).
Das Publikum geht jedenfalls zufrieden nach Hause. Meetingdirektor Werner Hütcher strahlt ob des leistungsmäßig bisher besten Nordhäuser Meetings und ist sich sicher: „ Wer einmal hier war, kommt immer wieder“.

Da ahnte er wohl noch nicht, dass 2013 das letzte Kugelstoßmeeting in Nordhausen stattfinden würde.
Es bleiben nur die Erinnerungen.
(Videoaufnahmen u.a. von den Meetings 2004 bis 2006, 2009 und 2010 sind auf You Tube zu sehen)