Kugelstoßerin Christina Schwanitz erlebte am 20. Dezember 2015 einen weiteren Höhepunkt: Sie wurde von den deutschen Sportjournalisten zur Sportlerin des Jahres gewählt, erhielt die Auszeichnung aus den Händen ihres Ehemannes Tomas.
Viel ist bis dahin im Leben der Christina Schwanitz passiert. Einige Strecken dieses Weges durfte ich als Berichterstatter begleiten, und immer war sie gesprächsbereit und für einen Scherz zu haben. Besonders sind mir die langen Gespräche am Rande des Kugelstoßmeetings in Nordhausen und der Halleschen Werfertage erinnerlich.
Auch wenn das Gespräch in Halle/Saale schon über 2 Jahre zurückliegt, lohnt es sich noch, auf dieses Jahr 2013 zurückzublicken. In der „Leichtathletik“ erschien damals der folgende Artikel:
Christina Schwanitz: Ohne Schrauben und Zahn zu den 20,20 Metern
„Kugelstoßen macht mir wieder Spaß“ jubelte Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge) nach ihrem gelungenen Auftritt bei den 39. Hallenser Werfertagen im Jahre 2013. Mit 19,84 Metern gewann sie und war nicht allzu traurig, dass die Kugel diesmal nicht wie vor einer Woche in Shanghai (20,20 m) über die 20 Meter hinaus flog. „20 Meter, das ist weit, sehr weit. Da fliegt die Kugel, bildlich gesprochen, über viele Autos“. Doch die Frage, wieweit es nun gehen könne, kontert sie in ihrer fröhlichen, offenen Art: „ Natürlich möchte ich mal 30 Meter stoßen“. Doch das Zwinkern in den Augen dokumentierte, dass das nicht Ernst gemeint war.
Aber der Hallen-EM –Titel von Göteborg , die 20,20 m von Shanghai und die souveräne Vorstellung bei den Werfertagen in Halle zeigen die neue Qualität der 27- Jährigen.
Nun wird allüberall nach Erklärungen gesucht und die Antworten können so zusammengefasst werden: Gesundheit, Training, Psyche.
Seit drei Jahren trainiert sie bei Sven Lang, und anfangs dauerte es, ehe beide sich auf einer Wellenlinie befanden. Sven Lang: „ Ich habe allein ein Jahr gebraucht, um die Philosophie, die ich vom Kugelstoßen habe, umzusetzen. Als ich soweit war, traten körperliche Probleme auf, denn Christina hatte fünf Jahre die Schrauben im Fuß. Da war ich in den Trainingsmitteln bei ihr eingeschränkt, konnte manches nicht machen. Es gab Einheiten, die ich abbrechen musste, wenn sie nur ein wenig gegen den Balken gestoßen war.“ Seit die Metallteile aus den Füßen heraus sind, ist es ein anderes Trainieren. „ Sie ist schmerzfrei. Da kann ich nun richtig trainieren, auch die Umfänge erhöhen.“
Ohne Verletzungen wurden die Trainingslager in Albufeira und Laatsch (Tirol) absolviert, eine neue Qualität erreicht. Die 20 Meter fielen da schon, „ es ging für mich nur noch darum, dass ich es im Wettkampf bestätige.“ Und auf dem Weg zur Schallmauer konnte sie auch ein kaputter Zahn nicht aufhalten. Noch in der letzten Woche in Südtirol hatte sie sehr starke Zahnschmerzen bekommen. „ Ich bin nur noch auf drei Stunden Schlaf pro Nacht gekommen und Essen war auch nicht mehr richtig möglich. Aber ich wollte es reißen, trainierte trotzdem.“ Nach der Rückkehr wurde der Zahn gezogen, zwei Tage später nochmals die Form im Ring getestet und dann kam das Okay für den 15-Stunden-Flug nach Shanghai zum Meeting der Diamond League. Am Freitag und Samstag wurde in Shanghai trainiert, abends war dann der Wettkampf. Die beeindruckende Serie kommt ihr flüssig von den Lippen:
19,79; 20,12; 19,69; ungültig; 20,20, ungültig.
„ Zweimal 20 m, das war schon ein großes Ding. Aber es kam für mich ja nicht überraschend, eher für die anderen.“ Da störte es sie nicht, dass zu ihrem Wettbewerb fast keine Zuschauer im Stadion waren, „ gefühlte 5 vielleicht“. Es zählte nur die Zahl auf der Anzeigetafel, die 20,20, und natürlich der Sieg.
Für eine Sightseeing-Tour durch die Großstadt blieb danach keine Zeit. Am Pfingstsonntag ging es zurück, wieder 15 Stunden per Flugzeug. Pfingstmontag morgens um 1 Uhr war sie wieder zuhause. „ Ich wollte mich ja auf meinen Auftritt in Halle vorbereiten“, nahm sie es gelassen, aber vor allem professionell. Jetzt merkte sie auch den Jetlag, „ das Training fiel sehr schwer, die Bewegungen als auch die Konzentration vom Kopf her.
Doch im Wettkampf war davon wenig zu merken. Stabil die Serie, nur der Ausrutscher über die 20 m fehlte. Und sie zog einen Vergleich. „ 2008 habe ich in der Halle in Chemnitz überraschend 19,68 m gestoßen und gedacht. Um Gotteswillen, woher habe ich das hervorgeholt. Das schaffe ich doch nie wieder. Jetzt ist es anders, ich traue es mir zu.“
Und dieses Vertrauen in das eigene Können hat eine nun viel stärkere Psyche zum Hintergrund. Gerade die ließ sie in der Vergangenheit oftmals im Stich. Besondern krass war es bei der WM 2011 in Daegu und noch mehr bei der Hallen-WM 2012 im türkischen Istanbul. „ Ich habe mich bei großen Wettkämpfen so aufgeregt, dass ich dann einfach blockiert war, einen blackout hatte.“ So konnte es nicht weitergehen, der Weg zur Psychologin war unausweichlich.
Hilfreiche Psychologie
„ Ich hatte zwar früher schon mal mit einem jungen Psychologen erste Erfahrungen gesammelt, doch der behandelte mich wie ein kleines Kind.“ Nun traf sie auf Grit Reimann (Dresden), die auch Turner und Bobfahrer unter ihrer Obhut hat. „ Ich fahre zu ihr nach Dresden, und kann das auch immer mit einem Besuch bei meinen Großeltern koppeln, die ich sonst leider nur noch selten sehe“, sagt die gebürtige Dresdnerin. Und mit dieser Psychologin hatte sie ein Glückslos gezogen. „ Sie konnte mir sehr vor London helfen. London war für mich der geilste Wettkampf bisher, mental und vom Erleben her. Seitdem macht mir Leistungssport Spaß, ist keine Pflichtveranstaltung mehr. Zwar hat man nun auch mehr Verantwortung, und der Rucksack wird immer größer, den man mit sich herumschleppt, aber das kann ich mittlerweile zu 80 Prozent im Wettkampf vergessen und das macht den Spaßfaktor Sport aus. Mittlerweile sage ich, gut, versuche ich es. Früher habe ich mir dann selber Streß gemacht, ich muss, ich muss, eben weil ich die Erwartungen aufgenommen habe. Will und muss , das geht nicht.“
Kurs Moskau
Weil Christina Schwanitz nun endlich wieder den Erfolg vor Augen sieht, nimmt sie notgedrungen auch große Abstriche an ihrer Freizeit, ihrem Privatleben in Kauf. Viel ist sie unterwegs, ihren Verlobten Tomas sieht sie recht selten. Doch die Hochzeit im September ist weiterhin ein Thema „ ich will doch endlich auch mal eine Prinzessin sein“. Zuvor aber erduldet sie die „Fron“ des Trainings, jetzt gerade in Kienbaum. In Schönebeck ist am 7. Juni der nächste Wettkampf, danach sollen einige Meetings folgen, die Deutschen Meisterschaften. Und dann nimmt sie schon Kurs auf die WM in Moskau.
„Sicher wäre es schöner gewesen, wenn ich in London bei Olympia schon diese 20-Meter-Form gehabt hätte. Aber hätte, wenn und aber, das bringt nichts mehr. Nun packen wir es eben in Moskau“, schaut sie optimistisch nach vorn. Im Augenblick stehen für Christina Schwanitz alle Zeichen auf Erfolg.
Peter Grau
(erschienen in „Leichtathletik“ Nr. 22 vom 29.5.2013)