Vom 6. Juli bis 10. Juli 2016 finden in Amsterdam die Europameisterschaften der Leichtathleten statt, und zwar in dem Stadion, das 1928 als Wettkampfstätte für die Olympischen Spiele diente.
Als gestern mein Wiener Journalistenkollege Olaf Brockmann ein Foto vom Olympiastadion Amsterdam aus dem Jahre 1928 postete, erinnerte ich mich sofort daran, daß mein Vater Walter Grau als Zuschauer auch bei diesen Olympischen Spielen zugegen war. Er hat mir zwar nie davon erzählen können, weil er aus dem 2. Weltkrieg nicht mehr zurückkam, aber ich fand kürzlich einige Fotos, die er damals gemacht hatte. Zwar ist die Qualität der Fotos nicht mit heutigen Maßstäben zu messen, aber sie sind immerhin ein Zeitdokument.
Zunächst bannte er zweimal Langstreckler Paaovo Nurmi auf seinen Film und schrieb dazu, daß dieser im 5000-m-Lauf gerade wieder Konkurrenten überrundet.
Aber es reichte für den Finnen in 14:40,0 min „nur“ zum zweiten Platz hinter seinem finnischen Landsmann Ville Ritola (14:38,0). Dafür drehte Nurmi dann über 10.000 m den Spieß um und holte sich in 30:18,8 min Gold.
Nurmi war zu dieser Zeit in aller Munde, und ich erinnere mich, daß wir in der Schule auch „so schnell wie Nurmi“ laufen wollten. Später begegnete ich Nurmi nochmals, allerdings in Stein, als Denkmal vor dem Stadion in Helsinki.
Damals 1994 war ich Berichterstatter bei den Europameisterschaften der Leichtathleten.
Und nochmals kam mir der Name „Nurmi“ unter. Das war allerdings in einem unerfreulichen Zusammenhang. Als vom Staatssicherheitsdienst der DDR über mich eine Akte angelegt wurde, wählte man für meine Person den Namen „Nurmi“, wohl wegen meiner damaligen intensiven Lauf – und Marathonambitionen.
Doch zurück ins Jahr 1928. Warum war mein Vater überhaupt nach Amsterdam gefahren? Wie ich aus Briefen und durch Fotos mitbekam, war er schon von Jugend an sehr sportinteressiert. Alles, was irgendwie möglich war, betrieb er. Ob es nun der Skisport war, der Segelsport oder der Hockeysport, er schien alles auszuprobieren. Stolz war er u.a. auf die Besteigung des Großglockners (mein Vater links):
Viel Gefallen fand er auch an Mannschaftssportarten, so vor allem am Hockeysport, der damals noch viel populärer war als heute:
Die schönsten Erlebnisse hatte er wohl mit dem THC Apolda, dem Thüringer Hockeyclub Apolda. Hier bei einem Gastspiel in München (mein Vater erste Reihe, rechts):
Und mit dem Apoldaer Hockeyclub machte er sich auch auf die Reise nach Amsterdam:
Apoldaer Hockeyclub vor der Abreise
Über manche Fotos kann ich mir noch keinen Reim machen. So vom folgenden Foto, das meinen Vater (links) vor dem Zollamt in Bentheim zeigt:
Was wollte er dort? War es auf der Hinfahrt oder der Rückfahrt? Gemeint ist wohl der Ort Bad Bentheim, der dicht an der niederländischen Grenze liegt.
Zu erkennen ist ein Gemälde, vielleicht ein teuerer „Holländer“? Bei uns zuhause aufgetaucht ist er nie, soweit ich mich erinnern kann.
Zu den anderen Fotos gibt es keinen roten „Erzählfaden“. Deshalb reihe ich sie so einfach aneinander, mit den Beschriftungen aus dem Fotoalbum.
Zunächst ein Foto von Helmut Körnig:
Helmut Körnig (mein Vater schrieb Hellmuth Körnig) steht hier vor dem Trainingsquartier der Deutschen Olympiamannschaft. Körnig holte sich über 200 m die Bronzemedaille und als Schlußläufer der 4×100-m-Staffel Silber. Mit in dieser Staffel liegen Georg Lammers, Richard Corts und Hubert Houben.
Grandhotel in Zandvoort, Trainings-Quartier der Deutschen Olympiamannschaft (rechts); links das Quartier der USA-Mannschaft und der kanadischen Olympiamannschaft auf einem großen Dampfer.
Oben links: Ablösung der Wache vor dem Königlichen Palais; Königliches Palais; Unten links: Die Kalverstraat, die schon damals sehr belebte Geschäftsstraße Amsterdams; daneben Blick auf den Centralbahnhof
Links Hafengasse, rechts moderne Wohnbauten.
Links Zoo in Amsterdam; rechts Markt.
Am Nordseestrand in Zandvoort, wo man nach den Olympischen Spielen noch einige Tage Urlaub verlebte. Oben links Strandwagen; rechts daneben: ein Teil der Hockeytruppe (mein Vater Zweiter von rechts); unten biegsame junge Damen.
Amsterdamer Hafen
Und dann noch zwei Fotos direkt zur Leichtathletik:
Schwarz-Rot-Gold weht am höchsten Mast. Lina Radke hat die 800 m der Frauen gewonnen:
Nochmals Helmut Körnig, u.a. Dritter im 200-m-Lauf, vor dem Quartier in Zandvoort:
Und somit haben wir wieder die Brücke (deren es in Amsterdam so viele gibt) zu den Leichtathletik-Europameisterschften, die morgen, am 6. Juli 2016 im Olympiastadion beginnen.
88 Jahre, nachdem mein Vater Walter Grau dort als Zuschauer weilte.
Peter Grau