Schon vor einem Jahr hat sich der US-Mittel- und Langstreckler Bernard Lagat beim ISTAF-Meetingdirektor Martin Seeber für das 75. ISTAF angemeldet. „ Ich will meine Karriere hier im Olympiastadion beenden, mit den Fans eine Party feiern“. Vor sieben Jahren, bei der WM 2009, konnte sich Lagat erstmals von den Berlinern feiern lassen, als er WM-Bronze über 1500 m und WM-Silber über 5000 m gewann. Insgesamt zehn Mal ging der Doppelweltmeister und dreifache Hallenweltmeister beim ISTAF an den Start.
2010 gab er Michael Reinsch von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein längeres Interview und daraus ist damals folgende Geschichte entstanden, die die wichtigsten Fakten über Bernard Lagat enthält:
Bernard Lagat: Der laufende Weltbürger
Er stammt aus Kenia, ist amerikanischer Staatbürger, hat eine kanadische Frau und einen chinesischen Trainer. „Global, das ist das Wort“, sagt Bernard Lagat: „Ich bin ein Bürger der Welt.“
Der kleine Sportsfreund Miika Lagat ist nicht leicht zufriedenzustellen. Als er im Juni zu Hause in Tübingen im Fernsehen das 5000-Meter-Rennen der Diamond League in Oslo sah, machte er aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Da bogen drei Läufer gleichauf in die Zielgerade ein, da kämpften drei Männer mit schmerzverzerrten Gesichtern um den Sieg – und dann unterlag Papa den beiden Äthiopiern Imane Merga und Tariku Bekele. Miika Lagat vergoss bittere Tränen.
Als Bernard Lagat am Tag darauf seinen vierjährigen Sohn in die Arme nahm und ihm erzählte, dass er (in 12:54,12 Minuten) immerhin persönliche Bestzeit und amerikanischen Rekord gelaufen sei, konnte er ihn nicht ganz überzeugen. „Du sollst nicht verlieren“, rief der Junge. „Ich will, dass du immer gewinnst.“
„Keine Gelegenheit, an das Rennen zu denken und nervös zu werden“
Das sind so die Aufgaben, die ein Vater zu meistern hat. Bernard Lagat geht sie optimistisch an. Schließlich ist er der Doppel-Weltmeister über 5000 und 1500 Meter von Osaka 2007, Hallen-Weltmeister über 3000 Meter von Budapest 2004 und Doha 2010 sowie Gewinner verschiedener Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Für seinen Start an diesem Sonntag beim Istaf im Berliner Olympiastadion hat er seinen australischen Manager James Templeton ein paar besonders schnelle Tempomacher bestellen lassen. Wenn er über die 3000 Meter schon aus dem Rennen um die Diamanten ist, will er doch beweisen, dass er die Bestzeit von 7:32,49 Minuten, mit der er in Doha den Titel gewann, unterbieten kann.
Miika wird das Rennen am Sonntagnachmittag nicht im Fernsehen verfolgen müssen. Er begleitet mit seiner kleinen Schwester und seiner Mutter den Vater zur Arbeit nach Berlin. „So reisen wir am liebsten“, sagt Bernard Lagat. „In unserem Hotelzimmer ist immer etwas los. Ich habe gar keine Gelegenheit, an das Rennen zu denken und nervös zu werden.“
„I bin a Schwob“, sagt Lagat akzentfrei
Vor bald 36 Jahren (am 12. 12. 1974) in Kapsabet im Rift Valley von Kenia geboren, hat das Laufen Lagat zu einem Weltbürger gemacht. Ein Stipendium brachte ihn 1997 an die Washington-State-Universität. Als er 2003 amerikanischer Staatsbürger wurde, hatte er schon sechs Sommer in Deutschland zugebracht. „Global, das ist das Wort“, sagt Lagat. „Ich stamme aus Kenia, bin Amerikaner, habe einen chinesischen Trainer, James Li, und eine kanadische Frau. Ich bin ein Bürger der Welt.“
Er lernte seine Frau Gladys Tom, die einen japanischen Familienhintergrund hat, an der Hochschule kennen, an die James Li ihn mit einem Stipendium geholt hatte. Sohn Miika trägt als zweiten Vornamen den kenianischen Namen Kimutai, und der Name seiner Schwester Gianna verweist auf die Liebe der Eltern zu Italien. Gemeinsam leben sie in Tucson in Arizona. Es war der Stadtlauf, der Bernard Lagat nach Tübingen brachte. Seitdem ist er mit dem Leiter des Laufs, dem Kinderarzt Frieder Wenk, befreundet, seitdem fliegt er im Sommer von Stuttgart aus in die Welt, seitdem liebt er die Laufstrecken in den Wäldern um Tübingen. Seit einigen Jahren hat er ein eigenes Häusle. Als Lagat 2007 als Doppelweltmeister aus Osaka heimkehrte, empfingen ihn Stadt und Bürgermeister als Tübinger. „I bin a Schwob“, sagt Lagat akzentfrei. „Ich bin ein halber Deutscher.“
Zum Laufen gebracht hat ihn seine Schwester Mary Chepkemboi
Seine europäische Heimat rettete ihn, als er, der stolz darauf ist, nicht einmal Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, bei der Weltmeisterschaft 2003 in Paris positiv auf Epo getestet wurde. Der Jura-Professor Dieter Rössner machte ihn mit dem Mikrobiologen und Doping-Experten Werner Franke aus Heidelberg bekannt, dessen Frau nach einem Treffen mit Lagat überzeugt war: Dieser Mann lügt nicht. Franke schickte einen erfahrenen Wissenschaftler aus seinem Labor, der den Doping-Analysten bei der Untersuchung der B-Probe auf die Finger sah. Das Ergebnis: Test negativ, Lagat unbelastet.
„Wenn sie die A-Probe ebenso sorgfältig analysiert hätten, wäre sie auch negativ gewesen“, sagt Lagat. „Das lehrt einen: Wenn jemand, gerade bei diesem Test, positiv ist, sollte man zweimal nachdenken, bevor man ihn einen Doper nennt. Es kann mich noch einmal treffen, es kann einen anderen sauberen Athleten treffen. Alles hängt von der Arbeit des Labors ab.“ Seine Klage, das Verfahren zu ändern, scheiterte.
„Sie wird alle Mädchen in der Leichtathletik schlagen“
Zum Laufen gebracht hat ihn seine Schwester Mary Chepkemboi. Sie gewann 1984 die Afrikameisterschaft über 3000 Meter, nahm an internationalen Crossläufen in Afrika teil, aber gab den Gedanken an eine Karriere auf, um ihre Familie mit acht jüngeren Geschwistern zu unterstützen. Sie kam nicht nur für das Schulgeld von Bernard, ihrem sieben Jahre jüngeren Bruder, auf. Sie hielt ihn auch zu ernstem Training und zur Teilnahme an Wettkämpfen an. „Sie sagte: Ich habe dich rennen sehen“, erinnert er sich. „Du kannst gut werden.“ Was sie nie konnte, tat ihr kleiner Bruder: Er rannte zu einem Stipendium in Amerika und zu den lukrativen Sportfesten nach Europa. „Ohne sie hätte ich die Schule verlassen und wäre zur Armee gegangen“, sagt Lagat.
Längst ist es an ihm, das läuferische Talent seiner fünf jüngeren Geschwister zu fördern. Sein älterer Bruder William Cheseret hat eine Marathon-Bestzeit von 2:12,09 Stunden. Seine jüngere Schwester Evelyne Jerotich Lagat ist einen Halbmarathon in 1:11,35 gelaufen, und auch aus seinem Bruder Robert Cheseret ist ein respektabler Mittelstreckler geworden. Die Zweitjüngste, Irene Lagat, rannte zu einem Stipendium der Universität von Arizona und ist ebenfalls längst Amerikanerin. In die Jüngste, Viola, setzt Bernard die größten Hoffnungen. „Sie wird alle Mädchen in der Leichtathletik schlagen“, sagt er voraus. Der Teenager lebt inzwischen bei ihm und seiner Familie in Tucson in Arizona. Bernard könnte ihr Vater sein. Wenn Viola etwas von ihm lernen kann, dann, wie weit in die Welt das Laufen führen kann.
Michael Reinsch, Berlin
(aus „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22.8.2010)