Archiv für den Tag: 1. Juli 2016

Kugelstoßerin Denise Hinrichs – Abschied und Ausblick

Jeder Abschied ist auch ein Anfang.  Und auch wenn ein Abschied manchmal  plötzlich und unerwartet kommt, kann es Gründe geben, die das Abschiednehmen geradezu herausfordern.

Denise Kunze klein Porträt Gantenberg

Denise Hinrichs im Jahr 2015 (Foto:  Dirk Gantenberg)

 

Kugelstoßerin Denise Hinrichs hatte sich für dieses Jahr 2016 viel vorgenommen, wollte zur EM nach Amsterdam. Aber auch die Olympischen Spiele waren ein Ziel. „ Die Rio-Norm von 18,50 Metern ist happig, aber durchaus ein Thema,“  ließ sie im Herbst 2015 verlauten.

Doch es lief 2016 nicht wie gewünscht bei der Wattenscheiderin. Zwar versuchte sie es nochmals bei der Deutschen Meisterschaft in Kassel, aber ohne Erfolg.  Drei ungültige Versuche kamen für sie ins Protokoll.

Und am Montag darauf, dem 27. Juni,  las ich bei Facebook eine Nachricht von Denise Kunze. Ich wunderte mich, denn dieser Name war mir bisher nicht bekannt. Nach wenigen Sätzen und nach dem Wort „ Kugel“ fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Es mußte sich um Denise Hinrichs handeln.

Und das wurde bald noch deutlicher, als das folgende Hochzeitsfoto erschien:

Denise Kunze Hochzeitsfoto

Denise Hinrichs und ihr langjähriger Partner Thomas Kunze haben also geheiratet.

 

Davon, vom Abschied vom Sport, und von dem Hauptgrund des Abschieds informierte Denise also einen Tag nach Kassel in sehr emotionalen Worten Freunde und Bekannte im folgenden Facebook-Eintrag:

Veränderungen gehören zum Leben!

Es wird Zeit die Kugel in die Ecke zu legen und in die Zukunft zu blicken.
Bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel habe ich meine Karriere mit xxx beendet. Nicht schön, doch irgendwie auch passend zu mir!

Ich habe eine wirklich tolle Zeit in der Welt des Sports erleben dürfen.1996 startete ich beim Schwaaner SV, 2000 wechselte ich nach Neubrandenburg ehe ich 2007, beim TV Wattenscheid, mein Glück fand.

Ich feierte Erfolge (U20/ U23 Europameisterin, Vizehalleneuropameisterin mit meiner Bestleistung von 19,63 m u.s.w, doch fiel ich oft und lernte was es heißt ‚immer wieder aufzustehen‘! Ich möchte gar nicht lamentieren ‚Was wäre wenn…‘- Nein, ich möchte ‚Danke‘ sagen:

Danke, lieber Miro – für 9 Jahre, in denen du nicht nur Trainer, sondern auch Motivator, Zuhörer und Freund geworden bist! 🙂

Danke, TV Wattenscheid– für 9 Jahre Treue in ‚Guten wie in schlechten Zeiten‘!

Danke, Dr.Carsten Radas– du hast wohl einen Einblick in meine Knie wie kein anderer 😉

Danke, Bundespolizei– mein Arbeitgeber steht seit 10 Jahren hinter mir und gibt/gab mir die nötige Sicherheit , den Leistungssport auszuüben!

Danke, liebe Familie und Freunde– ohne euch ist das Leben nur halb so schön!

Danke, mein lieber Ehemann Thomas -du musstest die letzten 5 Jahre so viel auf mich verzichten! Doch diese Zeit ist vorbei!

Danke an alle, die Teil unserer Hochzeit waren- Ihr habt diesen Tag wirklich unvergesslich werden lassen!
Lindi und Britta, ihr seid ganz tolle Freundinnen :-*

Und ganz zum Schluss freue ich mich über den schönsten und wichtigsten Grund, meine Karriere zu beenden! Mein Mann und ich erwarten im Dezember unseren Nachwuchs!

Wir freuen uns auf diesen Teil des Lebens und blicken freudig der Zukunft entgegen!

Danke an alle, die bis zum Schluss gelesen haben 😉

Denise

 

Denise Kunze klein mit Kugel 2015 HDM

Denise Hinrichs bei der Hallen-DM 2015 (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Meine Begegnung mit Denise Hinrichs im Jahre 2011

Den sportlichen Weg von Denise Hinrichs habe ich sehr lange als Berichterstatter verfolgt. Und ich habe sie immer als eine  freundliche, auskunftsfreudige Athletin erlebt. Zuletzt, und das sehr ausgiebig, beim einem Mittagessen im Athletenhotel, vor dem Kugelstoßmeeting in Nordhausen. Das war im Jahre 2011 und auch damals erzählte sie einiges über ihre Verletzungssorgen. Da konnte ich noch nicht ahnen, daß dann am Wettkampfabend neue Sorgen hinzukamen. Der erste Kreuzbandriß ereilte sie und ich fühlte mich ein wenig schuldig, weil ich wenige Stunden zuvor mit ihr dieses lange Gespräch geführt habe. Seitdem habe ich es in der Regel unterlassen, mit Athleten vor dem Wettkampf zu plaudern.

Als ich jetzt Denise von meinen Schuldgefühlen berichtete, erteilte sie mir  gewissermaßen Absolution:  „Du musst dir da keine Vorwürfe machen. Mein Körper hat diese Schnellkraftsportart nicht so verkraftet.“

 

Soweit der Blick in die Vergangenheit. Und er wird unterstützt durch den Artikel, den ich damals 2011 nach dem Kugelstoßmeeting in Nordhausen für die Zeitschrift „Leichtathletik“ schrieb:

 

Denise Hinrichs erlitt Kreuzbandriss

Die Hallen-Vizeeuropameisterin Denise Hinrichs zog sich beim Kugelstoßmeeting in Nordhausen einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie zu. Am 17. Februar soll sie operiert werden.

So schnell schlägt das Schicksal manchmal zu. Denise Hinrichs (TV Wattenscheid 01) war voller Optimismus, der Wettkampf begann mit 17,81 Metern auch recht gut. „ Doch beim zweiten Versuch knackte es im Knie. Weil der Schmerz  nachließ, versuchte ich es nochmal, aber da hatte ich überhaupt keine Kontrolle mehr über das Knie und es tat auch sehr weh.“  Zwar ergab die erste Arztkontrolle in der Halle erstmal leichte Entwarnung, doch im Trainingslager in Kienbaum, wo sie anschließend mit ihrem Trainer Miroslaw Jasinski hingefahren war, kam der Schmerz zurück. Bei der Untersuchung im Berliner Unfallkrankenhaus wurde dann erstmals der Verdacht auf einen Kreuzbandriss geäußert und in Sendenhorst durch Dr. Carsten Radas bestätigt.

Zuversicht beim Mittagessen

Fünf Stunden vor dem Wettkampf hatte die Welt für die freundliche Athletin noch rosig ausgesehen.  Entspannt ließ sie sich im Athletenhotel das Mittagessen munden, nur am Eis hatte sie etwas auszusetzen. „Ich mag Schokoladeneis nicht, ebenso wenig wie Schokoladenpudding. Dafür aber  reine Schokolade“. Im Nachhinein eine Randnotiz, unwichtig im Vergleich zu gesundheitlichen Problemen.

Und über die erzählte die gebürtige Rostockerin ausführlich. Ihre sportliche Karriere hatte  2009 mit dem 2. Platz bei der Hallen-EM in Turin, dem 11. Platz bei der WM in Berlin und den beiden Bestleistungen von 19,63 Metern in der Halle und 19,47 Metern im Freien ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Beruflich konnte sie den Abschluss der Ausbildung bei der Bundespolizei in Cottbus als Erfolg vermelden. Aber danach lief bei der Polizeimeisterin im mittleren Dienst nicht alles rund.

„ Auf die Hallensaison 2010 hatten wir verzichtet, wegen der Ausbildung und auch deshalb, weil in Cottbus die Trainingshalle abgerissen worden war. Wir trainierten dann für die Sommersaison in Kienbaum, aber dort fing ich mir einen Norovirus ein. Bis Anfang Juni hatte mein Körper damit zu tun.“ Aber das war noch nicht alles. „Es traten, wie schon 2009, wieder Probleme zwischen Knie und Wade auf, die mich in der maximalen Belastung behinderten.“ Die Ärzte waren nicht sicher, woher die Probleme rührten, auf den MRT-Bildern war es nicht zu erkennen.  „Die Probleme blieben, meine Technik verschlechterte sich.“  Mit dem 8. Platz bei der EM in Barcelona (18,48 m) musste sie also noch zufrieden sein.

Im September 2010 ließ sich Denise Hinrichs am Knie operieren, stieg danach ins Training ein, doch im Dezember 2010 meldete sich die Wade erneut. Kurz vor dem Nordhausen-Meeting  war sie eine Woche im St. Joseph-Stift in Sendenhorst bei Münster,  dort, wo viele Athleten Linderung ihrer Schmerzen und kompetente Diagnosen suchen. Neue Hoffnung keimte.„ Dr. Radas als Arzt und Peter Müller als Physiotherapeut haben  nun wohl die Ursache für die Schmerzen gefunden, „ berichtete Denise Hinrichs und erläuterte den medizinischen Stand: „Hinter dem Kreuzband hat sich Kapselflüssigkeit gebildet, die sich verhärtet und bei Maximalbelastung in die Muskulatur drückt. Das wurde angespritzt und seit einer Woche bin ich nun schmerzfrei und hoffe, dass es so bleibt.“  Fünf Stunden später aber wusste sie, dass diese Hoffnung trog.

Dabei hatte die 1,80 m große Athletin, die von 2000 bis 2007 bei Gerald Bergmann in Neubrandenburg trainierte,  seitdem in Bochum –Wattenscheid wohnt und dort von Miroslaw Jasinski betreut wird, schon große sportliche Pläne geschmiedet.

„ Natürlich will ich zur Hallen-EM und zur WM nach Südkorea, und in der Weite will ich einfach noch eine Schippe drauflegen, auch in Richtung Olympia 2012“. Und Trainer Jasinski ergänzte: „Sicher sind auch die 20 m nicht unmöglich.  Und damit kann man jeden Wettkampf vorn mitbestimmen.“

Nun also dieser Rückschlag. „Es wird ein langwieriger Prozess werden. Aber ich werde noch stärker zurückkommen,“ macht sich Denise Hinrichs Mut. Und sicher hilft der Polizeimeisterin  dabei mental auch, dass sie ab Oktober 2010  ein Studium der Politikwissenschaften beginnen wird.

Peter Grau

(veröffentlicht in der Zeitschrift „Leichtathletik“ im Februar 2011)