Archiv für den Tag: 24. August 2016

Olympiasieger Thomas Röhler: Unabhängig vom Primat des Goldes

Er ist einfach ein dankbares Objekt, noch eher ein Subjekt  für Journalisten.

Thomas Röhler Rio mit Journalisten

Thomas Röhler im Gespräch mit deutschen Journalisten in Rio (Foto: Olaf Brockmann)

Olympiasieger Thomas Röhler scheint immer noch viel Stoff für lange Geschichten, wertende Beiträge zu bieten. Und so konnte mein Kollege Michael Reinsch auch nicht anders, als kurz vor seiner Abreise aus Rio de Janeiro nochmals das  Phänomen Röhler auszuloten. Ein Phänomen, das keines ist, wenn man ihn näher kennt oder länger mit ihm spricht.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 22. August 2016 konnte man den folgenden Artikel lesen:

Olympiasieger Thomas Röhler: Unabhängig vom Primat des Goldes

 „Ich werfe auch für Thomas Röhler weit“: Seinen Olympiasieg wertet der Speerwerfer zwar als extrem wichtig für die Statistikfreunde, er selbst ist aber in ganz anderer Weise zielorientiert.

Thomas Röhler mit Medaille

Thomas Röhler mit der Goldmedaille (Foto: Olaf Brockmann)

 

Als er zu seiner Reise nach Rio aufbrach, war Thomas Röhler so aufgeregt wie noch nie vor einem Wettkampf. Er wusste, er war der beste Speerwerfer des Jahres, er hatte eine Muskelverletzung im Rücken überwunden, und er wollte sich beweisen. Als der 24-Jährige im Olympischen Dorf auf seinen Wettkampf wartete, verwandelte sich die Vorfreude in Druck. Auf vielen Kanälen erreichte ihn die Dringlichkeit, mit der Erfolge, nein: Medaillen und Siege von den deutschen Leichtathleten erwartet wurden.

Am Samstag hatten überraschend Christoph Harting die Goldmedaille im Diskuswerfen gewonnen und David Jasinski die Bronzemedaille – und dann war es eine Woche lang wie abgeschnitten.

Daniel Jasinski Christoph Harting

Daniel Jasinski (links) und Christoph Harting

Am Samstag drauf sollte Röhler Olympiasieger werden. Eine Woche: viel Zeit für Ungeduld, viel Zeit, um aus dem eigenen Anspruch die Erwartung anderer werden zu lassen. Röhler trat nicht an, um die deutsche Leichtathletik zu retten. Obwohl: Schon vor seinem Sieg hatte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, geurteilt, die Leichtathletik sei in einem besorgniserregenden Zustand. „Klar werfe ich für Deutschland“, sagte Röhler und griff nach der Goldmedaille, die vor seiner Brust baumelte. „Aber ich werfe auch für Thomas Röhler den Speer weit.“

Der erste Olympiasieg eines deutschen Speerwerfers seit dem von Klaus Wolfermann bei den Spielen von München 1972 ist für das Land, für den Verband und für den Sportler ehrenvoll. Er hätte nicht früher kommen können, doch er kommt zu spät. Längst sind die Konsequenzen gezogen, schon ist die Umstrukturierung der Leistungssport-Abteilung im Leichtathletik-Verband beschlossen, und die Ausrichtung der staatlichen Sportförderung zielt auf ein Drittel mehr Medaillen.

Diese Goldmedaille sei „extrem wichtig für alle, die auf Statistiken stehen“, sagte Röhler leicht distanziert. Zwar hat er das Studium in seiner Heimatstadt Jena abgeschlossen, das Sport mit Betriebswirtschaft verbindet. Doch persönlich hat der 24-Jährige sich unabhängig gemacht vom Medaillenzählen, vom Primat des Goldes als einzigem Ausdruck von Erfolg.

Thomas Röhler  2   klein Scheinwerfer

„Vor einem Jahr habe ich eine Super-Serie geworfen und war Vierter“, erinnerte er an die Weltmeisterschaft von Peking 2015. In unverstellter Freude über seine Leistung von 87,41 Meter und über den hochklassigen Wettbewerb, in dem er Platz drei um nur 23 Zentimeter verpasst hatte, versprach Röhler, dass er seine Holzmedaille feiern werde.

„Diesmal habe ich eine Super-Serie geworfen, und dieser eine Wurf war dabei, der diese Medaille hier gebracht hat.“ 90,30 Meter warf Röhler, sein dritter Wurf des Jahres über neunzig Meter, die überragende Leistung des Abends. Thomas Röhler ist Realist. Deshalb ist es für ihn keine Metapher, wenn er sagt, dass er sich hohe Ziele stecke. Seit 2012 gewinnt er die deutsche Meisterschaft, und über die Jahre hat er sich daran gewöhnt, Favorit zu sein. Diese Rolle sei er nun bereit, auch international einzunehmen.

Der Athlet mit einer solch breiten Brust ist es gewohnt, trotz 1,90 Meter Länge und 90 Kilo Athletik in seinem Metier als schmächtig zu gelten. Nicht allein mit seinem schnellen Anlauf und seiner Explosivität ist Röhler den Kraftprotzen voraus. Akribisch und unkonventionell bereitet er seine Erfolge vor. Die Schlagzeile „Röhler zittert sich ins Finale“ amüsierte ihn, denn der Wurf von 83,01 Meter war Teil seines Plans.

Treppe verhalf zum Olympiasieg

Absichtlich hatte er in der Qualifikation lediglich so weit geworfen, wie er musste. Er nutzte seine drei Versuche dazu, sich mit den Bedingungen vertraut zu machen: der stehenden Luft im Olympiastadion, dem „jumpy“ Belag des Anlaufs, der enormen Höhe der Arena. Wie eine Halle wirke das Stadion, folgerte er, „niemand kann hier nur seine alten Bewegungsmuster abrufen“.

Und Röhler visiert tatsächlich ein Ziel hoch im Station an. Vielleicht mache dies nur ein Olympiasieger, sagte er, als er verriet, dass er zum ersten Besuch eines Stadions seine Kamera mitbringe. Vom Abwurf aus macht er ein hochauflösendes Bild von der gegenüberliegenden Kurve. Eine halbe Stunde lang suchten er und sein Trainer Harro Schwuchow darauf einen Fixpunkt, dann hatten sie eine markante Treppe gefunden.

Sie musste Röhler im Wettkampf finden, auf sie musste er mit dem 800 Gramm schweren Speer zielen, und er würde die perfekte Flugkurve nehmen. Nach dem vierten Versuch, der nur 84 Meter weit ging, legte sich Röhler auf den Rücken und blickte in den Nachthimmel über Rio, den ein Vollmond erhellte. „Ich musste bei mir bleiben“, erklärte er. „Ich hatte das Ziel aus den Augen verloren.“ Beim nächsten Wurf war er wieder bei sich, fand das Hilfsziel – und traf.

„Wir hatten extrem geile vierte Plätze“

Das war der Moment, daran zu erinnern, dass eben nicht alles in Gold und Medaillen gemessen werden könne. „Wir hatten extrem geile vierte Plätze“, sagte er und hatte damit das Gegengift für die große Depression in der Mannschaft von fast 90 Leichtathleten, die sich schon an das Abschneiden von Peking 2008 erinnern lassen muss, als Christina Obergföll mit Platz drei für die einzige Medaille der Leichtathletik-Auswahl sorgte.

Zehnkämpfer Kai Kazmirek und Weitspringerin Malaika Mihambo kamen tatsächlich auf Platz vier, Sprinterin Gina Lückenkemper erreichte das Halbfinale, die Siebenkämpferin Carolin Schäfer wurde Fünfte, und Hindernisläuferin Gesa Krause verbesserte als Sechste im Endlauf den deutschen Rekord. Das Abschneiden bei der sogenannten kleinen Europameisterschaft in Amsterdam drei Wochen vor Olympia mit fünf Titeln und 16 Medaillen hat offenbar die Maßstäbe verschoben, in der Priorität der Athleten wie bei den Erwartungen der Öffentlichkeit.

Im Nachhinein mag sich der Muskelfaserriss, der den Favoriten Röhler dort schon in der Qualifikation bremste, als Glücksfall erweisen. Zwei Wochen lang war der Speerwerfer zu Hause mit aktiver Reha beschäftigt, von Physiotherapie und Wickeln bis zu Gymnastik. „Ich kenne meinen Körper besser als vorher“, sagte er trocken über die Leidenszeit. Womöglich war sie die beste Vorbereitung auf den Triumph von Rio.

Michael Reinsch, Korrespondent für Sport, Berlin

Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. August 2016

Gina Lückenkemper – keine lächelt schöner als sie

 

Gina Lückenkemper ist eines der neuen, jungen Gesichter des deutschen Frauensprints. Ins Berliner Olympiastadion bringt sie zum 75. ISTAF zwei Bronzemedaillen von der EM aus  Amsterdam mit.

Gina klein Porträt von ihrer Seite

Würde eine „Miss Lächeln“ gewählt werden, wäre Gina Lückenkemper erste Anwärterin. Die  19jährige Sprinterin lächelt oft und gern. „ Ich bin ein Honigkuchenpferd“, charakterisiert sie sich selbst. Und es ist beileibe keine Unsicherheit. Das würde auch überraschen, bei ihrem rasanten Aufstieg in die deutsche Sprintspitze. Nach dem Abschied der jahrelang besten Sprinterin Verena Sailer hatte man sich Sorgen gemacht. Doch unbegründet, denn die Dortmunderin schaffte nach dem Gewinn der Goldmedaille über 200 m bei der U20-EM sofort den Sprung in die Erwachsenspitze.  Ihre große Stärke ist ihre Lockerheit. „ Sie verfügt über die Fähigkeit, über den Spaßfaktor locker zu bleiben. Und im Sprint ist Lockerheit sehr wichtig,“ hat ihr Trainer Uli Kunst kürzlich erklärt.

Und sie selbst meint: „Schnell war ich schon immer. Ich rede schnell , ich esse schnell“. Und manchmal fährt sie auch schnell Auto.

Die Hauptschnelligkeit aber bringt sie auf die Laufbahn. In diesem Jahr kannte sie einfach keine Zeitgrenzen. Bei der DM 2016  in Kassel holte sie sich über ihre Lieblingsstrecke von 200 m in 22,84 s Gold.

Gina klein DM 2016

Gina Lückenkemper bei der DM 2016 in Kassel (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Anschließend lief sie bei der EM in Amsterdam 22,74 s und bekam dafür die Bronzemedaille. Nochmals Bronze gab es für sie in der 4×100-m-Staffel, und das in der Besetzung Tatjana Pinto, Lisa Mayer, Gina Lückenkemper und Rebekka Haase.

Rennen gibt mir das Gefühl von Freiheit“, erklärte sie danach. Und das wollte sie auch in Rio beweisen. Die Staffel sollte es richten, eine Medaille wurde angepeilt. Beinahe wäre einer der stärksten Gegner, die US-Staffel, im Finale nicht dabei gewesen, weil sie im Vorlauf den Stab verloren. Doch durch eine recht zweifelhafte Entscheidung wurde ihnen ein Sololauf genehmigt, und damit  kamen sie durch die Hintertür ins Finale und dort zu Gold. Die deutsche Staffel mit Gina Lückenkemper lieferte ein beeindruckendes Rennen, aber am Ende reichte es nur zu einem vierten Platz. Oder streicht man am besten dieses „Nur“?

Ihr Trainer sieht bei ihr noch große Reserven. „ Sie muß sich aber entscheiden, ob sie in die Weltspitze hinein und dafür mehr ins Training investieren will.“ Doch da spricht er aber eher von der Perspektive in Richtung Olympia 2020 in Tokio.

Zunächst aber wird Gina Lückenkemper dem Berliner Olympiastadion ihre Aufwartung machen. Zwei Jahre später bei der EM 2018 könnte hier für sie eine weitere „Sternstunde“ kommen. Das Lächeln wird sie bis dahin nicht verlieren.

Gina klein 2014 Gantenberg

Gina Lückenkemper im Jahr 2014 (Foto: Dirk Gantenberg)

 

Gina Lückenkemper

200 m I Frauen

Alter: 19 Jahre

Land: Deutschland

Bestleistung:  22,67 s

Erfolge: 4×100 m: Vierte Olympia 2016,  Dritte EM 2016, Dritte  U20-EM 2014;  200 m: Dritte EM 2016, U20-Europameisterin 2015

Thiago Braz da Silva, der brasilianische Stabhochsprung-Sieger von Rio, kommt zum 75. ISTAF

Harting klein ISTAF 067

Weltklasse-Leichtathletik und Rio-Stars hautnah beim 75. ISTAF: Neben den beiden deutschen Olympiasiegern Thomas Röhler (Speer) und Christoph Harting (Diskus) haben bereits zehn Tage vor dem Jubiläums-Event im Berliner Olympiastadion fünf weitere Gold-Gewinner aus Rio ihr Kommen zugesagt. Allen voran der brasilianische Shooting-Star Thiago Braz da Silva, der den Stabhochsprung-Wettbewerb mit olympischem Rekord von 6,03 m für sich entschieden hatte.

Leichtathletik Berlin 13.02.2016 ISTAF indoor Stabhochrung der Männer, Thiago Braz da Silva (BRA) Foto: Camera 4
Thiago Braz da Silva (BRA) beim ISTAF Indoor 2016 (Foto: Camera 4)

Ebenfalls freuen können sich die Fans auf die Olympiasieger Sara Kolak (Kroatien/Speerwurf), Michelle Carter (USA/Kugelstoßen), David Rudisha (Kenia), den schnellsten Mann der Welt über 800 m, sowie Tianna Bartoletta (USA), die im Weitsprung und mit der 4×100-m-Staffel triumphierte und mit zwei Goldmedaillen zum ISTAF kommt.

Neben diesen sieben Olympiasiegern mit acht Goldmedaillen vermelden die ISTAF-Organisatoren bereits die Zusage von neun Europameistern. Am 3. September an den Start gehen alle fünf deutschen Gold-Gewinner und vier polnische Titelträger aus Amsterdam:

Aus Deutschland:  Gesa Felicitas Krause (3000 m Hindernis), Cindy Roleder (100 m Hürden), Christina Schwanitz, David Storl (beide Kugelstoßen) und Max Heß (Dreisprung).

Aus Polen: Adam Kszczot (800 m), Robert Sobera (Stabhochsprung), Piotr Malachowski (Diskus) und Angelika Cichocka (1.500 m; ISTAF: 800 m).

Meeting-Direktor Martin Seeber: „Wir bieten den Zuschauern 16 spannende und hochkarätig besetzte Disziplinen. Sieben Olympiasieger und neun Europameister – das verspricht tollen Sport. Und wir werden noch weitere Weltklasse-Athleten nach Berlin holen.

Am 3. September stehen ab 15 Uhr folgende 16 Disziplinen auf dem Programm:

Männer: 100 m, 800 m, 3000 m, 110 m Hürden,  Stabhochsprung, Dreisprung, Kugelstoßen, Diskuswurf, Speerwurf

Frauen: 200 m, 800 m, 100 m Hürden, 3000 m Hindernis, Weitsprung, Kugelstoßen, Speerwurf.

Tickets für das Jubiläums-ISTAF gibt es ab 9 Euro unter www.istaf.de.

ISTAF 2016  Titelfoto